XVI
,,Na, dann erzähl mal." Mrs. Walsh lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und bat mir mit einer Handbewegung etwas von dem Tee an, der auf dem Tisch vor sich hin dampfte.
Ich nahm die geblümte Teekanne an ihrem verschnörkelten Griff hoch und goss mir etwas in meine Tasse. Augenblicklich stieg mir ein süßer, zitroniger Duft in die Nase und ich trank vorsichtig einen kleinen Schluck. Dann schluckte ich schwer. Nachdem ich die Vorstellungsübung abgebrochen hatte und angstschlotternd wieder in die Realität zurückgekehrt war, waren die Schulleiterin und ich zurück in ihr Büro gegangen, damit ich ihr erzählen konnte, was ich bisher verschwiegen hatte.
,,Das erste Mal ist es gestern passiert." Berichtete ich und zupfte unauffällig an meinen Klamotten, die vor lauter Angstschweiß an meinem Körper festklebten.
,,Ich habe trainiert, mit meinem Element, und plötzlich habe ich die Kontrolle darüber verloren. Aber da war jemand anderes, so in mir drin und hat über meine Kräfte verfügt. Es... es war, als wäre ich unglaublich wütend, aber das war gar nicht ich."
Ich rieb mir fahrig durch das Gesicht und atmete laut aus, um mich zu beruhigen.
,,Da... da war jemand in mir, der herauswollte und, wer auch immer es war, war sauer. Und es hat sich angefühlt, als wäre dieser jemand schon sehr alt. Naja, und heute, also eben, da war dieser Jemand in meiner Vorstellung, einfach so und hat irgendwie gesagt, ich solle mich nicht wehren und würde ihr - oder ihm - gehören."
Mrs. Walsh hob den Zeigefinger, als wolle sie Einspruch erheben uns hakte nach:
,,Weißt du, ob du eine zweite Persönlichkeit hast? Wenn diese durchdringt, fühlt es sich so ähnlich an."
,,Nein, habe ich ganz sicher nicht." Wiegelte ich ab.
,,Gut. Wer glaubst du, war da in dir?"
,,Sie zweifeln das gar nicht an? Ich sage, da war jemand in mir und Sie akzeptieren das einfach so?"
,,Ich akzeptiere es, weil es möglich ist." Die Schulleiterin trank einen großen Schluck Tee und behielt die Tasse danach in der Hand. ,,Es gibt gewisse... Möglichkeiten, bei denen man sich selbst eine Wiedergeburt erschafft und so zurückkehren kann. Es ist eine Art Zauber, oder Fluch, je nachdem. Man verflucht also praktisch eine Person, die später geboren wird und wenn es sich ergibt, dringt die alte Persönlichkeit durch und übernimmt die Kontrolle über den Körper. Das heißt also, dass der ursprüngliche Besitzer vernichtet wird."
,,Okay." Sagte ich, hatte aber nur Bahnhof verstanden.
,,Das ist so ähnlich, wie eine zweite Persönlichkeit, nur, dass es eine ganz andere Person ist!" Versucht es die Direktorin erneut, offensichtlich hat sie meine Ratlosigkeit doch bemerkt.
,,Und?"
,,Nicht selten sieht diese Art Wiedergeburt aus, wie der, der zurückkehren will."
,,Sie wollen doch nicht andeuten, dass... dass ich..." Fassungslos schüttelte ich den Kopf. Das war doch nicht möglich!
,,Doch. Ich glaube, dass Azati, oder wie sie auch immer heißt, dich verflucht hat. Sie hatte schließlich einen Fluch ausgesprochen, dass sie wiederkehren wird."
,,Und das reicht? Nur so ein bisschen Rumgeschwafel?"
,,Eigentlich nicht, aber sie schien sehr mächtig zu sein. Es ist wahrscheinlich, dass sie durchaus zu so etwas imstande war."
Ich schüttelte erneut den Kopf. Ich kam mir vor, wie in einem Märchen! Innerhalb einer Woche hatte ich einen Jungen angezündet, war ins Internat gekommen, hatte mich gegen Corey und Sara durchsetzen müssen und war beinahe vernichtet worden, wenn man Mrs. Walsh' Angaben Glauben schenkte.
,,Faye, da ist noch etwas." Die Direktorin sah mich besorgt an.
,,Hm?" Machte ich gequält. Eigentlich waren mir das bereits genug neue Informationen, die ich geheim halten und verarbeiten musste.
,,Man kann nur durch direkte Nachkommen wiedergeborene werden."
Diese Neuigkeit traf mich wie ein Schlag. Direkte Nachkommen, direkte Nachkommen, direkte Nachkommen!
Immer wieder hallten diese zwei Worte durch meinen Kopf.
Wenn man alles glaubte, was mir hier gesagt wurde, dann war ich nicht nur dazu verdammt, vernichtet zu werden, damit mein Körper als Leihgabe für irgendeine irre Feuertussi dienen konnte, sondern stammte außerdem noch von ihr ab! Da kam mir ein irrer Gedanke. Ich hatte in letzter Zeit zwei Mal versucht, etwas mit meiner Kraft zu machen und jedes Mal war Azita oder wer auch immer hervorgekommen. Was, wenn sich das nie ändern würde? Ich könnte dich niemals mehr machen, als kleine Flammen züngeln lassen!
,,Und, was heißt das jetzt? Darf ich nie wieder mein Element benutzen?" Fragte ich.
,,Nein, das heißt es ganz und gar nicht." Mrs. Walsh goss sich Tee nach und füllte auch meine Tasse wieder auf obwohl ihr Inhalt mit Sicherheit kalt werden würde, wie auch die letzte Tasse voll.
,,Es gibt die Chance, mit einer speziellen Behandlung diese zweite Person aus dir herauszutreiben. Aber das ist sehr gefährlich, denn entweder könntest du dabei sterben, oder die Person geht gleich auf den nächsten Angehörigen von dir über. Oder, noch schlimmer, auf einen völlig anderen. Der hätte dann keine Chance, sich zu wehren."
,,Das ist mir alles zu kompliziert." Platzte ich heraus und rieb mir die Schläfen.
,,Sie es als Reinigung. Man muss den Geist des anderen hervorkommen lassen und ihn im letzten Moment abtöten. Ist man zu früh oder zu spät, trifft es dich. Ist der Geist nicht komplett tot, trifft es jemand anderen. Und dein Elemtn darfst du bis dahin nur unter Aufsicht trainieren."
,,Okay." Ich nickte nachdenklich. ,,Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei diesem... Ritual alles glatt geht?"
,,Relativ hoch, vorausgesetzt, man handelt schnell. Je länger wir warten, desto größer und stärker wird die zweite Person."
,,Und wann genau machen wir das?"
,,Am besten am Freitagnachmittag. Dann kannst du über das Wochenende wieder fit werden."
Ich spürte, wie mir alles Blut aus dem Gesicht wich. Das war morgen. Morgen würde ich wahrscheinlich sterben oder dafür verantwortlich sein, dass es jemand anderes tat. Morgen würde sich entscheiden, wie es mit mir weiterging. Und das hieß nicht nur, dass ich bis dahin in Gefahr schwebte, bis dahin noch zu sterben, nein, außerdem bräuchte ich offensichtlich das gesamte Wochenende, um wieder gesund zu werden. Vorausgesetzt, ich konnte dann überhaupt noch gesund werden. Wenn ich tot wäre, würde das wohl etwas schwierig werden.
Ich sank ein wenig in mich zusammen und griff nach der Teetasse. Natürlich war ihr Inhalt längst abgekühlt, aber ich zwang mich trotzdem, etwas von dem kalten Zitronentee zu trinken.
,,Ich weiß, dass das jetzt sicher schwer ist." Mrs. Walsh stand entschlossen auf und ging zu dem Fenster.
,,Aber du hast keine Wahl. So oder so, es werden Menschen sterben. Und da erscheint es mir sicherer, wenn wir zumindest versuchen, dass du unbeschadet da rauskommst"
Ich nickte abwesend. Die Schulleiterin sah unbeirrt nach draußen und versank ganz in ihren Gedanken, zumindest schien es so.
,,Mrs. Walsh?" Fragte ich leise. Sie drehte sich fragend zu mir um.
,,Sie haben damit Erfahrungen, oder?" Ich meinte die Frage auf beide mögliche Weisen. Einmal so, dass ich mir Sorgen um mich selbst machte und daher wissen wollte, ob die Direktorin so etwas schon einmal gemacht hatte. Und sie andere Weise war, dass Mrs. Walsh irgendwie so melancholisch wirkte, als hätte sie all das bereits selbst durchgemacht.
,,Mein Bruder." Sagte sie plötzlich unaufgefordert.
Ich schreckte hoch, traute mich allerdings nicht, nachzufragen, immerhin war dies die Direktorin.
,,Er hatte auch eine zweite Person in sich. Wir wissen nicht genau, wer es war. Aber bei dem Versuch, ihn zu befreien, wurde er getötet."
Sie schüttelte störrisch den Kopf, wie um ungewollte Gedanken und Erinnerungen abzuschütteln.
,,Du kannst jetzt gehen." Meinte sie und schloss kurz die Augen.
An der Tür blieb ich kurz stehen.
,,Mein Beileid." Sagte ich leise, aber Mrs. Walsh hatte mich gehört.
,,Ich erwarte, dass all das, was wir besprochen haben, unter uns bleibt." Sagte sie und es war nicht ganz klar, auf welchen Teil des Gesprächs sie anspielte.
Ich verließ den Raum und wurde sofort von einer großen Hand in eine Ecke gezerrt. Sara? Nein, Will. Der Psycho. Völlig entnervt starrte ihn an und vergaß dabei, wie angsteinflößend er bei unserer letzten Begegnung war.
,,Was?" Fauchte ich.
,,Dunkelheit zieht auf. Nur einer kann den Sieg davontragen." Murmelte er vor sich hin, dann spazierte er einfach davon.
,,Hallo?!" Brüllte ich ihm hinterher. ,,Kannst du deine Scheiß Sprüche vielleicht wem anders zuflüstern?!"
Diese Geheimniskrämerei ging mir gewaltig auf den Senkel! Und obendrein hatte ich auch ohne den Psycho schon genug Probleme!
,,Du hältst dich auch für sowas von toll und mysteriös! Aber glaub mir, deine hässliche Fresse ist nicht annähernd so geheimnisvoll, wie du sie gerne hättest!" Krisch ich und, als Will einfach weiterging, ohne sich umzudrehen, schrie ich, so laut und lang ich konnte. Diese ganzen Verschwörer hier waren aber auch sowas von anstrengend!
,,Na? Frustschreien?"
Ups, wer hatte mich denn jetzt gehört? Völlig entnervt drehte ich mich um und funkelte denjenigen, der es gewagt hat, mich zu stören, wütend an.
,,Hoppla!" Machte Noah überrascht und hob abwehrend die Hände. ,,Töte mich nicht."
Ich bemühte mich um ein etwas freundlicheres Gesicht und ballte stattdessen meine Hände zu Fäusten.
,,Eigentlich wollte ich jetzt lesen, aber mir scheint, du brauchst eine Aufmunterung." Er nahm mich beim Handgelenk und zog mich die Treppe hoch, zu seinem Zimmer.
,,Ich gehe da nicht rein!" Motzte ich und blieb trotzig stehen. Noah musste dies ebenfalls tun, da er mich immer noch festhielt.
,,Da ist gerade niemand drin. Die essen alle."
,,Essen?"
,,Klar, es ist schon lange nach sechs. Also, kommst du mit?"
Widerwillig ließ ich mich mitziehen und setzte mich drinnen auf Noah's Bett. Sein Zimmer war praktisch genauso wie meines, nur viel unordentlicher. Überall lagen Klamotten herum und an nicht wenigen Orten auf dem Boden gammelte Essen vor sich hin.
,,Ihr müsst hier mal aufräumen." Stellte ich fest und hob mit spitzen Finger ein T-Shirt vom Boden hoch, auf dem man deutliche Schweißflecken ausmachen konnte. ,,Und überhaupt, was soll ich hier?"
Noah öffnete das Fenster und deutete einladend auf die Öffnung.
,,Ausspannen. Ab auf's Dach."
,,Ich werde nicht auf das Dach gehen!" Protestierte ich lautstark und Noah presste mir eine Hand auf den Mund.
,,Sei bloß leise, sonst hört das noch Jemand!"
,,Heißt das, es ist verboten?" Wisperte ich, nachdem ich Noah's Hand weggeschoben hatte.
,,Hast du schonmal von einer Schule gehört, wo es erlaubt ist, auf Dächer zu klettern?" Er setzte sich auf den Fensterrahmen und schwang die Beine nach draußen. Dann verschwand er urplötzlich.
Ich schrie erschrocken auf und stürzte zum Fenster. Direkt unter der Fensterbank war ein Vorsprung, wohl das Vordach eines darunter liegenden Ausgangs. Und sehen konnte Noah nicht, weil er sich hingehockt hatte.
,,Du Arsch." Grummelte ich, zutiefst beleidigt.
,,Komm." Meinte er auffordernd und streckte mir die Hände entgegen.
Langsam setzte ich mich auf die Fensterbank und rutschte Stück für Stück nach vorne. Das Vordach fiel zu den Seiten sanft ab und ich hatte Angst, hinunterzurutschen. Noah griff nach meinen Händen und zog mich mit einem Ruck zu sich. Ein kurzer Aufschrei verließ meinen Mund, aber dann stand ich sicher neben ihm.
Ich ließ mich im Schneidersitz nieder und Noah hockte sich neben mich. Wir hatten einen wundervollen Ausblick über... Nichts. Wir starten direkt in den Wald, und das Dach war nicht hoch genug, um über die Bäume hinauszusehen.
,,Glaub mir, im Winter, wenn die Bäume kahl sind, ist es der schönste Ort der Schule." Raunte Noah und rückte ein Stück dichter an mich heran.
Ich kuschelte mich an ihn und genoss seine Wärme. Nach einer Weile räusperte sich Noah und meinte:
,,Hör mal, was ich dir noch sagen wollte... also, ähm, ich weiß ja nicht, ob du dir bei mir Hoffnungen machst, aber... ich bin in jemand anderen verliebt. Nur so, dass das klar ist."
Ich lachte kurz auf.
,,Sam, stimmt's? Das weiß ich doch schon."
,,Echt?"
,,Klar, das ist doch offensichtlich. Viel Spaß euch beiden."
,,Danke." Peinlich berührt kniff Noah die Lippen zusammen. ,,Und ich dachte..."
,,Keine Sorge, wäre durchaus verständlich."
Noah stupste mich gestellt empört an und grinste schief.
,,Hör auf!"
,,Okay."
,,Echt?"
,,Nö."
,,Du bist doch blöd."
Ich schmunzelte. Wir saßen noch eine Weile auf dem Dach, aber als das Essen vorbei war und mehrere Schüler unter unseren Füßen entlangliefen, verzogen wir uns wieder in Noah's Zimmer. Ich verabschiedete mich, bevor seine Zimmergenossen zurückkamen, da ich keine Lust auf lange Gespräche, Ausreden und wilde Gerüchte hatte und kehrte zurück in mein Zimmer.
Nach dem langen Gespräch mit Mrs. Walsh war ich müde und fühlte mich außerdem immer noch total verschwitzt, weswegen ich erst einmal kalt duschte. Danach wickelte ich mich in einen flauschigen Bademantel ein, der der Schule gehörte und legte mich zum Entspannen auf mein Bett. Auch, wenn ich mir schwor, niemals einschlafen zu können, da ich einfach so viele Gedanken im Kopf hatte, schlief ich irgendwann ein, noch bevor die Anderen kamen.
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(2091)
Wieder alles an einem Tag! Wenn das so weitergeht, ist das Buch Anfang August fertig! Aber das glaube ich nicht...
Lahula04vie , dieses Kapitel widme ich dir. Du hast es eindeutig verdient, mit den ganzen lieben Kommentaren! Dankeschön!!! 😊
Wie findet ihr eigentlich die Länge der Kapitel?
🖤MissWriter13
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