Kapitel 13
Ich wurde von einem Klopfen aus dem Schlaf gerissen. Stöhnend zog ich mir die Kopfhörer aus den Ohren. Meine Playlist war bereits seit Stunden zu Ende gelaufen.
Langsam kroch ich aus dem Bett und schlurfte zur Tür.
Ich sah noch etwas verschwommen und blinzelte schnell den Schlaf aus den Augen. Ehe ich die Tür öffnete riskierte ich einen kurzen Blick in den Spiegel. Oh Gott, stöhnte ich innerlich bei meinem Anblick. Meine dunklen Locken standen mir zu Berge und meine Augen wirkten genauso trüb und verschlafen, wie ich mich fühlte. „Moment!", rief ich und band mir noch schnell die Haare zu einem Zopf zusammen.
Dann öffnete ich die Tür.
Vor mir stand Suzanne, wie immer ein breites, strahlendes Lächeln auf den Lippen. Eine große Sonnenbrille mit weißem Rahmen war in ihr rotes Haar geschoben und sie trug ein gelbes, luftiges Sommerkleid, das ihr bis an die Knie reichte. Sie sah so früh am Morgen schon so hübsch aus.
„Guten Morgen!", grüßte sie heiter.
Ich zwang mich zu Lächeln, doch neben ihrem sonnigen Strahlen, konnte man nur wie eine graue Regenwolke wirken.
„Guten Morgen Suzie.", grüßte ich mit mattem Lächeln zurück. „Ich wollte Fragen, ob du mit uns zum Strand magst! Das Wetter ist herrlich, es sollen heute 30 Grad werden! Auf dieser Insel hier grenzt das an ein Wunder. Wir wollen an einen wunderschönen kleinen Strand den niemand außer uns kennt, und..."
„Gern!", unterbrach ich sie hastig und lachte. Während sie sprach war sie immer schneller geworden, ich hatte das Gefühl ich musste sie stoppen ehe sie aus dem Reden nicht mehr rauskam.
„Ich komme gerne mit, aber ich habe leider keine Badesachen dabei...Ich hatte nur vor Jahren mal einen Badeanzug, als mein Vater noch mit mir zum See...Naja aber ein bisschen Sonne kann mir auch nicht schaden."
Ich hob meine Arme, um ihr meine blasse Haut zu präsentieren. Sie nickte zustimmend und musterte meine Haut prüfend.
Es war mir unangenehm über meine Vergangenheit zu reden, es wunderte mich, dass ich damit überhaupt angefangen hatte.
Mein Vater war früher immer mit mir an einen kleinen See im Wald gefahren. Dort hatte er mir das Schwimmen beigebracht.
Viele Jahre ging das auch gut.
Meine Mutter dachte immer wir wären im Kino, oder Eis essen, oder sonst wo. Als wir eines Tages nicht mehr die Einzigen waren, die diesen versteckten kleinen See kannten war es endgültig vorbei mit dem Schwimmen. Den Badeanzug hatten wir sicherheitshalber weggeschmissen, damit meine Mutter ihn nicht fand.
Sie hätte uns die Hölle heiß gemacht.
„Gar kein Problem!", riss Suzanne mich aus meiner Erinnerung. „Ich habe dafür viel zu viele. Da wird schon was Passendes für dich dabei sein! Ich suche ein paar schöne raus, die du anprobieren kannst und du machst dich erstmal richtig wach!", damit drehte sie sich um und stürmte zurück in ihr Zimmer.
Ich verdrehte lächelnd die Augen und schloss die Tür wieder.
Ich sah gerade noch wie die Tür in dem Zimmer gegenüber sich öffnete. Mein Herz machte einen nervösen Satz und ich schloss hastig die Tür. Etwas zu fest, denn sie krachte laut ins Schloss. Ich verzog das Gesicht. Auffälliger ging es wohl nicht mehr.
Ob er wohl auch mit zum Strand kam? Nackte Haut zu zeigen war für mich bereits ein großer Schritt, doch mich obendrein noch seinem brennenden, prüfenden Blick unterziehen zu müssen... Ich schluckte. Womöglich interessierte ich ihn allerdings auch zu wenig, als dass er meiner Haut auch nur die geringste Aufmerksamkeit schenken würde.
Ich war nicht recht sicher ob mir der Gedanke so viel besser gefiel. Ich war nie in einem Schwimmbad gewesen, oder kam je einen Jungen auch nur ansatzweise nah genug, um Haut zu zeigen. Generell hatte meine Mutter mich gerne wie eine Nonne eingepackt. Ich hatte es allein meinem Vater zu verdanken das meine Beine überhaupt mal in Berührung mit Sonnenlicht gekommen waren.
„Wenn sie deine Flügel sehen ist es aus und vorbei! Vergiss das nie!", hörte ich wieder die panische Stimme meiner Mutter in meinem Kopf.
Ich schüttelte den Gedanken ab und kam gerade noch dazu mir die Zähne zu putzen und meine Haare zu kämmen ehe Suzanne wieder auf der Matte stand. Sie hatte mir zwei Bikinis und einen Badeanzug gebracht. Normalerweise hätte ich mich, ohne zu zögern für den Badeanzug entschieden. Bis ich ihn hochhob, um seinen Schnitt zu inspizieren.
„Himmel, da ist ja fast weniger Stoff dran als an einem Bikini!", rief ich ein wenig empört. Suzanne kicherte. Der Badeanzug war dunkelrot und tief ausgeschnitten. Am Hintern gab es Kaum Stoff und auch der Rücken war tief ausgeschnitten.
Im oberen Teil war sogar ein push-up eingearbeitet.
„der geht ja schon fast als Dessous durch." Suzie zuckte die Schultern.
„Dann zieh ich ihn an!", verkündete sie mit einem koketten Grinsen. Sie schnappte mir den Badeanzug aus den Fingern ehe ich etwas sagen konnte. „Moment!", rief ich, als ich die beiden Bikinis sah.
Selbst meine Unterwäsche bestand aus deutlich mehr Stoff.
„Ich nehme ihn... Wenn ich darf?" Sie wackelte frech mit den Augenbrauen. „Der steht dir sicher hervorragend!", versicherte sie mir und machte sich mit den zwei Bikinis aus dem Staub.
„In 10 Minuten geht es los!", rief sie mir über die Schulter zu.
Ich schluckte als ich den roten Stoff zwischen meinen Fingern ansah. Immerhin war ich nicht die Einzige die so etwas anzog... und niemand würde sich über ihre Flügel wundern. Sie sagte den Platz kannte keiner.
Ich zog den Badeanzug schnell an, Band mir die Haare zu einem Dutt zusammen, streifte ein weißes Top über und zog mir schnell eine kurze Jeans an, die ich extra ein paar Nummern zu groß gekauft hatte, damit sie nicht ganz so kurz war.
Ich schnallte mir noch schnell einen Gürtel um, um die Hose auch nicht zu verlieren. Wäre beim Fliegen sicher nicht so spaßig.
Ich warf noch schnell Handtücher und Sonnencreme in meinen roten Rucksack.
Als ich runter eilte, standen bereits alle vier aufbruchbereit vor dem Balkon...selbst Lucian.
Ich schluckte.
War es nicht viel zu gefährlich mit ihm schwimmen zu gehen? Ich behielt diesen Gedanken für mich und grüßte alle eilig.
Es war erst 9 Uhr am Morgen, ich hätte nicht gedacht, dass ich samstags so früh aufstehen würde.
Lucian würdigte mich keines Blickes und grüßte auch nicht zurück.
Michael betrachtete mich mit einem warmen lächeln. Ich hätte gestern Abend nicht so schroff zu ihm sein dürfen.
Das schlechte Gewissen nagte an mir.
„Dann lass uns mal losfliegen.", machte Marissa den Anfang. Sie trug ein schwarzes schulterfreies Top, unter dem die Schnüre ihres blauen Bikinis zum Vorschein kamen, und eine weiße, weite Stoffhose, welche im Wind herumflatterte, sobald sie den Balkon betrat. Ungehindert konnten ihre ledernen Flügel aus ihrem Rücken herausbrechen und ihre Haut überzog sich mit, in der Sonne schimmernden, roten Schuppen. Als sie sich umsah, um zu sehen, wo wir abblieben funkelten mir grüne Drachenaugen entgegen. Schnell setzten wir uns alle in Bewegung und Suzanne begann aufgeregt zu quasseln.
Während sie sich verwandelte veränderte sich ihre Stimme.
Sie wurde kehliger,- animalischer.
„Ich habe eine Matratze zum Aufblasen dabei, eine Wassermelone, eine Strandmuschel und einen Ball!", erzählte sie während sie auf das Geländer stieg, eine riesige Strandtasche im Schlepptau.
Mit aller Kraft hievte sie diese auf die Schulter.
„Ich kann die nehmen.", bot Michael sofort an.
„Pfff, ach was! Ich pack das!" Ohne zu zögern ließ sie sich vom Balkon fallen.
Marissa sah Michael an und zuckte dann mit den Schultern.
„Sie nimmt nicht gerne Hilfe an, weißt du doch.", erinnerte Marissa ihn.
„Ach hier, das hätte ich beinahe vergessen!" Marissa eilte zu mir herüber und hielt mir einen silbernen Ring entgegen in dem ein wunderschöner, ein blauweißer Edelstein eingearbeitet war, der im Morgenlicht in allen Regenbogenfarben funkelte. Mit großen Augen starrte ich auf den Ring.
„Ist der etwa für mich?" Voller staunen betrachtete ich den wunderschönen, funkelnden Ring. Marissa lächelte.
„Klar!" Ich schüttelte den Kopf. „Aber wofür...? Ich kann den nicht annehmen!", stieß ich hervor.
Marissa schmunzelte.
„Das ist kein gewöhnlicher Ring. Der Opal darin wurde mit einem Zauber belegt. Wir alle tragen solch einen Talisman bei uns."
Sie hob die Stoffhose an und präsentierte ein schmales goldenes Fußkettchen, an dem ein kleiner roter Stein baumelte.
„Hexen verwenden häufig Edelsteine, um einen Zauber zu binden. Dieser Zauber verbirgt dich vor den Blicken der Menschen.
Wir können nicht über die ganze Insel fliegen und erwarten, dass uns keiner bemerkt. Besonders bei ihm!" Sie lachte und deutete auf Lucian. Dieser verdrehte die Augen und machte Anstalten Suzanne zu folgen.
„Wenn es nur darum geht so kleine Merkmale zu verbergen, bekommen die Schüler hier oft den Zauber direkt auferlegt, wie bei Vampirzähnen oder ungewöhnlichen Augenfarben. Diese Zauber können auch nur Menschen täuschen.", erklärte sie weiter. Fassungslos sah ich von dem Ring zu ihr.
„Er ist wunderschön...Vielen Dank!", sagte ich aus vollem Herzen und streifte den Ring über meinen schmalen, etwas knochigen, Ringfinger. „Sehr gerne!", kam es aufrichtig zurück.
„Gut, wir sollten ihr nun wirklich folgen.", drängte sie und stieg nun ebenfalls in die Höhe. Lucian wartete ungeduldig drinnen, bis wir alle bereit zum Losfliegen waren.
Ich hatte aus Gewohnheit mein Oberteil über die Flügel gezogen, was völlig albern war, da es nur ein Top war. Es spannte bereits furchtbar.
Umständlich versuchte ich meine Flügel zu befreien, ohne mein Top zu zerreißen. Ich lief rot an vor Scham.
Michael lachte und half mir dann, ohne mich groß zu berühren, meine Flügel zu befreien.
„Danke...", murmelte ich mit roten Wangen und stieg dann wacklig auf das Geländer.
Die Höhe jagte mir im ersten Moment wieder Angst ein, doch dann hob ich den Blick und konzentrierte mich auf das Meer in der Ferne. Ich schluckte die aufkeimende Panik hinunter, atmete tief durch und ließ mich fallen.
Mein Magen zog sich zusammen als ich im Sturzflug auf den Boden zu jagte. Meine Augen tränten vom Wind.
Genau im rechten Moment riss ich meine Flügel auseinander und nutzte den Aufwind um mich, mit rasender Geschwindigkeit, in die Höhe tragen zu lassen.
Ein freudiges Lachen kroch meine Kehle hinauf und ich breitete die Arme aus.
Der Wind war unglaublich angenehm.
Voller Vorfreude stieg ich immer höher und höher, nur um dann im Sturzflug wieder zu den Anderen dazu zu stoßen.
Immer noch lachend wirbelte ich durch die Lüfte.
Michael schien sich von meinem Gelächter anstecken zu lassen, denn auch er ließ nun ein melodisches Lachen erklingen.
Ich segelte lächelnd, vom Wind getragen über ihm.
Seine Flügel schimmerten golden in dem morgendlichen Licht. Lucian hielt so viel Abstand, dass ich seine Hitze kaum mehr wahrnehmen konnte.
Die Zwillinge steuerten auf einen steilen, steinigen Abgrund am Meer zu.
Wir flogen zur Westküste der Insel über den Danu Hill hinweg und über noch höhere Berge und Wälder.
Das erste Mal fiel mir auch Michaels Talisman auf. Es war eine kleine goldene Kette, die dort wo sein Flügel aus dem Rücken kam, hing. In seine Kette war ein kleiner goldener Edelstein eingearbeitet,- vielleicht ein Tigerauge oder ein Bernstein?
Ich konnte es auf die Distanz nicht erkennen. Michael drehte sich plötzlich im Flug auf den Rücken, und ehe er zu weit hinabstürzen konnte, griff er neckisch nach meinem Fuß.
Ich schrie auf als er mich kurz ruckartig nach unten zog und flatterte hektisch mit den Flügeln wie ein aufgescheuchtes Huhn.
„Michael!", fuhr ich ihn lachend an.
Er kicherte und drehte sich wieder wirbelnd herum. Wenige Sekunden später waren wir über die Klippe hinausgeflogen und segelten, mit weit ausgestreckten Flügeln, über dem Meer.
Die Zwillinge machten einen großen Bogen und flogen dann wieder auf die Felswand zu. Der Geruch von Salz schlug mir ins Gesicht und ich atmete tief die frischen Meeresbriese ein. Als auch Michael und ich im großen Bogen mit weit ausgestreckten Flügeln umkehrten, erkannte ich unser Ziel.
Unterhalb der steinigen Klippen lag ein kleiner abgelegener Strand. Die Zwillinge waren bereits gelandet und packten Suzannes große Strandtasche aus.
Dieser Strand war perfekt.
Kein Mensch konnte ihn ohne ein Boot erreichen. Eine steile, hohe Felswand bildete einen Halbkreis um ihn und dort, wo der Strand endete zierten viele kleine Grotten die Felsige Wand.
Ich wollte unbedingt in eine dieser Grotten schwimmen!
Michael, Lucian und ich landeten nacheinander auf dem kleinen Strand und verursachten einen kleinen Sandsturm der Suzanne aufschreien ließ.
„Toll, jetzt sind unsere Sachen voller Sand!", beschwerte sie sich.
Marissa gab ein, für sie völlig untypisches, kichern von sich und klopfe den Sand von der geblümten Stranddecke.
Die Zwillinge streiften ihre Kleidung ab und ließen sich gleich in den weichen Sand fallen.
Lucian breitete sein Handtuch einige Meter von uns entfernt aus. Wortlos setzte er sich Kopfhörer auf und streckte sich auf seinem Handtuch aus. Sein Oberkörper war jedes Mal, wenn er flog nackt, doch gewöhnen würde ich mich daran wohl nie.
Er legte die Arme unter den Kopf und ich sah wie seine Muskeln sich unter seiner Haut spannten.
Ich riss mich von seinem Anblick los und begann meine Kleidung zögerlich abzulegen.
Als Marissa und Suzanne mich in dem geliehenen Badeanzug sahen, wackelten sie mit den Augenbrauen und sahen mehr denn je wie Zwillinge aus.
Ich grinste verhalten und warf Suzanne mein Top ins Gesicht.
Sie schnappte es aus der Luft ehe es sie treffen konnte und grinste verschmitzt zurück. Ich erwischte Michael wie er mich mit großen Augen anstarrte. Als er bemerkte, dass ich zu ihm sah, schaute er schnell weg. Und er errötete! Ich schmunzelte.
„Gefällt er dir?", fragte ich ihn mit neckischem Ton.
„Äh... ja, also... ja steht dir. Von dir nehme ich an?", wandte er sich an Suzanne. Diese zuckte nur mit den Schultern.
Sein Blick fiel auf den kleinen Pinguin an meinem Knöchel. „Hübsch", sagte er lächelnd. Mir wurde ganz warm und ich lächelte zurück.
„Danke." Verlegen strich ich mir eine lange dunkle Strähne hinters Ohr.
Ich hielt meine Flügel so um meinen Körper, dass sie mich vor weiteren Blicken abschirmten. Selbst wenn es nicht so schlimm gewesen war wie erwartet, hatte ich es doch lieber, wenn mein Körper nicht dauerhaft für alle so sichtbar war.
Ich tapste über den warmen Sand Richtung Meer. Ich widerstand dem Drang mich nach jeder zweiten Muschel auf meinem Weg zu bücken.
Trotz der Hitze war das Wasser eisig. Eine Gänsehaut breitete sich über meinen Körper aus, als die erste Welle sanft über meine Füße rollte.
Suzanne hingegen stürzte sich, ohne zu zögern, hinein, dicht gefolgt von Michael.
Als Suzanne wiederauftauchte, versuchte sie lachend, Michaels Kopf unterzutauchen. Ihre Chancen sahen erst gar nicht so schlecht aus, doch dann packte Michael sie einfach und warf sie mit Schwung in die Wellen als wöge sie Kaum mehr als eine Puppe.
Sie quietschte auf als sie zurück ins Wasser platschte.
Als sie auftauchte, hatte sie ihre menschliche Hülle abgelegt und ein Drachenmädchen flatterte spritzend aus dem Wasser und landete prompt auf Michaels Schultern.
Ich beobachtete die beiden aus ein paar Schritten Entfernung mit einem Lächeln. Und zugegebenermaßen auch mit ein wenig Neid.
Das Salzwasser perlte von seinen Engelsflügeln ab.
Ich ging tiefer ins Meer, an den beiden tobenden vorbei.
Dann tauchte ich unter und Suzannes Gekreische wurde durch das Wasser gedämpft und leise.
Ich tauchte immer tiefer, schob mich mit meinen Flügeln vorwärts. Im salzigen Wasser war es viel schwieriger runter zu kommen.
Als ich auftauchte, hatte ich mich weiter vom Strand entfernt als beabsichtigt.
Ich sah mich um und rieb mir das Salzwasser aus den Augen. Mittlerweile hatte ich mich an die Kälte gewöhnt. Ich sah nochmal zum Strand. Michael und Suzanne ließen sich nun auf dem Wasser treiben. Marissa war aufgestanden, um sich dazu zu gesellen.
Ich hielt nach Lucian Ausschau. Er lag nicht mehr auf seinem Handtuch. Wenn er in menschlicher Form das Wasser betrat...würde das Wasser dann anfangen zu kochen? Ich stellte mir die armen Fische, die ihm zu nahekommen könnten, vor.
Aber wenn er so heiß war, dass man sofort verbrannte... wie groß wären dann seine Auswirkungen auf das Wasser? Allerdings... Ich fasste mir an die Stirn.
Ich kam mir so dumm vor. Alles andere was er als Mensch berührte, verbrannte schließlich auch nicht. Nur lebende Wesen waren wohl in seiner normalen Gestalt weiterhin in Gefahr...also auch die Fische.
Ich sah bedauernd in die Tiefe unter mir herab.
Die armen Fische.
Ich wandte mich ab und entdeckte eine nahegelegene Grotte.
Die Öffnung war allerdings nicht so groß wie die der Anderen. Dafür schien sie recht tief hinein zu gehen.
Ich hob einen Arm und kraulte in ihre Richtung. Die Wellen, die mich von der Seite trafen tauchten mich einige Male unter und ich bekam jede Menge Salzwasser in Mund und Nase, also beschloss ich, die restliche Strecke erneut unter Wasser zurückzulegen.
Ich tauchte erneut in die dunkle, blau funkelnde Unterwasserwelt ab, bis ich etwa zwei Meter unter der Oberfläche schwebte.
Ich liebte es unter Wasser zu sein. Es war eigenartig friedlich...und sicher. Es war als wäre man in einer anderen Welt in der niemand einen finden konnte. Niemand einen sehen konnte. Einfach Stille und Frieden.
Je näher ich der Grotte kam, desto näher kam auch der Grund.
Als ich nach oben geschossen kam befand ich mich bereits an ihrem Eingang. Man konnte das Wasser gegen die Felsen schwappen hören. Ich atmete tief den Geruch nach Salz, Seetang und Algen ein und schob mich noch einige Meter vorwärts bis ich wieder Boden unter den Füßen ertasten konnte.
Ich legte den Kopf in den Nacken und bestaunte wie hoch und wie riesig die Grotte war.
Dieser Ort war von der Außenwelt vollkommen abgeschottet.
Alles was man hörte, war das schallende Plätschern als die Wellen an einem kleinen Strand innerhalb der Höhle schwappten. „Verfolgst du mich?", ertönte eine tiefe Stimme schallend Laut in der Grotte.
Lucian saß ganz hinten auf einem kleinen Felsen, der aus dem Wasser ragte.
Seine Augen wirkten dunkel und funkelten mich missmutig an. Damit war die Frage mit dem kochenden Wasser geklärt.
Ich schwamm an den kleinen Strand und setzte mich in den Sand.
„Wieso sollte ich dir folgen? Ich habe nicht gesehen das du hier rein bist.", erklärte ich bemüht gleichgültig.
Er lachte ein finsteres Lachen.
„Denkst du, ich bemerke nicht wie du mich immer anstarrst? Gib es auf Mädchen, ich habe kein Interesse."
Ich riss die Augen auf und öffnete den Mund zu einer Antwort, doch ich errötete nur.
Wut stieg in mir auf.
Mit Schwung kam ich wieder auf die Beine.
„Bild dir mal nicht zu viel darauf ein! Ich bin die Neue! Neu an diesem Ort und neu in dieser Welt! Ich starre jeden an!", versuchte ich mich aus dieser peinlichen Situation zu retten.
Was musste er auch so ein Arsch sein?!
„Zudem habe ich, nach deiner Aktion gestern, sicher kein Interesse mehr an dir.", fügte ich trotzig hinzu.
„Nicht mehr... soso. Doch vorher schon? Bevor ich dir zu Hilfe gekommen bin, nachdem du dich Kopflos in die Angelegenheit von Dämonen eingemischt hast?"
„Falls es dir nicht aufgefallen ist, als du gekommen bist lag ich bereits am Boden. Du hast nichts getan außer wie eine kleine Petze zur Direktorin zu rennen!" Die Worte waren kaum raus und ich bereute sie schon.
Er stand ruckartig von seinem Felsen auf. Seine Nasenflügel bebten und seine Hände waren zu Fäusten geballt.
Seine Augen glühten wie Kohlen. „Cain hat bloß den Schwanz eingezogen, weil ich so schnell bei dir war, Engelchen!", knurrte er. „Und es ist meine Pflicht Ducane einzuschalten, wenn ein Dämon einen anderen Schüler angreift. Ich hätte mich wohl kaum selber um ihn kümmern können! Außer natürlich du hättest ihn gerne pulverisiert gesehen."
Ich starrte ihn bloß an. Unfähig auch nur einen Muskel zu rühren während sich Flammen durch seine Adern zogen. Die Grotte hatte sich binnen weniger Sekunden um mehrere Grad aufgeheizt.
Daran hatte ich nicht gedacht... vielleicht hätte Cain erneut angegriffen. Ich kannte ihn nicht... ich hatte keine Ahnung wozu er im Stande war.
Als Lucian sah wie sehr er mich geängstigt hatte erlosch das Feuer in seinen Augen und seinen Adern wieder und in der Grotte wurde es etwas kühler.
Ich schaffte es meine Starre zu lösen und stieg peinlich berührt zurück ins Wasser.
Ich schüttelte kurz meine Flügel, die sich anfühlten, als hätten sie doch etwas Wasser aufgesogen.
Lucian beobachtete jede meiner Bewegungen Argusäugig.
„Jetzt bist du es der starrt...", bemerkte ich halbherzig.
Er legte nur den Kopf in den Nacken und lachte.
„Ist das alles was du dazu zu sagen hast?", wollte er wissen und ich wand mich sichtlich, ehe ich mich wieder ihm zuwandte.
„Du hast recht.", räumte ich ein. „Du hast mich gerettet. Wieder." Ich nahm einen tiefen Atemzug.
Ich hasste es, ständig auf Rettung angewiesen zu sein! Die hilflose Jungfrau in Not zu sein, war keine Rolle in der ich mich gerne wiederfand. Sie war würdelos und jämmerlich. Aus diesem Grund konnte ich auch nicht die Dankbarkeit verspüren die wohl angemessen gewesen wäre. Selbst wenn er mich gerettet hatte, was nicht mal sicher war, machte es nicht wett was er gesagt hatte. „Danke.", sagte ich knapp.
Ich wollte zurück ins Wasser, doch eine Frage brannte mir noch auf den Lippen.
„Verbrennen alle Lebewesen, wenn sie dich berühren? Selbst wenn du nicht verwandelt bist?", ich erwartete eine bissige Antwort, doch er zog nur die brauen zusammen und sah an mir vorbei.
„Ja, alle Lebewesen. Alles andere nur wenn ich brenne.", seine Erklärung kam etwas schroff, doch um einiges freundlicher als erwartet. „Und jetzt schwing deinen dürren Arsch hier raus!", setzte er nach. Ich warf ihm einen wütenden Blick zu und presste die Lippen aufeinander während ich wieder abtauchte.
Seine Beleidigung war mir vollkommen gleich, denn ein anderer Gedanke beschäftigte mich nun. Ich verbrannte nicht.
War ich wirklich die Einzige, die nicht verbrannte?
Ich schwamm, in langen Zügen, zurück zum Strand, wo die anderen drei in der Sonne lagen.
Suzanne hatte gerade damit begonnen die Wassermelone mit einem riesigen Messer, das nicht wie ein übliches Küchenmesser aussah, auseinander zu nehmen.
Tropfend setzte ich mich zu ihnen auf mein Handtuch.
„Willst du ein Stück?", fragte Suzanne sofort und leckte etwas Saft von der Klinge.
„Suzanne hör auf an der Machete zu lecken!", fuhr Marissa sie an, verzog das Gesicht, und riss ihr das Messer aus der Hand. Suzanne äffte sie nach, ließ ihr jedoch die Klinge und bot mir ein Großes Stück an, welches ich dankend annahm.
Mein Magen knurrte und ich merkte jetzt erst, wie hungrig ich war. Suzanne hatte mich so zur Eile gedrängt, dass ich völlig vergessen hatte zu Frühstücken.
Michael packte noch einige Brötchen und andere Knabbereien aus Suzannes Tasche.
Nachdem ich mit der Melone fertig war, aß ich noch einige Kekse und ein Brötchen. Suzanne und Marissa diskutierten währenddessen darüber, warum man eine Machete nicht zum Melone schneiden zweckentfremden sollte.
„Wo hast du schwimmen gelernt?", fragte Michael nach einer Weile und ich hätte mich beinahe an einem Keks verschluckt.
Ich überlegte einen Moment. Wieso sollte ich es nicht erzählen? Vor ihnen brauchte ich keine Geheimnisse zu haben. Nicht so wie vor meiner besten Freundin Alissa und dem Rest der Welt.
„Mein Vater hat es mir vor ein paar Jahren beigebracht. Wir sind immer an einen kleinen versteckten See gefahren. Oder wohl eher ein etwas größerer Teich..."Ich lächelte.
„Ich durfte natürlich nie beim Schwimmunterricht mit machen. Ich bin immer laufen gewesen. Naja, das wurde mir hier zum Verhängnis." Michael lachte.
„Ja, aus der Nummer kommst du nicht mehr so schnell raus."
Ich seufzte und ließ gespielt niedergeschlagen Kopf und Schultern hängen.
„Es graut mir vor der nächsten Stunde..." Ich sah in den Wolkenlosen Himmel.
Einige Möwen flogen dort ihre Kreise und stiegen neugierig etwas tiefer, auf der Suche nach etwas zu Essen.
Nach einer Weile kam Lucian zurück an den Strand und ich gab mir alle Mühe seinen nassen Körper nicht anzustarren während er aus den Wellen stieg. Suzanne stand auf und ging zu ihm und etwas in mir verkrampfte sich.
Sie sprach zu ihm, doch ich konnte nicht hören was sie sagte.
Zu meiner Überraschung zuckten Lucians Mundwinkel und sie setzten sich, mit so viel Abstand wie möglich, auf sein Handtuch.
Ich sah schnell weg.
Wieso ließ er sie so nah an sich heran? War ich doch nicht die Einzige die nicht verbrannte? Jedoch hielt er mich dennoch auf Abstand.
Etwas zu energisch stand ich auf und entfernte mich von den Anderen. „Ich schau mal ob ich paar schöne Muscheln finde...", erklärte ich rasch und ging am Strand entlang, wo die kühlen Wellen sanft um meine Knöchel spielten. Ich hörte wie sich hinter mir Schritte schnell näherten und ich beugte mich schnell um eine der Muscheln zu meinen Füßen aufzuheben.
Es war keine besondere Muschel, doch ich musste schließlich den Schein waren. Wieso ließ ich mich von Lucian auch so aus der Ruhe bringen? Er sollte mir absolut egal sein. Und ich beschloss, dass er es von nun an auch war.
„Alles in Ordnung?", erkundigte Michael sich besorgt.
Ich lächelte schnell. Mein Verhalten war kindisch.
„Ja, alles in Ordnung. Ich wollte mir nur ein wenig die Beine vertreten. Und vorhin hatte ich einige schöne Muscheln entdeckt. Ich liebe es Muscheln zu sammeln." Das war zumindest bloß eine halbe Lüge.
Er nickte und schien die Ausrede zu schlucken.
Ich nahm die Gelegenheit wahr mich endlich mal zu erkundigen, wie das Nephilim Dasein Michaels Leben beeinflusst hatte.
„Wie lief das eigentlich bei dir...bevor du hierherkamst?", fragte ich etwas lauter, um eine, auf uns zu rauschende, Welle zu übertönen. Er sah mich einen Moment einfach nur aus Saphiraugen an.
„Angenehm war es nicht...Meine Eltern hatten nicht viel Geld... Wir lebten in einem Caravan. Um mich zu schützen, wurde ich so gut es ging Zuhause unterrichtet. Meine Eltern akzeptierten mich, so wie ich bin, doch es brachte viele Probleme mit sich.
Wir blieben nie lange an einem Ort. Wenn man immer auf Campingplätzen wohnt, ist es nicht so leicht die Flügel zu verbergen...besonders bei einem unbesonnenen Kind. Immer wieder kam es vor, dass sie Jemand gesehen hatte. Natürlich glaubte es nie einer...Trotzdem mussten wir dann sofort weiterziehen. Ich hatte nie ein festes Zuhause. Ich war immer unterwegs. Bis ich hierher kam."
Er schwieg einen Moment und trat dann ins Wasser bis ihm die Wellen über die Knie streiften.
Ich folgte ihm und sah mit ihm in die Ferne. Ich schauderte als eine etwas höhere Welle meine erwärmten, trockenen Oberschenkel traf.
Als er weiterhin schwieg, sah ich ihn erneut an und ein dunkler Schatten legte sich um seine sonst so leuchtenden Saphiraugen. Zögerlich erzählte er weiter, doch seine Stimme hatte sich verändert. „Direktorin Ducane hatte mich mithilfe der Hexen aufgespürt...so wie sie es bei den Meisten getan hat. Sie bot meinen Eltern an für mich zu sorgen und mir eine Chance auf Bildung zu verschaffen. Ich war Elf...Ich begleitete sie freiwillig. Und hier bin ich."
Ich konnte heraushören, dass dies nicht die ganze Geschichte war, doch ich fragte nicht weiter nach und ignorierte den Unterton, der seiner Stimme beiwohnte.
Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. Seine Haut war von der Sonne erhitzt und etwas Salz war angetrocknet.
„Ich bin froh, dass du hier bist. Ich bin auch froh, dass ich jetzt hier bin. Sich ständig verbergen zu müssen...das ist kein Leben. Wir waren gefangen in der Welt der Menschen...und...unsere Eltern waren es auch."
Er blinzelte. Und einen Moment hatte ich Angst etwas Falsches gesagt zu haben, doch dann nickte er und schenkte mir ein trauriges Lächeln. „Ja...Es ist gut wie es gekommen ist."
Selbst wenn er womöglich nicht ganz ehrlich mit mir war, wusste ich doch genau wie ihm zumute war.
Wenigstens hatten seine beiden Eltern ihn akzeptiert.
Ich wünschte, auch ich wäre bereits mit Elf gefunden worden... oder noch früher. Auch wenn mir mein Vater- und vielleicht sogar meine Mutter- sehr gefehlt hätte.
Michael löste die angespannte Stimmung indem er mir eine Ladung Salzwasser ins Gesicht spitzte.
Ich lachte und erwiderte den Gefallen, indem ich die halbe Hand im Halbkreis energisch durch das Wasser zog und ihm eine regelrechte Welle entgegenschleuderte.
Doch statt auszuweichen tauchte er unter und seine Flügel Spritzen mir ganze Fontänen entgegen. Ehe ich mich versah traf seine Schulter meinen Bauch und mit einem „Ufff..." Wurde ich aus dem Wasser gehoben.
Mein Lachen entkräftete jeglichen Protest.
Ich flatterte wie ein aufgescheuchtes Huhn mit den Flügeln um ihm davon zu fliegen, doch er hatte seine warmen Hände um meine Mitte gelegt und alles in mir prickelte. Ich wurde noch nie so berührt, dieses Gefühl war absolut neu für mich.
„Nein, Nein, Nein!", rief ich, als er sich nach hinten fallen ließ und mich Kopfüber in die Wellen warf. Salzwasser umschloss mich und ich kämpfte mich schnell wieder nach oben. Lachend fuhr ich mir mit den Händen durch das Gesicht um Haare und Wasser weg zu wischen.
Seine rosigen Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen, das seine Grübchen zum Vorschein brachte.
Die blonden Locken klebten an seiner Stirn.
Für einen Augenblick verschlug es mir den Atem und ich brauchte einen Moment bis ich wieder was sagen konnte.
„Das bekommst du zurück!" Ich schlug meine Flügel vor mir zusammen um ihn ein letztes Mal nass zu spritzen, ehe ich in Richtung Strand floh.
Michael jagte hinter mir her, doch ich war sicher, dass er mich entkommen gelassen hatte, als ich vor ihm die Decke erreichte. Marissa war gerade dabei den Ball aufzupusten. Sie warf mir mit einem kurzen Blick auf Michael einen verschwörerischen Blick zu und ich unterdrückte ein Grinsen. Dennoch konnte ich nicht verhindern das ich rot wurde. Ich sah mich nach Lucian und Suzanne um, doch sie saßen nichtmehr an seinem Platz...auch sein Handtuch war verschwunden.
„Er ist eben weggeflogen.", erklärte Marissa.
„Suzanne ist dort drüben."
Sie wies auf das Meer hinaus, wo Susanne knapp über den Wellen hinwegsegelte. Sie hatte eine Hand ins Wasser getaucht und es teilte sich, wo sie hindurchfuhr. Ich verbarg meine Enttäuschung darüber das Lucian bereits weg war. Es war ohnehin besser so.
Wir verbrachten noch den halben Tag am Strand, bis wir schließlich umkehrten, duschten, aßen und den Abend ausklingen ließen.
Am Abend wurde es wieder frischer und ich zog mir für eine Partie Billiard wieder eine normale Jeans an.
Lucian hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen.
Und ich war froh darüber. Es fiel mir viel zu schwer ihn einfach zu ignorieren.
Es ergab keinen Sinn. Natürlich war es dumm zu erwarten das mich jeder mochte, Gott wusste, ich wurde bereits von genug Menschen nicht gemocht. Doch wozu mich so auf abstand halten, wenn ich doch die Einzige war, die von seiner Berührung nicht verletzt werden konnte? Es war ja nicht so als würde er mich bloß nicht mögen, er hasste mich regelrecht.
Doch ich schluckte meinen Ärger herunter.
Dann hasste er mich eben.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top