Prolog: Erloschenes Feuer
Als erstes die Erde, dann die Sonne, der Merkur, die Venus, der Mars, der Jupiter und das Schlusslicht bildete der Saturn.
Nach so langem Warten, war diese Planetenkonstellation endlich wieder eingetreten, heute war es soweit.
Ihr Blick war starr auf die untergehende Sonne gerichtet, welche die Wolkenfetzen am Horizont rötlich wirken ließ und den Abendhimmel in ein sanftes orange tauchte. Unter dem hohen Granitfelsen, welcher weit in den Himmel hinauf ragte und ihr heute als Sitzplatz diente, hatten sich all die Phönixe versammelt, die hier geblieben waren.
Die Flügel angelegt, die Schnäbel erhoben und die Schwanzfedern vor Nervosität leicht gespreizt, ersehnten sie den Augenblick, in dem die Dämmerung der Nacht weichen und den Blick auf die Planeten frei geben würde.
Vor ihnen befand sich ein Moosnest, in dessen Mitte ein weißes Ei eingebettet war, nicht größer als ein Auge der Ausgewachsenen.
Es regte sich schon und zog immer wieder ihre Aufmerksamkeit auf sich, als sie es aus dem Augenwinkel betrachtete.
Ihr erstes und einziges Ei, Diana war so stolz darauf und konnte ihre Freude darüber, dass es heute, in dieser Nacht schlüpfen würde gar nicht in Worte fassen.
Die dunkle Abendsonne verschwand hinter den Wäldern und nicht lange und auch die letzten Sonnenstrahlen verblassten und gaben den Blick auf einen sternenklaren Nachthimmel frei. Diana öffnete den Schnabel und stimmte ein Lied an, sehr bald stiegen auch die anderen mit in den Freudengesang ein.
Die Schatten, welche die brennenden Gefieder verursachten tanzten an den unebenen Felsenwänden und tauchten die Höhle in ein warmes Licht. Der Gesang verstummte so schnell wie der Flügelschlag eines Adlers, als ein fahler Lichtstrahl durch den Höhleneingang genau auf das Ei schien und die Schale bläulich schimmern ließ.
Dianas Blick wanderte von ihrem Ei wieder hinauf zu den Planeten, doch die Sorge zierte diesmal ihr schmales Gesicht und verdrängte die große Freude wieder.
Zwar drangen schon das erste Knacken der Eischale an ihre nicht sehbaren Ohren, doch sie spürte deutlich, wie ihr Herz sich verkrampfte. Ihr heiliges Herz spürte, dass sich etwas Schlechtes näherte und ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht.
Als die Phönixe zu Kreischen begannen, hoben sich schlagartig ihre vor Konzentration geschlossenen Lider und sie starrte entsetzt auf einen Schatten, welcher sich vor die Planeten schob, deren Licht erlosch.
Die Vögel konnten nicht sagen, wie viele es waren. Sie sprangen ohne Vorwarnung auf den Boden vor der Höhle und versperrten den einzigen Ausgang. Vor ihren Fluchtweg hatten die Vögel einen Felsen geschoben, damit ihnen während der Zeremonie niemand in den Rücken fallen konnte und hatten sich somit die letzte Chance genommen, zu fliehen.
Ein Regen von Pfeilen prasselte auf sie herab und Diana schrie entsetzt, als sie sah, wie ihr Gefolge nach und nach zu Boden ging und reglos dort liegen blieb. Den jungen Vögeln, deren Kristall noch nicht erschienen war, raubten sie mit Netzen die Bewegungsfreiheit und zogen sie zu sich.
Diana konnte nichts tun als mitansehen, wie die anderen hingerichtet und abgeschleppt wurden. Doch gerade, als sie sich ergeben wollte, fiel ihr das Ei in die Augen und Kummer kroch in ihr Herz. Nein, ihr Ei sollte den Angreifern nicht in die Hände fallen.
So schnell wie sie nur konnte, flog sie herab und packte das Ei sicher mit ihren Klauen.
Noch im selben Moment spürte sie einen starken Schmerz an ihrem linken Flügelansatz, in dem nun ein Pfeil steckte. Erneut prasselten diese auf den Vogel herab, der sich verzweifelt einen Weg zum Ausgang bahnte und den Geschossen nur mit Mühe auswich.
Hasserfüllt blickte sie in die Fratze eines Angreifers und erhob trotz ihrer Schmerzen und der Trauer die Stimme:
»Verflucht seid ihr, Menschen. Ihr, die ihr in unser Gebiet eingedrungen und die heiligen Vögel ermordet habt. Seid gewarnt, damit zogt ihr den Zorn aller Himmelswesen auf euch. In der nächsten Schlacht wird es euer Blut sein, dass den Fels rot färben wird!«
Dann wurden ihre Flügelschläge wieder kräftiger und sie gewann rasch an Höhe.
Den Blick hatte Diana starr auf die Wälder gerichtet, welche sich in der Ferne erhoben und die Berge dort zierten wie Moos einen Stein.
Sie hörte eindeutig die seelenlosen Rufe der Krähen, welche das Licht der Planeten verdunkelt hatten und ihr nun dicht auf den Fersen waren.
Immer wieder schnappten sie mit ihren kräftigen Schnäbeln nach Dianas Schwanzfedern, doch verfehlten sie immer knapp.
Bedauernd wandte sich der Phönix um und eine Welle aus Flammen hauchten das Leben der schwarzen Vögel aus, deren Asche vom Wind verweht wurde.
Diana verspürte Trauer, Wesen mit ihrer eigenen Gestalt vernichtet zu haben, doch sie waren nichts mehr als willenlose Marionetten der Menschen gewesen. So, wie alle Wesen, die diese abscheulichen Kreaturen gefangen nahmen.
Der Flug dauerte bis zum Morgen und Diana spürte, wie ihre Bewegungen erlahmten und ihre Knochen schwächer wurden. Leid und Erleichterung erfüllten zugleich ihr Herz, als sie den Wald unter sich erblickte und allmählich tiefer flog.
Das weiche Gras minderte die Wucht ihres Aufpralls und hieß sie willkommen im Spinnenwald.
Erschöpft richtete sie sich wieder auf und überprüfte, ob ihr Ei unversehrt war, ehe sie sich kraftlos auf eine Lichtung schleppte, auf welcher gerade einige Rehe und ein Hirsch grasten. Dieser hob wachsam den Kopf, schreckte leicht zurück und schritt dann eilig auf Diana zu.
»Oh, liebe Freundin, sage mir, was ist mit dir geschehen? Woher stammen die Pfeile in deinem edlen Gefieder, was ist der Grund für den Verguss deines reinen Blutes?«
Abwehrend rang sie den Kopf und erwiderte mit matter Stimme:
»Menschen nahmen den Ausgewachsenen das Leben und den Jungen ihre Freiheit, doch meine Kräfte sind am Ende, als dass ich darüber reden könnte. Höre, Tralyphes, ich kam zu dir mit einer Bitte, würdest du sie entgegen nehmen?«
Der Hirsch neigte betrübt den Kopf und scharrte bedauernd mit den Hufen. »Ich erfülle dir alle Wünsche, solange es in meiner Macht steht, liebste Freundin. So sage mir, was liegt dir auf dem Herzen?«
»Bewache dieses Ei bis zur nächsten Reihung der Planeten, wenn es wieder schlüpfen kann. Behandle es wie dein eigen Fleisch und Blut und verstecke es, bis die Zeit reif ist...«
Sie lockerte ihren Griff und schob das Ei ihm entgegen. Erneut neigte er das anmutige Haupt und nahm das Ei mit seinem Geweih hoch.
»Ich danke dir, Tralyphes. Lebe wohl...« Diana wankte und ihr Körper fiel zu Boden. Der Hirsch geduldete sich, bis von dem Phönix nur noch Asche und Staub übrig war, welche zugleich verweht wurden. Die Rehe versammelten sich um die Stelle, an der Diana eben noch gelegen hatte. Dort wuchsen nun wunderschöne, rote Lilien.
»Es hat also begonnen...«
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