Red eyes tell the truth

>> Sie ist stark. <<

>> Ja, Meister. Das ist sie. <<

>> Hast du es gesehen? <<

>> Nein, Meister. <<

>> Du weißt was ich meine. Oder? <<

>> Ihr meint das M...<<

>> Sprich es nicht aus. Aber ja, genau das meine ich...egal. Wir wissen jetzt sicher, dass sie es ist.<<

>> Ja, Meister.<<

>> Du kannst nun gehen. <<

>> Gestattet Ihr mir davor eine Frage, Meister? <<

>> Ja, mein Kind. Frag. <<

>> Was denkt ihr, wird sie tun, wenn sie alles erfährt? <<

>> Ich bin nur dein und der Meister unseres Volkes. Ich kann nicht bestimmen was sie tut, Kind. Ich kann dir nichts dazu sagen. Sie war schon immer ein Rätsel. <<

>> Ja, Meister Ihr habt recht. <<

>> Du solltest das doch am besten wissen. Nicht wahr? <<

...

>> Du schweigst, Kind? Nun. Schweigen ist eine andere Art zu antworten. Nun geh. Du musst vor ihm bei ihr sein. <<

>> Jawohl, Meister. <<

Als ich meine Augen öffnete, war alles um mich herum dunkel. Ich spürte etwas Weiches unter mir. Als ich darüber strich merkte ich, dass es eine Decke war. Ich richtete mich langsam auf und konzentrierte mich darauf meinen Blick zu schärfen. Als ich meine Augen rieb verstand ich, dass ich in meinem Zimmer auf meinem Bett lag. Ich sah alles haargenau. Die Konturen meines Schranks, meiner Lampe, meines Spiegels. Um ehrlich zu sein, sah ich alles besser als je zuvor in der Dunkelheit. Noch schärfer und noch genauer. Ich sah sogar die Drähte die in der Glühbirne meiner Lampe waren. Ich stand auf und merkte, dass ich eine enge Hose anhatte, weshalb ich an mir herunter sah und bemerkte, dass ich mich nicht umgezogen hatte als ich nach Hause gekommen war.

Moment!, rief ich in Gedanken. Ich bin gar nicht nach Hause gekommen. Ich war mit Jack im Auto und..., schlagartig fiel mir alles wieder ein. Das Summen in meinem Kopf, die Stimme, Bryan, mein Traum von vorhin.

Wie bin ich nach Hause gekommen?, fragte ich mich verwirrt und sah mich unnötigerweise in meinem Zimmer um. Mein Blick fiel auf die Uhr, die auf meinem Nachttisch stand. Es war genau sieben Uhr fünfzehn am Morgen. Genau die Uhrzeit um die mich mein Handy weckte, aber wo war es überhaupt? Ich warf meine Bettdecke auf den Boden und durchwühlte alles was ich in die Finger bekam. Meine Tasche von gestern Nacht lag auf dem Boden, weshalb ich ihn aufhob und auch ihn durchsuchte. Wo ist das verdammte Ding? , dachte ich mir hysterisch. Da waren alle Nummern meiner Verwandten und Bekannten drauf. Ich durfte mein Handy nicht verlieren! Auf keinen Fall!

Ich suchte eine Zeit lang noch weiter, bis ich schließlich irgendwann aufgab und beschloss diese ungemütliche Hose erst mal auszuziehen, bevor ich weitersuchte. Als ich meine Hose auszog, hörte ich etwas Hartes auf den Boden knallen. Ich beugte mich vor und hob meine Hose wieder auf. Mein Handy! Es war die ganze Zeit in meiner Hosentasche gewesen.

Ich hob es auf und sah mir die fielen Kratzer darauf an, die im Laufe der Jahre entstanden waren. Ich bemerkte, dass mein Handy ausgeschaltet war, aber ich hatte es ganz sicher nicht ausgeschaltet.

Den Akku hab ich gestern voll aufgeladen und ich kann mich nicht erinnern, dass ich es gestern später ausgeschaltet habe...

Ich schaltete es an und wartete bis der Bildschirm hell aufleuchtete. Ich hatte fünf Anrufe in Abwesenheit und sie waren alle von unterdrückten Nummern. Gott! Wie ich anonyme Anrufe hasste!

Gerade als ich mein Handy auf das Bett schmeißen wollte, um dann meine Jogginghose anzuziehen, klopfte plötzlich jemand an der Tür.

>> Kim? Kim! Du kommst zu spät zur Schule! <<, rief meine Mutter durch die Tür.

>> Ich habe heute keine Schule! <<, rief ich zurück und zog dabei meine Jogginghose an.

Plötzlich flog die Tür auf und meine Mutter stolperte herein.

>> Oh sorry Kim. Ich bin aus Versehen... <<, fing meine Mutter gerade an sich zu entschuldigen, als sie dann jedoch verstummte und mich mit großen Augen ansah.

Ich sah sie verwirrt an. >> Was ist los Mom? <<, fragte ich irritiert, aber sie reagierte nicht darauf. Also hob ich meine Hand und winkte vor ihren Augen hin und her. >> Mom? <<

Sie zuckte plötzlich zusammen und ging rasch einen Schritt zurück.

>> Ach du heilige... <<, stotterte sie. Jetzt drückte sie sich mit dem Rücken an die Wand, als hätte sie Angst vor mir. >> Mom was ist los? Siehst du grad' einen Geist oder was? <<, fragte ich ungeduldig und ging auf sie zu. Sie schrie kurz auf und rannte dann aus meinem Zimmer. Ich hatte keine Ahnung was mit ihr los war. Offensichtlich hatte ich ihr Angst eingejagt. Hatte ich was im Gesicht? Und wenn schon? Es war zu dunkel in meinem Zimmer als das man es hätte erkennen können. Trotzdem schlenderte ich, um sicherzugehen, zu meinem Spiegel um mir mein Gesicht anzuschauen.

>> Ach du heilige Scheiße... <<, flüsterte ich meinem Spiegelbild zu. Ich ging näher heran und berührte mit meinen Fingern das Spiegelbild meiner Augen. Sie hatten komplett die Farbe von einem dunklen Kirschrot angenommen und glühten förmlich, wie die Lava eines Vulkans. Das helle blau in meinen Augen war fast völlig verschwunden. Nur ein Hauch davon war übrig geblieben und umrahmte meine Pupille. Ich sah aus wie ein Monster mit glühenden Augen. Ich konnte es selbst kaum fassen.

Was ist das?, fragte ich mich schockiert und betatschte dabei meine Augen. Kein Wunder, dass ich meine Mutter höllisch erschreckt hatte. Ich musste mir zuerst eine Ausrede überlegen, bevor ich mich weiter mit meinen Höllenaugen befasste. Ich sah mein Spiegelbild nochmal kurz an, bevor ich aus meinem Zimmer stürmte und nach meiner Mutter rief. >> Mom?! <<

>> Bleib ja draußen! <<, hörte ich sie rufen. Was war bloß in sie gefahren?

Ohne auf sie zu hören, drückte ich die Klinke herunter und betrat ihr Schlafzimmer.

>> Bleib weg von mir! Oh mein Gott! <<, rief sie und verdeckte dabei ihr Gesicht. Sie rollte sich auf den Boden und versuchte sich unter dem Bett zu verstecken.

>> Mom! <<, rief ich streng. Jetzt hörte sie wenigstens auf zu heulen. >> Das sind nur Kontaktlinsen. <<

>> Was? <<, hörte ich sie leise fragen. >> Kontaktlinsen? <<, wiederholte sie diesmal mit einer stärkeren Stimme.

>> Ja, Mom. Es sind nur Kontaktlinsen. Weißt du wie sehr du mich erschreckt hast mit deiner Reaktion? <<, log ich. Jetzt rappelte sie sich auf und nahm ihre Hände von ihrem Gesicht. Sie musterte mich skeptisch. Dann fing sie plötzlich an zu lachen. Ich sah sie verwirrt an und versuchte zu grinsen, doch es gelang mir leider nicht ganz.

>> Du meine Güte! Du hast mir so einen Schrecken eingejagt! Bin ich aber glücklich, dass es nur Kontaktlinsen sind.<<, sagte sie erleichtert und atmete tief aus.

>> Ja. Nur Kontaktlinsen <<, beteuerte ich. Was wenn sie von mir verlangt die Kontaktlinsen abzulegen, damit ich es ihr wirklich beweise? Dann muss ich wohl oder übel mit ihr streiten, dass ich das nicht will.

Sie kam auf mich zu und berührte mit ihrem Zeigefinger leicht mein Augenlid.

>> Gut dass du sie abgelegt hast. Die waren nämlich echt gruselig. <<, murmelte sie plötzlich und ging dann wieder einen Schritt zurück. >> Also ich muss jetzt zur Arbeit. <<

>> Was abgelegt Mom? <<, fragte ich verwirrt und hob dabei eine Augenbraue.

>> Na die roten Kontaktlinsen. Worüber sprechen wir hier denn die ganze Zeit? <<

>> Oh, ähm ja. <<, murmelte ich immer noch verwirrt und wollte mich einfach nur noch vor den Spiegel stellen, um zu sehen was sie meinte.

>> Naja, zugegeben siehst du mit den Dingern aber auch ziemlich sexy aus. So 'ne Art Mischung aus mysteriös, gefährlich und wunderschön. Aber trag sie lieber trotzdem nicht mehr. Ich muss jetzt los. Wir sehen uns dann. <<

Ich freute mich irgendwie über ihr Kompliment, aber ich hatte jetzt wichtigeres im Kopf. Ich wollte nichts anderes als wieder in mein Zimmer zu stürmen und mir meine Augen anzusehen, aber vorher musste ich noch was wissen.

>> Mom? Halt, warte mal kurz bitte! <<, rief ich ihr hinterher und holte sie ein bevor sie hinaus ging.

>> Beeil dich aber, ich komme sonst noch zu spät. <<, erwiderte sie jetzt etwas mehr wie sie selbst und sah dabei auf ihre Uhr.

>> Weißt du vielleicht wann ich gestern nach Hause gekommen bin? <<, fragte ich sie hoffnungsvoll.

>> Keine Ahnung. Ich bin garantiert später als du nach Hause gekommen. <<, antwortete sie und sah immer wieder auf ihre Uhr.

>> Okay. Na gut. Ich will dich nicht länger aufhalten. <<, sagte ich dann und ging hastig die Treppen hoch. Als ich die Haustür ins Schloss fallen hörte, schloss ich meine Zimmertür sicherheitshalber ab und machte das Licht an.

>> What the... <<, flüsterte ich und trat so dicht an den Spiegel, dass ich ihn mit meiner Nase berührte. Meine Augen hatten wieder ihre normale Farbe angenommen und glühten auch nicht mehr so gruselig. Das hatte sie also damit gemeint, dass ich die „Kontaktlinsen" abgelegt hatte.

Wie hatten gestern Nacht meine Augen wohl ausgesehen? Jack hätte doch bestimmt....Jack! Jack! Ich muss ihn sofort erreichen! Verdammt! Scheiße ausgerechnet heute ist keine Schule. Und seine Nummer habe ich auch nicht, aber die Klassenliste...steht da denn seine Nummer drauf?

Schnell hastete ich zu meiner Schultasche und holte meinen Ordner heraus. Ich blätterte alles durch, bis ich das Blatt fand auf dem alle Hausnummern von unseren Mitschülern draufstanden.

Jack, Jack, Jack, wiederholte ich innerlich seinen Namen und fand schließlich was ich suchte. Als ich schnell herunter rannte um das Haustelefon zu holen bemerkte ich, dass Jack seine Nummer nicht angegeben hatte. Noch nicht mal seine E-Mailadresse.

Verdammt!, dachte ich mir wütend und schmiss das Blatt in irgendeine Ecke meines Zimmers. Ich lief auf und ab wie ein wütender Tiger und fragte mich was vor sich ging. Was war das mit meinen Augen? Wusste denn niemand etwas darüber? Als ich mir die Augen rieb merkte ich, dass ich mein Gesicht noch gar nicht gewaschen hatte und ging deshalb ins Badezimmer. Ich schloss die Tür ab und wollte gerade das Licht anmachen, als ich im Spiegel wieder etwas Rotes aufblitzen sah.

Schockiert blieb ich stehen und bewegte mich einige Sekunden lang nicht. Dann trat ich vor den Spiegel.

Meine Iris hatte wieder die Farbe von einem dunklen Kirschrot angenommen und glühte mir entgegen. Es war fast so als würden gleich Feuerfunken aus meinen Augen sprühen. Ich spürte wie meine Hand zitterte als ich wieder mein Gesicht berührte. Als ich näher an den Spiegel heran trat, sah ich mir tief in die Augen. Ich wusste nicht ob ich es mir einbildete oder ob es wahr war, aber ich sah ganz genau wie das helle Blau, das meine Pupille umrahmte, sich löste und wie ein seidiger Faden in den tiefen dunkeln Kirschrot tauchte und sich wie eine leichte Feder darin bewegte. Dann löste sich ein roter Faden, dessen Ende schwarz war und umschlang das helle Blau. Zusammen bildeten sie einen Kreis und umzingelten wieder meine Pupille als hätten sie sich nie bewegt. Es sah so aus als würden die Farben in meiner Iris schwimmen und sich ständig bewegen, so als wären sie lebendig und nicht bloß Farben. Je länger ich meine Augen anstarrte, desto endloser kamen mir die Sekunden vor die währenddessen verstrichen. Doch plötzlich bescherte mir ein kalter Windhauch eine Gänsehaut und erreichte somit, dass ich meinen Blick von meinen Augen löste. Naja, es war mir wahrscheinlich so vorgekommen wie ein kalter Windhauch. Denn weder das Badezimmerfenster, noch die Tür waren geöffnet. Ich schüttelte mich vor der plötzlichen Kälte und schaltete das Licht an, während ich weiterhin mein Spiegelbild betrachtete.

Als das Licht anging, zog sich das Rot in meinen Augen plötzlich zurück und machte dem hellen Blau und dem Braun in meinen Augen Platz. Erleichtert und fasziniert davon, lächelte ich mich im Spiegel leicht an und machte dann wieder das Licht aus.

Schlagartig kam das Rot zurück und fing wieder an zu glühen.

>> Verdammt geile Scheiße. <<, flüsterte ich lachend und machte das Licht wieder an. Meine Mutter hatte recht gehabt mit ihrem Kompliment. Mit roten Augen sah ich wirklich gefährlich und mysteriös aus. Den Teil mit sexy konnte ich leider nicht beurteilen.

Plötzlich fiel mir aber etwas ein das meine gute Laune senkte. Wie soll ich nachts je wieder raus, wenn ich solche Augen habe?

Ich fragte mich wirklich, ob Jack mich gestern mit diesen Augen oder mit meinen normalen Augen gesehen hatte. Verdammt, ich musste ihn unbedingt erreichen! Ich konnte mich weder daran erinnern wie ich gestern Nacht mein Zimmer betreten hatte, noch wie ich überhaupt nach Hause gekommen war.

Plötzlich ergriff mich innere Kälte und ließ mich auf die Knie sinken. Ich wusste nicht warum, aber mir fiel mein heutiger Traum wieder ein, was mich überraschte. Denn schon seit langem konnte ich mich nicht an meine Träume erinnern. Genauer gesagt seitdem ich hierher gezogen war. Abgesehen vom letzten Mal. Zu meinem Bedauern
wusste ich nur noch, dass sich zwei Leute unterhalten hatten und das Letzte was sie gesagt hatten war:

>> Du musst vor ihm bei ihr sein. <<

>> Jawohl, Meister. <<

Den Jungen hatte ich leider nicht gesehen, doch trotzdem war er mir irgendwie bekannt vorgekommen. Seinen Meister kenne ich doch bereits irgendwoher oder?, fragte ich mich und versuchte mich zu erinnern. Doch schon nach einigen Sekunden wurde ich durch ein lautes Summen unterbrochen. Ich rappelte mich auf und ging in mein Zimmer. Mir wurde klar, dass es mein Handy war, doch ich sah es leider nirgends.

Ich hatte es doch auf mein Bett geschmissen und es war dann wieder runtergefallen, erinnerte ich mich und hastete zu meinem Bett. Es lag neben meinem Bett auf dem Boden, also hob ich es hoch und ging ran.

>> Hallo? << Ich wollte unbedingt wissen wer es war, da es wieder eine unterdrückte Nummer war. Ein Rascheln war am anderen Ende der Leitung zu hören, bevor derjenige etwas sagte.

>> Kim. <<, hörte ich eine männliche Stimme sagen. Es hörte sich so an als wäre der Typ etwas weiter entfernt vom Telefon.

>> Äh..ja? <<, antwortete ich misstrauisch und versuchte zu erraten wer es war.

>> Du bist wahrscheinlich auch zu dem Entschluss gekommen, dass wir uns treffen sollten. Da ich weiß wo du wohnst, komme ich zu dir. <<, sagte der Typ ernst.

Ernst. Na klar! Es ist Jack! Wieso habe ich ihn nicht gleich erkannt?!

Trotzdem tat ich so als würde ich nicht wissen wer er war und fragte wer da überhaupt dran sei.

Würde Jack jetzt vor mir sitzen, würde ich es genießen ihm dabei zuzusehen wie er mich ungläubig anstarrte. Denn genauso stellte ich ihn mir gerade vor, aber...

>> Keine Zeit für solche Spielchen Mikelson. Du weißt wer ich bin. Also, ich komme jetzt vorbei. <<

Bei dem Jungen wusste man leider nie wie er reagieren würde.

>> Tja, das geht jetzt nicht. <<, entgegnete ich gelassen. Natürlich wollte ich, dass er herkam um mir einiges zu erklären, aber auch wenn es kindisch von mir war, ich wollte ihm genauso gelassen und teilnahmslos entgegen kommen wie er mir gegenüber immer war.

>> Wie.? Das... Kim! Das glaub ich dir nicht. <<, sagte Jack ernst. Es war so als würde ich seinen strengen Blick durch das Telefon hindurch spüren. Ich grinste breit, aber ließ es mir nicht anmerken. >> Ja, sorry, aber du hast mich nicht mal gefragt ob du überhaupt kommen darfst. Denkst du das ist ein Hotel? Immer schön rein und raus spazieren wie es einem passt? <<, konterte ich. Plötzlich wurde es still am anderen Ende der Leitung, sodass ich mich fragte ob Jack noch dran war.

>> Jack? <<, fragte ich deshalb sicherheitshalber, doch es kam keine Antwort. Dann hörte ich wie es an der Tür klingelte.

>> Jack, es klingelt grad' an der Tür. Warte mal kurz. <<, informierte ich ihn bevor ich herunter ging um die Tür zu öffnen.

>> Keine Sorge, ich habe nicht lange gewartet. <<, sagte Jack als ich die Tür öffnete und er vor mir stand. Ich starrte ihn verwundert an. >> W-was...machst du hier? <<, fragte ich ihn schließlich.

>> Naja. Ich stehe hier gerade rum. Und du? <<

>> Hör auf mit dem Blödsinn. Was machst du hier? <<

>> Kim. Du kannst mir nichts vormachen. Ich weiß, dass du mit mir reden willst. Also bin ich gekommen. <<, antwortete er ernst.

Ich sah ihn nur ein wenig genervt an, weil er mich durchschaut hatte und gab ihm dann ein Zeichen hereinzukommen.

>> Weißt du was heute Morgen mein erster sinnvoller Gedanke war? <<, fragte ich ihn als ich die Tür hinter ihm schloss.

Er sah mich fragend an.

>> Wie ich überhaupt nach Hause gekommen bin. Vor allem in mein Zimmer. <<, sagte ich dann und sah ihn dabei vorwurfsvoll an.

>> Findest du es etwa schlecht, dass ich dich gestern Nacht nach Hause gebracht habe? <<

>> Nein...das nicht. Aber ich frage mich wie du ins Haus hereingekommen bist. <<, antwortete ich und hob dabei meine rechte Augenbraue.

>> Na du hattest die Schlüssel in deiner Handtasche. <<, antwortete er gelassen.

>> Du hast in meiner Tasche herumgewühlt? <<, fragte ich ihn schockiert. Naja...eigentlich war es mir ziemlich egal, ob er darin herumgewühlt hatte. Ich suchte nur einen Grund um ihn irgendwie fertig zu machen. Keine Ahnung warum, aber ich war ein wenig sauer auf ihn.

>> Macht es dir wirklich so viel aus? <<, antwortete er mit einer Gegenfrage.

Verdammt! Und schon wieder hatte er mich durchschaut.

>> Nein eigentlich nicht. Mich stört es nur, dass du mich so leicht durchschauen kannst. <<

>> Dich so leicht durchschauen? <<, fragte er stirnrunzelnd. >> Um ehrlich zu sein finde ich es nicht so leicht, wie du denkst. Nur weil ich jetzt ungefähr weiß wie du tickst, naja eigentlich rate ich die meiste Zeit über. <<

>> Dann rätst du aber gut was mich betrifft. <<, sagte ich und ging Richtung Wohnzimmer.

Ich sah aus dem Augenwinkel, dass er das Haus meiner Mutter genauestens betrachtete. Als wir schließlich vor der schusssicheren Tür standen, die uns vom Wohnzimmer trennte, runzelte er die Stirn.

>> Wozu braucht ihr eine schusssichere Glastür? <<, fragte er.

>> Nicht ich. Meine Mutter. <<, antwortete ich trocken und schob die Tür zur Seite. >> Woher weißt du eigentlich, dass sie schusssicher ist? <<

>> Kenne mich da ein wenig aus. <<, erklärte er gelassen. >> Jetzt fehlt nur noch so ein Augen- und Handscanner. Dann ist euer Wohnzimmer bestens gesichert. <<

>> Sehr witzig. <<, erwiderte ich unfreundlich, obwohl ich es wirklich witzig fand.

>> Das war kein Witz. <<, entgegnete er und folgte mir ins Wohnzimmer, während ich auf den Tisch zusteuerte.

>> Möchtest du etwas trinken? <<, fragte ich Jack höflich.

>> Nein, danke. <<

Ich drehte mich zu ihm um. >> Okay. Wie du willst. Lass uns gleich beginnen. <<

>> Womit beginnen? <<

>> Mit dem gestrigen Vorfall. <<, antwortete ich gelassen.

>> Hm. Ja. Ich wusste, dass du mich danach fragen würdest. <<

>> Weshalb sonst bist du gekommen? Wolltest du nicht darüber sprechen? <<

>> Ähm.. ich.. <<, stotterte Jack und hob dabei seine Augenbrauen.

>> Ja? <<

>> Ja, auch darüber. <<, meinte er.

>> Auch? <<, hakte ich nach. >> Was gibt es denn noch zu besprechen? <<

>> Das wirst du schon früh genug erfahren. <<

>> Jack, hör bitte auf das dauernd zu sagen. Sag mir doch einfach was es ist. <<

>> Kann ich nicht. <<, sagte er und wirkte plötzlich sehr distanziert. Seine Gelassenheit war auf einmal verschwunden und er sah mich wieder mit seinem ernsten und strengen Blick an.

Du kannst mich nicht einschüchtern!, dachte ich mir und erwiderte dabei seinen angsteinflößenden Blick.
>> Frag mich was du fragen willst. <<, sagte er plötzlich und ging zur Terrassentür.

>> Du antwortest ja eh nicht. <<

>> Doch das tue ich. Nur dann nicht wenn es nicht der richtige Zeitpunkt ist. <<

>> Weißt du, dass du manchmal wie ein alter Mann klingst? <<, fragte ich ihn und redete dabei mehr oder weniger mit seinem Rücken.

Er ging darauf nicht ein. >> Frag mich was du fragen willst. <<, wiederholte er.

Mir blieb wohl keine andere Wahl. >> Wieso hat Bryan uns gestern verfolgt? <<, fragte ich schließlich.

>> Wegen dir. <<, antwortete er. Ich sah ihn misstrauisch an. Naja, eigentlich eher seinen Rücken.

>> Ich würde sagen eher wegen dir. <<, widersprach ich ihm.

>> Weshalb denkst du das? <<

>> Weil ihr die größten Feinde der Welt seid? <<, erinnerte ich ihn sarkastisch. Ich sah von der Seite wie er kurz lächelte.

>> Kim. Wir sind schon sehr lange verfeindet. Aber deshalb jagt er mich doch nicht mitten in der Nacht mit seinem Auto. Ich kenne meinen Feind gut genug
um zu wissen, dass er sowas nicht wegen mir macht. <<, erklärte er gelassen.

>> Aber warum sollte er mich mitten in der Nacht mit seinem Wagen verfolgen. Und das auch noch in deiner Anwesenheit. Er wollte dich doch nur provozieren. <<

>> Natürlich wollte er mich provozieren. Aber der eigentliche Grund warst du. <<

>> Na schön. Und warum verfolgt er mich die ganze Zeit? <<, hakte ich genervt nach.

>> Das musst du ihn selbst fragen. <<, antwortete Jack ruhig.

>> Habe ich schon. Er antwortet mir nicht richtig. Genauso wenig wie du. Na siehst du, jetzt habt ihr doch noch eine Gemeinsamkeit. << Ich bereute den letzten Satz den ich gesagt hatte, denn Jack drehte sich ganz versteift zu mir um und blickte mich so wütend an, dass ich dachte er würde mich gleich mit seinen Blicken verbrühen.

>> Dieses Ding und ich haben keine- ich wiederhole nochmal- keine Gemeinsamkeit. Verstanden? <<

>> Schon okay. Kein Grund aggressiv zu werden. <<, versuchte ich ihn zu beruhigen. Doch es klang eher so als würde ich ihn damit nur ärgern wollen.

>> Warum tust du das Kim? <<

Ich sah ihn fragend an und schimpfte innerlich mit mir selbst warum ich das gesagt hatte.

>> Du verstellst dich neben mir. Warum? Sei doch du selbst. <<

Ich sah ihn überrascht an. Einige Sekunden lang blieben wir still.

>> Ich weiß es auch nicht Jack. Ich meine, schau mal. Schon dein Name. <<, erwiderte ich dann ruhig.

>> Was ist denn mit meinem Namen? <<, fragte er überrascht.

>> Naja, du bist so...anders weißt du. Du durchschaust alles und jeden. Wahrscheinlich weißt du bestimmt auch alles Mögliche, was andere nicht wissen und du strahlst absolutes Selbstbewusstsein aus. Da versucht man automatisch mit dir mitzuhalten. Ich verstelle mich nicht mal extra. Das kannst du mir glauben. Es passiert einfach von selbst. Außerdem naja, ich verstelle mich nicht wirklich. Ich versuche dich nur so zu behandeln wie du mich. <<

>> Behandle ich dich so übel? <<, fragte er schuldbewusst.

>> Nein, ich...ach egal. Sei du bitte auch einfach nur du selbst neben mir okay? Ich habe nämlich auch immer das Gefühl, dass du dich verstellst. Mir kommt es so vor als würdest du dich vor etwas abschotten wollen. Und falls ich der Grund dafür sein sollte, dann lass es bitte einfach. Denn das macht alles nur schwieriger. <<

>> Und du sagst ich würde dich gut durchschauen. <<, erwiderte er bloß. Aber zu meinem Glück fing er an zu lachen, was mir eine innere Ruhe bescherte. Es klang nicht einfach nur wunderschön, sondern fantastisch. Ich konnte nicht anders als ihn selig anzulächeln.

>> Okay...also wo waren wir stehen geblieben? <<, nahm er den Faden lächelnd wieder auf.

>> Warum Bryan mich verfolgt. Da waren wir stehen geblieben. <<, antwortete ich grinsend.

>> Ach so. Ja stimmt, aber warte noch kurz ja? Ich hab 'ne Frage. <<

>> Okay.<<

>> Du hast mir immer noch nicht gesagt was mit meinem Namen ist. <<, erinnerte er mich. >>Du hast nur gesagt sogar dein Name aber nicht was du damit meinst. <<

>> Damit meinte ich, dass dein Name cool ist. Ich meine...Jack. Der Name klingt so bedeutungsvoll. <<, erklärte ich ihm grinsend.

>> Findest du? <<, fragte er lächelnd.

>> Ja das finde ich. Und ich finde auch, dass wir nicht vom Thema abschweifen sollten. <<

>> Meine Meinung. <<, stimmte er nickend zu. >> Ich würde sagen er verfolgt dich, weil er was von dir will und es nicht ertragen kann, dass wir- hm - ich würde jetzt sagen, dass wir  Freunde sind, aber sind wir denn deiner Meinung nach Freunde? <<

Zugegeben hätte ich nie daran gedacht, dass ich eines Tages mit einem Kerl wie Jack befreundet sein würde. >> Ich weiß nicht. Was meinst du? Reicht eine Nacht um Freunde zu werden? <<, fragte ich ihn vorsichtig.

>> Ich denke schon. <<, antwortete er ohne groß zu überlegen. >> Wie siehst du das? <<

>> Ich denke auch. <<, sagte ich leicht lächelnd und freute mich irgendwie darüber, dass ich ihn als Freund gewonnen hatte. Er grinste mich an und sah mir dabei direkt in die Augen. Sein Grinsen erreichte nicht ganz seine Augen. Und ich wurde das Gefühl nicht los, dass es niemals geschehen würde.

>> Du meinst also, Bryan verfolgt mich weil er auf mich steht. <<, fasste ich zusammen.

>> Bin mir da ganz sicher. <<

>> Warum? <<

>> Weiß nicht. Ist nur so ein Gefühl. <<

>> Hm. Haben dich deine Gefühle denn jemals getäuscht? <<

Er sah mich einige Sekunden lang an und ich merkte, dass je tiefer man in seine Augen blickte, desto trauriger seine Augen aussahen.

>> Nein. <<, antwortete er knapp und sah dann aus dem Fenster.

Seine Reaktion überraschte mich ein wenig, doch ich hielt es für das Beste ihn nicht weiter danach zu fragen. Aber es hatte bestimmt etwas mit einem Mädchen zu tun, dass ihm das Herz gebrochen hatte.

>> Warum bist du gestern nicht ausgewichen? <<, fragte ich ihn, um ihn von seinen Gedanken abzulenken.

>> Ich habe keine Angst vor ihm und vor dem was er tun könnte Kim. Eigentlich wäre er zuerst ausgewichen, weil du neben mir saßest. <<

Ich dachte kurz darüber nach was er gerade gesagt hatte und mir viel ein, dass  gestern Nacht dennoch Jack zuerst ausgewichen war.

>> Und wieso hast du es dann nicht darauf ankommen lassen? Ich erinnere mich jetzt wieder daran, dass du Bryans Wagen dann doch ausgewichen bist. <<

>> Dann erinnerst du dich richtig daran. <<, sagte er bloß. Wir schwiegen daraufhin einige Minuten lang und gerade als ich dachte er würde gar nicht erst auf meine Frage eingehen, beantwortete er sie doch noch.

>> Wie gesagt. Weil du neben mir saßest. << Als er das sagte, wandte er sich wieder mir zu und nicht dem Fenster. Er sah mich aus unergründlichen Augen an. Ich fragte mich, was er wohl dachte wenn er mich ansah. Und genau in dem Moment fiel mir ein, dass ich mein Gesicht immer noch nicht gewaschen hatte und noch mit meinen Pyjamas herumlief.

Shit!, dachte ich mir aufgeregt und versuchte unauffällig dem Spiegel, das quer neben mir hing, einen Seitenblick zuzuwerfen, damit ich wenigstens bisschen sehen konnte wie mein Gesicht gerade aussah.

Als ich nach einigen Sekunden jedoch merkte, dass es fast unmöglich war, erhob ich mich vom Sofa, auf das ich mich unbewusst hingesetzt hatte. >> Ich gehe kurz ins Bad okay? Du kannst ruhig hier sitzen bleiben. <<, sagte ich.

>> Lieber nicht. <<, erwiderte er und kam ein paar Schritte auf mich zu.

>> Was denn lieber nicht? Dass ich auf die Toilette gehe oder...? <<, fragte ich irritiert.

>> Nein, nein. Ich meinte, ich warte lieber nicht hier auf dich. Sondern in der Küche oder so. <<

>> Okay. Wie du willst. <<, entgegnete ich höflich. Ich hätte natürlich zu gern gewusst, warum er das so wollte, aber ich wollte nicht neugierig wirken.

Ich ging voraus und führte ihn in die Küche, die quer gegenüber dem Besucherbadezimmer lag.

>> Du kannst ja hier warten. <<, sagte ich und hechtete dann ins Bad.

Ich schloss schnell die Tür ab und wollte gerade das Licht anschalten, als ich mich jedoch wieder daran erinnerte, dass ich jetzt noch besser im Dunkeln sehen konnte als vorher. Also ließ ich die Lampe ausgeschaltet und warf einen Blick in mein Spiegelbild. Zu meinem Bedauern sah ich, wie meine ganze Schminke von gestern verlaufen war und meine Wimpern ein wenig verklebt waren. Ansonsten war alles in Ordnung. Weder ekliger Augenschleim, noch tränende Augen oder eine laufende Nase.

Aber es war schlimm genug, dass ich die ganze Zeit über mit verlaufener Schminke neben Jack gesessen hatte. Wieso hatte er bloß nichts gesagt? Vielleicht um mich nicht zu kränken oder so? Woher sollte er auch wissen, dass ich keiner dieser Menschen war die sich gleich beleidigt fühlten?

Schnell riss ich mir ein Stück Klopapier ab und hielt es ein wenig unter Wasser, damit ich mich damit abschminken konnte. Als ich fertig war, sah ich mich noch kurz im Spiegel an. Meine Augen waren wieder rot und glühten so als würden sie brennen. Ich schaltete das Licht an, damit meine Augen wieder ihre normale Farbe annahmen und ging dann raus auf den Flur.

>> Du hast vergessen das Licht auszuschalten. <<, hörte ich Jack sagen, der plötzlich direkt vor mir stand. Ich erschrak kurz und ging einen Schritt zurück.

>> Hast du mich etwa belauscht? <<, fragte ich misstrauisch und fand den bloßen Gedanken beängstigend.

>> Nein. Ich habe bloß gemerkt, dass du das Licht die ganze Zeit über gar nicht angeschaltet hast, sondern nur die letzten paar Sekunden bevor du rausgegangen bist. Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob alles in Ordnung ist und ob die Glühbirne geplatzt ist oder so, aber wie ich sehe funktioniert sie prima. <<

Er sah mich so an als hätte ich eine Straftat begangen und durchbohrte mich förmlich mit seinem unergründlichen Blick. Ich hatte das Gefühl, er verlangte  eine Erklärung von mir  oder als würde er etwas wissen wollen das ich nicht preisgeben wollte. Wusste er etwa Bescheid? Hatten meine Augen schon gestern Nacht, als ich neben ihm im Auto gesessen hatte, so geglüht? Aber warum hatte er mich dann bis jetzt noch nicht darauf angesprochen?

>> Erwartest du etwa eine Erklärung von mir? <<, fragte ich etwas unfreundlich und ging an ihm vorbei in die Küche.

>> Nein. <<, antwortete er knapp und folgte mir. >> Wie kommst du überhaupt darauf? <<, fragte er.

>> Du hast mich so angesehen als würdest du wollen, dass ich mich bei dir rechtfertige. <<, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Als ich am Küchentisch stehen blieb, stand er mir direkt gegenüber und sah  mir tief in die Augen. Er beugte sich zu mir herunter. Ich wollte gerade einen Schritt zurücktreten, als er plötzlich seine Hand auf meine linke Wange legte. Es kam mir so vor als hätte er mich durch seine Berührung elektrisiert und mich magnetisch an sich gebunden. Ich konnte mich nicht bewegen, obwohl ich es wollte.

Wenn er mich küsst, werde ich ihm eine reinhauen, dachte ich mir. Er starrte mir immer noch direkt in die Augen, doch er unternahm nicht den Versuch mich zu küssen. Glück gehabt, dachte ich mir, obwohl sich langsam ein Bild vor mein inneres Auge zwängte, worauf Jack und ich abgebildet waren während wir uns küssten. Weg damit, dachte ich mir genervt.

Plötzlich wich Jack zurück und stolperte ein paar Schritte nach hinten.

>> Was ist los? <<, fragte ich ihn.

>> D-du...deine Augen. <<, stammelte er fassungslos. Ich wurde panisch. Hat er etwa gesehen wie meine Augenfarbe sich verändert hat?!

>> Was ist mit meinen Augen? << Ich schluckte schwer. Was würde er mir jetzt wohl antworten?

>> Es ist bald soweit. <<, erwiderte er. Er verwandelte sich plötzlich von dem fassungslosen Jack in einen ausdruckslosen Jack.

>> Was ist bald soweit? <<, hakte ich nach, aber bekam keine Antwort.

Er starrte auf einen Punkt hinter mir, weshalb ich mich umdrehte um seinem Blick zu folgen.

>> Was siehst du da Jack? <<, fragte ich ihn und wandte mich wieder ihm zu. Doch er war nicht mehr da. >> Jack? <<, rief ich erschrocken. Versteckte er sich etwa jetzt vor mir? Ich verstand die Welt nicht mehr. >> Jack! Wo bist du? <<

Als ich den Flur entlang lief, spürte ich einen kalten Luftzug. Ich ging zur Haustür und merkte, dass sie offen stand. Hatte ich sie vorhin nicht abgeschlossen? Das konnte nur bedeuten, dass Jack abgehauen war. Wie hatte er es überhaupt so schnell und leise geschafft?

Ich öffnete die Tür und sah mich um, aber er war nirgends zu sehen.
>> Na super! <<, flüsterte ich wütend und ging wieder ins Haus.

Er benimmt sich sehr verdächtig, dachte ich mir und ließ die Tür ins Schloss fallen.

Nach einer geschlagenen Stunde, gab ich es auf nach ihm zu suchen, da ich Hunger bekam und ehrlich gesagt auch keine Lust mehr hatte. Ich ging hinunter in die Küche und machte mir was zu essen, damit mein Magen aufhörte zu knurren.

Was hatte Jack damit gemeint, dass es bald soweit sein würde? Überhaupt was würde bald soweit sein? Oder hatte er einfach nur irgendeinen Müll geredet? Aber dafür hatte er zu erschrocken ausgesehen. Und warum oder wie in aller Welt konnten sich meine Augen in feuerspuckende rote Monsteraugen verwandeln? Das war doch nicht menschlich! Natürlich war es einerseits irgendwie besonders, weil man wahrscheinlich die Einzige auf der Welt war die solche Augen hatte, aber andererseits hatte ich keine Ahnung wie ich nachts durch die Straßen laufen sollte, ohne dass mich jemand für einen Dämon hielt. Und warum war Jack überhaupt hergekommen, wenn er wieder so schnell verschwinden wollte?

Lauter Fragen schossen mir durch den Kopf und ich wusste keine Antworten darauf. Das Einzige was ich wusste war, dass ich Bryan irgendwie darüber ausfragen musste warum er mir so sehr hinterher hing, denn ich hatte eingesehen, dass ich weder von Jack noch von Bryan eine sinnvoll erklärte Antwort bekommen würde, wenn ich sie nett danach fragte.

Ich würde zuallererst Jack anrufen müssen um...Moment mal...ich hatte Jacks Nummer überhaupt nicht, aber er meine. Bloß woher? Niemand aus der Klasse hatte meine Nummer, außer Laura. Und wieso in Gottes Namen sollte sie meine Nummer anderen Leuten weitergeben? War Jack der dauerhafte anonyme Anrufer von gestern gewesen?

>> Kim. <<, hörte ich plötzlich wie jemand meinen Namen flüsterte. Ich drehte mich abrupt um, doch es war niemand zu sehen.

>> Kim. <<, flüsterte wieder dieselbe Stimme. >> Ist das dein jetziger Name? <<

Ich sah mich flüchtig um, doch niemand war da. Bildete ich mir die Stimmen bloß ein? Nein. Das war eindeutig eine der Stimmen, die ich schon letzte Woche mehrmals gehört hatte. Es war eine Männerstimme. Definitiv.

>> Antworte mir doch. <<, hörte ich die Stimme sagen, diesmal ein wenig lauter. Ich erschrak als ein unbekannter Wind an mir vorbeistrich. Mir wurde bewusst, dass es das erste Mal war, dass mich diese unheimliche Stimme direkt ansprach. Ansonsten hatte ich immer nur irgendwelche Stimmen gehört die nichts mit mir zu tun hatten.

Plötzlich fing wieder das Summen in meinem Kopf an lauter zu werden. Ich fühlte mich wieder beobachtet und sah mich paranoid um. Ich konnte nicht mehr klar denken. Das Summen in meinem Kopf war nur noch alles an was ich denken konnte. Mir kam es so vor als würde ich schwanken. Genau wie gestern im Auto auch.

Was geschah bloß mit mir?

>> Du wirst es verstehen, wenn es passiert. <<, hauchte mir die Stimme zu. Ich drehte mich in die Richtung um von der die Stimme kam. Auch wenn da niemand stand, versuchte ich auf die Stelle zuzugehen. >> Wer bist du? <<, fragte ich laut, ohne jegliche Hoffnung eine richtige Antwort zu bekommen. Ich kam mir vor wie ein Opfer aus einem Horrorfilm das gleich ermordet werden würde. Doch falls ich die Hauptrollspielerin darstellte, würde das hoffentlich nicht passieren.

Ich war mental wie außer Gefecht gesetzt. Ich konnte mich nur sehr langsam bewegen. Wie wenn man in einem Albtraum versucht zu rennen, doch man kommt nur sehr langsam voran. So als wäre man in einer zähen Flüssigkeit gefangen. Aber als ich schließlich die Stelle erreichte, von der die Stimme kam, umhüllte mich eine eisige Kälte. Was seltsam war, da weder ein Fenster geöffnet war, noch die Tür. Woher kam also diese Eiseskälte? Ich hielt es nicht mehr aus dieses schreckliche Geräusch in meinem Kopf zu hören, während ich mir unnötig die Ohren zuhielt. Denn das Geräusch war in meinem Kopf drin. Es kam definitiv nicht von außerhalb.

Ich bemerkte, dass die Ränder meines Blickfeldes anfingen zu flimmern.

Nicht schon wieder, dachte ich mir verzweifelt. Ich will nicht wieder einen Filmriss haben wie gestern und noch weniger will ich von jemandem entführt werden, der nur darauf wartet, dass ich jetzt ohnmächtig werde.

Ich musste doch irgendetwas tun können, um mich bei Bewusstsein zu halten.

>> Das wirst du nicht schaffen. <<, flüsterte mir die Stimme zu. Kam die Stimme aus meinem Kopf? Bildete ich sie mir etwa ein? Denn woher sonst sollte dieser Mann wissen was ich dachte? Oder wurde ich jetzt komplett verrückt?

>> Ich schaffe alles was ich will. <<, flüsterte ich zurück, ohne zu wissen mit wem ich eigentlich sprach. Und plötzlich fielen mir Jacks Worte ein, die er mir zugerufen hatte, als gestern mit mir dasselbe passiert war wie jetzt. Ich rief mir seine Worte ins Gedächtnis und versuchte dabei das schreckliche Summen auszublenden. Kim. Dein Verstand gehört dir. Okay? Verstehst du? Niemand kann dir deine Gedanken klauen. Denk an etwas Schönes. Eine schöne Erinnerung! Okay? Kim? Bitte! Denk jetzt an deine schönste Erinnerung die du hast.

Es kam mir absurd vor an etwas Schönes zu denken, während sich mein Kopf so anfühlte als würde er gleich explodieren. Doch was hatte ich denn noch für eine Wahl? Ich musste es versuchen.

Ich konzentrierte mich zuerst auf einen Punkt an der Wand, die genau vor mir stand und versuchte dabei dieses blöde Geräusch auszublenden. Es war nicht leicht, denn die Stimme flüsterte mir dauernd etwas zu. Aber ich versuchte nicht hinzuhören. Dann rief ich mir eine meiner schönsten Erinnerungen ins Gedächtnis. Ich sah einen Strand vor mir. So als würden meine Augen dieses Bild an die Wand projizieren. Dann kam mein Vater angelaufen, mit einem kleinen Mädchen auf den Schultern. Sie hatte schwarze Haare und braune Augen. Sie war ungefähr acht, höchstens zehn. Sie sah ihrem Vater sehr ähnlich. >> Kim mein Schatz, willst du nicht ein wenig am Strand spielen während Papa sich bisschen ausruht? <<, sagte der Vater. >> Okay. <<, stimmte das kleine Mädchen zu. Sie war überglücklich mit ihrem Vater alleine Zeit verbringen zu können. Das war ich. Als kleines Kind. Und mein Vater. Als er sich noch als den glücklichsten Menschen auf Erden gesehen hatte. Meine Mutter war an dem Tag zu Hause bei meiner jüngeren Schwester geblieben, damit mein Vater und ich an den Strand konnten. Erst an dem Tag hatte ich schwimmen gelernt, denn in der Schule hatte ich immer Angst gehabt zu ertrinken. Mein Vater hatte mir das Schwimmen mit Liebe beigebracht. Zuerst hatte er mich auf seinem Rücken getragen und mich mit ins Wasser genommen. Und als er sah, dass ich Angst bekam, hatte er meine Hand gehalten und gesagt er wäre immer für mich da. Ich bräuchte keine Angst haben, denn er würde mich nie im Stich lassen. Niemals. Er hatte mich angelächelt und mir die Angst genommen. Und seitdem hatte ich fast vor nichts mehr Angst gehabt, weil ich wusste, dass mein Vater für mich da sein würde wenn etwas wäre. Und das war er auch wirklich immer gewesen. Das war eine meiner schönsten Erinnerungen.

Ich lächelte selig und starrte die Wand an. Langsam verblasste das Bild vor meinem inneren Auge und ich kehrte in die Realität zurück. Es war still um mich herum. Kein Ton war zu hören. Zuerst fiel es mir gar nicht auf, aber als mir wirklich bewusst wurde, dass es still war wusste ich, dass Jacks Ratschlag mir geholfen hatte. Das Summen war völlig verschwunden.

Ich atmete vorsichtig aus und bemerkte, dass ich am ganzen Leib zitterte. Als ich mir mit der Hand an die Stirn fasste, spürte ich eine kalte Feuchtigkeit. Ich war völlig verschwitzt. Ich fühlte mich unangenehm dreckig und ausgelaugt, weshalb ich entschied unter die Dusche zu gehen.

Vorsichtig und mich immer wieder umschauend, stieg ich die Treppen hoch. Niemand war zu sehen, trotzdem schloss ich meine Zimmertür ab als ich oben ankam. Zwar war das, was eben geschehen war, mental passiert, aber trotzdem wurde ich die Paranoia nicht los.

Etwas in mir drin sagte mir, dass ich mich wehren konnte wie ich wollte und dass ich stark war. Aber ich verstand nicht, worauf dieses Gefühl basierte und auf was es sich bezog. Bevor ich unter die Dusche stieg, schloss ich auch die Badezimmertür ab und machte das Licht an. Auch wenn ich jetzt im Dunkeln genauso gut sehen konnte wie am helllichten Tag, kam es mir sicherer vor das Licht anzulassen.

Als ich fertig war, ging ich in mein Zimmer und zog mich um. Ich hatte mir vorgenommen etwas frische Luft zu schnappen. Nur für den Fall, dass ich klarer denken konnte, falls so etwas wie vorhin wieder passierte. Aber vielleicht bildete ich mir das alles wirklich bloß ein. Was wenn ich tatsächlich verrückt wurde?

Du weißt, dass du nicht verrückt wirst. Also hör auf nach Ausreden zu suchen, wies mich mein Verstand zurecht. Ja, ich weiß, flüsterte ich und band meine Schnürsenkel zu. Deine roten Augen sind doch keine Einbildung, deine Mutter hat sie gesehen und Jack vielleicht auch. Warum also sollten die Stimmen eine Einbildung sein?, fragte mich meine innere Stimme.

Du hast recht, dachte ich mir und musste lächeln. Ich korrigiere: ich habe recht.

Dass es schon soweit kommt, dass ich mit mir selbst rede, dachte ich mir kopfschüttelnd.

Ich nahm meine Hausschlüssel und mein Handy mit. Eigentlich wollte ich momentan in Ruhe gelassen werden, damit ich meine Gedanken ordnen konnte. Aber was wenn etwas Wichtiges passierte und jemand deshalb versuchte mich zu erreichen? Da fällt mir ein...bald ist doch Weihnachten?

Mein Dad hatte darauf bestanden, dass ich Weihnachten mit ihm verbrachte. Schon bevor ich abgereist war, hatte er mich darum gebeten. Ich würde natürlich zu ihm fliegen. Das Einzige was ich nicht wollte war, Weihnachten mit seiner neuen Frau zu verbringen. Würg, dachte ich mir und schloss die Tür hinter mir zu, als ich nach draußen ging. Hatte ich vielleicht auch schon Stimmen gehört, als ich ein kleines Kind gewesen war? Vielleicht wusste ja mein Vater bisschen mehr darüber?

Ich sollte ihm mal 'ne SMS schreiben, dachte ich mir und fing gleich damit an:

Hi Dad, wie geht' s dir? Ich hoffe gut. Hier ist es sehr kalt. Wie geht' s Kylie so? Habe lange nichts von ihr gehört. Ich habe gerade an euch gedacht, weißt du. Habe mir Weihnachten mit euch vorgestellt. Wird bestimmt super. Grüß alle von mir. Auch die Tochter von Rebecca. Mir ist ihr Name entfallen.

Pass auf dich auf Dad.

Eine gelungene SMS, dachte ich mir und lächelte zufrieden. Natürlich war mir der Name von Rebeccas Tochter nicht entfallen. Sie hieß Caroline. Wir hatten früher die gleiche High-School besucht. Eine Zeit lang war sie der Kapitän der Cheerleader Gruppe gewesen, aber als ich dazu kam verlor sie ihren Platz an mich. Seitdem hatte sie dauerhaft versucht meine Pläne zu sabotieren und die Jungs die damals in mich verknallt waren, davon zu überzeugen, dass ich ein zickiges Miststück war. Es war mir immer egal gewesen, was sie von mir dachte oder was sie über mich erzählte. Denn alle wussten, dass es nicht stimmte. Doch als sie dann zu meiner Stiefschwester wurde und ihre Mutter davon überzeugte in unser Haus zu ziehen, reichte es mir. Ich konnte mein Leben nicht mit so jemandem verbringen, vor allem nicht im selben Haus. Mein Vater hielt auch nicht viel von ihr, da er alles wusste was sie über mich dachte und herumerzählte. So nett wie mein Vater war, zeigte er aber seine Gefühle nicht offen, sondern hielt es für das Beste mit ihr klarzukommen.

Die neue Eheschließung meines Vaters jedoch, war nicht der einzige Grund für meinen Umzug gewesen. Vor einigen Jahren, auf den Straßen von San Francisco, hatte ich eine alte Frau getroffen die obdachlos gewesen war. Ich hatte ihr ein wenig Geld gespendet und hatte weiterlaufen wollen, als sie mich aber plötzlich am Handgelenk festgehalten und mir tief in die Augen gesehen hatte.

Ihre Berührung brannte damals auf meiner Haut, sodass ich meinen Arm weggezogen und sie erschrocken angesehen hatte.

Sie hatte mich mit ihren verfaulten Zähnen angegrinst und gesagt: > Das was du suchst, ist nicht hier Liebes. Es ist weit weg über dem Ozean. < Ich hatte sie verblüfft angesehen, denn an dem Tag war mir die Frage, was für ein Sinn mein Leben doch hatte, nicht aus dem Kopf gegangen. Ich hatte mich zu der Frau hingekniet und gefragt was sie damit meinte. >Der Sinn deiner Existenz ist nicht für diese Welt bestimmt. Hier erfüllst du keinen Zweck, Liebes. <, hatte sie mit einer rauen Stimme geflüstert. Ich war traurig geworden und hatte aufstehen wollen, als sie mich jedoch wieder am Handgelenk gepackt und mich näher zu sich herangezogen hatte. Ich hatte ihren faulen Atem gerochen, aber höflichkeitshalber nicht die Nase gerümpft. > Der Sinn deiner Existenz ist zwar nicht für diese Welt, aber für eine andere. Du bist der Schlüssel dafür. <

Ich hatte sie gefragt für was ich der Schlüssel sei.
>Die Antwort darauf wirst du finden wenn du das Land verlässt. Ich weiß, dass du dich damit beschäftigst, wofür du hier bist, wo doch deine Familie auseinander gebrochen ist und du deinem Vater dabei zusehen musst, wie er sich in den Abgrund stürzt. Doch glaub mir, andere brauchen dich mehr. Genau wie damals. <, war ihre Antwort gewesen.

Ich hatte sie verwundert angesehen und mich gefragt woher diese Frau all das über mein Privatleben wusste. > Was meinen Sie damit? <, hatte ich sie gefragt. > Reise zu deiner Mutter. <, hatte sie bloß geantwortet.

> Wann? <, hatte ich gefragt. > Du wirst es merken, wenn die Zeit kommt. <, hatte sie daraufhin erwidert und mich dann losgelassen. Sie war aufgestanden, ihre Habseligkeiten in einen Tuch gewickelt und sich auf den Weg gemacht. > Woher wissen Sie das alles? <, war meine letzte Frage an sie gewesen. Aber statt einer Antwort, hatte ich ihr Gelächter gehört, ohne dass sie sich nochmals umgedreht hatte. Dann war sie in der nächsten Ecke verschwunden.

Seitdem hatte mich dieses Gespräch nicht losgelassen. Ich war nicht abergläubisch. Nein. Aber ich glaubte an das Schicksal. Und der Hauptgrund für meinen Umzug zu meiner Mutter, war dieser gewesen. Ich hatte es niemandem erzählt. Nicht einmal meinem Vater. Ich hatte die Frau nie wieder gesehen. Ich war tagtäglich nach der Schule zu der gleichen Straße gelaufen, um Antworten auf meine Fragen zu bekommen, aber sie war nie wieder aufgetaucht. Auch bis jetzt hatte ich nicht alles von dem verstanden, was sie gesagt hatte. Aber an dem Tag, als mein Vater entschieden hatte Rebecca zu heiraten, wusste ich dass der Zeitpunkt gekommen war das Land zu verlassen. Ich glaubte eigentlich weder an Prophezeiungen, noch an Magie oder ähnliches, aber die Worte der alten Frau hatten mich einfach nicht mehr losgelassen, sodass ich ihrem Rat gefolgt war. Nämlich zu meiner Mutter zu reisen.

War das nicht vor zwei Jahren gewesen? , versuchte ich mich zu erinnern. Ich war so vertieft in meinen Gedanken gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass ich vor Kälte am ganzen Leib zitterte. Ich entschied mit der S-Bahn in die Stadt zu fahren und mir selbst eine heiße Schokolade zu spendieren. Es würde zwar eine Weile dauern, aber ich hatte noch Zeit. Ich suchte in meinen Jackentaschen nach Geld und fand genug, um zwei heiße Schokoladen zu trinken. Es war erst mal zehn Uhr dreißig in der Früh. Na dann hab ich ja den ganzen Tag Zeit für mich, stellte ich zufrieden fest und lief hastig zum Bahnhof.

***

>> Eine heiße Schokolade bitte. <<, gab ich dem Kassierer meine Bestellung. Ich reichte ihm das Geld und suchte mir dann einen freien Platz aus, an den ich mich setzten konnte. Ich fand einen Platz direkt neben dem großen Fenster, dass eine schöne Aussicht gestattete. Ich nippte an meiner Tasse, aber irgendwie schmeckte es nicht nach heißer Schokolade, sondern nach Kaffee. Sicherheitshalber roch ich nochmal dran und es roch eindeutig nach Kaffee. Egal, dachte ich mir. Ich hatte jetzt keine große Lust einen Aufstand deswegen zu machen.

Ich sah mich ein wenig in der Bäckerei um und entdeckte ein Paar bekannte Gesichter von meiner Schule. Ich wusste nicht ob sie mich auch erkannten, war mir ehrlich gesagt auch ziemlich egal. Mir fiel ein, dass sich Laura noch gar nicht bei mir gemeldet hatte. War ihr gestern Nacht vielleicht etwas zugestoßen? Nein, ach was. Wieso denn auch? Sie ist doch dauernd in solchen Clubs hat sie gesagt..

>> Na wen haben wir denn da? <<, hörte ich eine bekannte Stimme rufen. >> Kim. Kimberlie N. Possible. Nein, war nur' n Scherz. <<, rief er weiter. Zu meinem Bedauern war es Tim.

>> Hi. <<, erwiderte ich bloß und lächelte ihn mit aufgesetzter Freundlichkeit an.

>> Wie geht's wie steht's? <<, fragte er fröhlich grinsend.

>> Gut, danke. Und selbst? <<

>> Auch gut. Was machst du hier denn so alleine? <<, fragte er neugierig.

>> Nichts Besonderes wie du siehst. Und du? << Die Art wie er mit mir sprach, ging mir so langsam auf die Nerven.

>> Nichts. Ich hänge hier ein wenig mit Freunden rum. <<

>> In einer Bäckerei? <<

>> Ähm. Ja. <<, sagte er. Es schien ihm ein wenig peinlich zu sein. >> Uns war kalt. <<, erklärte er. >> Und paar von uns hatten Hunger. Die wollten nicht zu McDonalds, deshalb sind wir eben hier her gekommen. <<

>> Ah. Okay. <<, erwiderte ich bloß.

>> Ja... hm. Hast du heute noch was vor? << Er sah mich hoffnungsvoll an, doch ich hatte keine Lust etwas mit ihm zu unternehmen. Abgesehen davon war er mir zu aufdringlich. Schon allein in der Klasse bombardierte er mich mit privaten Fragen, die ich ihm nicht beantworten wollte.

>> Nein eigentlich nicht, aber... <<

>> Klasse! <<, rief er fröhlich. >> Dann kannst du doch mit uns abhängen. <<

>> Nein, sorry. Ich kann trotzdem nicht mitkommen. <<, meinte ich ein wenig genervt.

>> Oh, schade. Warum denn? <<

>> Ist eine private Angelegenheit. <<

>> Ach so... Aber hey, du kannst mir doch vertrauen. <<, sagte er und zwinkerte dabei dümmlich. >> Also komm schon, sag' s mir. <<

>> Wie gesagt, Tim. Ist 'ne private Sache. <<, erwiderte ich unfreundlich und warf ihm einen Lass-mich-in-Ruhe-Blick zu. Doch der Kerl ließ trotzdem nicht locker, war das denn zu fassen?

>> Kim, sag' s mir doch einfach. Ich bin doch kein Fremder. <<

>> Ich kenn dich erst mal seit zwei Wochen. <<

>> Ja, aber spürst du nicht, dass wir irgendwie verbunden miteinander sind? <<, fragte er und setzte sich neben mich. Er rückte zu nah heran. Wie sollte ich ihm klar machen, dass er mich lieber in Ruhe lassen sollte, ohne dabei wie eine Zicke zu klingen?

>> Nein, ich spüre keine Verbundenheit, Tim. Ich wäre jetzt gerne allein. <<, sagte ich genervt.

>> Ich wäre jetzt auch gern alleine. Alleine mit dir. <<, erwiderte er daraufhin und rückte noch näher heran. So das reicht!, dachte ich mir und stand auf. Es war mir egal was er ab heute über mich denken würde.

>> Sag mal kennst du das Wort „privat" nicht, oder hast du ein Verständnisproblem? Ich sagte, ich will alleine sein. Verstehst du das nicht? Und deine imaginäre Verbundenheit kannst du dir... <<, ich stockte kurz, >>...mit wem anderen vorstellen. <<, beendete ich meinen Satz. Er sah mich mit weit aufgerissenen Augen an und blieb still sitzen, während ich meine Jacke anzog und aus der Bäckerei lief. Beim Hinausgehen begegnete ich Robert, der mich nett anlächelte. Ich lächelte zurück und lief dann weiter.

Ich fragte mich wohin ich jetzt gehen sollte, nachdem ich wegen Tim aus der Bäckerei geflüchtet war. Warum nicht bisschen windowshoppen? , dachte ich mir und fuhr deshalb zum Marienplatz.

Es gab irgendwie nichts das meine Aufmerksamkeit erregte. Alle Läden verkauften ungefähr das gleiche, weshalb ich mich entschied wieder nach Hause zu gehen. Aber statt mit der U-Bahn zur nächsten Bahnhaltestelle zu fahren, lief ich dorthin. Auch wenn es arschkalt war. Ich wollte so spät wie möglich zu Hause ankommen. Klar, ich hätte auch weiterhin draußen bleiben können, aber bei dem Wetter gab es fast nichts was man ohne Geld unternehmen konnte.

Ich lief also von der Einkaufsstraße raus und machte mich auf den Weg.

Wo Jack wohl wohnt?, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Er hatte in der Klassenliste keine Informationen angegeben. Weder seine Telefonnummer, noch seine Adresse. Aber Laura hatte ja bereits erwähnt, dass niemand wirklich wusste wo Jack wohnte, außer seinen besten Freunden. Es war bereits vier Uhr nachmittags und sie hatte sich immer noch nicht bei mir gemeldet. Ich sollte sie mal anrufen, dachte ich mir besorgt und wählte ihre Nummer.

>> Hallo? <<, meldete sich eine schläfrige Stimme.

>> Hallo? Ähm...Laura? <<

>> Ja? <<, krächzte sie.

>> Geht es dir gut? Du klingst irgendwie krank. <<

>> Kim...? Kim?! Bist du' s? <<, fragte sie panisch.

>> Ja, ich bin' s. Beruhige dich. <<, antwortete ich besorgt.

>> Ich habe dich gestern überall gesucht? Wo warst du? Ich habe mir Sorgen gemacht... <<

>> Kurz bevor ich gegangen bin habe ich mich von dir verabschiedet...erinnerst du dich nicht mehr daran? <<, erinnerte ich sie.

>> Du hast...äh... <<, sie stockte kurz und blieb dann still.

>> Laura? <<

>> Hä? Äh..ja? <<, antwortete sie erschrocken.

>> Bist du gerade etwa eingenickt? <<, fragte ich belustigt und fing an zu lachen.

>> Oh, äh...ja. Scheint so. Bin ziemlich müde. <<

>> Okay, ich lass dich dann mal weiterschlafen. <<, sagte ich lachend und verabschiedete mich von ihr. Bis wie viel Uhr sie gestern wohl gefeiert hatte?

Nachdem ich mein Handy wegsteckte sah ich, dass die Sonne gerade dabei war unterzugehen.

Shit! Ich habe total vergessen, dass die Sonne schon um halb fünf untergeht! , dachte ich mir panisch. Ich hatte nur noch zwanzig Minuten Zeit bis es ganz dunkel wurde und meine Höllenaugen wieder zum Vorschein kamen. Ich sah mich hektisch um, aber es war weit und breit keine U-Bahnstation zu sehen. Was mach' ich jetzt?, fragte ich mich besorgt. Am besten ich laufe zurück und nehme von dort die nächste U-Bahn, die zum Hauptbahnhof fährt..., aber das ist so ein weiter Weg bis dorthin. Soll ich lieber weiterlaufen oder jemanden fragen wo die nächste Station ist?

Glücklicherweise sah ich jemanden direkt auf mich zulaufen und sprach ihn freundlich an.

>> Entschuldigung. Haben Sie vielleicht eine Ahnung wo die nächste U-Bahnstation ist? <<, fragte ich höflich.

>> Klar. Sie müssen weiter geradeaus laufen und dann die erste Abzweigung nach rechts nehmen. Danach müssen sie wieder weiter geradeaus laufen. Dann sehen Sie schon das Schild. <<, antwortete er freundlich.

>> Okay, danke. <<, bedankte ich mich bei ihm.

>> Keine Ursache. Sie müssten so in etwa zwanzig Minuten dort sein. <<

>> Erst in zwanzig Minuten? <<

>> Ja, genau. Ich muss dann mal weiter... Ihnen noch einen schönen Abend. <<, sagte der Mann und lief davon.

Bis dahin wird die Sonne schon untergegangen sein, dachte ich mir verzweifelt. Ich sollte mich lieber beeilen. Ich beschleunigte meine Schritte und machte mich auf den Weg, wobei ich meine Blicke gesenkt hielt, falls man meine roten Augen jetzt schon erkennen konnte.

Als ich nach gut zehn Minuten, die erste Abzweigung nahm und nun weiter geradeaus lief, rumpelte ich jemanden aus Versehen an.

>> Oh sorry. <<, murmelte ich, aber hielt dabei meinen Blick gesenkt. Ich hatte zu sehr Angst davor, dass sich meine Augen schon verfärbt hatten, denn es war jetzt dunkler als vor zehn Minuten.

>> Kein Problem. <<, erwiderte derjenige.

Mir kommt die Stimme ziemlich bekannt vor, dachte ich mir und hob meinen Blick ein wenig. Ich sah einen muskulösen jungen Mann weiterlaufen, unter dessen schwarzen Mantel, sich seine Muskeln abzeichneten. War das nicht Jack?

>> Jack? <<, rief ich vorsichtig. Der Junge blieb stehen und drehte sich zu mir um. Meine Vermutung war also richtig gewesen. Es war Jack. Er sah mich erschrocken an und blieb stocksteif stehen.

>> Wieso bist du heute Früh einfach abgehauen? <<, fragte ich ihn ein wenig vorwurfsvoll.

>> Ich...oh. Kim. <<, sagte er bloß und sah sich dann vorsichtig um. Wieso benahm er sich denn so komisch? Verfolgte ihn etwa jemand? Falls ja, dann musste ich mich ihm nähern, damit niemand unserem Gespräch lauschen konnte und ging deshalb auf ihn zu.

>> Verfolgt dich jemand? <<, flüsterte ich so leise, dass ich fast bezweifelte dass er mich hören konnte.

>> Nicht wirklich. <<, flüsterte er zurück.

>> Wieso flüstern wir dann? <<, fragte ich.

>> Keine Ahnung. <<, antwortete er und sah sich schon wieder um.

>> Wieso siehst du dich dann dauernd um, als ob dir jemand auf der Lauer wäre? <<

>> Äh... <<

>> Ja? <<

>> Das klingt zwar komisch, aber das mache ich immer. Ist fast schon eine Art Angewohnheit geworden. <<, erklärte er. Es klang zwar paranoid, aber ich glaubte ihm irgendwie.

>> Hm. <<, sagte ich. >> Und wieso bist du heute einfach so abgehauen? <<

>> Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt dafür Kim. <<, antwortete er ernst. Er sieht irgendwie unruhig aus, stellte ich fest.

>> Wann dann Jack? <<, fragte ich genervt. >> Es ist nie der richtige Zeitpunkt für irgendwas. Wenn es nach dir ginge würdest du mir gar nichts verraten, stimmt' s? <<

>> Kim. Ich... <<, er stockte kurz. >> Ich werde dir alles irgendwann erklären, aber nicht jetzt okay? Ich...ich weiß dass ich mich komisch benehme, aber vertrau mir einfach. <<

>> Dir einfach vertrauen? Na klar, als ob Vertrauen etwas ist, das man so schnell aufbauen kann. <<, erwiderte ich unfreundlich. Das Seltsame daran war, dass ich ihm bereits vertraute. Denn es kam mir immer noch so vor, als würde ich ihn sehr, sehr lange kennen.

>> Okay. Was soll ich denn tun damit du mir vertraust? <<, fragte er ernst und sah sich schon wieder unmerklich um. Ich folgte diesmal seinem Blick und erkannte, dass im Schatten eines Hochhauses ein Junge stand, der in unsere Richtung starrte.

>> Sag mir wahrheitsgemäß warum du dich die ganze Zeit umsiehst und warum der Junge dort hinten in der Ecke auf dich wartet. <<, antwortete ich mit einem vorwurfsvollen Unterton.

Jack sah mich überrascht an und lächelte dann.

>> Du denkst jetzt bestimmt ich deale mit Kokain oder sowas. <<, sagte er schief grinsend. >> Das ist Philipp, einer meiner besten Freunde. <<, erklärte er.

>> Und das soll ich dir glauben? <<, fragte ich skeptisch.

>> Komm mit. <<, sagte Jack lächelnd und packte mich sanft an meinem Handgelenk. Als er mich berührte, war es so als würden Funken durch meinen Arm schießen und mich elektrisieren. Er bemerkte, dass ich kurz zusammenzuckte und ließ deshalb sofort los.

>> Was war das? <<, fragte er mich leicht erschrocken. >> Was war was? <<, fragte ich verwirrt.

>> Na das. War das ein Stromschlag? Wenn ja, dann war es aber ein heftiger Stromschlag. <<

Hatte er etwa dasselbe gespürt wie ich? >> Keine Ahnung... ich...weiß es nicht... <<, antwortete ich wahrheitsgemäß und sah zuerst ihn, dann meinen Arm an. Er beobachtete mich und nickte dann nachdenklich.

>> Lass uns zu Philipp rübergehen. <<, schlug er dann vor und ging voraus ohne mich noch einmal zu berühren. Ich folgte ihm und erkannte erst da, dass es hinter dem Gebäude noch dunkler war als auf der Straße. Schon von fünfzig Meter Entfernung erkannte ich problemlos, dass es wirklich Philipp aus unserer Klasse war der auf Jack wartete. Ich sah auf die Uhr. Es war jetzt halb fünf. Ich sah in den Himmel und erkannte, dass die Sonne nun untergegangen war und dass ich anfing, alles genauso scharf zu sehen wie tagsüber auch. Sofort senkte ich meinen Blick und holte mein Handy heraus. Ich sah auf das Display und betrachtete mein Spiegelbild. Ich erkannte, dass sich meine Augen langsam verfärbten und anfingen zu glühen. Ich muss sofort weg hier!, rief ich innerlich.

>> Jack ich muss los. <<, rief ich ihm kurz zu und rannte dann in die andere Richtung.

>> Du hast Philipp noch gar nicht gesehen! <<, hörte ich ihn mir hinterher rufen.

Doch habe ich, dachte ich mir und rannte weiter. Es war schwer mit gesenktem Blick herumzurennen und gleichzeitig darauf zu achten, dass man nicht gegen etwas stieß das einem später ein blaues Auge verpasste.

Nachdem ich mir sicher war, dass mir Jack nicht folgte und auch sonst kein anderer Mensch vor oder hinter mir war, hob ich meinen Blick und sah das große Schild auf dem ein U abgebildet war, leuchten. Erleichtert, verlangsamte ich meine Schritte und ging die Treppen, die zur Unterführung führten, herunter. Ich holte mein Handy heraus und tat so als würde ich mich damit beschäftigen. Aber eigentlich benutzte ich es als Spiegel. Und das, was mir mein Spiegelbild zeigte war ganz und gar nicht gut. Meine Augen glühten bereits wie heiße Lava. Ein Glück, dass die Unterführung beleuchtet ist, dachte ich mir und stieg trotzdem sicherheitshalber mit gesenktem Kopf in die U-Bahn ein. Zu meinem Glück war es genau die Bahn, in die ich steigen musste. Als ich wieder auf mein Handydisplay sah, spiegelten sich meine normalen Augen darin wider.

Gott sei Dank, schoss es mir durch den Kopf und ich sah mich erleichtert in der Bahn um. Es waren zwar ein Paar Plätze frei um mich hinsetzen zu können, aber ich musste sowieso nicht so lange fahren.

Nach einigen Minuten stieg ich um und nahm die S-Bahn, die zu mir nach Hause fuhr. Es dauerte eine Weile bis ich ankam, aber schließlich stieg ich aus und begab mich somit wieder in die Eiseskälte. Sofort schlug mir kalter Wind entgegen als ich die Treppen hochstieg und mich versicherte ob jemand in der Nähe war.

Nach gut zwanzig Minuten, kam ich mit gefrorenen Zehen und eiskalten Händen an unserem Haus an und hoffte, dass mein Zimmer wärmer war als draußen. Wenn mein Zimmer wieder so kalt ist wie hier draußen, wechsele ich das Zimmer! , dachte ich mir und lief die Verandatreppen hoch.
Als ich das Haus betrat freute ich mich darüber, dass es schön warm war und der Duft von Essen mir entgegenschlug. Moment mal? Essen?

>> Hallo? <<, rief ich laut und folgte dem leckeren Geruch.

>> Ich bin hier! <<, rief meine Mutter zurück. Sie war doch heute Morgen zur Arbeit gefahren oder erinnerte ich mich falsch?

>> Was machst du denn schon so früh hier? <<, fragte ich sie überrascht und legte währenddessen meinen Mantel ab.

>> Ich hatte heute früher Schluss. <<, erklärte sie. >> Und was hast du so schönes gemacht? <<

>> Nichts, ich war draußen. Bisschen spazieren. <<, antwortete ich trocken und sah ihr dabei zu, wie sie die frisch geschnittenen Tomaten in die Pfanne warf. >> Ich glaube dieser Kochkurs den du seit neustem besuchst, hilft dir. <<, stellte ich fest.

>> Ja, kann man wohl sagen. <<

>> Sieht so aus. <<

>> Ich wusste gar nicht, dass Kochen Spaß machen kann. <<, sagte sie grinsend.

>> Anscheinend doch. <<, erwiderte ich lächelnd. >> Ich gehe mal hoch in mein Zimmer. Muss noch ein paar Sachen erledigen. <<

>> Okay, gut. Ich ruf dich dann, wenn das Essen fertig ist. <<

>> Okay, danke. <<, sagte ich und lief dann die Treppen hoch.

Zum Glück ist' s warm hier, dachte ich mir und versuchte mich ein wenig zu entspannen. Meine Hände und Füße waren zu Eiszapfen erfroren, sodass ich sie erst einmal unter heißes Wasser halten musste damit sie wieder auftauten.

Als ich aus dem Fenster sah, kam es mir so vor als wäre es schon Mitternacht, doch als ich einen Blick auf die Uhr warf, zeigte sie erst kurz vor halb sieben an. Der heutige Tag hatte mir zwar irgendwie gut getan, aber ich hatte nicht alle meine Gedanken ordnen können. Es waren noch zu viele offene Fragen in meinem Kopf. Warum waren meine Augen rot? Das war doch nicht normal. Und warum war Jack heute einfach so abgehauen?

Er sagt ständig er wird' s mir irgendwann erklären, aber was wird er mir denn erklären? Nicht einmal das weiß ich, dachte ich mir verzweifelt. Wusste vielleicht mein Vater irgendetwas darüber? Konnte doch sein, dass er mir irgendetwas verheimlichte was in meiner Kindheit geschehen war.

Ich sollte ihn am besten fragen, wenn ich über Weihnachten bei ihm bin.

Und diese seltsamen Träume...hatten sie eine Bedeutung? Sie kamen mir nämlich nicht wie normale Träume vor, sondern wie Geschehnisse die wirklich passiert waren. Es konnte doch nicht sein, dass die Gefühle der Personen aus meinen Träumen in mir blieben oder?

Ich kann ja nicht mal mit irgendwem darüber reden, dachte ich mir innerlich, mit wem denn auch? Wer würde das alles verstehen? Man würde mich wahrscheinlich einsperren.

Ich erschrak als mein Handy plötzlich vibrierte, um mir mitzuteilen, dass mich jemand anrief.
Das Display zeigte mir wieder einmal einen Unbekannten Teilnehmer an.

>> Hallo? <<, ging ich unfreundlich ran.

>> Hey, Kim. Wieso bist du so plötzlich weggerannt? << Es war Jack.

>> Wieso bist du heute so plötzlich abgehauen? <<, entgegnete ich spitz.

>> Gut gekontert. <<, sagte er gelassen. >> Wo bist du gerade? <<

>> Ich bin zu Hause. Warum fragst du? <<, antwortete ich.

>> Kann ich kurz bei dir vorbeischauen? <<, fragte er. Wow, er fragte diesmal.

>> Du fragst diesmal? <<

>> Höflich kann ich manchmal auch sein. <<, meinte er lächelnd.

>> Ich weiß nicht genau. Meine Mutter ist gerade da... <<

>> Sie muss es ja nicht erfahren. <<

>> Was meinst du damit? <<, fragte ich verwirrt. >> Soll ich sie ablenken damit du ins Haus kannst? Ich kann sie ja auch ganz normal fragen. Ich denke nicht, dass es ihr etwas ausmacht. <<

>> Sie kocht gerade und wenn sie dich zum Essen ruft und du Besuch hast, wird sie das bestimmt aufregen. <<, erwiderte Jack.

>> Woher weißt du, dass sie gerade kocht? <<, fragte ich überrascht.

>> Naja, ich stehe in eurem Garten und von dort aus kann ich sie ziemlich gut sehen. <<, antwortete er lässig.

>> Du stehst in unserem Garten? <<, rief ich erschrocken. >> Was machst du dort? <<

>> Na, auf deine Antwort warten. <<

>> Auf meine..- Jack! Wieso fragst du mich überhaupt ob du kommen darfst, wenn du eh schon in meinem Garten stehst und herum spannst? <<, fragte ich ihn während ich zum Fenster lief und die Gardinen zurückschob.

>> Ich wollte höflich sein. <<, antwortete er grinsend. Ich räumte alles was auf der Fensterbank lag weg und machte schließlich das Fenster auf. Sofort schlug mir ein kalter Wind entgegen.

Jack hörte das Geräusch und richtete deshalb seinen Blick auf mein Fenster.

>> Lässt du jetzt dein Haar herunter Rapunzel? <<, fragte er mich grinsend. Seine weißen Zähne leuchteten förmlich in der Dunkelheit.

>> Hast du etwa getrunken oder warum bist du so gut drauf? <<

>> Nope. Ich habe nichts getrunken. Aber du meintest ja heute Morgen, ich soll ganz ich selbst sein, wenn ich bei dir bin. Et voilà! Hier bin ich. <<, rief er gut gelaunt.

>> Pst! Nicht so laut! Sonst hört dich noch meine Mom! <<, rief ich ihm flüsternd zu.

>> Keine Sorge, sie kriegt schon nichts mit. <<, meinte er.

>> Und wieso bist du dir da so sicher? <<

>> Weil sie ganz laut Musik hört. Hörst du' s nicht? <<

Ich spitzte die Ohren und konzentrierte mich auf die Geräusche, die aus der Küche kamen. Und tatsächlich, meine Mutter hatte volle Pulle aufgedreht. Wieso war mir das entgangen?

>> Okay. Gut, du hast recht. Aber wie soll ich dich ins Haus bringen? Ist es denn so wichtig? <<

>> Naja, wenn du ein paar Erklärungen haben willst. <<, antwortete er wissend und sah mich gespielt unschuldig an. Ich kniff die Augen zu kleinen Schlitzen und versuchte ihn böse anzuschauen.

>> Guter Schachzug. <<, flüsterte ich extra mit einer tiefen krächzenden Stimme, sodass Jack lachen musste.

>> Also, mach mal Platz. Ich komme jetzt hoch. <<, rief er fröhlich.

>> Was meinst du damit? Kletterst du jetzt etwa hoch? <<, fragte ich erschrocken.

>> Na wonach sieht' s denn aus? <<, entgegnete er und fing an auf den Baum gegenüber meinem Fenster zu klettern.

>> Nein! Das kannst du nicht machen! Du brichst dir noch irgendwas! <<, protestierte ich. Doch als ich sah, wie geschickt er sich anstellte, verstummte ich und sah ihm fasziniert zu wie er hin und her hüpfte und sich schließlich in mein Zimmer schwang.

>> Bist du etwa ein Parcours Läufer oder sowas? <<, fragte ich bewundernd.

>> Nein. Aber danke für das Kompliment. <<, antwortete er grinsend und kratzte sich dabei am Arm.

>> Wer sagt, dass es ein Kompliment war? <<, fragte ich, >> vielleicht halte ich solche Leute ja für sinnlos hin und her springende Idioten. Wer weiß? <<

>> Hältst du sie denn wirklich für solche Idioten? <<

Ich musste mich geschlagen geben. >> Nein. Eigentlich nicht. <<, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Er legte seinen Kopf schief und hob eine Augenbraue. >> Na siehst du. <<, sagte er, >> doch ein Kompliment. <<

>> Dann ist es eben ein Kompliment. <<, gab ich lächelnd zu.

>> Wollen wir anfangen? <<, fragte Jack und beendete somit unser lässiges Gespräch.

>> Okay. <<, antwortete ich und bot ihm einen Platz an.

>> Nein, danke. Ich stehe lieber. <<, lehnte er höflich ab und machte dann das Fenster zu.

>> Du kannst auch die Gardinen zuziehen, wenn du alles sicher abgeriegelt haben willst. <<, schlug ich ihm grinsend vor. Ich hoffe er hat die Ironie dabei herausgehört, dachte ich mir innerlich.

>> Gute Idee. <<, sagte er und zog die Gardinen zu.

>> Das war ein Witz Jack. <<

>> Wieso? Ich wollte sowieso alles abdunkeln. <<

>> Warum denn das? <<, fragte ich überrascht.

>> Das wirst du später erfahren. <<, antwortete er ernst und sah sich kurz um. Was hatte der Kerl bloß vor? War es doch nicht so eine gute Idee gewesen ihn in mein Zimmer zu lassen?

>> Immer diese Geheimnisse. <<, murmelte ich und sah ihm dabei zu, wie er auch noch die Jalousien herunterließ. >> Ist das jetzt nicht ein wenig übertrieben? <<

>> Nein, ganz und gar nicht finde ich. <<, antwortete er. Als er mit dem ganzen Abriegeln fertig war, sah er sich um und nickte dann zufrieden. Doch ich wusste, dass er eins vergessen hatte. Nämlich meine Tür abzuschließen. Ich wusste nicht ob es Telepathie war, aber genau in dem Moment lief Jack zu meiner Tür und schloss sie ab.

>> So! Jetzt sind wir fertig. <<, verkündete er und kam dann auf mich zu. >> Du willst also wissen, warum ich heute abgehauen bin, ja? <<, fragte er ernst und packte mich sanft bei den Schultern. Genau wie vorhin, als er mein Handgelenk umklammert hatte, schoss mir ein elektrischer Schlag durch den Körper und ließ mich zusammenzucken. Mir wurde plötzlich heiß und ich spürte in jeder Ader meines Körpers, wie das Blut sie durchfloss und mein Herz zum Pumpen brachte. Ich musste mich automatisch schütteln, um dieses intensive Gefühl loszuwerden. Jack hatte mich schon losgelassen, als ich zusammengezuckt war. Aber er machte genau die gleiche Geste wie ich, als wolle er etwas abschütteln.

Wir sahen uns beide etwas erschrocken an, doch sagten nichts dazu.

>> Also... <<, räusperte sich Jack dann, >> du wolltest wissen, warum ich abgehauen bin. <<

>> Genau... <<, bejahte ich mit leiser Stimme.

Er trat nah an mich heran und musterte ein paar Sekunden lang mein Gesicht. >> Ich habe da etwas gesehen. <<, sagte er schließlich. Oh mein Gott! Meint er etwa damit meine Augen? Was ist, wenn er wirklich meine Augen meint? Wie soll ich ihm das erklären? Ich habe doch selber keine Ahnung, warum sie sich verfärben! , dachte ich mir panisch. Auch wenn ich innerlich ein wenig durchdrehte, bewegte ich nach außen hin keinen Muskel. Er sollte nicht merken, dass es etwas gab das mir Unruhe bereitete.

>> Was hast du denn gesehen? <<, fragte ich schließlich mit stärkerer Stimme und sah ihm in seine dunklen wunderschönen Augen.

Mir kam es so vor als würde sein strenger Blick sich bis in meine Seele durchbohren, aber woher sollte er denn wissen wer ich wirklich war?

Ich wartete auf eine Antwort, doch die würde wahrscheinlich niemals kommen. Stattdessen streckte Jack seinen Arm aus und legte seine Hand an die Wand. Ich verstand nicht warum er das tat, doch plötzlich wurde es dunkel um uns herum.

Es schien als hätte mein Gehirn den Geist aufgegeben. Denn mir wurde erst ein wenig später bewusst, dass Jack das Licht ausgeschaltet hatte. Und auch erst da wurde mir klar, dass er wahrscheinlich in meine glühend roten Augen blickte. Beruhige dich Kim, dachte ich mir panisch, er hat es bestimmt nicht gesehen... es dauert doch paar Sekunden bis meine Augen sich verfärben...

Reflexartig sah ich zu Boden. >> Wieso hast du das Licht ausgemacht? <<, fragte ich Jack und hörte heraus, wie meine Stimme dabei ein wenig zitterte.

>> Weil ich dir deine Antwort geben wollte. <<, antwortete er ernst. Auch wenn ich ihn nicht ansah, wusste ich mit Sicherheit, dass er mich immer noch anstarrte. Naja...auch wenn er mich wegen der Dunkelheit nicht detailliert beobachten konnte.

>> Jack ich weiß nicht was du meint. <<, log ich und versuchte mich hinzusetzen.

>> Würdest du bitte das Licht wieder anschalten? Mir wird schwindelig wenn ich nichts sehe. <<

Was für eine Lüge! , dachte ich mir. Ich konnte alles perfekt erkennen.

>> Wieso hast du eigentlich deinen Kopf weggedreht Kim? Ist mir etwas entgangen? <<, hörte ich Jack fragen. Er weiß es, schoss es mir durch den Kopf, er weiß alles!

>> Sieh mich doch an. <<, sagte er mit einer sanften Stimme, sodass ich mich fragte woher auf einmal sein Stimmungswechsel kam.

>> Sag mir zuerst warum. <<, erwiderte ich ernst und drehte ihm den Rücken zu. Natürlich hätte ich schon längst den Lichtschalter drücken können, doch Jacks Hand lag immer noch darauf.

Ich hörte wie Jack leise lachte und sich dann neben mich setzte.

>> Hey. <<, flüsterte er und versuchte mich anzusehen. >> Ich weiß, dass deine Augen sich nachts verfärben. <<

Es kam mir so vor als würde mir jemand heißes Wasser übergießen. Wie konnte er das überhaupt wissen? Das war doch erst seit heute so! Frühestens seit gestern Nacht!

Überrascht und erschrocken zugleich drehte ich mich zu ihm um. >> Seit wann? <<, fragte ich ihn leise.

>> Seit gestern Nacht. <<, antwortete er gelassen und lächelte mich an. >> Ich habe gedacht, ich sehe nicht richtig, als sich deine Augenfarbe plötzlich verändert hat, weil es nur für den Bruchteil einer Sekunde so war. Und als ich heute Morgen zu dir gekommen bin, wollte ich mich vergewissern ob deine Augen wieder rot waren. Aber das waren sie nicht. <<, fuhr er fort. >> Doch als du dann ins Badezimmer gegangen bist und das Licht nicht angeschaltet hast, habe ich mich gefragt...ob...naja, du weißt schon, deine Augen... <<

>> Ja... <<, flüsterte ich und starrte vor mich hin. Wieso war er gestern dann nicht weggerannt wie ein Irrer? Oder wieso hatte er mich nicht einfach gefragt?

>> Ja. <<, sagte er leise und lehnte sich an das Bettgestell.

>> Wieso hast du' s mir gestern nicht einfach gesagt? <<, fragte ich monoton.

>> Weil ich mir nicht sicher war. <<

>> Und weshalb bist du dann heute Früh abgehauen, anstatt es mir zu sagen? <<

>> Weil ich... <<, er stockte kurz und stöhnte dann entnervt auf.

>> Was ist los? <<

>> Nichts, es ist nur...ich kann es dir nicht sagen. <<, erklärte er mit einer traurigen Stimme.

>> Warum? Bist du in so einer Art wissenschaftlicher Sekte, wegen der du niemandem etwas verraten darfst? <<

>> Nein, - ich... naja... <<

>> Heißt das also du bist wirklich in so einer Gang? <<, fragte ich belustigt und richtete mich ein wenig auf. Ich sah ihn von der Seite an und betrachtete seine markanten Gesichtszüge. Obwohl kein einziger Lichtstrahl in mein Zimmer drang, kam es mir so vor als würde die Narbe, die sich über seine linke Augenbraue zog, leuchten.

>> Nein, nicht wirklich. <<

>> Hm. <<, murmelte ich und hakte nicht weiter nach.

Eine Weile lang saßen wir schweigend nebeneinander, bis ich die Stille unterbrach.

>> Kommt es dir denn nicht komisch vor, dass ich plötzlich rote Augen habe? Du hast gar nicht überrascht darauf reagiert. <<, stellte ich fest.

>> Weil ich es erwartet habe. <<, erwiderte er ernst.

>> Was meinst du damit? Du kannst doch nicht vorhergesehen haben, dass das passiert! <<

>> Wieso denn nicht? Vielleicht bin ich ja so etwas wie ein Vorhersager. <<

>> Sag mir die Wahrheit Jack. Bitte. <<

Er schwieg einen Moment lang bevor er mir antwortete. >> Das kann ich leider nicht. <<

>> Arrghh! <<, knurrte ich wütend und sprang auf. >> Wieso frage ich überhaupt?! Du hältst eh alles geheim. <<

>> Sag sowas nicht. Ich tue nur das was von mir verlangt wird. <<, entgegnete er und stand ebenfalls auf.

>> Was wird denn von dir verlangt Jack? Ich meine, ich kenne dich eigentlich überhaupt nicht. Und plötzlich tauchst du auf und erzählst mir ich solle mich von einem Jungen fernhalten, den ich auch kaum kenne. Dann meinst du, du wüsstest mehr über mich als ich denke. Und dann... Bumm! Springst du in mein Zimmer und meinst, du hättest etwas schon erwartet, dass ich selbst erst jetzt an mir entdecke. <<, flüsterte ich energisch. >> Es geht um mich Jack! Verstehst du? Um mich. Und es erschrickt mich einfach, dass du - jemand der mich gerade erst kennengelernt hat- mehr über mich weißt als ich! <<

Ich hörte wie Jack sich an der Wand entlang tastete und schließlich den Lichtschalter drückte. Grelles Licht erfüllte das ganze Zimmer und ließ mich komischerweise zusammenzucken.

Ich sah wie Jack mich verständnisvoll ansah, aber sein Mund sich zu einem Strich verhärtete.
Eine Falte war zwischen seinen Augenbrauen aufgetreten, die ihn nachdenklich und besorgt erscheinen ließ.

>> Es tut mir leid, Kim. <<, sagte er leise und ging dann zum Fenster. Ich sah ihm dabei zu, wie er die Gardinen zurückschob und das Fenster aufmachte. Ich wusste, dass er im nächsten Moment aus dem Fenster verschwinden würde, aber ich hatte nicht vor ihn aufzuhalten. Ich hatte gelernt, auch wenn es erst seit so kurzer Zeit war, dass ich ohne seine Zustimmung keine Informationen von ihm erhalten würde. Er rollte die Jalousien wieder hoch und drehte sich dann zu mir um.

Jack sah mich noch ein letztes Mal an, bevor er durch das Fenster verschwand. Ich wollte ihm dabei nicht zusehen, also drehte ich mich um und wartete sicherheitshalber einige Minuten.

Als ich mich wieder dem Fenster zuwandte, hörte ich wie meine Mutter mich zum Essen rief. Ich schloss das Fenster und zog die Gardinen wieder zu. Es schien so als wäre Jack nie durch dieses Fenster in mein Zimmer gesprungen. Alles schien beim Alten zu sein. Doch das war es nicht.

Seufzend machte ich mich auf den Weg in die Küche.

***

>> Hat' s dir geschmeckt? <<, fragte mich meine Mutter als wir gemeinsam den Tisch abräumten.

>> Ja. <<, antwortete ich ehrlich, >> wirklich gut. <<

>> Danke, danke. Nicht so wie früher, als alle noch Angst hatten, dass ich sie vergiften würde. <<, sagte sie lachend.

>> Ja, stimmt. <<, erwiderte ich abwesend. Jack ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Wenn ich ihn morgen in der Schule sehen sollte, werde ich ihn ignorieren, nahm ich mir innerlich vor.

>> Naja, eigentlich konnte ich ja noch vor ein paar Tagen auch nicht so gut kochen. Zwar ein wenig besser als ganz früher, aber ja... <<, redete meine Mutter weiter.

Ich stimmte ihr immer wieder zu und lächelte sie an wenn sie lachte, damit sie mir meine Apathie nicht ansah.

Ich stellte ihr noch sicherheitshalber ein paar belanglose Fragen bevor ich in mein Zimmer ging, damit sie ja nicht auf die Idee kam mich anzumeckern, warum ich doch so still sei.

Als ich die Zimmertür hinter mir schloss, kam es mir kälter vor als vorher, weshalb ich die Heizung voll aufdrehte und mich daran lehnte. Nachdenklich starrte ich meinen Tisch an, wodurch mir nach einigen Minuten einfiel, dass ich noch ein paar Hausaufgaben zu erledigen hatte. Lustlos ging ich zu meiner Tasche und holte die entsprechenden Bücher heraus. Ich überlegte, ob ich meine Hausaufgaben auf dem Tisch oder an der Heizung auf dem Boden machen sollte. Ich entschied mich für Letzteres.

Ich fing mit Geschichte an, da ich damit nicht fertig geworden war. Schlagartig fiel es mir wieder ein.

Die Truhe!

Ich hatte doch von dieser komischen Truhe geträumt oder etwa nicht? Hektisch schlug ich das Buch auf und suchte nach der Seite, auf der die Zeichnungen abgebildet waren.

Wo ist sie verdammt?, dachte ich mir und blätterte energisch immer weiter, bis ich sie schließlich fand. Ich sah mir die Zeichnung genauer an und mir wurde bewusst, dass es tatsächlich die Truhe war von der ich geträumt hatte.

Als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte, war ich mir eigentlich auch sicher gewesen. Aber jetzt war es mir eindeutig klar. Es gab leider keine konkrete Beschreibung des Bildes, weshalb ich versuchte es mir selber zusammenzureimen. Es war definitiv ein Schlachtfeld auf dem Menschen um diese Truhe kämpften. Zumindest ging ich davon aus, dass es Menschen waren.

Aber warum kämpften sie? Doch die Antwort stand leider nicht auf der Zeichnung. Ich versuchte mir die Verzierungen auf der Truhe genauer anzusehen, jedoch waren sie zu fein und zu klein um sie mit bloßem Auge erkennen zu können.
Plötzlich fiel mir eine Idee ein. Ich stand auf und lief herunter in die Küche.

>> Mom? <<, rief ich und hörte Geräusche aus dem Wohnzimmer kommen. >> Mom?! <<

>> Ja? Ich bin im Wohnzimmer! <<, rief sie zurück.

Ich schob die Tür beiseite und ging auf sie zu. >> Mom, hast du zufällig eine gute Lupe da? <<, fragte ich sie hoffnungsvoll.

>> Hm, lass mich mal überlegen. << Sie stand auf und wühlte in ein paar Schubladen herum.

>> Dein Opa hatte immer eine Ersatzlupe hier gelassen, ich weiß bloß nicht wo. <<, sagte sie. >> Ist es denn etwas Dringendes? <<

>> Ja, eigentlich schon. <<, antwortete ich.

>> Ich schaue mal kurz oben nach. <<, sagte sie und lief hoch in ihr Zimmer. Ich wartete im Flur auf sie und hoffte, dass sie sie fand. Ich musste einfach herauskriegen was diese Verzierungen bedeuteten.

Der alte Mann in meinem Traum hatte gesagt, dass nur diese Frau sie lesen könne... oder nicht? Nein, halt! Ich hatte mir gedacht, dass nur diese geheimnisvolle Frau es lesen konnte, aber es niemand wusste. Hatte ich das gedacht oder die Frau? Ich wusste es nicht und es war eigentlich auch egal. Die Hauptsache war, dass ich es irgendwie wusste.

>> Voilà! Ich habe es gefunden! <<, rief meine Mutter mir zu und kam mit der Lupe in der Hand die Treppen herunter. >> Hier bitteschön. <<, sagte sie zufrieden und lächelte mich an.

>> Danke. <<, erwiderte ich höflich und schenkte ihr ebenfalls ein Lächeln. >>Ich gehe dann mal wieder in mein Zimmer. <<

>> Ja, mach nur. <<, sagte sie fröhlich und lief wieder ins Wohnzimmer.

Voller Euphorie nahm ich jeweils zwei Stufen gleichzeitig, während ich auf mein Zimmer rannte. Schnell setzte ich mich wieder an die Heizung und nahm das Geschichtsbuch in die Hand. Ich hielt die Lupe genau auf die Zeichnung der Truhe und versuchte Details zu erkennen. Irgendwie hatte ich erwartet, dass ich die Verzierungen entschlüsseln konnte, aber leider verstand ich gar nichts. Falls es eine Sprache sein sollte, musste ich zugeben, weder die Buchstaben davon zu kennen noch jemals so eine Schrift gesehen zu haben. Es waren viele Schnörkel und gleichzeitig eckige Muster zu erkennen, die ineinander übergingen. Sie kamen mir vor wie ganz normale Verzierungen auf einer Truhe.

Wie bescheuert bin ich eigentlich? , dachte ich mir hoffnungslos, nur weil ich etwas darüber träume und mir denke, dass ich es lesen kann setze ich mich ernsthaft hier hin und versuche diese komische Schrift zu entschlüsseln! Hoffnungslos klappte ich das Buch zu und hatte mit einem Mal gar keine Lust mehr mich mit den Hausaufgaben zu beschäftigen. Stattdessen setzte ich mich an meinen Schreibtisch und schaltete meinen Laptop an. Nach einigen Minuten des Wartens, öffnete ich Google und gab  verschollene Schriften  ein. Außer Enttäuschung fand ich leider nichts Brauchbares. Es tauchten nur Webseiten auf wie: Die verschollenen Schriften des Nostradamus, die mir überhaupt nicht weiterhalfen. Das Internet ist also doch nicht so hilfreich wie alle denken, ging es mir durch den Kopf. Genervt schob ich meinen Stuhl zurück und klappte den Laptop wieder zu. Ich räumte alle meine Bücher auf und stopfte sie in meine Tasche. Was hatte ich denn erwartet? Dass alle Antworten vom Himmel fallen würden?

Schleppend ging ich auf mein Bett zu und schmiss mich darauf. Automatisch warf ich einen Blick auf die Uhr, die mir anzeigte, dass es schon neun war. Ich war zwar noch nicht sehr müde, aber was sollte ich denn noch anderes machen? Hausaufgaben machen kam nicht in Frage, da ich eigentlich überhaupt keine Lust hatte irgendetwas zu machen. Dass ich plötzlich so schlecht gelaunt war, überraschte mich selbst, da ich solche Stimmungsschwankungen normalerweise nie hatte.

Ich entschied mich schließlich schlafen zu gehen und stand ein letztes Mal auf, um das Licht auszuschalten. Nachdem ich auch meine Zähne geputzt hatte, legte ich mich auf das Bett und drehte mich auf den Bauch. Ich hoffte nur, dass der Schlaf mich schnell übermannen würde, denn ich wollte nicht mehr nachdenken müssen. Doch gerade als ich dachte ich könne einschlafen, summte mein Handy. Entnervt setzte ich mich auf und schnappte es mir. Als ich sah, dass es eine SMS von meinem Dad war, verflog jeglicher Zorn und mich erfüllte innere Freude.

Hallo mein Spatz, schrieb er, mir geht es sehr gut danke. Ich hoffe dir ergeht es genauso gut. Ich habe alle von dir aus gegrüßt. Ich denke du erinnerst dich sehr gut daran, wie Rebeccas Tochter heißt. Sie vermisst dich ja sooo sehr! Sie wollte unbedingt dein Zimmer haben, aber ich habe es ihr nicht erlaubt. Sicherheitshalber habe ich deine Zimmertür abgeschlossen und die Fenster von außen verriegelt, damit sie ja nicht auf dumme Gedanken kommt. Deiner Schwester geht es auch gut. Sie ist in deine Fußstapfen getreten und ist jetzt die Anführerin der Cheerleader. Komischerweise macht es Caroline nichts aus. Sie versteht sich sogar ziemlich gut mit Kylie. Ich freue mich schon darauf, dich wieder zu sehen Liebes. Zieh dich dort warm an! Nicht, dass du noch krank wirst. Pass du auch auf dich auf, Spatz.

Ich las mir die SMS noch weitere zwei Male durch bevor ich mich, erfreut über die Nachricht meines Vaters, wieder zurück ins Bett legte und meine Augen schloss.

Ich hoffte ich würde etwas Schönes träumen.

PS: Voten und kommentieren nicht vergessen, please! :D :*

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