Thirty-Three

Niall hatte sich auf das Zuhören verlegt. Er war sich nicht ganz sicher, was er von diesem Mr Payne halten sollte. Sicher, er hatte eine sympathische Stimme und er war ein Freund von Jonathan, doch was für ein Freund? Es gab unzählige Abstufungen von einem Freund. Vom flüchtigen Bekannten, bis zum besten Freund. Und eine Stimme war nicht immer verlässlich, zumindest nicht für eine endgültige Beurteilung.

Gerne hätte er sich den Fremden einmal angesehen, doch dies war wohl nicht angebracht. Also lauschte Niall. Doch es blieb eine Stimme, die genauso gut aus dem Radio oder dem Fernseher hätte kommen können.

Mit Lini war es einfacher gewesen, hier herrschte sofort eine Verbindung, hier hatte er auch keine Probleme damit, sie zu bitten, damit er sie ansehen konnte. Er erinnerte sich an ihr Gesicht, so als wäre es direkt vor seinen Augen. Ihre gleichmäßigen Züge, ihre kleinen Ohren, die mit sternförmigen Ohrsteckern geschmückt waren und der kleine Pickel rechts an ihrer Nase. Hier hatte er die Finger sofort zurückgezogen.

Erstens wollte er ihr keine Schmerzen bereiten; aus Erfahrung wusste er, dass diese kleinen Dinger recht weh taten und zweitens, war es Lini bestimmt nicht recht, dass er ihn näher betrachtete. Zumindest würde es ihm so gehen.

Er lächelte still vor sich hin, nur für sich, keiner würde es bemerken. An seinem Bein fühlte er die Wärme ihres Beines, das eng an seinem anlag. Für gewöhnlich wurden solche Berührungen vermieden und kam es dazu, zog sich jeder gleich wieder zurück. Nicht in diesem Fall. Niall hatte nichts gegen diese Berührung, ganz im Gegenteil und Lini schien es ähnlich zu gehen.

In dieser fast unwirklichen Stimmung hörte er den Ausführungen von Jonathans Freund zu. Sie erschienen ihm langatmig und auch langweilig. Seinem Vater schien es ähnlich zu gehen, denn er sagte unvermittelt:

„Mr Payne, das ist ja alles schön und gut, aber worauf wollen Sie hinaus?“

Der Angesprochene atmete tief ein, wie um Anlauf zu nehmen für seinen folgenden Satz.

„Mr und Mrs Horan, ich möchte Niall engagieren.“

„Sie wollen was? Wofür?“

Klang es entsetzt? Überrascht? Oder einfach nur verwundert?

„Für ein Konzert!“

„Für ein... Sie haben doch gehört, was heute Abend los war. Es ist uns nun verboten, hier ein Konzert zu geben – auch wenn ich es nie so genannt habe.“

„Nicht hier, Mr Horan. Ich möchte ein Konzert in der „Martin-Luther-King-Hall“ geben, mit Niall als Star.“

„Star? Mr Payne, Niall ist noch ein Junge, von mir aus auch ein junger Mann“,

sagte Mrs Horan in Richtung ihres Sohnes.

„Er ist gut, aber doch kein Star!“

„Nennen Sie es, wie Sie wollen. Der junge Mann ist gut, sehr gut sogar. Vielleicht ist er noch kein Star, aber er hat das Zeug dazu. In der MLK-Hall wird er tausende Zuschauer haben, nicht nur ein paar hundert, wie hier.“

Mrs Horan zog die Stirn kraus und sah ihren Mann an.

„Tausende? Wo sollten die denn herkommen. Hier hat die Nachbarschaft zugehört und fand es wohl ganz nett, aber wer würde Eintritt bezahlen, um Niall zu hören? Entschuldige, Schatz, du bist gut, sehr gut sogar, aber wir sollten realistisch sein.“

Mr Payne' Stimme nahm einen seltsamen Klang an:

„Mrs Horan, die Zuhörer kamen nicht nur aus Ihrer Nachbarschaft. Ich habe mich umgehört. Sie kamen aus allen Stadtvierteln und sogar zum Teil aus den Nachbarorten, nur um Niall zu hören!“

„Na, na! Übertreiben Sie da nicht ein bisschen?“

„Nein, ganz bestimmt nicht. Nehmen wir doch zum Beispiel diese junge Dame hier.“

Niall merkte, wie sich Lini etwas versteifte und ein kleiner Ruck durch ihr Bein lief.

„Nun, stammst du hier aus der Nachbarschaft?“

„Nicht direkt.“

„Aus welchem Stadtteil stammst du?“

Lini beantwortete zögernd die Frage.
Mrs Horan sah erstaunt aus.

„Aber das liegt ja am anderen Ende der Stadt. Wie kamst du dann ausgerechnet in unseren Supermarkt?“

Die Angesprochene wurde puterrot.

„Ich wollte Ihnen doch Grüße ausrichten, da bin ich Ihnen gefolgt.“

Niall merkte, wie sie zu zittern anfing und griff instinktiv nach ihrer Hand.

„Ich hätte nie damit gerechnet, dass Sie mich zum Abendessen einladen. Das war auch nicht meine Absicht. Ich wollte wirklich nur Grüße mitgeben. Doch dann... ich konnte diese Chance einfach nicht verstreichen lassen. Es tut mir leid. Ich werde jetzt besser gehen.“

Sie wollte schon aufstehen, doch Niall hielt sie einfach fest und Mrs Horan, der das nicht entgangen war, meinte:

„Du musst nicht gehen. Aber wir sollten uns noch einmal darüber unterhalten. Wie bist du überhaupt hier? Und wissen deine Eltern wirklich, wo du bist?“

„Ja, ich habe ihnen einen Zettel hingelegt, aber wahrscheinlich haben sie ihn noch nicht gefunden.“

„Und wie bist du hier?“

„Mit der U-Bahn.“

„Damit fährst du aber um diese Zeit nicht mehr zurück, wir werden dich nachher heimfahren, schließlich haben wir die Verantwortung für dich.“

„Aber ich fahre immer mit der U-Bahn.“

„Keine Widerrede. Wenn du bei uns bist, fährst du anschließend nicht mit der U-Bahn.“

„Hätte ich nur nichts gesagt.“

„Es war gut, dass du es gesagt hast. Wenn dir etwas passiert wäre...“

Sie sah ihren Sohn an und seufzte.

„Gut, Mr Payne, das ist eine. Das beweist aber noch nichts.“

„Das war auch nur ein Beispiel. Ich habe mehrere der Anwesenden gefragt, bevor Niall anfing zu spielen. Keiner war zufällig da und die wenigsten kamen aus direkter Nachbarschaft.“

„Nehmen wir an, es stimmt, was Sie sagen. Aber ein Konzert...? Ich bin noch immer nicht überzeugt.“

„Ich verstehe Ihre Zweifel, Mrs Horan, aber für Sie besteht keinerlei Risiko. Niall bekommt auf alle Fälle seine Gage. Alles andere organisiere ich und finanziere es auch. Das Risiko liegt also ganz alleine bei mir.“

„Sie haben keine Kinder, oder?“

„Nein, aber ich verstehe den Zusammenhang nicht ganz.“

„Hätten Sie Kinder, würden Sie verstehen. Es geht hier doch nicht alleine ums Geld. Stellen Sie sich vor, es kommt keiner, oder nur ganz wenige. Niall wäre maßlos enttäuscht. DAS Risiko will ich nicht eingehen.“

„Mam?“

„Ja, Niall?“

„Ich würde gerne das Risiko eingehen.“

„Und wenn nur vereinzelt Leute kommen?“

„Das ist egal. Im Garten habe ich auch nur für euch gespielt. Wenn ihr hinkommt, ist es so, als spiele ich wieder nur für euch. Und wenn nur ein anderer Zuhörer kommt und der etwas mitnimmt, dann hat es sich gelohnt.“

„Wie meinst du das? Etwas mitnimmt?“

„Lini hat mir erzählt, dass einige Zuhörer wieder Mut fassen, wenn sie meiner Musik lauschen. Es ist wie eine Tankstelle. Sie kommen und tanken, und dann läuft der Motor wieder. Es mag jetzt komisch klingen, aber wenn nur einer kommt, dessen Motor anschließend wieder läuft... lohnt sich das denn nicht schon?“

„Oh, Niall!“

„Vielleicht kann ich einem Menschen wieder Mut machen, vielleicht auch nur eine Stunde schenken mit guter Musik, das ist doch Lohn genug. Ich würde das wirklich gerne tun.“

Es herrschte Stille. Mr und Mrs Horan sahen sich an. Jonathan sah seinen Freund an und machte ihm Zeichen, still zu sein und Lini hielt noch immer Nialls Hand, oder war es Niall, der Linis Hand hielt?

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