Viertes Kapitel
Viertes Kapitel
Spritzer in den Mund
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Das Spiel ist dynamischer, als ich anfangs angenommen habe.
Ich meine, wenn jemand sagt, dass er in einer Mannschaft hobbymäßig Basketball spielt, dann erwartet man doch nicht Bewegungen á là Michael Jordan, oder?
Jedenfalls ist das genau das, was ich nicht erwartet habe. Ich muss mich um einiges mehr konzentrieren, als anfangs angenommen, denn der Basketball rauscht so schnell an mir vorbei, dass ich Mühe habe, mit dem hinterherschauen. Bislang haben wir schon eine halbe Stunde gespielt, wir sind genau in der Hälfte. Bereits zweimal habe ich um mein Augenlicht gezittert, denn die Jungs und Mädchen auf dem Spielfeld stehen sich wirklich um nichts nach und scheuen auch nicht davor zurück, sich ernsthaft gegenseitig zu verletzen. Ein Spieler sitzt nämlich schon mit einer wahrscheinlich gebrochenen Nase neben mir am Rand und hält sich ein notdürftiges Cool-Pack auf die Nase.
»Kommt schon!«, höre ich Merle ganz laut schreien. Jules, dessen verschwitzte Haare ihm in die Stirn hängen, schaut zu ihr und zwinkert. Keine Ahnung, ob sie das sieht, aber ich sehe es genau. Irgendwie ist es merkwürdig, zuzusehen, wie sich die beste Freundin in einen Kerl verliebt und er voll drauf einsteigt, während man selbst keine Ahnung von Liebe hat.
»Hallo?! Schiedsrichter?!«
Von diesem Gebrüll werde ich aus den Gedanken gerissen. Ich sehe auf — und erblicke einen Tumult, der sich um den Ball gebildet hat. Na wunderbar. Kontaktsport in aller Ehre, aber ich habe keine Lust auf eine Schlägerei. Deswegen verlasse ich meinen Beobachtungsposten und nähere mich der Menschenmenge.
»Was ist hier los?«, rufe ich, doch die Jungs, die sich aufeinander geworfen haben, lösen sich nicht von einander. Im Gegenteil, mein Rufen geht in der Menge völlig unter.
»Hallo?«, rufe ich noch einmal, dann schubse ich einen der Typen zur Seite. Ein Gerangel um den Ball, wie immer, was taktisch gesehen unklug sind. Denn auch, wenn man sich um den Ball streitet, gilt noch immer die Schrittfolge, weshalb ich in meine Trillerpfeife blase.
Der schrille Ton lässt ein paar der Kerle einfrieren. Zwei Mädchen entfernen sich, vermutlich zum eigenen Selbstschutz, während zwei andere Typen mich komisch mustern.
»Was zum Teufel—«, beginne ich, dann sehe ich endlich, wer unter dem ganzen Menschenhaufen und all den verschieden zugehörigen Extremitäten liegt. Es sind Oliver und Levin, die sich um den Ball streiten. Keiner will nachgeben. Sobald Oliver denkt, er hätte den Ball, zieht Levin wieder fester an und reißt ihn an sich.
»Schrittfolge«, rufe ich laut. Levin und Oliver versuchen zwar, sich daran zu halten, nicht zu viele Schritte zu machen, doch zu meinem Verdruss bricht Oliver die Regeln. Deswegen muss es zu einem neuen Einwurf kommen.
»Einwurf«, sage ich ruhig und ziehe Oliver beiseite. Meine Stimme ist so leise, dass nur er sie hört. »Was sollte das denn?«
Er sieht mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Äh... Ich habe versucht, den Ball zu bekommen?« Bist du irgendwie dumm oder warum checkst du das nicht?
Ich schüttle den Kopf. »Du weißt jawohl ganz genau, dass eine solche Angelegenheit immer ein Schrittfehler ist!«
Oliver verdreht die Augen, dann läuft er zurück zu seinem Team. Ich laufe ein wenig an der Außenlinie entlang, um besser sehen zu können, wer wann den Ball hat. Meine Augen verfolgen die Spieler, die Szene ist untermalt von animalischen Anfeuerungen seitens der Zuschauer, doch ich versuche mich zu konzentrieren. Diese Begegnung mit Oliver war komisch. Auf einmal hat er ganz anders gewirkt...
Doch ich komme nicht dazu, mir nähere Gedanken zu dem Thema zu machen, denn in diesem Moment brüllt jemand ganz laut: »Achtung!« — Aber es ist zu spät, denn gerade, als ich aufsehe und zusammenzucke, nähert sich die kiloschwere Kugel bereits meinem Gesicht.
»Fuck«, höre ich noch, irgendwer brüllt laut, die Menge kreischt, und dann fliegt mein Kopf benebelt nach hinten. Mein Körper gibt unter mir nach; ich sehe einen Moment lang Sternchen. Mein Kopf ist zu schwer, als dass meine Halsmuskeln ihn halten könnten, ich sacke einfach zu Boden — und der Boden fängt mich hart auf.
Das erste, was ich spüre, ist, dass mir jemand mit der Hand ein paar Watschen auf die Wange gibt. Nur leichte, aber gerade so stark, dass der Schmerz in mein Bewusstsein vordringt.
»Hm?«, stoße ich aus.
Alles fühlt sich benommen an, meine Gliedmaßen fühlen sich irgendwie fremd an, ich blinzle, doch ich sehe nichts.
Erst, als mir jemand eine eindeutig zu feste Ohrfeige verpasst, schlage ich die Lider auf und sehe zwei saphirblaue Augen über mir.
»Sie ist wieder da, Fehlalarm, weiter gehts!«
Das ist Levins Stimme. Die saphirblauen Augen verschwinden wieder und stattdessen sehe ich nun Oliver vor mir. Er beugt sich etwas über mich und streicht mir den Pony aus dem Gesicht.
»Hey.« Seine Stimme ist rau, aufgekratzt. »Alles okay bei dir?«
»Was ist passiert?«
Gott, wie klischeehaft. Allerdings habe ich wirklich erschreckend wenig Erinnerung an das, was geschehen ist. Das einzige, was ich spüre, ist diese pochende Beule auf meinem Hinterkopf.
»Valentin hat dir den Ball ins Gesicht geschossen, woraufhin du umgekippt bist. Du warst kurz ohnmächtig, glaube ich, aber nur so ein, zwei Minuten.« Er kratzt sich am Kopf. »Gehts dir besser?«
Ich rapple mich vorsichtig hoch und stöhne, weil mir mein Kopf so wehtut. Als ich mir ins Gesicht fasse, merke ich, dass auch meine Nase wehtut. Gebrochen scheint allerdings nichts zu sein. Obwohl ich einen Anflug von Post-Unfall-Tränen spüre, schlucke ich den Kloß tapfer runter. Oliver will mich zwar am Unterarm stützen, doch irgendein Instinkt in mir will das nicht. Ich will nicht, dass er mich als das schwache, unnahbare Mädchen sieht, mit dem jeder Mitleid haben soll.
»Lass mich, ich schaff' das alleine«, fauche ich deswegen, zugegeben etwas schroffer als beabsichtigt.
»Jetzt hab dich doch nicht so«, widerspricht er, aber ich rapple mich selbst hoch. Alles um mich herum ist ein bisschen wackelig, aber es ist weit nicht so schlimm, wie er tut. Deswegen pfeife ich in die Trillerpfeife und sehe mich um. Mittlerweile haben sich bereits ein paar Grüppchen gebildet. Die Zuschauer stehen in Trauben zusammen und philosophieren darüber, was wohl los ist, weil das Spiel für kurze Zeit pausiert war.
»Mila!«, höre ich in diesem Moment Merles Stimme. Als ich mich umdrehe, sehe ich gerade noch, wie sie auf den Platz rennt und sofort zu mir kommt, um mich in die Arme zu schließen. Dabei erdrückt sich mich fast.
»Gott, ich dachte schon, es wäre sonst was passiert«, murmelt sie atemlos in mein Ohr, während sie mich immer noch an sich presst. Es ist wunderlich, wie viel mein lebendiger Körper ihr bedeutet.
»Alles... alles gut«, japse ich. Merle merkt, dass ich kaum Luft bekomme, und geht auf einige Distanz, damit ich wieder durchatmen kann.
»Ich bringe diesen Typen um«, sagt sie entrüstet und schaut zum Spielfeld. Mittlerweile haben die Mannschaften sich wieder transformiert, die Spieler warten ungeduldig darauf, dass ich ihnen das Zeichen zum Weiterspielen gebe. Ich habe das Gefühl, dass die Luft plötzlich aufgeladen ist. Die Schritte werden größer, die Taktiken ungehaltener; niemand kümmert sich wirklich um den anderen. Ob das etwas mit mir zutun hat?
Doch andererseits — dass sich die Hamburger Raben mit den Schottenbrünn-Jungs nicht gerade verstehen, weiß eigentlich eh jeder.
Schließlich pfeife ich, sodass das Spiel weitergeht, doch Merle macht keine Anstalten, mich alleine zu lassen. Viel eher kündigt sie sich als mein persönliches Schild an, um zu verhindern, dass ich noch einen Ball abbekomme.
»Obwohl dein Dickschädel sowieso nicht kaputt gehen kann«, scherzt sie, woraufhin ich nicke.
»Das stimmt aber wirklich«, sage ich. Denn mit einem Dickschädel lebt man definitiv länger. Mein Vater hatte nämlich keinen. Vielleicht musste er deswegen so früh gehen.
Aber sind es nicht immer die, die das Leben lieben, die am frühesten von uns gehen müssen?
Das restliche Spiel ist eigentlich recht ereignislos verlaufen. Nach einer Stunde pfeife ich ab, es ist unentschieden. Eigentlich finde ich das ganz gut, denn so können wir wenigstens weiteren Schlägereien seitens der Fans aus dem Weg gehen.
Der DJ untermalt die Kulisse mit passender Musik, und als Eminem ertönt, muss ich selbst mitnicken. Der Typ versteht einfach mehr von Musik die meisten deutschen Rapper.
»Soo, und mit diesem rasanten Korb geht das heutige Match vorüber!«, ruft er ins Mikrofon. Ich klatsche, genau wie Merle. Ihr Klatschen ist allerdings um einiges ekstatischer, vor allem, als Jules und Oliver schweißgetränkt zu uns kommen. Zwar ist es abends mittlerweile kühler, doch beim Sport schwitzt man sich immer noch einen ab.
»Na, ihr beiden?«, fragt Jules mit seinem verschmitzten Grinsen. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie Merle innerlich gerade eskaliert.
»Hey!«, quiekt sie begeistert und zieht ihn in eine Umarmung, die er ein bisschen perplex und überwältigt erwidert.
Igitt, der Schweiß. Da muss die Liebe wirklich groß sein...
»Ihr habt gut gespielt«, nicke ich Oliver zu und verschränke die arme als reinen Selbstschutz, damit er nicht auf die Idee kommt, mich zu umarmen. Nein, unter jedem anderen Umstand hätte ich mich wohl gefreut, aber nicht so, schweißnass triefend nach einem Basketballmatch.
»Danke«, erwidert Oliver mit einem filmreifen Lächeln. Wie zum Teufel... mich würde es nicht wundern, wenn er ein Retortenbaby aus irgendeinem Forschungslabor ist. Wie kann man sonst so perfekt sein?
Ich lächle etwas dümmlich vor mich hin, weil ich nicht weiß, was ich sonst sagen soll. Bei Gesprächen ist es ganz einfach: Entweder man klickt, oder man klickt nicht. Wenn man klickt, dann rennt das Gespräch einfach von selbst. Auf einmal fallen einem tausend lustige Geschichten ein, man redet und redet und redet und plötzlich ist es Mitternacht.
Oder man klickt eben nicht, dann hilft nicht einmal Smalltalk mehr.
»...ins B175?«, höre ich etwas verspätet Oliver fragen.
Ich blinzle. Gott, ich muss wirklich besser zuhören. Gruselig, wie abgelenkt ich heute bin.
»Was?«
»Kommt ihr nachher mit uns feiern?«, wiederholt Oli sich, diesmal so langsam, dass es wirklich jeder Trottel verstanden hätte. Mir schießt die Wärme in die Wangen.
»Äh, klar«, beeile ich mich nervös zu sagen.
»Cool«, nickt er. »Die Schottis werden auch da sein, aber naja. Dann haben wir wenigstens wen, gegen den wir Flunky und Beerpong gewinnen können.« Er lacht herzhaft, ich lächle gepresst.
Die Jungs verabschieden sich schließlich, weil sie noch duschen müssen.
»Gott, er ist so heiß«, schwärmt Merle, als wir alleine sind.
Vielleicht solltest du dann öfter in die Kirche, wenn du Gott so viel erzählen willst, will ich schon sagen, doch wir werden unterbrochen.
»Ich?«, höre ich in diesem Augenblick eine Stimme.
Meine Schultern sacken nach hinten, ich bleibe sofort stehen. Intuitiv will ich mich umdrehen, doch ich kämpfe dagegen an, zumal sich das blasse Gesicht mit den kakerlakenschwarzen Locken und den saphirblauen Augen sowieso bald darauf vor meine Augen pflanzt.
»Hallo, Levin«, sage ich etwas säuerlich.
Merle schaut verwirrt von mir zu ihm. »Ihr kennt euch?«
Ich nicke. »Leider.«
Er fasst sich ans Herz, als hätte ich ihn bis auf die Knochen beleidigt. »Also wirklich!«, ruft er entrüstet. »Ich bin zutiefst verletzt, Emilia Krause.«
»Und meinen Namen weißt du woher?«, frage ich, diesmal allerdings nicht nur genervt, sondern auch überrascht.
Er zuckt mit den Schultern — ich warte zwar kurz, doch mehr als das kommt nicht von ihm.
»Wunderbar. Was genau willst du jetzt hier, außer mich nerven?«, frage ich. Mir fällt gerade ein, dass ich doch eigentlich nett zu ihm sein sollte, schließlich brauche ich ihn noch als eine der tragenden Figuren für meinen Plan.
Mir ist zwar bewusst, wie hirnlos der Plan ist, allerdings — versuchen kann man's ja.
»Ich wollte tatsächlich fragen, ob wir uns nachher noch sehen.« Auf meinen fragenden Blick hinweg schiebt er: »Beim Feiern« hinterher.
Diesmal bin ich es, die mit den Schultern zuckt. »Um einen weisen Herren zu zitieren — Vielleicht.«
Levin sieht mich einen Moment lang einfach nur an, dann verziehen sich seine schmalen Lippen zu einem breiten Grinsen. Ohne ein weiteres Wort nickt er uns zu, dann verschwindet er zu den anderen in die Umkleide.
Ich hefte zwar den Blick geradeaus, doch ich merke, dass Merle sich gerade alle Fragen, die sie gleich stellen wird, zusammenreimt.
»Okay, Mila«, beginnt sie atemlos, »was war das denn? Woher kennst du Levin Hartmann? Ist da irgendwas im Busch, wovon ich nichts weiß? Und... wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, dass er gerade mit dir geflirtet hat.« Sie sieht mich so verwundert an, dass ich mich räuspere.
»Geflirtet? Levin? Mit mir?«, frage ich lachend, weil das so ein schlechter Scherz ist. »Das glaubst aber auch nur du!«
Vielleicht klinge ich ein bisschen zu panisch, weshalb mich Merle verwirrt ansieht. Sie streicht sich eine ihrer blonden Locken aus dem Gesicht und fragt: »Bist du dir sicher, Mila? Denn ich habe zwei gesunde, gut funktionierende Augen im Kopf und einen guten Sinn für... interhumane Beziehungen.«
Ich bin mir sehr sicher, dass sie sich dieses Wort ausgedacht hat, um etwas technischer zu klingen, aber ich verstehe auch so, was sie meint. Ja, sie kennt sich besser mit Typen und flirten aus, als ich.
»Also«, wechsle ich elegant das Thema, »gehen wir gleich ins B175 oder noch nach Hause?« Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es schon kurz vor halb neun ist. Das alles hat länger gedauert, als erwartet.
»Ich würde sagen, wir lassen uns Zeit und schlendern gleich zum Keller, dann sind wir zwar früh da, aber nicht die ersten«, antwortet Merle, die wieder einmal alles gut durchdacht hat.
»Manchmal frage ich mich, was ich ohne dich tun würde«, sage ich, einfach weil es mir gerade in den Sinn kommt. Merle sieht mich erstaunt an, lächelt aber. Da sieht man, was passiert, wenn man einfach mal gerade raus sagt, was man denkt. Wenn man einfach mal einem Menschen sagt, dass man ihn gerne hat. Das wird viel zu selten kommuniziert, und ich habe zwar nicht viele Erfahrungen, aber ich bin mir sicher, dass das der Grund ist, warum so viele Freundschaften und Beziehungen auseinander brechen.
Weil man nicht miteinander redet. Man lernt sich kennen, man heiratet, man schweigt sich an. Erst vor der Scheidungsrichterin schreit man sich an, bis es vorbei ist.
»Wie kommst du denn jetzt da drauf?«, fragt Merle, als wir gerade durch das Zaunloch schlüpfen und elegant die Straßenseite wechseln. Wir sind nie dort gewesen steht uns praktisch auf die Stirn geschrieben.
Ich zucke mit den Schultern. »Kam mir grade so in den Sinn.«
Sie grinst. »Du bist echt ein komischer Kauz, Mila. Aber ich bin sehr froh, dass du meine beste Freundin bist.«
Merle hakt sich bei mir unter und beginnt wild davon zu erzählen, wie heiß Jules doch während des Spiels war, und wie sehr sie ihn doch mag. Sie ist buchstäblich bis über beide Ohren verknallt.
»Und weißt du was?«, fragt sie, als wir die Kellertreppe des B175 erreichen, nachdem wir ein wenig durch Hamburg spaziert sind und uns extra Zeit gelassen haben.
»Was?«, erwidere ich, weil sie so gebannt darauf wartet.
»Heute Abend werde es ihm zeigen.« Sie grinst breit.
»Was zeigen?«, frage ich, weil ich nicht ganz verstehe, was sie meint.
»Na, dass ich ihn... mag«, sagt sie augenrollend und drückt die Türe auf. Sofort schlägt uns eine Welle des Lärms entgegen. Die Musik wummert, der Bass ist zum Fühlen stark, und außerdem riecht es nach Alkohol. Wenn ich mich nicht täusche, ist sogar die Luft ein bisschen rauchig, obwohl wir noch nicht einmal ganz drin sind.
»Aha«, murmle ich, wenig überrascht. Dass sie heute Abend etwas haben werden, wundert mich nicht.
»Meinst du, das ist eine schlechte Idee?«, fragt Merle unsicher, weil ich so karg reagiere. Dass ich nicht unbedingt wortgewandt in Sachen Typen bin, weiß sie doch eigentlich.
Ich zucke mit den Schultern. »Was ich denke, ist eigentlich egal. Hier geht es um dich. Das ist deine Sache. Jules ist deine Baustelle, da ist es völlig egal, was ich denke.«
Merle lächelt mich an. »Weißt du, ich bewundere dich schon für deine Sichtweisen. Ich würde auch gerne so nüchtern an die Dinge herangehen.«
Nüchtern? Ha, ha, ich wünschte, es wäre wirklich so.
»Ja...« Meine Stimme ist gedehnt. Ich recke den Kopf, als wir eintreten, um irgendein bekanntes Gesicht zu sehen. Tatsächlich erblicke ich Kiki und Kathi, aber ich auf deren Visage und Gequake bin ich nicht gerade scharf, weshalb ich mich zu Merle umdrehe.
...Das heißt, ich wollte mich zu Merle umdrehen, aber an dem Punkt, wo sie gerade noch stand, ist niemand.
»Das darf doch wohl nicht wahr sein«, knurre ich wütend vor mich hin. Sie hätte mir wenigstens sagen können, dass sie verschwindet. Ich raufe mir die Haare und binde sie zu einem hohen Pferdeschwanz auf meinem Hinterkopf zusammen. Leider komme ich dabei an der Beule an, die immer noch pocht.
Schmerzerfüllt schließe ich die Lider. Wieso nochmal habe ich diesen Job als ›Schiedsrichterin‹ angenommen? Ach ja. Eine gute Tat pro Tag, oder so.
Ich dränge mich durch die Menschenmenge. Der Keller ist nicht gerade groß, was sich deutlich zeigt: Obwohl nur rund dreißig Leute anwesend sind, ist es stickig, brechend voll und stinkt. Zwar ist es erst neun Uhr, allerdings taumeln schon jetzt Besoffene durch die Gegend. Denen weicht natürlich jeder bereitwillig aus, denke ich grimmig, während ich mich an die provisorische Bar lehne.
»Was darf's sein?«, fragt der Typ. Das... das ist doch der DJ!
Ich will gerade mit meiner Bestellung rausrücken, als sich jemand neben mir räuspert.
»Eine Jacky-Cola und für sie... Sie sieht doch aus, als könnte sie Berliner Luft vertragen, oder?«
Mein Karma scheint es heute besonders gut mit mir zu meinen.
»Sie hat zufällig einen Mund und kann zufällig ihre eigene Bestellung aufgeben«, fauche ich Levin an, der sich lässig neben mir an die Bar lehnt. Seine Augen glänzen zwar im Schein der Lichter, allerdings glaube ich nicht, dass er schon einen über den Durst getrunken hat. Selbst wenn die Jungs die kürzeste Rute genommen haben, können sie unmöglich lange vor uns angekommen sein. So schnell kann man gar nicht betrunken werden.
»Ach so? Tatsächlich, auf den Mund gefallen bist du ja wirklich nicht«, nickt Levin. Leider steht ihm dieses Grinsen ziemlich gut — und er ist auch alles andere als auf den Mund gefallen. Das imponiert mir.
»Richtig, Sherlock. Bilde dir bloß nichts ein.« Meine Stimme ist zwar kühl, doch in mir brennt alles wie Feuer.
Genau das habe ich vorhin gemeint. Bei manchen Leuten rennt das Gespräch einfach von selbst; und leider muss ich zugeben, dass Levin einer davon ist. Vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass es mir wirklich scheißegal ist, was er von mir denkt. Ich muss nicht nett sein. Meinem Plan, Oliver mit seiner Hilfe eifersüchtig zu machen, wird er sowieso nie zustimmen. Abgesehen davon weiß ich ja nichtmal, ob er überhaupt single ist.
»Würde ich nie, Watson. Wobei Einbildung ja auch eine Bildung ist«, erwidert Levin, immer noch schmunzelnd. Dabei zeigen sich wieder diese Grübchen. Außerdem fällt mir gerade auf, dass er sich eine Zigarette hinters Ohr gesteckt hat. Mit den Fingern spielt er an einem Feuerzeug herum, ein altes Modell zum Aufklappen. So eines hat mein Opa mir mal geschenkt.
»Genau. Und Eifersucht ist auch eine Sucht«, sage ich sarkastisch.
»Ich will euer Rendezvous ja nicht unterbrechen, aber könntet ihr jetzt mal bestellen?«, funkt der Barkeeper/DJ wütend dazwischen.
Ich nicke. »Klar, sorry. Also für mich... Einen Weißen Spritzer bitte.«
»Dass du auf Spritzer stehst, wundert mich auch nicht«, sagt Levin leise. Seine Stimme ist rau, irgendwie sexy, aber ich versteife mich trotzdem.
»Ich steh auf gar nichts«, sage ich, wohl wissend, dass seine Worte eine perverse Bedeutung haben.
»Bist du dir da sicher?«, fragt Levin.
Ich nicke, so wild, als hinge mein Leben davon ab.
»Hier«, sagt der Barkeeper, offensichtlich amüsiert von unserer Konversation, und schiebt mir einen Plastikbecher zu. Greta wäre erbost.
»How dare you?«, murmle ich vor mich hin, nehme aber den Becher und krame einen Schein aus meinem Portemonnaie.
Der DJ schaut mich verwirrt an, aber Levin grinst noch breiter. Es kann unmöglich sein, dass er meine Worte verstanden hat, immerhin habe ich sehr leise geredet, und... naja, ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm so viele Gehirnzellen zutrauen kann.
»Siehst du. Deswegen — Spritzer sollten immer gleich in den Mund gehen«, sagt er grinsend.
»Was?«, fauche ich und knalle einen Fünfer auf den Tresen.
»Was?«, sagt Levin scheinheilig.
»Du spinnst wirklich«, sage ich und damit drehe ich mich mitsamt meinem Getränk um und lasse Levin einfach stehen, gerade, als die ersten Klänge von »All the Single Ladies« ertönen. Zwar ruft Levin mir irgendwas nach, doch die Musik ist zum Glück so laut, dass ich es nicht hören muss. Ja, ein Hoch aufs Singleleben.
Ich lasse mich von der Menge verschlucken — bis ich irgendwo auf einem klebrigen Sofa Platz finde und mich setze.
Was, zum Teufel nochmal, war das gerade?!
Meinen Plan, Oliver mit Levin eifersüchtig zu machen, kann ich jetzt jedenfalls endgültig vergessen.
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