Kapitel 54
Wir wurden mit neugierigen Blicken empfangen, als wir am Thresen ankamen. Immer noch hatte Pete einen Arm um mich gelegt und ich einen um ihn. Er hauchte mir ein Küsschen auf die Haare. "Und du bist dir sicher, dass Ben den Patch bekommen soll?" flüsterte er in meine Locken.
"Ja!"
Erst jetzt ließ er mich los. Ging einen Schritt auf Ben zu, der wieder da war. Irgendjemand hatte seine Wunden versorgt. Er wirkte unsicher, als Pete ihn brüderlich in den Arm nahm. "Herzlich willkommen Bro!" lachte er. Und aus Ben's angstverzehrtem Gesicht, wurde ein stolzes Lächeln. "Dann geht's jetzt zur Patchtaufe!" Die Jungs grölten, als sie das Haus, mit Ben zusammen verließen, um auf den Hof zu treten.
Ich saß an der Bar. Schaute glücklich zu Pete, der auf mich zu kam. "Danke!" hauchte ich. Drückte ihn viel zu nah an mich. Seine Hände, die mein Gesicht wie immer viel zu zärtlich umschlossen. Erst dann trafen seine Lippen, die mich immer noch verzauberten, meinen Mund.
"Nie wieder mit einem Anwärter oder Bro von mir!" drohte seine Stimme.
"Nie wieder mit einem anderen Mann, als dir!" erklärte ich ihm die volle Wahrheit. "Nie wieder Klingen und nie wieder..."
"Pst Baby, ich will das grad nicht hören." Ich verstand ihn. Denn ich wollte genauso wenig über all das nachdenken, wie er. Es war eine scheiß Zeit gewesen. Eine Zeit, die hinter uns lag. Die wir allein, aber zum Teil auch zusammen gemeistert hatten. Verträumt schaute ich zu Pete. Er hatte in den letzten Wochen seinen jungenhaften Charme verloren. Wirkte jetzt reif und erwachsen. Vielleicht lag es an seinem Bart, den er sich hatte wachsen lassen. Zumindest sah er aus wie ein Biker, so wie ich ihn mir vorstellte, halt nur gepflegter.
"Ich geh mal gucken, was die draußen so mit Ben veranstalten." Pete hatte mich gefragt, ob ich mitkommen wollte, aber ich hatte keine Lust. Am liebsten hätte ich ihn geschnappt, um mit ihm nach Hause zu fahren. Wollte wie immer Zeit mit ihm verbringen. Nur unsere kleine Welt leben, in der es Niemanden anders gab. All die verlorene Zeit in ein paar Stunden aufholen. Das Leben aufsaugen, als gäbe es kein morgen. So oft mit ihm schlafen, bis uns schwindelig wurde. Ich lächelte in mich hinein, als ich an den Sex mit ihm eben dachte. Nach der Vergewaltigung hatte ich geglaubt, ihn nie wieder so intensiv zu leben. Immer war da die Angst vor den Schmerzen. Sie waren das Einzige, an was ich dachte, wenn ich an zwischenmenschliche Zweisamkeit dachte. Die unzähligen Kerle hatten diese Gedanken noch intensiviert. Ich ekelte mich schon wieder vor ihnen und vor mir selbst. Wie hatte ich all das nur zulassen können? Wie mich so billig verkaufen können. Für ein paar Drinks und den ultimativen Selbstzerstörungskick. Die Übelkeit stieg in mir hoch, weshalb ich in Pete's Zimmer und dort ins Bad stürmte. Mal wieder hing ich über der Kloschüssel. Spülte meinen Mund am Waschbecken aus, nachdem ich fertig war und die Klospülung gedrückt hatte. Sah mein Gesicht im Spiegel. Erkannte, dass nicht bloß Pete in den letzten Monaten gereift war, sondern auch ich. Sah die Augen einer erwachsenen Frau und nicht mehr die eines unschuldigen Mädchens. Ich hatte in den letzten Monaten so viel erlebt, dass es hätte für ein ganzes Leben gereicht. Erst jetzt realisierte ich, dass nicht Sascha meine erste, große Liebe war, sondern Pete. Er hatte für mich getötet. Das war mehr, als mir zu stand und doch auch ein Liebesbeweis. Ich hatte begonnen wieder zu leben, nachdem ich das erfahren hatte. Hatte kleine, langsame Schritte zugelassen. War einen harten, steinigen Weg gelaufen, um jetzt da zu sein, wo ich war. Pete hatte mich oft genug über Felsbrocken getragen, die sonst nicht zu überwinden gewesen wären. Er war meine Therapie, die mir keine Klinik der Welt hätte geben können.
"Baby?" erschrocken drehte ich mich um.
"Pete!"
"Was is'n los?"
Ich ging langsam auf ihn zu. "Hm, mir war schlecht."
"Weil wir...?"
"Nein Pete, nicht deswegen."
"Warum dann?"
"Ich mag da echt grad nicht drüber reden. Ok?" Er akzeptierte es, weshalb wir auch kurze Zeit später wieder bei den Anderen waren. Ich setzte mich an den Thresen. Nahm einen Schluck von dem Bier, welches Pete mir gereicht hatte. Niemand schaute mich mehr schief an. Und das erleichterte mich ungemein. Ich war eine von ihnen. War selbstsicher aufgetreten, nachdem Cora mich bloß gestellt hatte und das obwohl ich mich klein und erniedrigt gefühlt hatte.
"Tut mir leid, was Cora abgezogen hat." Matt hatte freundschaftlich einen Arm um mich gelegt.
"Schon gut, kannst du ja nichts für." ich trank einen Schluck. "Wo ist sie überhaupt?"
"Weg!" er sah meinen fragenden Blick. "Ich hab mit ihr Schluss gemacht."
"Bitte was?"
Ich folgte seinem Blick, der auf Pete gerichtet war. "Chelsea, den einzigen Mann den sie immer nur wollte, war Pete."
"Oh..." also hatte ich mit meiner Vermutung Recht.
"Sie war mit mir zusammen, weil ich sein bester Freund bin und sie war mit dir befreundet, um ihm nah zu sein."
"So was hatte ich mir schon fast gedacht." unsicher schaute ich zu Matt. "Meinst du, sie wird versuchen ihn mir weg zu nehmen?"
Er zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es nicht Chelsea. Aber ihr Beide seid so stark zusammen, dass kein Weib auf der Welt es schafft, euch zu trennen."
Ja, damit hatte er Recht. Aber ehrlich hatte ich langsam keine Lust mehr, ständig um unsere Beziehung kämpfen zu müssen. Ich wollte doch einfach nur in Ruhe mit ihm leben. Unsere Liebe genießen. Ohne das ständig eine Katastrophe die nächste jagte. Oder war es genau das, was alles am Leben hielt? Schließlich war mein größter Wunsch mal gewesen, dass nie der Alltag bei uns einkehrte.
Ich beobachtete Pete mal wieder. Er hatte immer an uns geglaubt. Hatte nie daran gezweifelt, dass wir wieder zusammen kamen. Er hatte mich immer geliebt und ich ihn. Auch wenn es eine Zeit voller Verletzungen gab. Die konnte ich ihm nicht mal übel nehmen. Ich war abweisend und fies zu ihm gewesen. Hatte ihm erst sein Herz geklaut, bevor ich darauf herumgetrampelt war und es wie ein Stück Glas zerbrechen ließ. Jeder andere Mann hätte mich wahrscheinlich nie wieder mit dem Arsch angeschaut. Aber Pete war damals sofort wieder für mich da, als ich in den Club gekommen war. Hatte mich sofort in den Arm genommen. Sofort gemerkt, dass es mir schlecht ging.
"Chelsea?" Evelyna stand neben mir.
"Ja!"
"Komm mal mit!" forderte sie mich auf. Also folgte ich ihr in den langen, dunklen Flur, von dem aus sich diese unzählig vielen Türen erstreckten. Es war nicht Pete's Zimmer, welches wir betraten. Sondern das von Evelyna und Sam, schlussfolgerte ich aus den Fotos an der Wand. Irgendwie war alles sehr altmodisch eingerichtet. So ganz anders, als ihr Haus, in welchem das große Essen stattgefunden hatte. Sie wühlte in einer alten Kommode. "Hier!" sie reichte mir eine Pistole. Silber mit schwarzem Griff. "Das ist ne vierundvierziger Magnum."
"Ähm ja schön."
"Sie gehört jetzt dir."
Ich glaube mein Blick war erschrocken. Und wenn das wahre Leben ein Comic gewesen wäre, hätte genau jetzt ein riesen Fragezeichen über meinen Kopf geblinkt. "Nee Evelyna! Was soll ich denn mit so nem Ding?"
"Dich verteidigen, falls es mal wieder nötig ist."
"Du... du meinst ich könnte noch mal...?"
"Chelsea, du bist mit dem Vizepräsidenten dieses Mc's zusammen. Wirklich sicher bist du nur, wenn du hier bist oder er in deiner Nähe ist." sie schaute mich mütterlich besorgt an. "Ich möchte nicht, dass du noch mal in eine so beschissene Situation kommst, ohne die Möglichkeit zu haben, dich wehren zu können. Und nun steck sie ein!"
"Aber ich weiß doch gar nicht, wie so ein Ding wirklich funktioniert." stotterte ich etwas verlegen. Also erklärte Evelyna mir diese Pistole. Erst dann ließ ich sie in meine Tasche fallen. Gemeinsam gingen wir zurück zur Party. Pete stand mit Ben am Thresen. Sie stießen gerade mit Schnaps an, als ich mich zu ihnen gesellte.
"Herzlichen Glückwunsch Ben!"
"Danke!" sagte er. Und ich wusste, dass dieses Danke auf die Tatsache bezogen war, dass ich Pete überredet hatte, das Ben seinen Patch doch noch bekommen hatte. Also lächelte ich nur. War mit meinen Gedanken mal wieder eh wo anders, als im Hier und Jetzt. In meiner Handtasche befand sich eine scharfe Waffe. Ich fühlte mich wie eine Gangsterbraut. Wie Jemand, der ich nicht sein wollte. Aber obwohl ich mich innerlich dagegen sträubte bewaffnet zu sein, wollte ich auch nie wieder in solch einer ausweglosen Situation, wie an dem Abend im Transporter, geraten. Klar, die einfachste Lösung wäre gewesen sich von Pete zu trennen und ein normales Leben zu führen. Aber ich liebte diesen Mann aus tiefstem Herzen und ein normales Leben konnte es ohne ihn eh nicht mehr geben.
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