15. Sehnsucht
Alec versuchte seine Panik und seine Angst um Magnus nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Er musste einen kühlen Kopf bewahren und war Jace unendlich dankbar, dass er nicht gezögert hatte und ihm bei der Suche half.
Mittlerweile hörten sie Sirenen und sahen Sanitäter und Feuerwehrleute, die sich über den weiten Platz verteilten. Immer noch kamen ihnen panisch rennende Menschen entgegen, sie sahen aber auch immer mehr Verletzte, die von Freunden oder Sanitätern an ihnen vorbeigeschleppt wurden. Im Allgemeinen herrschte Chaos. Die Bühne stand immer noch lichterloh in Flammen und je näher sie ihr kamen, desto heißer wurde es.
„Weißt du, wo du ihn zuletzt gesehen hast?", fragte Jace. Alec versuchte sich daran zu erinnern, aber durch die Panik hatte er keine Ahnung, wie weit er von der Menge weiter gedrängt worden war. Er schüttelte den Kopf und musste die aufkommende Angst erneut herunterschlucken. Jace zog ihn weiter und sie riefen stetig Magnus Namen, bekamen aber keine Antwort.
Irgendwann wurden sie von Feuerwehrleuten aufgehalten.
„Jungs, wo wollt ihr hin? Das Festival wird evakuiert. Ihr müsst zu den Bussen, die euch hier wegbringen.", sagte einer der Beiden. Alec geriet wieder in Panik.
„Mein Freund. Ich habe ihn verloren. Ich muss ihn finden."
„Ihr müsst erstmal hier weg. Um deinen Freund kümmern sich die Rettungskräfte, falls ihm was passiert ist...Aber wahrscheinlich sitzt er längst in einem Bus zu den Notunterkünften.", fügte er schnell hinzu, als er Alecs vor Angst geweitete Augen sah.
„Komm Alec, wir gehen zu den Anderen zum Zeltplatz.", sagte Jace und wollte ihn mit sich ziehen.
„Nein, das geht nicht.", sagte der zweite Feuerwehrmann und hielt sie zurück.
„Auch auf dem Zeltplatz ist der Blitz eingeschlagen und er wird gerade evakuiert. Ihr müsst zu den Bussen am Eingang."
Alec wurde ganz schwindelig vor Angst. Jetzt nicht mehr nur wegen Magnus, sondern auch wegen Izzy, Simon und Clary. Auch Jace wich jegliche Farbe aus dem Gesicht und er sah ihn panisch an.
„Clary...", war alles was er noch von sich gab.
„Ihnen geht es gut. Da bin ich mir sicher.", sagte Alec und versuchte seine eigene Anspannung mit seinen Worten nicht mitklingen zu lassen.
„Jungs, ihr müsst hier weg.", sagte der Feuerwehrmann nun energischer und schob sie vor sich her.
„Ist ja schon gut.", sagte Alec, blickte noch einmal zurück und sah immer noch die lodernden Flammen der Bühne. Die Angst um Magnus schnürte ihm abermals die Kehle zu, aber er musste sich wohl eingestehen, dass er im Moment nicht viel tun konnte.
Auf dem Weg zu den Bussen war Alec in eine Art Schockstarre verfallen. Seine Tränen vermischten sich mit dem Regen, der ihm unablässig ins Gesicht peitschte. Das Gewitter war zwar weiter gezogen, aber es stürmte und regnete noch immer. Um sie herum waren fast ausschließlich verzweifelte Gesichter mit tränenverschmierten Wangen zu sehen. Rettungskräfte versuchten für Ordnung zu sorgen und trugen Verletzte auf Tragen zu den Sanitätszelten.
Das alles nahm Alec nur verschwommen wahr. Er dachte unablässig an Magnus und wie er in der Menschenmenge verschwunden war. Er hoffte inständig, dass es ihm gut ging. Alles andere wäre unvorstellbar für ihn.
Zum ersten Mal hatte er erfahren, wie sich wahres Glück anfühlte und jetzt sollte es ihm wieder genommen werden? Das wollte er nicht glauben.
Als sie bei den Bussen ankamen, entdeckten sie Izzy, Simon und Clary, die auf sie warteten. Izzy fiel Alec um den Hals und schluchzte an seiner Brust.
„Ihr habt ihn nicht gefunden?" Alec schüttelte den Kopf und begann nun ebenfalls zu schluchzen.
„Ihm wird es schon gut gehen. Wir werden alles tun, um ihn zu finden.", sagte sie. Alec schloss sie fest in die Arme und hoffte, dass Izzy Recht behalten würde.
Die nächsten Tage durchlebte Alec wie in einem Nebel und konnte sich nur bruchstückhaft daran erinnern was passiert war.
Sie waren mit Bussen zur Turnhalle einer Highschool gebracht worden. Wurden mit Decken, Tee und Keksen versorgt und übernachteten mit vielen anderen dort. Egal wen sie auch fragten, niemand konnte ihnen Auskunft über die Verletzten geben. In dieser Nacht hatte Alec einen kleinen Nervenzusammenbruch, weil ihm bewusst wurde, dass er weder Magnus Nachnamen, noch seine Telefonnummer kannte. Irgendwie war das alles so nebensächlich gewesen. Er hatte einfach die Zeit genossen und darauf vertraut, dass sie gemeinsam nach Hause fahren würden. Wie sollte er ihn bloß finden?
Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter wieder beruhigt und die Sonne schien. Sie durften zurück auf den Zeltplatz und nach ihren Sachen sehen. Alec wusste noch, dass er zuallererst zu Magnus Zeltplatz geeilt war. Er hatte diesen zwar unversehrt, aber leer vorgefunden. Er weigerte sich bis zum Abend den Zeltplatz zu verlassen, in der Hoffnung, dass Magnus auftauchen würde, was aber nicht geschah. Jace hatte sich dann bereit erklärt, Magnus Van zu fahren. Alec wollte die Sachen dort nicht zurücklassen und sie hatten beim Einpacken die Autoschlüssel gefunden.
Während der Fahrt zurück nach New York hatten sie alle Krankenhäuser abtelefoniert, bekamen aber keine zufriedenstellende Auskunft. Es war zum verzweifeln.
Auch am nächsten Tag auf dem Campus konnte man ihm nicht helfen. Er wusste Magnus Nachnamen nicht und auch nicht das Studentenwohnheim in dem er lebte.
Jeden Tag ging er zur Uni und hoffte, Magnus irgendwo zu entdecken, aber vergeblich. Er hatte keinen Appetit, schlief schlecht und träumte jede Nacht von ihm, wie er in der Menge verschwand und wachte schweißgebadet auf. Er vermisste Magnus mit jeder Faser seines Körpers und verzweifelte fast an der Ungewissheit, was mit ihm passiert war.
Er schleppte sich zur Uni, mehr ein Schatten seiner selbst und auch jegliche Aufmunterungsversuche seitens Izzy und Jace prallten an ihm ab. Alec fühlte sich, als ob er entzwei gerissen worden sei, so als ob ein Teil von ihm fehlen würde. Eine Unruhe hatte von ihm Besitz ergriffen, mit der er nur schwer umzugehen wusste und die Sehnsucht nach Magnus schien ihn von innen aufzufressen.
Am Freitag Abend riss ihn die Türglocke aus seinen trüben Gedanken. Er schlurfte zur Tür und überlegte, wer ihn wohl unangemeldet störte. Er drückte den Knopf für die Gegensprechanlage.
„Ja?", fragte er leicht verärgert.
„Alec, lass mich rein.", hörte er Izzy sagen. Er hatte nicht wirklich Lust auf Gesellschaft, betätigte aber trotzdem den Türöffner. Er lehnte die Tür an, ging dann zurück ins Wohnzimmer und ließ sich auf eines seiner beiden Sofas fallen.
Seine Wohnung lag in der ersten Etage, so dass Izzy kurze Zeit später, mit einem Pizzakarton in der Hand, das Zimmer betrat.
„Hey, großer Bruder. Wie es dir geht brauche ich wohl nicht zu fragen. Du hast dich ja komplett abgeschottet die letzten Tage. Damit ist es jetzt vorbei. Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?"
Alec überkam ein schlechtes Gewissen.
Er hatte sich wirklich abgeschottet. Hatte niemanden an sich herangelassen, war meist allein über den Campus gelaufen und hatte sich in der Mensa gleich in eine einsame Ecke verzogen. Eigentlich wusste er selber nicht, wie er es schaffte, jeden Tag zur Uni zu gehen. Von den Vorlesungen bekam er sowieso nichts mit. Alleine der Gedanke daran Magnus zu begegnen, war der Grund dafür, warum er sich jeden Tag aufraffte.
„Tut mir leid, Izzy. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal etwas gegessen habe." Er blickte sie entschuldigend an.
„Das habe ich mir gedacht, deshalb habe ich dir eine Salami-Peperoni Pizza von Reggie's mitgebracht." Isabelle strahlte und Alec schossen Tränen in die Augen. Er musste daran denken, wie er mit Magnus darüber gescherzt hatte, dass die Mensa Pizza es niemals mit Reggie's aufnehmen könnte. Izzy sah ihn erschrocken an.
„Alec, habe ich etwas falsches gesagt? Das tut mir Leid." Sie setzte sich neben ihn und schmiegte ihren Kopf an seine Schulter. Alec schüttelte den Kopf.
„Die Pizza hat mich nur an Magnus erinnert. Ich vermisse ihn so sehr, Izzy. Was kann ich nur tun?" Völlig verzweifelt raufte er sich die Haare.
„Ich weiß auch nicht was wir noch tun können, aber immerhin wissen wir, dass er lebt. Laut den Berichten gab es keine Toten bei dem Gewitter."
Ja, das war ein kleiner Trost, aber das konnte die Unruhe in ihm nicht bezwingen. Er vermisste Magnus so sehr, dass er die letzte Nacht sogar in seinem Van schlief, den Jace vor seinem Wohnhaus abgestellt hatte, nur um sich ihm nahe zu fühlen. Das würde er seiner Schwester aber niemals erzählen.
„Wir können nur abwarten, Alec. Wenn er verletzt worden ist, braucht er wahrscheinlich ein bisschen Zeit zum genesen. Ich glaube fest daran, dass ihr euch wiedersehen werdet."
Alec nickte und schloss die Augen.
„Ich hoffe du hast Recht...!"
Als Alec am darauffolgenden Mittwoch in die Mensa kam, schnappte er sich ein Tablett und befüllte einen Teller mit matschigem Nudelauflauf. Er nahm sich eine Cola, setzte sich dann zu den anderen und begann in seinem Essen zu stochern.
Noch immer hatte er nichts von Magnus gehört oder gesehen und er vermisste ihn in jeder Sekunde. Während die anderen sich über ihre Kurse unterhielten, schaltete Alec ab und hörte ihnen nicht mehr zu. Seine Gedanken waren wieder ganz bei Magnus und er versuchte sich an die schönen Dinge zu erinnern, die sie gemeinsam erlebt hatten. Dann nahm er plötzlich einige Gesprächsfetzen vom Nachbartisch wahr.
„Asiate....hübsch...noch nie gesehen..."
Alec blickte zu dem Tisch neben sich und sah, wie die Mädels die dort saßen in eine bestimmte Richtung deuteten. Sein Blick folgte ihnen und er erstarrte.
Am Eingang der Mensa stand Magnus und blickte sich suchend um. Er trug eine enge schwarze Jeans und ein dunkelblaues Hemd. Er war ungeschminkt, seine Haare waren komplett schwarz und total durcheinander. Er sah etwas blass, aber ansonsten völlig unversehrt und wunderschön aus.
Alec starrte ihn an und dann schossen ihm Tränen der Erleichterung in die Augen.
„Magnus...", flüsterte er.
Dann sprang er auf und taumelte durch einen Tränenvorhang in Richtung Eingang. Alecs Herz drohte zu zerspringen, als er sich ihm näherte und Magnus ihn erkannte. Das strahlende Lächeln, das Alec so vermisste, breitete sich über sein Gesicht aus und auch Magnus Augen füllten sich mit Tränen. Schnell überbrückten sie die Distanz zwischen Ihnen und fielen sich schluchzend in die Arme.
In diesem Moment fühlte Alec wie die ganze Last von ihm abfiel und sich ein Gefühl der Ruhe über ihn legte. Wie ein Ertrinkender klammerte er sich an ihn, spürte seine Wärme und sog seinen berauschenden Duft ein. Dann spürte er plötzlich wie Magnus sich versteifte und aufstöhnte. Alec ließ ihn los und sah ihn an. Magnus verzog leicht das Gesicht und lächelte ihn dann zärtlich an.
„Entschuldige, meine Rippen schmerzen noch etwas, aber ich hatte gehofft dich hier zu finden, Alexander."
„Magnus, was ist passiert. Geht es dir gut?" Magnus nahm Alecs Hände in seine, bevor er antwortete.
„Ja, jetzt geht es mir wieder gut." Er lächelte.
„Nachdem ich von dir weggerissen wurde, wurde ich zuerst weiter gedrängt. Dann wurde ich umgerissen und überrannt. Dabei habe ich mir eine schwere Gehirnerschütterung zugezogen und zwei Rippen gebrochen. Ich bin vor über einer Woche in New Haven im Krankenwagen aufgewacht und habe bis heute keine Ahnung, wie ich dort hingekommen bin.
Heute morgen wurde ich entlassen und ich bin so schnell wie möglich hierher gekommen."
„Oh, Magnus, ich habe mir solche Sorgen gemacht. Ich habe dich so vermisst." Immer noch rannen ihm Tränen seine Wangen hinunter, als er behutsam Magnus Gesicht in seine Hände nahm.
„Solch eine Angst habe ich noch nie verspürt, weil ich nicht wusste, was mit dir passiert ist." Er blickte in Magnus wunderschöne Augen und in diesem Moment wurde Alec eines klar.
„Ich liebe Dich, Magnus.", hauchte er und sah ihn mit loderndem Blick an. Magnus strahlte mit Tränen in den Augen zurück.
„Ich liebe Dich auch, Alexander.", sagte er zärtlich. In diesem Moment war ihm egal, dass hunderte von Augenpaaren auf sie gerichtet waren. Alecs Herz raste, als er sich hinabbeugte und Magnus weiche Lippen mit seinen verschloss. Der totgeglaubte Tornado wirbelte wieder durch seinen Bauch und Alec fühlte sich endlich wieder lebendig.
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