VI
,,Hey, du, wach auf!"
Beim Klang der Stimme öffnete ich verschlafen die Augen. Amy stand vor meinem Bett und hatte die Hände in ihre Hüften gestemmt.
,,Es ist schon 20 nach sechs, und um sieben gibt es Frühstück." Amy drehte sich schwungvoll um und stakste ins Badezimmer.
Müde setzte ich mich auf und blickte mich um. Trish lag noch zusammengerollt in ihrem Bett und hatte ihr Handy in der Hand, Sara hingegen saß an dem Tisch vor den Fenstern und schrieb etwas in ein kleines gelbes Buch. Der Grund, warum mein Gehirn mir noch immer signalisierte, dass es Zeit zum Schlafen war, war, dass die schwarzen Vorhänge wie gestern zugezogen waren.
,,Wieso macht ihr hier eigentlich immer die Vorgänge zu?" Fragte ich, während ich aus dem Bett krabbelte und hinüber zu meinem Schrank schlurfte.
Trish gähnte. ,,Nachtaktiv." Brummelte sie in ihr Kissen. ,,Ist cooler so."
Ich antwortete gar nicht erst. Stattdessen legte ich mir Klamotten für den heutigen Tag raus. Außer einer verwaschenen Jeans landeten noch ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift See you und ein neongrüner BH in meinen Händen.
Nachdem Amy das Bad verlassen hatte, huschte ich hinein und zog mich schnell an. Aus irgendeinem Grund war es mir peinlich, mich vor den anderen auszuziehen. Bei Maddy hatte ich damit nie ein Problem gehabt, aber hier... Naja, wahrscheinlich lag es daran, dass wir uns einfach noch nicht gut kannten.
Um Punkt sieben stand ich vor dem Frühstücksbüffet und betrachtete die Brötchen und Hörnchen vor meiner Nase. Schließlich entschied ich mich für zwei relativ kleine Croissants und ein winziges Schälchen Erdbeermarmelade, dazu ein großes Glas Orangensaft.
Dann drehte ich mich um und suchte mir einen Platz, an den ich mich setzen konnte. Ich sah Corey und Aiyana, Trish, Sara und Amy und sogar Noah, aber ich hatte immer noch nicht den Mut, einfach zu ihnen hinzugehen.
Ich seufzte auf und schlenderte zu einem Vierertisch direkt am Fenster, an dem noch Niemand saß. Schon ein bisschen erleichtert, dass ich den Tiach entdeckt hatte, nahm ich Platz, schnitt mir ein Croissant auf und bestrich es mit der Marmelade. Während ich aß, beobachtete ich die Schüler um mich herum.
Bei uns an der Schule war es so gewesen, dass ein neuer Schüler oder eine neue Schülerin immer überall angestarrt wurde, jeder wollte wissen wie er oder sie so aussah, was für einen Eindruck das neue Schulmitglied machte.
Hier war ich einfach nur eine von vielen Schülern. Niemand guckte mich an, niemand redete offensichtlich über 'die Neue', und noch hatte mich niemand ausgefragt, was ich gerne möchte und was meine Hobbys waren. Allerdings konnte ich mich beim besten Willen nicht festlegen, ob diese Nicht-Beachtung ein gutes oder schlechtes Zeichen war.
Ich war eine der ersten, die ihr Tablett gegen halb acht wegbrachte und anschließend verschwand. Nachdem ich mir meine Schulsachen geschnappt hatte, begab ich mich auf die Suche nach dem Chemie-Zimmer. Ich wurde zum Glück recht schnell fündig und öffnete die weiß getünchte Tür.
Im Klassenzimmer standen die Tische in Reihen mit je drei Tischen, am Lehrertisch hockte eine ältere Frau lässig auf dem Tisch. Sie hatte einen grauen Bob, eine kleine Brille auf der Nase und viele Lachfalten im Gesicht.
,,Ach Hallo." Begrüßte sie mich. ,,Du musst die Neue sein. Faye, stimmt's?"
Ich nickte als Antwort. Die Lehrerin war mir aus irgendeinem Grund gleich sympathisch.
,,Ich bin Mrs. Jones, deine neue Klassenlehrerin und gleichzeitig auch Professorin für Chemie." Sie legte lächelnd den Kopf schief. ,,Magst du Chemie?"
,,Äh... ja klar." Sagte ich überrumpelt. Das war eine glatte Lüge. Ich fand Chemie zwar nicht schwer, dafür aber total langweilig.
,,Keine Sorge." Die Lehrerin rückte ihre Brille gerade. ,,Es gibt viele Jugendliche, die kein Chemie mögen. Du kannst dich übrigens da in die zweite Reihe ans Fenster setzen, da ist noch frei."
Verlegen ging ich zu meinem Platz, packte meine Sache aus und ließ meine Haare vor mein Gesicht fallen wie einen Vorhang, sodass ich von den neugierigen Blicken der nach und nach eintrudelnden Schüler geschützt war. Als Mrs Jones die Stunde mit einem gut gelaunten ,,Hallöchen!" begann, war der Platz neben mir noch leer.
Die Lehrerin machte zum Glück kein großes Trara um mich, sondern sagte nur kurz:
,,Ihr habt übrigens eine neue Klassenkameradin. Ich hoffe, ihr macht es Faye nicht zu schwer."
Ich war ihr unendlich dankbar, dass sie mich nicht gezwungen hatte, mich vorne vorzustellen.
,,Heute sprechen wir über die verschiedenen Gase in der Luft und ihren Einfluss auf eine kleine Flamme." Mrs. Jones nahm ein Kreidestück zur Hand und schrieb Buch, S. 154 an die Tafel. Ihre weiteren Anweisungen gingen in dem lauten Geraschel von 30 Büchern unter.
***
Der Schultag sauste nur so an mir vorbei, und ehe ich mich versah, war es schon Zeit zum Mittagessen. Ich wusch meine Pinsel aus, mit denen ich im Kunstunterricht gemalt hatte, klemmte mir meine Schulbücher unter die Achsel und eilte in die Mensa. Ich setzte mich wieder an den Tisch, an dem ich auch heute morgen gesessen hatte, doch dieses Mal blieb ich nicht lange alleine.
Ein großes dürres Mädchen mit dunkelbraunen Haaren bis zum Po zwängte sich und ihre enorm langen Beine auf den Stuhl mir gegenüber und warf mir ein breites Zahnspangen-Grinsen zu.
,,Hi!" Begann sie. ,,Ich bin Samantha. Aber du kannst Sam sagen."
So wie sie es sagte, klang es eher wie Thamansa und Tham, aber ich verstand sie trotzdem.
,,Ich sitze in Chemie hinter dir und du bist mir gleich aufgefallen." Erklärte mir Tham in einer Lautstärke, dass es mir in den Ohren klingelte. Beziehungsweise, sie sagte thithe und bitht.
,,Du heißt Faye, oder?"
Irgendwie fand ich es in diesem Moment schade, dass ich nicht Sissi oder Saskia hieß, denn das wäre bei Samantha's Aussprache bestimmt lustig geworden. Andererseits war es aber auch ziemlich fies von mir, so zu denken.
,,Ja." Erwiderte ich einfach. Mir war gerade nicht nach einem ausführlichem Gespräch.
,,Weißt du, ich finde deine Haare total schön. Dieses rot! Meine sind nur so langweilig braun." Samantha zwirbelte eine ihrer Haarsträhnen. ,,Wirklich, ich beneide dich!"
,,Hmhm." Machte ich möglichst desinteressiert. Samantha mochte es zwar gut meinen, aber sie nervte mich ziemlich mit ihrer aufdringlichen Art. Unter anderen Umständen hätte das mich nicht gestört, Maddy war genau so, aber jetzt gerade wollte ich nur meine Ruhe haben.
,,Gleich geht es mit den individuellen Kursen los." Samantha stopfte sich etwas Salat in den Mund, kaute, schluckte und redete gleich weiter. ,,Ich bin leider keine Elementbändigerin, sondern nur eine Elfe, das ist voll blöd!"
,,Was können Elfen denn?" Erkundigte ich mich, gegen meinen Willen ziemlich neugierig.
,,Also, sie können mit Tieren und Pflanzen reden. Und die Reinrassigen können außerdem noch Telekinese. Aber ich bin nur zu einem Viertel Elfe, also kann ich das nicht."
,,Tele-was?"
,,Telekinese. T-e-l-e-k-i-n-e-s-e." Sam bemerkte mein ratloses Gesicht. ,,Wenn man Dinge bewegt, ohne sie zu berühren. Auch schweben lassen und so. Echt cool."
In mir keimte der Verdacht, dass es das war, was Sara vorhin gemacht hatte, als sie meine Unterhose aus der Schublade befreit hatte.
,,Und du bist nicht reinrassig?" Hakte ich nach.
,,Nein, hab ich doch schon gesagt! Aber ich wäre es gern!"
,,Schön." Ich stand auf. ,,Ich muss los. Wo findet der Unterricht für Elementbändiger statt?"
Samantha zuckte mit den Schultern, während sie neben mir her zum Tablettwagen lief. ,,Wenn ihr Praxis habt, in Turnhalle 2, wenn ihr Theorie habt, im Deutschraum." Sie überlegte kurz. ,,Aber da die Elfen und Vampire heute Theorie haben, in Turnhalle 2. Glaube ich."
,,Okay." Ich klatschte energisch in die Hände. ,,Ich geh dann mal. Tschüss!"
,,Ciao!" Rief mir Sam hinterher, drehte sich schwungvoll um und hopste mit wehenden Haaren davon.
Ich trottete zögerlich ein Stück nach links, denn mir war nur zu gut bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, wo Turnhalle 2 lag. Endlich entdeckte ich Corey, die gefolgt von Aiyana aus der Kantine kam und zielstrebig auf den Ausgang des Schulgebäudes zu lief. Ich heftete mich an ihre Fersen, darauf bedacht, nicht von ihnen bemerkt zu werden.
Die Beiden liefen um das Gebäude herum und verschwanden urplötzlich im Gebüsch. Ich wartete eine Weile, bevor ich die Zweige der Pflanzen auseinander bog. Und ich wurde fündig! Ein schmaler Trampelpfad zog sich durch das Grün. Vorsichtig bahnte ich mir einen Weg zwischen all dem Grünzeug hindurch, bis der Pfad endete.
Ich stand vor zwei großen Hallen, die mit einem niedrigen Bau verbunden waren. Über den Türen waren Schilder angebracht, auf denen von links nach rechts stand: Turnhalle 1, Umkleiden und Turnhalle 2. Ich öffnete die knarzende Schwingtür zu der zweiten Halle und blickte in sehr viele Augenpaare.
,,Hallo." Murmelte ich schüchtern und schob mich ganz in die Halle. Ein Mann um die vierzig kam zu mir und schüttelte mir förmlich die Hand.
,,Hallo Faye. Ich bin M. Aprice und Lehrer für die Kräfte von Elementbändigern. Wann immer du Fragen hast, kannst du zu mir kommen."
Überrumpelt nickte ich. ,,Okay."
M. Aprice klatschte in die Hände und ein starker Luftzug fuhr durch den Raum, obwohl alle Fenster und Türen geschlossen waren. Jetzt waren alle Blicke auf den Lehrer gerichtet.
,,Guten Tag." Begann er.
Ein gemurmeltes: ,,Tag." Wanderte durch die Reihen.
,,Heute haben wir ja mal wieder Praxis. Alle, die schon länger dabei sind, suchen sich bitte einen Partner mit dem selben Element und beginnen, die Übungen vom letzten Mal zu wiederholen. Wer fertig ist, kommt zu mir und fragt nach neuen Aufträgen. Arbeitet sauber und wiederholt die Übung, wenn sie nicht gut gelingt. Die Neuen, bitte zu mir." Wieder klatschte M. Aprice und alle setzten sich in Bewegung.
Im Nu hatten sich alle zu zweit aufgestellt und übten mit ihren Kräften. Ich blieb neben dem Lehrer stehen, zusätzlich kam noch ein Junge zu uns. Er hatte verwuschelte, blonde Haare und für einen Jungen recht große, grüne Augen. Außerdem war er nur minimal größer als ich, und ich war 1,72.
,,Hey." Meinte er und schleuderte sich eine lästige Haarsträhne aus dem Gesicht. ,,Ich bin Jeremy. Aber lieber ist mir Jay."
,,Hallo Jay." Sagte M. Aprice. ,,Was ist denn euer Element?"
,,Weiß ich nicht so genau." Jay zuckte mit den Schultern. ,,Bis gestern wusste ich nicht mal, dass ich überhaupt eins habe."
,,Aha." M. Aprice wandte sich an mich. ,,Und du?"
,,Feuer." Flüsterte ich tonlos.
,,Verarsch mich nicht. Es gibt kein Feuer mehr." M. Aprice' Augen verengten sich zu Schlitzen.
,,Aber es stimmt!" So langsam wurde ich sauer. Warum musste ich jedem einzelnen beweisen, dass ich nicht log!
,,Nun gut, ich werde dich testen. Wie auch Jay. Folgt mir." Der Lehrer verließ die Turnhalle und führte uns draußen ein Stück nach rechts, wo ein grauer Klotz in unserem Blickfeld auftauchte. Wir betraten den Bau und landeten in einem winzigen Vorraum, von dem aus man in einen größeren Raum sehen konnte, der nur durch eine Glasscheibe vom Vorraum getrennt war. M. Aprice winkte den Jungen in den Raum hinein.
,,Stell dich in die Mitte, schließ die Augen und streck die Hand aus. Dann konzentriere dich darauf, all deine Energie in diese Hand fließen zu lassen. In den allermeisten Fällen klappt das."
Irritiert nickte Jay. Er stellte sich so hin, wie er es sollte und schien sich zu konzentrieren. Eine Weile passierte nichts, außer, dass erst seine Hand und dann der ganze Junge zu zittern begann. Und dann, einfach so, rieselte Sand auf den Boden. Aus der Hand von Jay. Er schien das zu spüren, denn er riss erschrocken die Augen auf und sofort versiegte der Sand.
,,Cool!" Sagte er, auch wenn auf der anderen Seite des Glases nur seine Lippenbewegung zu sehen war. Das Glas war so dick, dass kein Ton hindurch drang.
,,Komm raus. Faye, rein mit dir." Der Lehrer öffnete die Verbindungstür und Jay trat nach draußen. Ich betrat aufgeregt den Raum. Jetzt war ich dran.
,,Du weißt, wie es geht?" M. Aprice nickte mir zu.
,,Ja." Die Tür schloss sich hinter mir. Cool. Von dieser Seite aus konnte man nicht durch die Glasscheibe hindurchsehen. Es war eine glänzende, dunkle Wand.
Ich schloss meine Augen und streckte langsam die Hand aus. Ich befahl meinem Körper, alle Energie in meine Hand zu leiten, aber es wollte mir nicht gelingen. Angestrengt hielt ich die Luft an, während ich spürte, wie ich zu zittern begann. Mein Atem kam stoßweise, und dann... Schoss etwas heißes zwischen meinen Fingern hindurch.
Ich öffnete die Augen und sah, wie eine lodernde Flamme durch den Raum jagte. Entsetzt stolperte ich zurück, fiel hin und schickte prompt noch eine Stichflamme durch das Zimmer. So war das bestimmt nicht geplant!
Der Raum drehte sich um mich, so schwindelig war mir. Meine Kräfte schwanden und das letzte, was ich mitbekam, war, wie M. Aprice die Tür aufriss. Dann kippte ich stöhnend zur Seite und mir wurde schwarz vor Augen.
____
(2123)
Das ist mal ne coole Zahl! Ich hoffe, ihr habt verstanden, was passiert. Übrigens lispelt Samantha. Und sie spricht das 's' wie das englische 'th' aus. Deswegen habe ich es so geschrieben. Das wars.
Widmung geht an farbenfluss . Weil sie cool ist.
Ciao.
🖤MissWriter13
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