#1
Grün sah an Dakota überhaupt nicht gut aus, wie sie fand. Natürlich konnte sie mit ihrer Haarfarbe beinahe jede Farbe tragen – außer vielleicht ein knalliges Rot – aber Grün passte einfach nicht wirklich zu Dakotas kompletten Auftreten und ihrer Art – nicht einmal das edle Smaragdgrün der Slytherins. Grün war einfach eine Farbe, die zu jemanden passte, der gerne in der Natur verschwand, aber das wollte Dakota auf gar keinen Fall – sie fiel eigentlich ganz gerne auf, aber immer mit fanatischer Präzision darauf bedacht, eine gewisse Würde und Kontrolle zu bewahren.
Es war ganz gut, dass Dakota die schrecklich unauffällige Farbe Grün nur an kleinen Akzenten an ihrer sonst schwarzen Uniform tragen musste und zugegeben fand sie die gesamte Schuluniform einfach nur grässlich und veraltet, aber mit ein paar Accessoires und einer niedlichen Frisur konnte Dakota selbst diese aufpeppen. Wenigstens konnte sie mit der zweiten Farbe der Slytherins – silber – etwas anfangen und so kleine Akzente zu ihrer sonst langweiligen Schuluniform hinzufügen. Silberne Ohrringe, Haarspangen in silber, vielleicht Ringe oder Armreifen oder auch einmal eine hübsche Kette.
Ganz in silber würde Dakota aber auch nicht herumlaufen, das machte sie nur bleich. Sie brauchte eine Farbe zu ihrem Teint – am besten rosa, wie sie selbst fand, oder ein sanftes Flieder oder ein kräftiges Blau wären auch in Ordnung.
Was auch noch gut an Dakota aussah, war das glänzende und polierte Vertrauensschüler-Abzeichen, das sie sich erst letztes Jahr verdient hatte. Voller Stolz trug Dakota es an ihrer Uniform geheftet und es gab eigentlich niemanden, der sich dieses Abzeichen so sehr verdient hatte, wie Dakota. Ihre Eltern hatten ihr auch schon vor Jahren gesagt, dass es wichtig war, Vertrauensschüler zu sein, also war es eines der Ziele gewesen, die Dakota sich gesteckt hatte und wie... fast... immer war sie erfolgreich gewesen. Wenn Dakota ein Ziel verfolgte, erreichte sie dieses auch – jedenfalls beinahe immer.
Auch noch ziemlich gut an ihr aussehen würde vielleicht nächstes Jahr, war das Schulsprecher-Abzeichen, aber Dakota hatte keine Zweifel daran, dass sie sich dieses auch noch verdienen würde.
Xavier Montague sah auch außergewöhnlich gut an Dakotas Seite aus und es war allgemein bekannt, dass sie wohl das am bestaussehendste Pärchen von Hogwarts waren. Sie waren einfach füreinander geschaffen. Ein Match wie aus einer Prophezeiung.
Sie sahen beide wirklich gut aus, waren beliebt und charismatisch sowie ehrgeizig.
Xavier hatte sogar schon Dakotas Eltern getroffen und diese waren begeistert von ihrer Wahl an Freund gewesen, also musste es Dakota wohl auch sein.
Groß, blond, blauäugig – Dakotas Eltern hatten schon angemerkt, dass ihre Kinder wundervoll aussehen würden und Dakota stimmte dem zu, immerhin waren sie beide wirklich attraktiv.
Besser hätte Dakota es gar nicht treffen können und die Tatsache, dass sie einen festen Freund hatte, hatte sie nicht nur beliebter in der Schule gemacht, sondern hinderte nun auch die meisten anderen der männlichen Population daran, ihr auf die Nerven zu gehen, also eine rein positive Sache.
„Hey, Baby", begrüßte Xavier sie mit einem schelmischen Grinsen, als Dakota mit ihrem Stundenplan in der Hand aus der Großen Halle trat, bereit, schon zu ihrer ersten Stunde zu gehen: Verwandlung. „Wohin des Weges? Frühstückst du nicht mit mir?"
„Ich muss schon weg – etwas mit Professor Malfoy vor der Stunde besprechen." Dakota rollte mit den Augen, als würde sie das stören und lachte nervös. „Tut mir leid, Schatz – vielleicht beim Mittagessen? Oder sehen wir uns vielleicht bei Zauberkunst?"
Zauberkunst – eines der vier Fächer, die Xavier bestanden hatte, wie Dakota wusste, immerhin war sie eine gute Freundin und interessierte sich für das Leben ihres Freundes.
„Du hast Verwandlung bestanden?", fragte Xavier mit einem spöttischen Ton, als könnte er es nicht fassen. Er riss Dakota ihren Stundenplan aus der Hand und Dakota bemühte sich, nicht so genervt auszusehen, wie sie sich im Moment fühlte – etwas, das sie eigentlich nur für Xavier tat, immerhin wurde er immer so schnell beleidigt und dann ging er ihr immer noch mehr auf die Nerven. „Was ist das für ein Stundenplan? Wie viele Fächer hast du bestanden?"
Dakota biss sich auf die Zunge, um nicht bissig zu antworten. „Alle, die ich belegt habe – zehn ZAGs und noch Alchemie."
„Da hast du ja kaum noch Zeit für mich", jammerte Xavier wie ein Kleinkind und sah Dakota mit einem Blick an, der wohl „schmollend" hätte sein sollen, aber er erinnerte Dakota eigentlich eher an diesen einen hässlichen Fisch, über den sich immer alle lustig machten.
„Was soll ich machen, Schatz? Ein paar Fächer einfach so lassen, obwohl ich sie bestanden habe?", fragte Dakota sarkastisch. Ein Fehler – Xavier war grundsätzlich resistent gegen Sarkasmus, aber Dakota war es so gewohnt, bissig oder sarkastisch zu antworten, dass sie immer vergaß, dass ihr Freund ein bisschen ein Idiot war.
„Das würdest du für mich tun?", fragte Xavier sie also und wollte wohl überwältigt klingen, grinste aber triumphierend, als wäre genau das sein Plan gewesen.
Nein. „Mal sehen." Vage Antworten waren immer gut – meistens vergaß er sowieso, was sie gesagt hatte, sobald sie außer Sichtweite war. „Aber ich muss jetzt wirklich zu Verwandlung – wir sehen uns."
Sie wollte an Xavier vorbei, aber dieser streckte seinen Arm aus und hielt sie so noch einmal zurück. Dakota schaute ihn nun doch ein wenig genervt an, sah aber, dass Xavier seine Lippen gespitzt hatte – bereit, für einen Abschiedskuss.
Dakota seufzte, lächelte aber zuckersüß und küsste ihn kurz auf die Lippen – selbst das reichte schon, um ihr zu sagen, dass er sich diesen Morgen noch nicht die Zähne geputzt hatte, wie immer – er bestand darauf, sie sich erst nach dem Frühstück zu putzen, aber erwartete sich trotzdem Küsse von Dakota.
Aber Dakota wollte sich nicht über solche Nichtigkeiten beschweren – das würde mehr Energie kosten, als es letztendlich bringen würde, nachdem Xavier sich nie etwas merken konnte, das nicht gerade mit ihm selbst zu tun hatte.
Beschwerden von Dakota wurden sofort an seine persönliche Mülldeponie weitergeleitet, die er wohl liebevoll „Gehirn" nannte. Wenigstens sah er gut aus und gehörte einer einflussreichen, reinblütigen Familie an.
Aber Dakota würde sich nicht schon an ihrem ersten Tag zurück in Hogwarts in ihrem nun schon sechsten Jahr die Laune von Xavier verderben lassen – dafür blieben ihm ja auch noch genügend andere Tage. Das sechste Jahr – die ZAG-Noten standen fest und endlich wurde es ernst, herausfordernd. Jedenfalls hoffte Dakota das, denn im Moment erschien ihr ihr Leben erdrückend monoton und sinnlos. Als wäre sie nur eine passive Figur in einer Tragödie, die einfach nur die Aufgabe hatte, hübsch daneben zu stehen, während ein Haufen Männer alles den Abfluss hinunterrinnen ließen.
Professor Malfoy war schon im Klassenzimmer für Verwandlung, als Dakota eintrat – aber nicht allein. Dort war nämlich die eine Person, von der Dakota gehofft hatte, sie nicht schon vor ihrer ersten Stunde zu sehen: die verrückte Katzenlady von Hogwarts – allgemein als Minerva Weasley bekannt.
Minerva Weasley sah in Dakotas Leben überhaupt nicht gut aus, denn sie schien die eine Person zu sein, die dazu bestimmt war, immer noch ein Stückchen besser zu sein als Dakota.
Dakota war die Vertrauensschülerin der Slytherins – Minerva die für Ravenclaw. Dakota war die beste Schülerin ihres Hauses – Minerva war ein Stückchen besser und hinderte Dakota daran, die Beste ihres Jahrgangs zu sein. Dakota bemühte sich, nächstes Jahr Schulsprecherin zu werden – Minerva hatte diese Chance scheinbar ebenfalls, ohne sich dafür zu bemühen.
Das war auch kein Wunder, immerhin war sie mit der halben Lehrerschaft verwandt und die anderen waren enge Freunde der Familie.
Es begann schon mit ihrem Namen: Minerva. Natürlich benannt nach Minerva McGonagall, der Schulleiterin von Hogwarts und eines war für Dakota klar: Wenn jemand ihr die Ehre erweisen und sein Kind nach ihr benennen würde, würde sie dieses Kind bevorzugen.
Dann natürlich noch Professor Lupin und Fuego – Professoren für Verteidigung gegen die Dunklen Künste und Zaubertränke, zwei Hauptfächer in Hogwarts und damit eher einflussreiche Professoren. Lupin war so etwas wie Minervas Großvater und Fuego wurde liebevoll von Minerva Tia Tia genannt – Tante Tia.
Auch Professor Malfoy war mit Minerva verwandt – der Cousin ihrer Mutter, die ihm wohl – wenn man den Gerüchten glauben wollte – aus einigen brenzligen Situationen geholfen hatte. Kein Wunder also, dass Minerva so gut in diesem Fach war.
Dazu kamen noch eine Menge anderer Verwandte – unter anderem der berühmte Harry Potter selbst, der ebenfalls ein angeheirateter Onkel von Minerva war – die ebenfalls sehr einflussreich in der Welt der Zauberer waren. Alles Helden des Krieges gegen Voldemort und seine Todesser.
Die Weasley-Familie zum Beispiel war weitreichend und zahlreich, was auch kein Wunder war, immerhin hatte es mit sieben Kinder begonnen und Minervas Eltern hatten selbst noch einmal sieben Kinder bekommen, die man alle an ihren lockigen, roten Haaren erkennen konnte, die diesen Zweig der Weasleys auszeichnete.
Kennzeichnend für diesen „Zweig" des Weasley-Stammbaums war auch noch, dass Dakotas Eltern sie ganz besonders hassten.
Die Weasleys waren grundsätzlich in den Augen ihrer Eltern ein Pack erbärmlicher Karnickel, die durch mehr Glück als Verstand zu ihrem Ruhm gekommen waren. In deren Jugend war der Name Weasley noch ein Synonym für arm und kümmerlich gewesen, aber seit dem Krieg war es für sie wohl nur noch bergauf gegangen und nun war der Name Weasley in jeder Sparte der Zaubererwelt bekannt und beliebt.
Fort war das Klischee von armen Weasleys und jeder einzelne Weasley kam mit neuen Umhängen und neuen Schulsachen zur Schule – egal, zu welchem der vielen Zweige dieser Weasley gehörte.
Aber trotzdem verblieben Dakotas Eltern lieber in der wohligen Sicherheit ihrer alten Vorurteile und beschwerten sich zu Hause regelmäßig über den Namen Weasley, verboten Dakota bei irgendeinem der Läden von einem Weasley einzukaufen und sie hatten sogar versucht durchzusetzen, dass Tia Fuego – eigentlich auch eine Weasley, die aber ihren Mädchennamen nach der Hochzeit behalten hatte – gekündigt wurde, wobei die Antwort von Professor McGonagall für Dakotas Geschmack sehr spöttisch geklungen hatte.
Sie hatten auch versucht, Professor Lupin kündigen zu lassen und hatten dafür im Sommer vor Dakotas erstem Jahr mehrere Briefe an den Tagespropheten geschickt, um die Debatte über Werwölfe an der Schule wieder anzufeuern – ohne Erfolg. Dakotas Eltern waren vielleicht halbwegs einflussreich in der Welt der Zauberer, aber nicht so sehr, wie die Familie Weasley und ihre Freunde.
Diese veraltete Phobie vor Werwölfen war auch der Grund, warum sie Dakota verboten hatten, irgendetwas mit einem dieser Weasleys – und Lupins, wenn sie schon einmal dabei waren, aber die Kinder von Professor Lupin waren nicht in Dakotas Jahrgang gewesen – zu tun zu haben.
Diese Mischung aus Werwolf und nicht-Werwolf war in den Augen von Dakotas Eltern einfach nur widernatürlich und sollte verboten werden.
Minervas Mutter war ein Werwolf und machte daraus auch kein Geheimnis. Sie besaß diese niedliche Bäckerei in der Winkelgasse, an der Dakota schon einmal vorbeigegangen war, ohne hineinzugehen – das hatten ihr ihre Eltern nicht erlaubt – die Vollmond-Bäckerei hieß. Ein klares Zeichen dafür, dass Agnes Weasley sich gegen dieses Tabu stellte und ganz offen mit ihrem Dasein als Werwolf lebte, worüber Dakotas Eltern überhaupt nicht begeistert gewesen waren und Dakota hatte sich einen ganzen Tag lang ihr Gekeifte anhören müssen.
Noch schlimmer war es geworden, als Dakota in den Sommerferien nach ihrem ersten Jahr erzählt hatte, dass sie beinahe die beste in ihrem Jahrgang war – nur Minerva Weasley war besser gewesen. Es war ein allgemeiner Fehler gewesen, ihren Eltern davon zu berichten, denn das hatte nur noch mehr Verantwortung auf den Schultern der kleinen Dakota Valentine auferlegt, als ihre Eltern ihr mehr oder weniger befohlen hatten, besser als Minerva Weasley zu werden.
Natürlich ohne Erfolg – das einzige, das Dakota niemals geschafft hatte. Und es hatte sie frustriert, ihr Angst gemacht und sie beschämt, wenn ihre Eltern sie immer ausgelacht hatten, weil sie schlechter war als eine Bestie.
Und das hatte letztendlich auch dazu geführt, dass Dakota Valentine Minerva Weasley verabscheute.
Für Dakota war Minerva Weasley an allem schuld, das in ihrem Leben schlecht war, ohne auch nur einmal ordentlich mit ihr gesprochen zu haben.
Minerva Weasley war einfach ein Stückchen intelligenter, ein Stückchen talentierter und ein Stückchen geschickter als Dakota.
Das einzige, von dem Dakota fand, dass sie Minerva Weasley übertrumpfte, war das Aussehen.
Minerva Weasley war eine intelligente Ravenclaw mit der Ästhetik eines naiven Hufflepuffs und dem Kleidungsstil eines kleinen Kindes.
Zugegeben, in Schuluniformen sah niemand außerordentlich elegant oder hübsch aus, aber selbst in Minerva Weasleys Freizeit zog sie sich einfach nur so lachhaft an, dass Dakota sich manchmal fragte, ob ihre Eltern ihr jemals gesagt hatten, dass sie keine Dreijährige mehr war.
Es waren immer sonnengelbe Kleider, grüne Latzhosen, erdfarbene Mom-Jeans, Blusen mit Blümchen und auch Blumenkronen in ihren roten Locken, die sie so kurz geschnitten hatte, dass sie nicht einmal ihre Schultern berührten – viel zu kurz, wenn es nach Dakota ging. Wenn Minerva Weasley sich ihre Locken glätten würde und sie länger wachsen lassen würde, dann würde sie vielleicht sogar normal aussehen – nicht direkt hübsch.
Und wenn Minerva Weasley ihre Sommersprossen in ihrem Gesicht einfach überschminken würde, wie Dakota es machte, würde sie auch nicht so kindlich aussehen.
Und dann sollte Minerva Weasley sich auch noch angewöhnen, häufiger ihre Kontaktlinsen zu tragen, statt immer ihre Brille.
Minervas ältere Brüder hatten – das konnte nicht einmal Dakota anzweifeln – einen wirklich exzellenten Kleidergeschmack gehabt und – obwohl Dakota das niemals laut zugeben würde – hatten Gwynn und Frey Weasley Dakotas eigenen Kleiderstil geprägt, also konnte sie einfach nicht verstehen, warum Minerva Weasley sich nicht ein Vorbild an den beiden nahm und sich nicht mehr so anzog, als wäre sie eine Mutter in ihrer Midlife-Crisis, die sich noch ein letztes Mal jung fühlen wollte und kläglich darin versagte.
Ganz zu schweigen von ihrer Farbwahl: Grün, Erdfarben, Rostrot, Gelb – das war die Farbpalette, die Minerva nur zu kennen schien und Dakota fand es schauderhaft. Vielleicht nicht direkt ein schönes Rosa, aber vielleicht ein elegantes Blau würde viel besser zu Minerva passen als diese Farben, die Dakota einfach nur verabscheute.
Aber Dakota hatte das noch nie zu Minerva Weasley gesagt – sie gab ihrer größten Feindin doch keine Tipps!
Minerva Weasley war nur ein Stückchen größer als Dakota und Dakota hatte das schon früh in ihrer Schullaufbahn ausgleichen wollen und hatte ein Experiment gestartet: Wie hoch konnten ihre Schuhe sein, bevor ein Professor ihr sagte, dass diese nicht geeignet für die Schule waren.
Sie hatte sich also mit fünf zusätzlichen Zentimetern begnügen müssen und Minerva Weasley war trotzdem noch einen Hauch größer, obwohl sie immer nur irgendwelche Ballerinas trug.
„Guten Morgen, Miss Valentine", begrüßte Professor Draco Malfoy sie höflich – einer der Hasslehrer von Dakota einfach nur aus dem Grund, dass sie sein Fach nicht so gut konnte, wie alle anderen.
„Guten Morgen", begrüßte Dakota ihn mit einem eindeutig falschen Lächeln zurück, „Ich wollte noch mit Ihnen etwas besprechen, Professor. Wegen meiner ZAG-Note."
„Stimmt etwas damit nicht?", fragte er sie kritisch und blätterte in seinen Unterlagen auf seinem Schreibtisch herum.
„Natürlich stimmt etwas damit nicht – ich will mich verbessern", bemerkte Dakota ehrgeizig.
„Sie haben die Erwartungen übertroffen, Miss Valentine – Sie haben sich zu diesem Fach auf ZAG-Level qualifiziert", zählte Professor Malfoy auf, „Was wollen Sie mehr?"
„Ich will natürlich ein Ohnegleichen!", bestimmte Dakota ernst, „Gibt es vielleicht irgendwelche Übungen, Bücher, Techniken oder Tricks, die ich noch lernen kann, Professor?"
„Nicht mehr, als Sie die letzten Jahre schon gelernt haben", gestand Professor Malfoy, „Ich weiß nicht, was ich Ihnen noch beibringen könnte, Miss Valentine."
Dann haben Sie als Professor versagt. Dakota lächelte falsch und nickte. „Natürlich. Ich verstehe. Trotzdem danke, Professor. Ich werde mich einfach noch mehr bemühen."
Dakota drehte sich elegant um und setzte sich auf einen Platz in der ersten Reihe, um von nichts und niemanden abgelenkt zu werden. Aus ihrer Tasche holte sie ihr Verwandlungsbuch heraus und schlug es auf. Natürlich hatte sie es im Sommer schon genauestens gelesen. Und noch einmal. Und dann noch ein drittes Mal, aber nur die Parts, bei denen sie das Gefühl gehabt hatte, dass sie sie nicht vollkommen verinnerlicht gehabt hatte, obwohl sie vermutlich schon nach dem ersten Mal jede Lektion hätte auswendig aufsagen können.
Dakota blätterte auf die letzte Seite – dort, wo die Autorin des Buches ihre eigenen Quellen verzeichnet hatte. Dakota hatte die Quellen, die sie selbst schon gelesen hatte mit einem rosafarbenen Stift gekennzeichnet. Es fehlten nicht mehr viele und die gesamte Seite wäre rosarot, aber trotzdem konnte sie sich noch immer nicht erklären, warum sie nur ein Erwartungen übertroffen bekommen hatte. Sie hatte bei der Prüfung wirklich gedacht, sie hätte sich ein Ohnegleichen verdient. Aber wie ihr Vater einmal gesagt hatte, sollte man sich nicht zu sehr auf Gefühle verlassen.
Minerva Weasley unterhielt sich leise mit Professor Malfoy und sie besprachen wohl etwas aus einem Buch, wie Dakota vermutete, nachdem Weasley und Malfoy über eines gebeugt waren und immer wieder auf einzelne Zeilen deuteten, wie Dakota sah, wenn sie einen Blick auf sie warf.
Es war schwieriger, sich zu konzentrieren, während die beiden über etwas sprachen, aber Dakota nicht wusste, worüber genau. Sie fragte sich, ob das ein Buch war, das sie noch nicht gelesen hatte – hatte Professor Malfoy ihr das vielleicht absichtlich verheimlicht?
Weasley hatte bestimmt ein Ohnegleichen bekommen, da war Dakota sich sicher. Weasley war in Verwandlung schon immer besser gewesen als Dakota und bestimmt hatte sie dieses Fach mit derselben Leichtigkeit bestanden, wie sie alles andere im Leben bestand.
Manchmal hatte Dakota das Gefühl, sie bemühte sich für Dinge, die Weasley einfach geschenkt wurden – wegen ihrer Eltern, ihrer Familie, deren Freunde, ihren Bekanntschaften und Beziehungen.
Wütend biss Dakota die Zähne zusammen und blickte auf ihre silbern lackierten Fingernägel, um nicht weiter auf Weasley zu starren mit ihren dämlichen roten Locken und ihren Sommersprossen und ihrer unordentlichen Schuluniform und der Leichtigkeit, die sie umgab.
Langsam trudelten weitere Schüler in den Klassenraum und die Plätze füllten sich.
Weasley nahm das Buch, das sie mit Professor Malfoy besprochen hatte und packte es in ihre alte, gebrauchte Kuriertasche, vor der Dakota sich regelrecht ekelte, so schrecklich sah sie aus – aber wenigstens passte sie zu Weasley.
Dann ging sie zurück in die letzte Reihe der Klasse zu ihren Freunden, wie Dakota wusste – unter ihnen war auch Louis Weasley, ein Junge, der offen schwul war, wie so ziemlich jeder in Hogwarts wusste. Er versteckte es auch nicht wirklich, wie Dakota fand.
Die Art wie er ging, sprach, sich benahm – selbst sein Lachen klang genau so, wie man es sich vorstellte, als wäre er ein wandelndes Klischee. Nicht jeder in Hogwarts akzeptierte das – jedenfalls nicht viele aus Slytherin, wie Dakota wusste, und die meisten in ihrem Jahrgang hatten sich bei einigen Professoren darüber beschwert, dass sie sich mit Louis nicht wohl fühlten. Ihre Sorgen waren einfach ignoriert worden und Dakota hatte sich tagelang das Gejammern anhören dürfen, es war wirklich nervtötend gewesen.
Auch jetzt lachte Louis laut und übertrieben, wie Dakota fand. Wie witzig konnte Weasley schon sein, dass man so über etwas lachte, das sie sagte? Dakota hatte noch nie in ihrem Leben so lachen müssen.
Der Platz neben Dakota blieb leer, aber das wunderte sie nicht. Sie war beliebt und angesehen unter den Slytherins und einige von ihnen hatten ihre ZAGs bestanden und saßen mit ihr im Klassenzimmer, aber die Person, die in Verwandlung neben ihr sitzen würde kam erst einige Minuten nach dem Klingeln in die Klasse.
„Sorry, Professor!", kicherte Feli – kurz für Felicity – Selwyn. Feli war groß mit dunkelblonden Haaren, die sie immer in einer Frisur ähnlich der von Dakota schnitt, mit dem Unterschied, dass es bei ihr nicht so gut aussah. Sie trug auch einen ähnlichen Kleidungsstil, mochte ähnliche Dinge, hatte dieselben Leidenschaften und schien immer wie eine schlechte Kopie von Dakota neben ihr zu existieren. Dakota störte das aber nicht – Feli war so immer das Abbild von ihr selbst, aber in schlecht und so hatte sie immer im Blick, wie andere sie sahen – aber besser.
Professor Malfoy seufzte nur müde. „Setzen Sie sich einfach, Miss Selwyn."
„Aber gerne doch, Professor", sagte Feli und ging extra langsam zu ihrem Platz neben Dakota. So war Feli eben – nervig, laut, schrill, anhänglich und einfach nur dumm, aber trotzdem war sie wahrscheinlich so etwas wie Dakotas beste Freundin.
Dakota wusste selbst nicht, warum Feli ihre beste Freundin sein sollte, immerhin hasste sie jeden Moment in ihrer Nähe, aber Felis Eltern und ihre waren gut befreundet, also kannten sie sich schon seit sie Babys waren und deswegen waren sie wohl auch beste Freundinnen. Sie waren im ersten Jahr zusammen nach Hogwarts gefahren – nachdem Feli nicht von ihrer Seite gewichen war und immer anhänglich an ihrem Pullover gezerrt hatte, sodass dessen Ärmel am Abend vollkommen ausgeleiert gewesen war – waren zusammen nach Slytherin gekommen, teilten sich nun auch einen Schlafsaal und ihre Betten lagen nebeneinander, hatten die letzten paar Jahre auch die meisten Stunden zusammen verbracht und man fand sie häufig zusammen, wenn Dakota nicht gerade gezwungen war, Zeit mit ihrem Freund Xavier zu verbringen.
Wahrscheinlich war das die Definition für eine beste Freundin.
Im Moment wollte Dakota einfach nur, dass sich Feli hinsetzte und die Klappe hielt, denn jedes Wort, jedes Gelächter, jeder Ton – selbst ihr Atmen – war so nervtötend laut und unerträglich nervig, Dakota hatte jedes Mal das Bedürfnis, sich selbst oder Feli umzubringen.
Aber Feli fand wohl nicht, dass sie den stummen Wünschen ihrer besten Freundin nachkommen sollte und sie ging langsam zu ihrem Stuhl, stellte ihre Tasche etwas zu laut neben dem Tisch ab, schob ihren Stuhl quietschend heraus – sodass Dakota zusammenzuckte von dem schrillen Geräusch – und sich dann auf ihren Platz fallenließ. Dann schob sie den Stuhl ebenso quietschend wieder an den Tisch heran – einmal, zweimal, dreimal.
Dakota umklammerte ihre Schreibfeder so fest, dass diese beinahe zerbrach, aber dann atmete sie tief durch. Feli war ihre beste Freundin und konnte nichts dafür, dass sie die Intelligenz eines Hornochsen besaß.
„Hey, Dakota", wisperte Feli ihr zu – etwas zu laut und nachdem sie in der ersten Reihe saßen, hörte Professor Malfoy sie wohl und warf ihnen einen genervten Blick zu, fuhr aber – vorerst – mit seinem Vortrag über die Themengebiete in ihrem sechsten Jahr fort.
Dakota nickte nur stumm in Felis Richtung und versuchte sich auf Malfoy zu konzentrieren, was mit Feli neben sich gar nicht so einfach war. Sie tappte mit ihren langen Fingernägeln auf den Tisch – sie hatte sie silbern lackiert. Gestern waren sie noch blau gewesen, aber dann hatte sie wohl gesehen, dass Dakota in letzter Zeit am liebsten den silbernen Nagellack trug. Außerdem roch Dakota ihr Parfüm schon von weitem – es war ein neues, das sie von ihrem derzeitigen Freund geschenkt bekommen hatte, Mars Carrow. Es war wohl ein Mandel-Geruch, aber Dakota erinnerte er an den Geruch von Blausäure. Sie hatte sich einmal überlegt, ob das Parfüm eigentlich Cyanid war und Carrow sie nur langsam vergiften wollte, aber als sie Professor Fuego einmal danach gefragt hatte, hatte die Professorin ihr – ein wenig zu heiter – erklärt, dass das sehr unwahrscheinlich war, nachdem Cyanid etwas zu giftig dafür wäre.
„Dakota?", wisperte Feli leise. Dakota ignorierte sie. „Dakota? Dakota? Dakota? Daki?"
„Nenn mich nicht so", zischte Dakota, ohne in Felis Richtung zu blicken – sie hasste diesen Spitznamen.
„Dakota, ich hab mit Xavier gesprochen", wisperte Feli und ignorierte dabei einfach, dass Dakota lieber der Stunde folgen würde, als Feli zuzuhören. Eigentlich hätte sie sogar lieber mit Minerva Weasley gesprochen, als Feli zuzuhören. Oder Filch beim Putzen im Schloss geholfen. Oder Xavier mit Mundgeruch geküsst. Eigentlich hätte sie so ziemlich alles lieber gemacht, als Feli zuzuhören, aber Feli interessierte das nicht und sprach einfach weiter und Dakota musste regelrecht zuhören, nachdem sie zu nahe saß, um sie einfach auszublenden und Feli hatte eine Art von Stimme, die man einfach nicht ausblenden konnte.
Dakota versuchte es also weiter mit ignorieren, aber genauso, wie Xavier gegen Sarkasmus resistent war, war Feli gegen abweisendes Verhalten immun, was dazu führte, dass sie sich regelmäßig selbst in Unterhaltungen, Treffen oder sogar Partys einlud, bei denen sie gar nicht willkommen war.
„Stimmt es, dass du Verwandlung aufhörst, damit du mehr Zeit mit ihm verbringen kannst?", fragte Dakota und in diesem Moment fiel etwas mit einem lauten Klirren herunter und alle blickten zeitgleich zurück.
Minerva Weasley war wohl ein Tintenfass heruntergefallen und mit hochrotem Kopf und dem Zauberstab in der Hand putzte sie die ausgelaufene Tinte mit einem Zauber auf. „Entschuldigen Sie, Professor", brachte Weasley irgendwie heraus und Louis Weasley, der neben ihr saß, schien sich sehr zu bemühen, nicht loszulachen. Minerva warf ihm einen bösen Blick zu, aber Dakota verstand das Chaos nicht.
Sie wünschte sich nur endlich zuhören zu können, ohne Unterbrechungen von Feli oder Weasleys.
„Reden wir beim Essen darüber?", fragte Dakota mit zuckersüßer Stimme an Feli gewandt – es war die Art von Stimme, die Dakota benutzte, wenn sie den Anschein erwecken wollte, dass etwas zu privat war, um darüber in der Öffentlichkeit zu sprechen, obwohl sie eigentlich nur wollte, dass Feli endlich die Klappe hielt.
Feli öffnete überrascht den Mund und erinnerte Dakota dabei an einen toten Karpfen, bevor sie schrill kicherte und nickte.
Dakota lächelte gepresst und konnte sich dann endlich wieder auf Professor Malfoy konzentrieren, ohne weitere Unterbrechungen.
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