Du

"Bitte nicht."

Ich ergreife den Wasserregler und versuche, mich nur auf den warmen Strahl zu konzentrieren, der aus dem Duschkopf strömt.

"Bitte nicht.", denke ich wie in einer Endlosschleife. Es funktioniert nicht. Ich fange an zu zittern, während ich merke, wie mein Verstand wieder einmal den Kampf gegen mein Unterbewusstsein verliert. Ich versuche mir einzureden, dass alles in Ordnung ist, dass es mir gut geht und ich einfach weitermachen sollte. Diese Gedanken werden aber von einem unerträglich starken, dumpfen Dröhnen in meinem Kopf überlagert, dass es unmöglich macht, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren.

Ich sinke zu Boden. Es ist, als ob sich das eiskalte Gefühl des Erschreckens, als die Flasche eben herunterfiel, langsam über meinen ganzen Körper ausbreitet. Mein Herz schlägt immer schneller. In einem letzten Anlauf versucht mich mein Verstand an die Atemtechnik zu erinnern, die ich normalerweise im Fall einer Panikattacke anwende. Letzte Nacht hat das noch funktioniert, aber jetzt gibt mein Verstand endgültig auf und überlässt dem Rest von mir die Kontrolle.

Mein Atem wird also immer schneller und flacher, bis ich nach ein paar Minuten das Gefühl habe, gleich ohnmächtig zu werden. Meine Gedanken rasen von verschiedensten Schreckensszenarien und ich kämpfe verzweifelt darum, sie abzuschütteln, aufzustehen oder wenigstens um Hilfe zu rufen, aber mir fehlt die Luft dafür.

Ich kann nicht sagen, wie lange ich so in der Dusche sitze. Es können Minuten, aber auch Stunden gewesen sein. Irgendwann bin ich so entkräftet, dass ich mich einfach auf die Seite lege. "Wow...", denke ich benebelt, "Ich wusste gar nicht, wie angenehm Keramik sein kann." Allmählich verstummt der Krach in meinem Kopf und mein Verstand schafft es nach einiger Zeit doch noch, mit der Atemtechnik zu mir durchzudringen. Ich atme so tief es geht durch die Nase ein und durch den Mund aus, bis mir auch mein Kreislauf wieder gehorcht und ich mich hinsetzten kann. Mein Herzschlag verlangsamt sich fast auf ein Normalmaß und ich stehe vorsichtig auf. Da ich nach wie vor Shampooreste in den Haaren habe und mir trotz des immer noch laufenden Wassers entsetzlich kalt ist, wasche ich mich noch einmal ab und bin erleichtert, als ich mich endlich abtrocknen und anziehen kann.

"Hatte ich gerade wirklich eine Panikattacke wegen einem Parfürmflakon?", frage ich mich fast schon genervt, als ich in meine Hose steige. "Es ist langsam echt nicht mehr zu fassen. Wenn ich wenigsten vor wirklich bedrohlichen Dingen Angst hätte...aber nein. Vor meinem eigenen Badezimmer." Ich mache die Musik, die die ganze Zeit durchlief, leiser und setze mich mit meinem Handy und etwas zu essen auf die Couch. Fest in eine Decke eingewickelt beginne ich mich mit Instagram abzulenken und schiebe die Gedanken an die Wäsche, die ich eigentlich waschen müsste, vorerst beiseite. Dafür ist auch später noch genug Zeit.

Während ich Käsebrot und Gurken verspeise, merke ich nach einer Weile, wie sehr ich mich trotz des Versuches, das Geschehene nicht zu schwer zu nehmen, zunehmend über mich selbst ärgere. Ich versuche mir einzureden, dass ich nicht schwach oder seltsam bin, sondern unter einer Krankheit leide, für die ich nichts kann und die genauso wie eine körperliche Störung mühsam behandelt werden muss - all das, womit andere Leute mich immer aufzuheitern versuchen. Der Selbsthass tief in meinem Inneren lässt sich von diesen Floskeln aber nicht zurückdrängen.

Warum kann anscheinend jeder mit den schwierigsten Aufgaben des Lebens umgehen und ich bekomme es nicht mal auf die Kette, mich zu waschen, ohne dabei völlig die Kontrolle zu verlieren? Warum kann ich nicht mal normal zur Arbeit, ohne dabei zig Vorkehrungen für alle möglichen psychiatrischen Notfälle zu treffen? Und warum lasse ich mich von meinen Problemen so vereinnahmen, anstatt damit selbstbewusst umzugehen und sie zu lösen, wie das scheinbar jeder andere kann?

Irgendwann lege ich mein Handy entnervt wieder weg. Es hilft mir eindeutig nicht, mir Fotos von glücklichen Menschen in tollen Situationen anzusehen, in denen sie anscheinend einfach nur Spaß haben. Nachdem ich aufgegessen habe, schaue ich eine Weile lang in meinem dunklen Wohnzimmer umher. Ich sollte mich ausruhen, aber ich bin so aufgewühlt, dass ich sowieso nicht wieder einschlafen könnte.

"Und so ende ich jetzt.", denke ich schließlich, "eine 23-Jährige, die allein in ihrer Wohnung hockt und Kontrollnachrichten braucht, um es überhaupt durch den Tag zu schaffen. Wann war ich eigentlich das letzte Mal einfach glücklich, ohne mir Gedanken um gestern oder morgen zu machen? Ich weiß es schon gar nicht mehr."

Die Tränen beginnen, mir über das Gesicht zu laufen und meine Decke vollzutropfen. Ich fange schon wieder an zu zittern und fühle mich plötzlich schrecklich allein. Als hätte ich mit dem Duschwasser auch den letzten Rest meines Selbstwertes und meiner Charakterstärke abgespült.

"Ich kann das nicht mehr. Ich kann nicht täglich zusehen, wie ich den Halt und die Kontrolle über mein eigenes Leben verliere. Ich will, dass alles endlich ein Ende hat."

Aus meinem Weinen wird lautes Schluchzen, als ich mich bei diesen Gedanken ertappe. Sie gehen eindeutig in eine ganz falsche Richtung, in die ich nie wieder möchte. Zu schlimm sind die Erfahrungen, die ich damit in der Vergangenheit schon gemacht habe. Ich spüre, wie die ewigen Gegner Gefühl und Verstand in meinem Kopf wieder beginnen, sich gegeneinander zu wehren und das Zittern wird trotz der Sofadecke immer schlimmer, doch dieses Mal ist mein Verstand stärker.

Die dunklen Zimmerwände scheinen auf mich zuzukommen und mich regelrecht zu erdrücken. Ich muss mir jetzt Hilfe holen, sonst werde ich wieder eine qualvolle Nacht erleben.

Einige Minuten zögere ich noch, doch dann wähle ich deine Nummer. Ich will niemandem durch mein Verhalten Umstände machen, doch ich habe das ungute Gefühl, dass alles völlig aus dem Ruder läuft, wenn ich nicht umgehend gegensteuere. So wie damals, als die Angst anfing. Ich erschaudere bei der Erinnerung daran, während ich auf eine Antwort warte.

Zum Glück hebst du schnell ab. "Hallo", kommt es vom anderen Ende, "was gibt's Neues?"

Ich komme direkt zum Thema: "Kannst du vorbeikommen?", frage ich und versuche, dabei nicht allzu kläglich zu klingen.

Kurz ist es leise. Dann fragst du besorgt: "Geht es dir nicht gut?"

"Nein. Ich halte meine eigenen Gedanken irgendwie gerade nicht mehr aus. Ich versuche schon, mich abzulenken, aber mein Kopf hat heute so gar keine Lust..."

"Ich bin in zwanzig Minuten da. Mach es dir so gut es geht bequem, ich bringe noch ein paar DVDs mit. Und Max natürlich auch!"

Ich lächele schwach. "Danke. Du solltest echt ein Gehalt als Aushilfskraft meines Therapeuten bekommen."

"Unsinn, dafür sind Freunde doch da. Ich bin schon unterwegs."

"Trotzdem, du hättest es verdient. Bis gleich.", sage ich.

"Bis gleich.", erwiderst du und legst auf. Ich lasse das Handy sinken und schließe die Augen. Aus der Anlage erklingt ein langsames Lied. Der Sänger singt leise etwas über Trauer, Selbsthass und Gefühlschaos.

"Sehr passend", denke ich. Mir drängen sich sofort wieder verstörende Gedanken auf, doch ich ersticke jeden davon im Keim und konzentriere mich auf den Klang der Musik.



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