Fünftes Kapitel
Fünftes Kapitel
Steht unser Date noch?
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Ich bin verwirrt. Die Verwirrung macht sich in meinem ganzen Körper breit, verstärkt durch den Einfluss meines Weins, den ich nach wie vor in dem Plastikbecher halte, den mir der Barkeeper in Levins Gegenwart in die Hand gedrückt hat.
Dieser Typ. Levin.
Der hat was. Irgendwas an ihm ist faszinierend. Vielleicht die Tatsache, dass er immer eine Antwort parat hat. Oder die Tatsache, dass er zwar große Reden schwingt, dafür aber auch aufrichtig zu sein scheint. Aber wahrscheinlich trügt da der Schein, schließlich kenne ich ihn kaum.
»He, Mila!«, reißt mich eine Stimme aus den Gedanken. Die Stimme übertönt sogar die dröhnende Musik, die von der Tanzfläche zu dem ranzigen Sofa, auf dem ich es mir bequem gemacht habe, rüber schallt und allen, die es wollen oder auch nicht, einen Tinnitus verpasst.
Als ich aufsehe, schieben sich Oliver und Jules in mein Blickfeld. Die beiden habe ich seit dem Spiel gar nicht mehr gesehen, weshalb sich ein Lächeln auf mein Gesicht schleicht. Meine Mundwinkel ziehen sich wie von selbst nach oben, als ich Oliver erblicke. Selbst schwitzend und mit einem glänzenden Film auf der Stirn sieht er gut aus.
»Was gibt's, Jungs?«, frage ich betont lässig und nippe an meinem Wein. Sollte ich heute einen Versuch wagen und Oliver zeigen, wie ich für ihn fühlte?
»Wir spielen draußen eine Runde Flunky gegen die Schottis. Hast du Lust, mitzuspielen?«, fragt Jules. Er lallt bereits ein wenig. Himmel, es kann unmöglich später als zehn Uhr sein, und der Kerl ist jetzt schon hackedicht? Und auf das steht Merle?
Manchmal finde ich ihren Geschmack wirklich fraglich.
»Also... Ich weiß nicht«, druckse ich herum. Flunky Ball ist ein Trinkspiel, bei dem zwei Teams gegeneinander spielen und eine Flasche in der Mitte versuchen, umzuwerfen, indem sie mit irgendwas darauf zielen. Je später der Abend, desto lustiger ist es, aber... Ich bin wirklich nicht in der Laune, heute viel zu trinken, zumal ich von Alkohol sowieso nicht so viel halte. Einen richtigen ›Exzess‹, wie andere ihn in meinem Alter regelmäßig haben, hatte ich noch nie.
»Klar, weil sie wahrscheinlich nie treffen wird«, mischt sich eine dritte Stimme dazu. Obwohl der Keller wirklich nicht groß ist, halte ich es dennoch für einen sehr großen Zufall, dass Levin schon wieder ›ganz zufällig‹ hier auftaucht.
Der wenige Alkohol, den ich bereits getrunken habe, mischt sich in diesem Moment mit meinem Blut und lässt meine Emotionen viel intensiver werden. Fühlt sich so betrunken-sein an?
»Ach ja?«, fauche ich und stehe viel ruckartiger auf, als beabsichtigt. Mein Becher schwappt über, ein Schluck landet auf Levins Hose und hinterlässt einen dunklen, nassen Fleck.
Er sieht mich an. Ich lege den Kopf schief.
»Das tut mir aber leid«, fauche ich sarkastisch. »Wisst ihr was, Jungs? Ich bin sowas von dabei bei eurem Flunky. Sowas von! Wir werden gewinnen. Wer auch immer mit mir in einem Team ist, wird gewinnen!«
Das Sprechen fällt mir deutlich leichter als in der Schule, wenn mein Blick dauerhaft auf Olivers gebräunten Nacken und sein krauses Haar gerichtet ist. Hier ist alles ein bisschen leichter, als in der Schule.
»Und weißt du was, Levin?«, rede ich gleich weiter, weil ich so im Redefluss bin. »Wenn ich gewinne, dann habe ich«, ich hickse überrascht, »etwas gut bei dir! Hast du verstanden? Dann habe ich etwas gut bei dir!«
Levin zieht eine Braue hoch. Anders als ich verträgt er deutlich mehr Alkohol, weil er wahrscheinlich auch öfter trinkt, als ich. Aber für mich ist das alles Neuland.
»Ookay«, sagt Jules gedehnt. »Dann kommt mal mit raus...«
Ihm scheint das, was hier abgeht, nicht ganz geheuer zu sein, aber selbst durch die diesige Raucherluft und meine gestörte Konzentration erkenne ich, dass Levin mich mustert. Seine türkisblauen Augen haften auf meinem Pony, dann lässt er den Blick weiterschweifen.
Oliver und Jules bahnen sich bereits einen Weg durch die Menge nach draußen. Levin bedeutet mir, vor ihm zu gehen.
»Willst du, dass ich vor dir gehe, damit du mir auf den Arsch glotzen kannst?«, frage ich pampig. Ich nehme gleich noch einen Schluck von diesem Wunderelixier, das all meine Hemmungen über den Haufen wirft und mich frei und unbekümmert einfach reden lässt.
Ich hörefast, wie Levin die Augen rollt. Auf einmal ist seine Stimme ganz nah, beinahe in meinem Nacken.
»Du hast es erfasst, das war meine einzige Intention.«
Ein Schauer läuft mir über die Schulter. Ich bringe rasch etwas Distanz zwischen uns und folge Jules und Oliver nach draußen.
Die Sache mit dem »Ich habe etwas gut bei dir« ist mir ganz spontan eingefallen, aber eigentlich macht es viel Sinn: Levin hat mich herausgefordert und das ist mein Gewinn. Und das, was ich von ihm verlangen werde, ist: Er soll mir helfen, Oliver eifersüchtig zu machen.
Jules und Oli sind bei Weitem nicht die Einzigen, die sich draußen versammelt haben. Die beiden Fraktionen lassen sich ganz eindeutig erkennen: Links die Schottenbrünn-Jungs, rechts die Heinrich-Heine-Schüler. Ich kenne eigentlich niemanden von den Schottis, außer diesen einen Typen, Valentin oder so, der mir den Ball gegen den Kopf geworfen hatte. Levin geht genau zu diesem Typen hin, schlägt bei ihm ein und zischt ihm irgendwas ins Ohr. Daraufhin hebt Valentin eine Braue. Sein Blick wandert in meine Richtung. Ich halte dem Blick stand und hebe ebenfalls eine Braue, woraufhin Valentin lacht und Levin irgendwas zurück sagt.
»Hat jeder ein Bier?«, ruft Oliver motiviert durch die Nacht.
Ich schüttle den Kopf. »Ich brauche noch eins. Oder habt ihr auch Radler?«
»Radler ist für Memmen«, ruft Levin von drüben.
»Halt den Mund«, rufe ich zurück, dicht gefolgt von der Offenlegung meines wunderschönen rechten Stinkefingers. Der gebührt ihm.
Valentin formt einen Kussmund, woraufhin ich den Mund verziehe und zu Oliver sehe, der gerade im Begriff ist, eine weitere Bierflasche aus der Palette zu holen.
»Hier. Sorry, wir haben keinen Radler. Ich hoffe, Bier ist auch okay?«, murmelt er ehrlich betreten.
Ich zucke mit den Schultern. »Klar. Schmeckt sowieso alles scheiße.«
Sein Gesicht hellt sich auf. »Gut.« Er schenkt mir ein Lächeln. »Cool, dich mal außerhalb der Schule zu sehen. Sonst reden wir ja so selten, aber du scheinst ein echt cooles Mädchen zu sein.«
Höre ich richtig?
Vermutlich grinse ich gerade wie ein dämliches Honigkuchenpferd, aber ich kann nichts dagegen tun. Mein Herz beginnt zu flattern. Es fühlt sich ganz leicht an. Aber vielleicht liegt das am Alkohol.
»Sind alle startklar?«, ruft Jules.
Die Jungs drüben lachen und nicken.
»Okay. Schere-Stein-Papier, wer beginnt?«, fragt Oliver.
Jules und Levin gehen in die Mitte und spielen um den Anfang, den leider die Schottis gewinnen. Ich seufze und mache mich bereit, aber das Laufen übernimmt sowieso Oliver.
Levin zielt mit dem Schuh, er gehört Jules, und wirft treffsicher die halbvolle Flasche um, woraufhin Oliver in die Mitte hechtet, die Flasche wieder aufstellt und zurück zu uns hechtet – das alles in rekordverdächtiger Zeit. Die Schottenbrünn-Jungs trinken derweil, was das Zeug hält. Aus irgendeinem Grund hat sich mein Blick auf Levin festgefahren, wie er die Bierflasche zischelnd öffnet und den Inhalt in seinen Rachen kippt.
»Mila, wirf du einmal«, höre ich Olivers Stimme wie durch Watte. Etwas benommen stelle ich fest, dass Levin sein Bier längst wieder abgestellt hat und sich stattdessen den feuchten Mund am Pulloverärmel abwischt.
»Okay... Aber erwartet nicht zu viel von mir«, gebe ich zaghaft zurück und nehme den Schuh. Ich versuche, genauso zielsicher zu werfen, wie Levin, aber leider werfe ich komplett daneben, sodass die Schottis lachen. Ich rolle die Augen. War ja klar. Selbst Levin grinst vielsagend.
Hoffentlich sind meine Teamkammeraden fähiger als ich es bin, sonst kann ich mir mein Vorhaben mit Levin in die Haare schmieren. Ich tippe gedankenverloren auf der Blechbüchse des Bieres herum.
Es vergeht einige Zeit, aber schließlich gelingt es unserem Team, zu gewinnen. Zum Glück, denn ich habe mir bereits ernsthaft Sorgen um meinen Plan gemacht.
»Glückwunsch«, schnauzt Levin wenig begeistert und wirft seine plattgestampfte Bierdose in den Müll. Tatsächlich hat es sich nämlich zwischen mir und einem Typen aus ihrem Team entschieden. Letzten Endes habe ich gewonnen (wenn auch mit etwas Schummeln. Als keiner zusah, habe ich mein Bier ein bisschen umgeworfen. Ups.)
Ich streiche meine dunkelbraunen Haare hinters Ohr und sehe Levin herausfordernd an. Er lehnt am Mistkübel, als wäre das die coolste Tätigkeit überhaupt, und tatsächlich muss ich gestehen, dass er ganz schön cool aussieht.
»Danke«, sage ich übertrieben freundlich. »Sei nicht traurig. Verlieren gehört zum Spiel dazu.«
»Wie weise«, faucht er und rollt die Augen. Levin scheint eindeutig kein guter Verlierer zu sein.
»Tja, was soll ich sagen?«, murmle ich unschuldig.
»Und was willst du dafür?« Levin kommt gleich zu den Fakten.
»Treffen wir uns morgen. Kennst du den kleinen Park am Mozertplatz?«
Er nickt.
»Gut. Sagen wir, drei Uhr?«
Er nickt wieder.
»Super. Dann bis dann.«
Ich will schon reingehen, aber er zieht mich zurück. Überrascht sehe ich auf seine Hand, die meinen Arm umfasst. Fest, aber nicht unsanft.
»Was genau soll das werden?«, frage ich überrascht.
»Es hat doch irgendwas mit diesem Typen zu tun«, grummelt Levin und nickt mit dem Kinn in Olivers Richtung. Als ich nach rechts schaue, sehe ich, dass Oliver sich zu Jules und ein paar anderen Leuten gesellt hat. Jules raucht eine Tschick, deren Glut in der dunklen Nacht gefährlich orange aufleuchtet, als er einen Zug nimmt.
»Wen meinst du?«, frage ich. Mein Herz macht einen Satz, mein Herzschlag setzt einen Takt aus. Levins Hand verlässt mein Handgelenk. Stattdessen legt er einen Arm um meine Taille und zieht mich etwas näher.
»Okay, danke, das ist nahe genug«, murmle ich. Aber ich mache keine Anstalten, mich von Levin zu entfernen, was einen guten Grund hat: Oliver ist auf uns aufmerksam geworden und sieht uns überrascht an.
»Oliver. Du stehst auf ihn.« Levin redet nur ganz leise, aber selbst jetzt ist seine Stimme rau und geht durch mein Mark. Ich schrecke zurück, als hätte ich mich auf einer heißen Kochplatte verbrannt.
»Bitte?!«, kiekse ich ganz hoch.
Levin lacht tief. »Das bestätigt nur meine Annahme. Ist doch okay.« Er zuckt mit den Schultern. »Wieso sagst du es ihm nicht einfach?«
Ich tippe mir an die Stirn. »Genau. Und morgen kommt die Zahnfee. Ich glaube, du spinnst ja wohl.«
Levin rollt die Augen. »Du verhältst dich kindisch.«
»Oh, tut mir leid, und du bist so erwachsen?!« Meine Stimme ist lauter, als beabsichtigt.
»Was ist da los?«, ruft Oliver rüber. »Alles klar bei euch?«
Ich reiße mich von Levins Griff endgültig los. »Lass mich doch einfach in Frieden, Levin.«
Mit einem letzten, wuterfüllten Blick sehe ich ihn an, dann stolziere ich davon. Der Boden ist wackelig, aber ich gebe mein Bestes und lasse mich einfach auf eine der freien Bänke um die Ecke fallen. Was mache ich hier eigentlich?
»Steht unser Date noch?«, höre ich Levin mir nachrufen.
»Mistkerl«, fauche ich leise vor mich hin. Ich gebe ihm keine Antwort. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich in den vierundzwanzig Stunden, die ich Levin kenne, viel lebendiger gefühlt habe, als in den siebzehn Jahren davor. Das ist beängstigend.
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