Zweites Kapitel
Zweites Kapitel
Irgendwas mit Ebenholz und Kakerlaken
Wenn man also Cynthias verdrehtem Sinn für Humor Glauben schenken will, ist die beste Möglichkeit, einen Kerl für sich zu gewinnen, ihn eifersüchtig zu machen.
Aber wie zum Teufel soll das gehen?
Ich schnappe mir einen Typen, der halbwegs passabel aussieht, turtle mit ihm vor meinem Eroberungskandidaten — wie Cynthia es auszudrücken vermochte — herum und das soll dann irgendeinen Drang bei letzterem auslösen, mich für sich zu gewinnen?
Diese Anleitung ist in meinem Kopf genauso lückenhaft wie Schweizer Käse. Ich zweifle daran (und ein bisschen an meinem Verstand), dass das funktioniert. Dass ich bereit bin, alle Register zu ziehen, um Oliver für mich zu gewinnen.
Der Plan Oliver-für-mich-zu-gewinnen steht also. Jetzt geht es nur noch um kleinere Einzelheiten ... wie so ungefähr die wichtigste Person in meinem ganzen Plan: Der Typ, der mir dabei helfen soll, Olis Eifersucht anzufeuern.
Abgesehen davon, dass ich meine Erfahrungen mit Jungs an einem Finger abzählen kann, kenne ich auch gar nicht zu viele Typen. Schon gar nicht solche, die sich für diese fiesen Machtspielchen missbrauchen lassen.
Am liebsten wäre mir die Art Kerl, die ich nicht leiden kann. Irgendwer, bei dem es mir egal wäre, ob ich ihn für meine Zwecke »benutze«. Aber ich kenne keine solche Person. Da wären wir gleich beim nächsten Problem: Wie erzähle ich dem Typen dann überhaupt von meinem Plan? Und ... was springt dabei für ihn heraus?
Ich vertage die Entscheidungen vorerst, weil mir keine Antworten einfallen. Außerhalb der Schule kenne ich kaum Leute und von denen in der Schule würde sich garantiert keiner auf einen so perfiden Plan einlassen – keiner jedenfalls, der Oliver wirklich interessiert.
*
Als ich mich am Donnerstag dem Schulgebäude nähere, erblicke ich eine diffuse, riesige Menschenmenge. Einige Schaulustige haben sich zu einer regelrechten Traube formiert. Irgendwo inmitten der Schüler:innen erblicke ich Merles blonden Haarschopf, weshalb ich mich dazu durchdringe, einen näheren Blick auf das Geschehnis zu werfen. Es ist allerdings kein einfaches Unterfangen, mich durch die Leute zu zwängen, denn sie stehen so dicht, dass ich kaum durchpasse.
Die kleine Fußgängerzone vor dem Gebäudekomplex ist normalerweise nur gegen vierzehn Uhr so gut besucht, wenn die meisten den Unterricht beenden. Vor allem die Oberstufenschüler:innen stehen dann noch in Kleingruppen zusammen, wovon die meisten rauchen.
Ich schiebe mich durch die Menschenmauer hindurch — und werde prompt hellhörig, als ich höre, wie jemand rappt. Ich kenne mich mit Deutschrap kaum aus, doch ich bin mir sicher, dass es irgendein Song von Capital Bra oder RIN ist.
Als ich näherkomme und endlich einen Blick auf das Geschehen werfen kann, sehe ich, dass Jules dort in der Mitte steht. Überrascht schnappe ich nach Luft, doch den anerkennenden Blicken meiner Mitschüler zufolge bin ich nicht die Einzige, die von Jules' verstecktem Talent keine Ahnung hatte.
»Wen soll ich ficken, Nadine oder Melanie? Bitte, vergleich nicht deinen Ford mit ei'm Ferrari. Hajde, bra, c'est la vie, ich muss jetzt weiter. Gib mal einen Fick auf die Neider*«, rappt Jules. Es sieht komisch aus, weil er passend dazu mit den Händen wippt und sein Käppi falsch herum aufgesetzt hat. Naja, auch wenn man das Ralph Lauren Zeichen jetzt nicht sieht, heißt das nicht, dass ihn das mehr zu einem Rapper mit russisch-ukrainischen Wurzeln aus der Berliner Untergrundszene macht. Aber vielleicht fühlt es sich jetzt so an, was weiß ich.
Als ich mich endlich ganz nach vorne durchgeboxt habe, erkenne ich, dass Jules nicht der einzige Typ ist, der inmitten der Menschentraube seine Künste unter Beweis stellt. Ihm gegenüber steht nämlich ein anderer Kerl. Er ist groß, schmal gebaut, hat dunkle Haare und trägt rote Shorts.
Jules beendet sein Battle, was der andere Typ, der auch ungefähr in unserem Alter sein muss, als Anlass sieht, mit der Antwort zu starten. Doch anstatt ebenfalls mit Deutsch-Rap zu kontern, zählt er einen Song von Eminem an.
»Y'all act like you never seen a white person before. Jaws all on the floor like Pam like Tommy just burst in the door. And started whoopin' her ass worse than before. They first were divorced, throwin' her over furniture (Agh!). It's the return of the »Ah, wait, no way, you're kidding. He didn't just say what I think he did, did he? And Dr. Dre said, nothing, you idiots! Dr. Dre's dead, he's locked in my basement!**«, rappt der Typ in den roten Shorts. Die Menge beginnt langsam zu klatschen. Auch ich merke, wie der Beat, den ein anderer Typ macht, mich dazu animiert, mich zu bewegen. Den Text kann ich auswendig – immerhin ist es eines der bekanntesten Lieder der Rap-Szene.
Wäre das hier nicht die Fußgängerzone vor der Schule und wären die Typen nicht Jules und ein anderer Kerl aus Hamburg, sondern Eminem, würde ich vermutlich wirklich tanzen.
Mein Blick heftet sich an den Typen, denn er hat etwas an sich, das es mir unmöglich macht, einfach wegzusehen. Es ist etwas Unsichtbares, das von ihm ausgeht, und ich bin mir sicher, dass ich nicht die Einzige bin, die von seinem charismatischen Lächeln ergriffen ist. Seine Haare sind so kraus und wirr, dass sie ihm in die Stirn fallen. Die Nase ist gerade, vielleicht ein bisschen zu lang, aber das Markanteste an ihm sind seine Augen. Wie zwei türkise Saphire strahlen sie, so kontrastreich, dass es fast schon unnatürlich wirkt. Er beobachtet die Menge, lässt den Blick über unsere Köpfe wandern.
»Was zum Teufel ist hier denn los?«, entwischt es mir. Ich sage es zu niemand Bestimmtes. Das Mädchen, das neben mir steht, fühlt sich allerdings angesprochen. Sie muss ein, zwei Stufen unter mir sein; ich kenne sie nicht.
»Keine Ahnung, wer dieser Kerl ist. Jules und er kennen sich irgendwoher, ich glaube, vom Basketball. Er ist einer von den Schottenbrünn-Jungs.« Sie zuckt mit den Schultern. Als ich höre, was sie sagt, wandern meine Augenbrauen wie von selbst nach oben.
Die Schottenbrünn-Jungs?
In meinem Kopf meldet sich eine Information, doch zuordnen kann ich sie nicht. Alles, was ich über die Schottenbrünn-Schule weiß, ist, dass sie eine ziemliche Feindschaft zu uns, dem Heinrich-Heine-Gymnasium hegen. Zwar konstruierte unser Rektor deswegen vor einigen Jahren eine Freundschaft zwischen dem Heinrich-Heine-Gymnasium und dem Schottenbrünn-Gymnasium, allerdings ist das bis heute nicht so wirklich bei den Schüler:innen angekommen. Bei jedem Schulfest, das selbstverständlich zusammen mit den Schottenbrünn-Schülern stattfinden muss, kommt es regelmäßig zu Reibereien. Einmal wurde ich sogar Zeugin einer Schlägerei, von der ich mich allerdings ziemlich distanziert hielt.
»Aha«, mache ich nur, weil das Mädchen mich abwartend ansieht. Mittlerweile ist Jules wieder mit dem Rappen dran. Langsam begibt er sich in die Freestyle-Landschaft, denn er rappt einen Text, den ich gar nicht kenne.
»Die beiden rappen schon seit einer Viertelstunde«, fährt das Mädchen fort. Sie lispelt ein wenig. »Keine Ahnung, warum.«
Ich nicke dem Mädchen zu, ehe ich mich weiter zu Merle vorboxe. Es dauert ein wenig, bis ich angekommen bin. Mittlerweile hat Jules das Wort wieder dem anderen Typen geschenkt, denn er rappt nach wie vor auf Englisch. Irgendwie imponiert mir das.
»Hey, du«, begrüßt mich Merle und zieht mich in eine enge Umarmung.
»Morgen.« Als sie mich wieder losgelassen hat, frage ich: »Weißt du, was hier los ist?«
Mein Blick gleitet zurück zu den Jungs. Mittlerweile müsste es kurz vor acht Uhr sein, Stundenbeginn, und wir sollten uns langsam im Klassenraum einfinden, wenn wir Herrn Schulte nicht noch einmal verärgern wollen.
»Jules und Levin haben sich schon wieder gestritten«, erwidert Merle schulterzuckend, ehe sie laut brüllt: »Los, Jules! Zeig's ihm!«
Ich habe keine Ahnung, wer dieser Levin ist, aber er kann Eminems Texte definitiv gut auswendig. Warum sind alle so fasziniert davon, wie zwei Typen irgendwelche Rapbattles aufführen? Ich verstehe es nicht.
Gerade, als ich diesen Gedanken Merle mitteilen will, unterbricht die Schulglocke sowieso das Fiasko. Ein paar Schüler entfernen sich sofort, andere lassen sich etwas mehr Zeit. Merle macht keine Anstalten, zu verschwinden, und weil ich nicht alleine gehen will, bleibe ich ebenso zurück, bis nur noch ein paar wenige Zwölftklässler da sind. Ich betrachte Merle, die auf Jules zugeht und ihn am Arm berührt, während sie mit einem breiten Strahlen irgendwas sagt. Ein Seufzen entweicht mir. Wäre ich nur ein einziges Mal so wie Merle. So hübsch, so fröhlich, so charismatisch. Aber das bin ich nicht; ich bin Mila.
»Guten Morgen.«
Ich bin so in Gedanken, dass ich zusammenzucke, als ich höre, dass jemand mit mir spricht. Nicht nur jemand. Oliver.
Mir wird heiß und kalt. Innerhalb kürzester Zeit spielt mein Körper auf der Klaviatur der Emotionen wie Beethovens Kleine Appassionata. Nervös streiche ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und richte meinen Pony, wobei mir erst bei Olivers fragendem Blick auffällt, dass ich vielleicht etwas sagen sollte.
»Äh ...«, hüstelnd wechsle ich das Standbein. »Ja ... So erfrischend.«
Erfrischend? Es ist acht Uhr morgens und hat beinahe zwanzig Grad.
Am liebsten würde ich mir selbst an die Stirn klatschen, so dumm fühle ich mich gerade.
Oliver lacht warm. Gott, er sieht aus, als wäre er gerade aus einer Nicholas-Sparks-Verfilmung entsprungen. Diese goldenen Sprenkel in seinen Augen machen mich verrückt.
Dem Himmel sei Dank unterbricht Merle unsere abgehackte Konversation, indem sie mit Jules am Ärmel zu uns kommt.
»Hey, Oli«, ruft sie fröhlich und zieht ihn in eine Umarmung.
»Hallo, Merle«, lächelt Oliver.
Meinen Namen hat er nicht gesagt. Aber ich weiß, dass er weiß, wie ich heiße.
»Gehen wir rein?«, fragt Jules, schließlich sind wir reichlich spät dran. Ich nicke und gehe schon einmal vor — nicht ohne einen letzten Blick zu diesem Kerl in den roten Shorts zu werfen. Er steht dort beim Zaun, die Arme verschränkt und zieht an einer Zigarette. Ich betrachte ihn, wie er den Rauch inhaliert und langsam hinausbläst. Eine Sekunde lang habe ich das Gefühl, dass er mich in diesem Augenblick genauso mustert, wie ich ihn, doch dann drehe ich mich wieder um. Über diese Entfernung ist es sowieso unmöglich, herauszufinden, wo der Typ hinschaut.
Wie hat Merle ihn noch gleich genannt?
Levin.
Nie gehört. Mein Blick heftet sich wieder auf Olivers braune Haare. Die Locken sehen heute so weich aus, dass ich am liebsten durch sie streichen würde.
*
Nachmittags beschließe ich, Luigi, dem Inhaber meines Lieblingscafés, einen kleinen Besuch abzustatten. Letztes Jahr hat es sich nämlich etabliert, dass ich einmal die Woche vorbeikomme und dort lerne. Traditionen müssen eben fortgeführt werden.
Das Café Elise ist nur drei Minuten von der Schule entfernt. Vielleicht hilft das heimische, künstlerische Flair ja, meine episch-fantasievolle Ader, was den Plan mit Oliver angeht, sprießen zu lassen.
Nach dieser komischen Situation heute Morgen, in der ich wieder einmal gemerkt habe, wie unnatürlich ich mich in seiner Gegenwart gebe, muss ich nämlich wirklich an meinem Plan feilen.
Als ich das Café Elise betrete, strömt mir sofort der vertraute Geruch von Kaffee und frisch gebackenem Kuchen entgegen. Heute ist das Café nicht ganz so voll wie sonst, weil es draußen noch immer so warm ist, dass die meisten Touristen entlang der Elbe ihren Nachmittagscafé genießen und dabei den vorbeibrausenden Schiffen und Boten zusehen.
Ich lasse mich auf einem Platz am offenen Fenster nieder, denn von dort aus kann ich unbemerkt das Treiben auf der Straße beobachten.
»Oh, Mila, schön, dich zu sehen!«, ruft Luigi fröhlich mit seinem schleppenden, italienischen Akzent. Unwillkürlich verziehen sich meine Lippen zu einem breiten Lächeln.
»Hallo«, erwidere ich. Während ich meinen Collegeblock aus dem Rucksack hole, um mit den Hausaufgaben zu beginnen, fragt mich Luigi, was ich gerne hätte.
»Das Übliche, bitte.«
Tatsächlich bin ich so oft bei Luigi im Café Elise, dass er nicht nur meinen Namen kennt, sondern auch genau weiß, was ich am liebsten trinke. Wegen mir hat er begonnen, Sojamilch in sein Sortiment aufzunehmen, weil ich sonst jedes Mal an einer Darmexplosion leide.
»Also einen Soja-Cappuccino und ein Stück Sachertorte.« Luigi nickt und verschwindet mit dem Auftrag wieder. Ich will gerade meinen Kugelschreiber aus dem Rucksack holen, als ich merke, dass sich jemand neben mich setzt.
Es ist ja nicht allzu verwunderlich, immerhin sitzt man am langen Tisch beim offenen Fenster meistens neben Fremden. Was allerdings nicht so üblich ist, ist, dass sich ein Fremder genau auf den Platz neben mir niederlässt. Ich meine, kennt ihr nicht diese unausgesprochene Ein-Platz-Dazwischen-Bleibt-Frei-Regel? Der, der sich in diesem Augenblick neben mich plumpsen lässt, hält jedenfalls nicht viel davon.
Ich rücke diskret ein bisschen zur Seite, doch gerade, als ich einen Blick nach links werfe, erkenne ich — nein! Das ist doch der Typ, der heute mit Jules ein Rapbattle vor der Schule geführt hatte! Diese roten Hosen hätte ich sonst wo wiedererkannt.
Ich habe das Gefühl, dass es gerade auch in seinem Kopf Klick macht, denn er legt den Kopf schief und sieht mich einen Moment lang an. Ich bewundere es, dass er seine offensichtliche Neugierde nicht hinter seinem Gesichtsausdruck versteckt, doch andererseits fühle ich mich dadurch seltsam exponiert.
»Bist du nicht die eine ... vom Heinrich-Heine-Gym?«
Wenn er nicht gerade von Eminem rappt, klingt seine Stimme eigentlich ganz angenehm. So, wie ich mir die von George Clooney vorstelle, wenn er auf Deutsch redet. Seine Haare sind dunkelbraun, so dunkel wie Ebenholz. Ebenholz?
Oh Gott. Ich verziehe das Gesicht.
Kakerlakenschwarz.
Viel besser.
»Äh ... Du meinst, eine von achthundert Schülern und Schülerinnen?«, gebe ich etwas erstaunt zurück.
»Ganz genau. Eine von achtzig Millionen.« Der Typ nickt. Während er spricht, bewegt sich sein Adamsapfel. Etwas an ihm macht mich nervös. Sein wachsamer Blick? Die markanten Brauen? Oder vielleicht die Lippen, die sich gerade zu einem Grinsen verziehen?
»Du scheinst ja regelrecht eine Ader für Musik zu haben«, murmle ich kopfschüttelnd.
Er zuckt mit den Schultern. »Ja. Eine Ader, vielleicht auch eine Arterie.«
»Und ein Poet bist du auch noch«, sage ich sarkastisch.
»Was soll ich sagen. Mann tut, was Mann kann.«
Daraufhin sage ich nichts, weil uns Luigi ohnehin unterbricht.
»Bitteschön, einmal Soja-Cappuccino und ein großes Stück Sachertorte!«, sagt er freudestrahlend und stellt das Tablet vor mich hin. »Danke«, murmle ich. Es ist mir unangenehm, dass der Fremde mich immer noch so mustert, als würde er gerne selbst ein Stück von meinem Kuchen haben.
»Und was darf ich dir bringen?«, fragt Luigi den Jungen.
»Einen Schwarztee, bitte.«
Seine sonore Stimme ist angenehm. Genau wie die eines Hörbuchsprechers. Ob er in seiner Freizeit Podcasts aufnimmt?
Mit dieser Bestellung verschwindet Luigi wieder, was der Fremde als Auftakt sieht, mich weiterhin anzustarren.
»Willst du ein Foto oder vielleicht auch gleich ein Autogramm – oder wieso starrst du mich so an?«, frage ich, zugegeben ein wenig rauer als beabsichtigt.
»Oh, sorry.« Er rollt mit den Augen. »Ich dachte, starren sei erlaubt, nur anfassen kostet.«
Ich reiße die Augen auf. »Was zum—«, beginne ich, doch er unterbricht mich. Hat er mich gerade wirklich mit einer Prostituierten verglichen?!
Er lacht, woraufhin sich seine Grübchen zeigen. Wie tiefe Einkerbungen liegen sie auf seinen Wangen und lassen sein Grinsen so lebendig wirken. Die Haare auf meinen Armen stellen sich kampflustig auf. Er spielt unfair? Dann spiele auch ich unfair.
»Mach' dich locker, war ja nur ein Scherz«, lacht er.
»Witzig«, fauche ich und nehme einen Schluck Kaffee.
Seine Augen heften sich an die Tasse. »Sojamilch also, hm? Laktose?«
Ich schüttle den Kopf. »Warum sollte ich einem wildfremden Kerl erklären, was mit meinem Darm falsch ist?«
Er sagt einen Moment lang gar nichts, dann hebt er eine Braue. »Levin.«
»Was?«
»Ich heiße so. Jetzt bin ich nicht mehr wildfremd.«
Ach, wirklich, denke ich grimmig.
»Cool«, erwidere ich nur.
»Und du?«, fragt er überflüssigerweise.
»Ich denke nicht, dass das relevant ist. Meinen Berechnungen zufolge werden wir uns sowieso nie wieder sehen.«
»Deinen Berechnungen zufolge?«, wiederholt er perplex. Himmel, ist er begriffsstutzig, oder wieso muss er alles, was ich sage, wiederholen?
»Mila, okay? Ich heiße Mila. Jetzt bitte, lass mich in Ruhe«, zische ich, einfach nur, damit der Typ seinen Mund hält und mich in Ruhe meine Hausaufgaben erledigen lässt.
Aber dieser Typ — Levin — denkt gar nicht daran, denn er stützt sich lässig auf einen Arm und schaut mir dabei zu, wie ich beginne, die Matheaufgaben aus dem Buch aufzuschreiben.
»Kannst du bitte aufhören, mich so anzustarren?«, unterbreche ich das Ganze. Es ist mir mehr als unangenehm, was vielleicht daran liegen könnte, dass sein Blick mich erzittern lässt.
»Ich starre nicht«, erwidert Levin. »Ich erkunde.«
Ich verziehe die Augenbrauen zu einer krausen Grimasse. »Du erkundest?« Meine Stimme klingt mehr als skeptisch. »Was denn? Mein Gesicht?«
Levin zuckt mit den Schultern. »Vielleicht.«
»Meine Güte, kannst du keine vernünftigen Antworten geben?«, frage ich, mittlerweile reichlich genervt.
»Keine Ahnung, such du es dir aus«, sagt er vage.
»Also nein«, murmle ich und widme mich meinem Block, doch mit der Konzentration ist es dahin. Ich kann mich nicht auf meine Aufgaben konzentrieren, wenn ich dabei die ganze Zeit angestarrt werde.
Levin will gerade etwas sagen, als Luigi wieder zu uns kommt und ihm seinen Tee bringt.
»Mila, du hast mir gar nicht erzählt, dass du einen Freund hast!« Luigis Stimme ist leise, sodass nur ich sie höre, doch ich versteife mich sofort, als ich das höre.
»Levin ist nicht mein Freund«, erwidere ich mit einiger Verspätung. So viel, dass Luigi nur eine fragende Grimasse macht und mit den Augenbrauen wackelt.
»Natürlich«, grinst er sarkastisch.
Ich schüttle nur den Kopf und schlage den Block zu. Luigi verschwindet wieder hinter den Tresen. Levin sieht mich immer noch an und mich beschleicht langsam das Gefühl, dass ich ihn wohl nicht mehr abschütteln kann, außer ich gehe einfach nach Hause.
»Wieso hast du heute morgen dieses Rapbattle mit Jules veranstaltet?«, frage ich deswegen. Wenn Levin schon nicht weggeht, kann ich ihn auch gleich zu Tode nerven.
Doch meine Fragerei scheint ihn nicht zu stören, ganz im Gegenteil. Er rückt bereitwillig mit den Antworten raus. »Oh, keine Ahnung. Weil wir Lust hatten?«
Es klingt mehr nach einer Frage als nach einer Antwort.
»Hattest du keine Schule?«, fahre ich fort.
»Doch.« Er zuckt wieder mit den Schultern.
Ich blinzle. »Zu cool für die erste Stunde?«
»Vielleicht«, sagt er vage.
»Ist das dein Lieblingswort? Vielleicht?«
Bevor er eine Antwort geben kann, unterbreche ich ihn.
»Sag nichts. Es ist — vielleicht — dein Lieblingswort?«
Daraufhin verwandelt sich sein anfängliches Lächeln zu einem breiten Grinsen und er nickt.
»Generation Z, Entscheidungsunfähigkeit?«, gebe ich mürrisch von mir.
»Tja, was soll ich sagen? Ich bin ein Produkt meiner Umwelt.«
Ich stecke den Block ein, trinke den letzten Schluck meines Kaffees und lasse den Kuchen halbaufgegessen stehen. Mir ist irgendwer der Appetit vergangen. Gerade, als ich einen Fünf-Euro-Schein auf den Tisch legen will, unterbricht mich Levin.
»Mila. Was machst du?«, fragt er verwirrt.
»Wonach siehts aus? Ich packe meinen Koffer«, antworte ich sarkastisch.
»Tut mir leid, falls ich dich vertrieben habe.« Es überrascht mich, dass Levin ehrlich betroffen aussieht.
»Du hast mich nicht vertrieben«, sage ich automatisch. Doch als ich einen Moment darüber nachdenke, korrigiere ich mich: »Doch. Hast du. Aber hey, du kannst meinen Kuchen haben. Das ist bestimmt ein Trost.« Ich schiebe ihm den angebrochenen Kuchen hin.
Er blickt perplex von der Sachertorte zu mir und wieder zurück. »Oh. Danke.«
»Gerne. Ein bisschen Zucker und Schokolade hat noch keinem geschadet.«
Mit diesen Worten stehe ich von meinem Barhocker auf und schultere meinen Rucksack.
»Also dann, man sieht sich.« Ich nicke ihm noch einmal zu, dann drehe ich mich um und will schon gehen, als mich Levin am Arm zurückhält.
»Warte mal!«
»Was ist denn noch?«
»Sieht man sich wieder?«, fragt er. Einen Augenblick lang bin ich tatsächlich überrascht. Wieder sehen? Er will mich allen Ernstes wieder sehen, nachdem er mich beinahe zu Tode genervt hat, mit seinen kryptischen Antworten?
Ich zucke mit den Schultern. »Wenn du mit Jules befreundet bist, dann wahrscheinlich schon«, murmle ich schließlich.
Mit diesen Worten drehe ich mich um und verlasse das Café Elise. Mir ist bewusst, dass er seinen Blick auf meinen Hinterkopf geheftet hat, was aus irgendeinem Grund meine Atmung beschleunigt — genau wie meinen Herzschlag, der unsicher in die Höhe schießt.
Und gerade, als ich in die nächste Gasse einbiege, ist es, als träfe mich der Donnerschlag. Denn auf einmal weiß ich ganz genau, was ich zu tun habe. Gestern noch habe ich darüber nachgedacht, dass ich keinen Typen kenne, mit dem ich Oliver eifersüchtig machen könnte. Aber das war gestern.
Denn heute weiß ich ganz genau, welcher Kandidat für diesen verschrobenen Plan von Cynthia in Frage kommt — es ist dieser Typ mit den hervorstechenden, blauen Augen, den wirren, dunklen Haare, irgendwas zwischen Ebenholz und Kakerlaken, und diesen roten, diesen verdammt nochmal roten Shorts.
Es ist Levin.
* Gisele Bündchen - Capital Bra
** The real slim shady - Eminem
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