Kapitel 38

Pete und ich sahen uns seit der Nacht des Osterfeuers fast täglich. Er kam öfter im Studio vorbei. Einfach so. Nur mal um zu gucken wie es mir ging. Manchmal brachte er mir was zu Essen mit. Manchmal nicht. An einigen, wenigen Tagen unternahmen wir nach Feierabend gemeinsam was. Nur wir Beide allein. Und genau das tat uns gut. Wir hatten nicht mehr über die Vergewaltigung,  das Ritzen oder die Schießerei gesprochen. Warum auch? Es war alles gesagt. Ich wusste nicht, ob er immer noch fast jede Nacht eine andere Frau beglückte. Er wusste nicht, dass ich mich nicht mehr ritzte, sondern stattdessen immer mal einen Kerl abschleppte. Nachdem die letzten Schnitte ja genäht werden mussten, hatte ich mich nur noch einmal geritzt, aber gemerkt, dass es nichts mehr brachte. Mich deshalb für den Weg entschieden,  immer mal einen One Night Stand zu haben. Nur noch da dieses Gefühl von Befreiung gespürt. Ich hasste all diese Männer, denn keiner bemerkte, wie schlecht es mir ging. Keinem fiel auf, dass sie nur Mittel zum Zweck waren. Das ich sie nur besoffen ertrug. Und doch fürchtete ich mich vor dem Tag, an dem auch dabei das Gefühl von Freiheit verloren gehen würde.
"Du hast dich verändert Chelsea." hörte ich Edward sagen. Er wusste von all den schlimmen Dingen nichts.
Ich hatte gerade den Kunden verabschiedet, den ich tätowiert hatte. "Hab ich?"
"Meinst du ich bin blöd? Ich merke wie oft du abends besoffen bist. Ich habe oft genug mitbekommen, dass du dich heimlich nachts mit nem Kerl in dein Zimmer schleichst. Ich nehme an, es ist immer ein Anderer?"
"Ah ja?"
"Jep Chelsea. Du würdest dich auf Niemanden anderen fest einlassen, als auf Pete. Und wenn doch, hättest du uns diesen Mann schon längst vorgestellt und mit Sicherheit würdest du nicht mehr deinen Verlobungsring tragen."
"Du musst es ja wissen." antwortete ich Edward. Schnappte meine Sachen, denn ich hatte Feierabend.
"Ich werde mit Pete drüber reden." rief er mir hinterher, weshalb ich mich noch mal zu ihm drehte.
"Das wirst du nicht!" böse funkelten ihn meine blauen Augen an. "Denn was ich tue, geht ihn rein gar nichts an. Verstanden?" seine Antwort wartete ich nicht ab, sondern verließ einfach das Studio. Die Wut brodelte in mir, wie heiße Lava in einem Vulkan. Mich sollte lieber gerade Niemand ansprechen, wenn er nicht wollte das dieser Vulkan ausbrach. Aber wie immer in genau solchen Momenten begegnet man Menschen, die man kennt. "Chelsea hi!" ein feuchtes Küßchen auf meine Wange. Es war Ben, erkannte ich, als ich aufschaute und in seine grau blauen Augen blickte.
Meine Hand griff wie von selbst nach seinen Haaren, die er jetzt genauso trug wie Pete. "Hi!"
"Gefällt's dir?" er deutete auf seine Haare.  "Wenn nicht, kann ich's auch abschneiden oder so."
"Ne, ne schon ok." als würden mich seine Haare auch nur ein Stück weit interessieren.
Wir gingen eine Weile wortlos nebeneinander her. Was sollte ich mich mit ihm auch unterhalten? "Wie geht's dir?" fragte er irgendwann.
"Gut! Und dir?"
"Ja, auch gut." er war stehen geblieben. Hatte mich zu sich gedreht. "Als ich mit dir geschlafen habe, hatte ich nicht gewusst, was dir passiert war."
"Ach und jetzt wo du es weißt, würdest du die Nacht gerne ungeschehen machen oder was?" ich war weiter gegangen. Das er mir folgte, hörte ich an seinen Schritten.
"Nein, so habe ich das nicht gemeint."
"Wie dann?"
"Was ich sagen wollte ist, dass es mir leid tut, dass dir so ne Scheiße passiert ist für den Club."
"Muss dir nicht leid tun." Leute gingen an uns vorbei. Schauten uns an, als würden sie genau wissen, über was wir uns gerade unterhielten. "Und jetzt hör endlich auf drüber zu reden."
"Ok! Aber eine Frage hab ich noch." Ich schaute ihn nur an, also sprach er weiter. "Hättest du mit mir geschlafen,  wenn dir das alles nicht passiert wäre?"
"Wenn du genau drüber nachdenkst, kannst du dir die Frage selbst beantworten." lachte ich, obwohl er mir schon etwas leid tat. Er versuchte extra sich zu kleiden wie Pete. Äffte auf lächerliche Art und Weise sogar teilweise sein Verhalten nach, nur um mir zu gefallen. "Sorry Ben. Aber wenn das alles nicht gewesen wäre, wären Pete und ich jetzt verheiratet." entschuldigte ich mich deshalb noch. Drehte mich dann einfach um und ging. Ließ ihn stehen mit seinen wirren Gedanken. Ich ging den Weg  entlang, den wir gerade gegangen waren. Lief ohne  wirkliches Ziel. Fand mich aber irgendwann vor dem Vereinsheim wieder. Die Sehnsucht nach Pete hatte mich hier her gebracht. Schon von Weitem sah ich ihn. Diesen großen, schlanken,  durchtrainierten Mann, dessen Herz sich so viele Frauen wünschten. Aber nur mir hatte er es geschenkt. Nur für mich schlug es. Nur für mich wartete es darauf wieder in Ruhe leben zu dürfen. Er schraubte an einem Auto. Lächelte zuckersüß, als er mich sah. "Hi Kleines!" seine Worte so sanft. Er hauchte mir ein Küßchen auf die Lippen, während er sich die Hände an einem ölverschmierten Lappen abwischte.
"Ich hatte Sehnsucht nach dir." gestand ich ohne nachzudenken. "Hast du Zeit?"
"Ich muss das Auto noch fertig machen. Halbe Stunde etwa." er schaute auf sein linkes Handgelenk, als wäre da eine Uhr. "Wenn du magst, kannst du warten." hatte er gesagt. Also setzte ich mich unter das Vordach des Hauses, auf die Holzbank. Die Sonne schien und wärmte mich. Ein leichter Wind wehte durch meine Haare. Ich beobachtete Pete. Seine Arme, die er anspannte, als er den Reifen anhob, um ihn dann an dem Auto zu befestigen. "Hier!" Ben setzte sich neben mich, nachdem er mir einen Kaffee gereicht hatte. "Mit Milch, so wie du ihn magst."
"Danke!" auch er schaute zu Pete.
"Das mit euch wird bestimmt wieder."
"Hm wer weiß." ich nippte an meinem Kaffee.  Schaute dann zu Ben. "Es tut mir leid, dass ich vorhin so fies zu dir war."
"Schon in Ordnung Chelsea."
"Ist es nicht."
Er rieb seine Hände nervös aneinander. "Ich hab dir dabei weh getan und es nicht mal gemerkt. Stimmt's?"
Schon wieder musste ich lachen, aber das verging mir schnell. "Wobei hat er dir weh getan?" Sam's Stimme plötzlich neben uns.
"Du musst ihn nicht gleich umbringen." scherzte ich, als ich aufstand und Sam umarmte. "Er ist mir nur auf'n Fuß getreten."
"Ah ja und das soll ich glauben?"
"Wirst du wohl müssen." Sam hatte genickt. War dann zu Pete gegangen. Vermutlich hatte er ihm frei gegeben. Zumindest kam Pete strahlend auf mich zu. Nahm mich an die Hand und zog mich hinter sich her ins Haus und dann in sein Zimmer. Während er duschte,  saß ich auf seinem Bett. Hoffte, dass Sam nicht all zu viel von dem Gespräch zwischen Ben und mir mitbekommen hatte. Wenn irgendjemand mal raus bekommen sollte, was Edward schon längst vermutete, dann wollte ich nicht,  dass heraus kam, dass auch Ben einer der Jenigen Männer war, der mich verletzt hatte. Verletzt auf eine ganz bestimmte Art und Weise.
"An was denkst du Baby?" Pete hatte sich neben mich auf's Bett gesetzt. Seine Hand lag auf meinem Oberschenkel, als wir uns Beide in die Augen sahen. Es war genau der selbe, neugierige, interessierte Blick, mit welchem er mich ein Jahr zuvor angesehen hatte.  An dem Tag im Tattoostudio, als all das mit uns begonnen hatte. Sanft legte ich meine Hand hinter seinen Kopf. Rutschte langsam auf seinen Schoß,  als wir begannen uns vorsichtig zu küssen. Mein Herz raste. Zärtlich tauchten seine Hände unter meinen Pullover. Ängstlich zog ich ihm seinen aus. Hauchte ihm kleine Küsse auf seine nackte Brust. Es roch nach seinem Duschbad. Eine leichte Gänsehaut auf jedem Millimeter meiner Haut, als ich mich wieder aufgerichtet hatte und seine Lippen meinen Hals trafen. Aber er drückte mich schon kurze Zeit später sanft, aber bestimmt von seinem Schoß. "Sorry Chelsea."
"Schon ok." lächelte ich ihn an. Ich wusste, dass jede seiner Poren danach schrie, dass wir miteinander schliefen. Das er sich zusammen reißen musste, nicht über mich her zu fallen, wie eine Hyäne über ihr Futter. Er kannte mich gut. Wusste, dass ich noch nicht bereit dazu war mich fallen zu lassen. Und er sollte nie einer dieser Männer werden, die einfach nur über mich drüber rutschten. Also zog er sich wieder an. Dann verließen wir sein Zimmer und das Vereinsheim. Setzten unsere Helme auf, bevor wir mit seiner Harley den Hof verließen. Sam hatte uns hinterher geschaut. Gelächelt, als er gesehen hatte, dass wir glücklich wirkten.

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