Thirty-Seven
In seinem Inneren hatte er es wohl gewusst, doch erst die Worte seiner Mutter machten ihm diese Tatsache auch bewusst. Jetzt, wo er einen Anfang hatte, war die Melodie nur noch eine Frage der Zeit. Töne schwirrten in seinem Kopf herum, verbanden sich zu Harmonien, zu Sätzen und schließlich zu einem Thema, welches das Lied tragen würde. Gleichzeitig feilte er noch ein bisschen am Text. Konnte letzte Kanten glätten und den roten Faden, der die Worte verband, noch eindeutiger machen.
Es war, als ob diese Melodie schon immer in ihm war und nur einen Anlass suchte, herauszukommen, Gestalt anzunehmen. War es nicht Michelangelo, der einst sagte:
Die Form war schon immer da, ich musste nur den überflüssigen Marmor entfernen.
So war es mit dieser Melodie. Wer immer sie in ihm versteckt hatte, sie hatte nur einen Plan: Gefunden zu werden. Und nun hatte er sie gefunden.
Eine Träne lief ihm über die Wange, als sie in seinem Kopf ihre endgültige Gestalt angenommen hatte. Dies geschah nicht oft, doch hin und wieder bewegte ihn seine Musik selbst so sehr, dass er einen solchen Gefühlsausbruch nicht verhindern konnte.
Als sie in ihrer Gesamtheit Gestalt angenommen hatte, ging er wieder zu seiner Mutter.
„Du bist schon fertig?“
„Ja.“
Nur dieses eine Wort. All seine Gedanken konnte er nicht in klare Worte fassen und es wäre ihm unangebracht erschienen, sich mit Michelangelo zu vergleichen, also begnügte er sich mit diesem einfachen: Ja.
Seine Mutter lauschte dem Lied. Worte und Musik waren wie aus einem Stück. Genau dies war die Melodie, die einzig zu diesen Worten passte. Sie bemerkte die kleinen Änderungen und war überrascht, dass sie, obwohl sie den Text vorher schon als einzig richtige Möglichkeit angesehen hatte, nun die neue Version als noch besser empfand.
Schon nach wenigen Takten musste sie sich setzen. Es war wie ein Rausch, ein Schwindelgefühl, so dass sie Angst hatte, zu fallen, wenn sie auf ihren Beinen blieb. Sie schloss die Augen und sah die Bilder, die ihr Sohn beschrieb, klar und deutlich vor sich. Es war wie ein Film. Die Blume sprach mit ihrem Sohn, doch die Worte waren traurig. Die Sonne beschien die Szenerie, doch sie konnte nicht wärmen, sogar das Licht schien fahl zu sein, obwohl keine Wolke am Himmel war. Die Schatten der Gräser waren verschwommen. Alles lag da, als habe das Tagesgestirn keine Kraft mehr, als sei sie selbst so traurig, dass ihr Licht nur gedämpft abstrahlte. Dann aber erlangte sie plötzlich ihre ganze Kraft wieder, die Schatten verschwanden und alles lag in ein goldenes Licht getaucht, klar, ja, mehr als klar sah man jede Einzelheit, jede Linie, jede Blattader, alles sah farbenfroher aus, als es die Natur fertigbrachte.
„Hoffnung! Das ist Hoffnung!“,
dachte sie.
Dann verschwand alles wieder und sie fand sich in ihrer Küche wieder. Umgeben von Geschirr und ganz alltäglichen Schränken. Die Blume in der Vase, direkt vor ihren Augen, sah irgendwie unfertig aus. Wie von einem Kind gemalt, dass es noch nicht gelernt hatte, die Maßstäbe einzuhalten. Die Blume vor ihrem inneren Auge war vollkommen gewesen, diese hier war so weit von der Vollkommenheit entfernt, wie ein einzelner Stein von der Fertigstellung eines Hauses.
„Und? Hat es dir gefallen?“
Nialls Stimme klang wie immer. Unschuldig und ganz ohne Arg. Er war tatsächlich unsicher, ob seiner Mutter diese Melodie gefallen habe, oder nicht.
„Ob sie mir gefallen hat?“
„Ja. Wenn nicht, kann ich noch etwas daran arbeiten. Du musst mir nur sagen, welche Stellen nicht so gut waren.“
„Nein, es war perfekt. Niall, ändere bitte nichts daran. Es war... ich kann es nicht beschreiben, einfach wunderschön.“
„Wirklich?“
„Habe ich dich je belogen?“
„Nein, natürlich nicht. Ich wollte nur sicher gehen.“
„Du kannst sicher sein. Und wer das Lied nicht mag, so wie es ist, der sollte mal zum Ohrenarzt gehen.“
„Danke schön, Mom. Weißt du, mir gefällt es auch so, wie es jetzt ist, aber ich dachte, vielleicht geht es nur mir so.“
„Nein, es geht nicht nur dir so. Ich bin sicher, deine Fans werden dieses Lied ebenfalls lieben.“
„Mom! Sag doch nicht immer Fans. Es sind doch einfach ein paar Leute, die zuhören.“
„Aber sie wollen meinen genialen Sohn hören.“
„Du bist voreingenommen. Du bist schließlich meine Mutter!“
„Mag sein, aber die, die dir zuhören, sind nicht alle deine Mütter.“
„Bist du sicher?“
„Ziemlich, denn ich kann mich noch gut an deine Geburt erinnern.“
„Die Geburt deines genialen Jungen?“
„Genau die!“
„Wann lerne ich den mal kennen?“
„Gar nicht, den halte ich versteckt.“
„Ich wusste es, du hast Geheimnisse vor mir.“
„Was dachtest du denn?
Da klingelte das Telefon.
„Ich würde ja gerne noch weiter plauschen, aber du hörst ja, das Telefon will was.“
„Sogar das Telefon ziehst du mir vor.“
Mrs Horan stand auf, um in den Flur zu gehen, versäumte es aber nicht, ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn zu drücken.
„Stimmt nicht, du kommst bei mir immer an erster Stelle.“
„Vor Dad?“
„Interessante Frage.“
Sie grinste und war auch schon am Telefon angelangt.
„Horan...
Ha! Furchtbar lustig. Habe schon bessere Scherze gehört!
Oh! Nein. Entschuldigen Sie vielmals. Es tut mir leid. Ich dachte... Oh, Sie kennen das auch? Ja, Danke.
Sie hat?
Nein, das ist schon okay.
Heute Abend? Ja, das würde gehen. Sagen wir um 19:00 Uhr?
Gut, wir freuen uns auf Ihren Besuch.
Bis heute Abend dann. Auf Wiederhören.“
Sie legte auf und starrte den Apparat an. Niall sah dies natürlich nicht, er merkte nur, dass sie nicht gleich zurückkam.
„Wer war das, Mom?“
„Wie? Ach so. Das war Mr Green – Linis Vater. Er und seine Frau wollen heute Abend vorbeikommen, um sich den Vertrag anzusehen.“
„Warum das denn?“
„Sie sind Anwälte. Lini hatte es kurz erwähnt. Allerdings hatte sie nichts gesagt, dass sie ihre Eltern darauf ansprechen würde.“
„Aber das ist doch gut, oder. Hat Mr Payne nicht gesagt, wir sollen einen Anwalt fragen?“
„Das schon, aber wenn ich das richtig verstanden habe, gehören die nicht gerade zur billigen Sorte. Das können wir uns bestimmt nicht leisten.“
„Vielleicht bekommen wir Rabatt – Fanrabatt sozusagen.“
„Du glaubst wohl an Wunder?“
„Ja, das tue ich.“
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top