L - Vielleicht kennst du sie von früher
[Louis]
Es war seltsam, als hätte der Fahrstuhl wirklich darauf gewartet, dass er kommen würde. Oder vielleicht hatte das Ding auch einfach ewig gebraucht und es hatte vom Timing her gut gepasst. Sicher eher Letzteres. Nun stand ich dennoch mit Harry an der Kaffeebar und zahlte unsere Cappuccinos, dann hielt ich ihm seinen Becher hin und er nahm ihn mir dankend ab.
Wir gingen gemeinsam nach draußen, wo die Sonne schien, und ich kam nicht umhin, immer wieder in seine Augen zu sehen. Sie waren mir so bekannt, sie waren so grün. Aber das war unmöglich, ich war ihm noch nie begegnet. Vermutlich projizierte ich meine Träume jetzt irgendwie auf den Soldaten, beziehungsweise interpretierte zu viel hinein.
Wir setzten uns auf die Bank und ich trank einen Schluck, ließ ihm einen Moment Zeit, sich mit der Situation zu arrangieren. Er sah mich an. „Ich habe mich nicht richtig vorgestellt. Mein Name ist Harry Styles." sagte er und ich lächelte. „Ein schöner Name. Gefällt mir." antwortete ich ihm, woraufhin er nickte. „Und deiner?" fragte er mich.
„Louis."
Harry lachte leise. „Das weiß ich schon. Und dein Nachname?" hakte er nach und ich lachte ebenso. „Tomlinson!" antwortete ich, Harry nickte und musterte mich. Ich sah ihm in die Augen und blinzelte dann leicht. „Du kommst mir wirklich so unheimlich bekannt vor!" gab ich erneut zu und Harry stockte leicht, dann nickte er. „Du mir auch" murmelte er. Ich sah ihn überrascht an. „Echt?"
Er nickte, ließ seinen Blick über den kleinen Park vor dem Krankenhaus schweifen. „Naja, besser so, als dass wir uns nicht ausstehen können, oder?" Ich wollte die Stimmung auflockern und er lächelte leicht und nickte nur. „Also, Harry..." startete ich und lehnte mich zurück. „Willst du mir von dem Tag erzählen, als du verletzt wurdest?"
Ich konnte deutlich sehen, wie sich sein ganzer Körper anspannte und sein Blick sich verhärtete. Ich ließ ihm Zeit, ich würde abwarten, bis er antwortete. Es dauert jedoch nicht sonderlich lange, was mich zugegeben überraschte. „Der Stützpunkt wurde angegriffen. Es war ein Luftangriff, sowie vom Boden aus. Definitiv von langer Hand geplant, normalerweise wären wir nicht so überrascht worden. Auf keinen Fall. Ich habe den Trupp geführt, doch in dem Moment war jeder für sich. Ich habe einen meiner Jungs sterben sehen, John." Harry atmete tief durch, schüttelte den Kopf. „Er hat gerade erst eine Tochter bekommen. Er durfte sie nicht einmal kennenlernen."
Ich nickte leicht, unterbrach ihn jedoch nicht. „Und dann...habe ich etwas gesehen." Er blieb ruhig und starrte auf den Boden vor sich, wirkte beinahe so, als würde er seine Worte ganz genau überlegen, bevor er sie aussprach. „Ich hatte...Visionen. Ich habe ein Gesicht gesehen, eine Stimme gehört", sagte er ganz leise. Ich sah ihn weiter an und wusste nun, was Gemma damit gemeint hatte. Doch entgegen ihrer Einschätzung beschloss ich, ihn ernst zu nehmen. Es wunderte mich dennoch, dass er mir das einfach so offen erzählte.
„Was hat die Stimme gesagt?" fragte ich ihn. „Sie hat mich geführt. Hat mir gesagt, wo ich langgehen soll, dass ich noch eine Aufgabe habe. Ich habe mich steuern lassen. Dann meinte die Stimme, ich solle sie retten. Wer ist sie, habe ich gefragt. Dann hörte ich Wimmern." Seine Stimme war zittrig geworden. „Da war ein kleines Mädchen, schwer verletzt. Keine Ahnung, wo sie herkam. Ich habe sie gerettet aus diesem eingestürzten Haus. Ich habe sie zum Trupp gebracht, dann wurde ich mehrmals angeschossen." Er beendete seine Erzählung und sah zu mir. „Und nun bin ich hier. Bei dir."
Ich war blass geworden. Seine Erzählung kam mir so bekannt vor, denn es war eins zu eins mein Traum gewesen vor einer Woche. Meine Augen waren groß und ich musste in diesem Moment vermutlich überfordert wirken, denn Harry sah wieder weg. „Es muss sich irre anhören..." murmelte er. „Nein!" sagte ich einen Hauch zu schnell, auch wenn es das tat. Ich wollte ihn nicht verletzen, außerdem hatte ich schließlich einen ganz ähnlichen Traum gehabt. Ich traute mich nicht, ihm das zu sagen, denn ich wollte ihn nicht aufwühlen. Das wäre die Definition von seltsam gewesen, vermutlich. Er war sicherlich traumatisiert, ich wollte ihn also nicht mit solchen Dingen belästigen. Dennoch konnte ich nicht anders, als fasziniert von ihm zu sein. Er war unglaublich attraktiv. Muskulös, groß, eine markante Kieferpartie. Die grünen Augen waren groß, wirkten unschuldig und gefährlich zu gleich, er sah aus, als wäre er einer griechischen Mythologie entsprungen.
Er sah mich abwartend an und holte mich so aus den Gedanken über sein Aussehen, automatisch lief ich leicht rot an. „Entschuldige, was hast du gesagt?" fragte ich leise nach, Harry runzelte leicht die Stirn. „Ich sagte gerade, dass ich nicht weiß, wie ich jemandem erklären soll, dass ich Geister sehe." Ich nickte und dachte kurz nach, was ich ihm antworten sollte. „Ich wiederhole mich zwar ungern, aber ein Gespräch mit einem Psychologen kann helfen. Ich vermute, dass du ein Trauma erlitten hast, dass dir deshalb solche Visionen erscheinen. Vielleicht ist es eine Art Schutzmechanismus deines Gehirnes?"
Harry sah mich mit undefinierbarem Blick an, dann schüttelte er den Kopf. „Ich habe keine Zeit für einen Psychologen. Ich will so schnell wie möglich zurück in den Irak." sprach er schlicht. Ich sah ihn mit großen Augen an. „Ernsthaft? Das halte ich für falsch."
Harry lachte auf. „Was weißt du schon vom Soldat sein? Du kannst es nicht nachvollziehen!" Er schien aufgebracht zu sein, was mir ebenso nach einer normalen Reaktion erschien. Harry fühlte sich angegriffen, denn ich war nicht beim Militär. Ich wusste nicht, wie es war, deshalb durfte ich ihm auch nicht meine Meinung dazu sagen, ob er zurück gehen sollte oder nicht. Wir kannten uns nicht, es stand mir einfach nicht zu. Ich verstand es, sah ihn deshalb entschuldigend an. „Ich wollte dir nicht zu nahetreten. Alles, was ich sagen möchte, ist, dass so eine Erfahrung verarbeitet werden muss, bevor man sich in eine neue stürzt." gab ich zu Bedenken, Harry seufzte und senkte den Blick. „Ich habe hier keine Aufgabe. Ich wüsste nicht, was ich hier tun sollte." antwortete er mir und wirkte dabei beinahe verletzlich. Ich legte eine Hand an seinen Arm und er sah sofort auf die Hand, dann in mein Gesicht.
Beruhigend sah ich ihn an und lächelte sanft. „Es dauert eine Weile, doch man gewöhnt sich an einiges, Harry. Vor allem an die Sicherheit. Und ich bin mir sicher, du findest eine Aufgabe."
Er nickte leicht, doch ich sah ihm eindeutig an, dass er das für Schwachsinn hielt. „Wie lange warst du jetzt im Einsatz?" fragte ich ihn daher. „Acht Monate. Davor schon einmal zwei Jahre."
„Zwei Jahre? Am Stück?" Ich sah ihn schockiert an und er nickte. „Wie alt bist du?" fragte ich neugierig. „Vierundzwanzig." antwortete er mir, sah mich an. „Und du?"
„Ich bin achtundzwanzig!" antwortete ich ihm, war noch immer überrascht. „Wie kann man mit vierundzwanzig bereits so lange im Einsatz gewesen sein?" fragte ich daher. Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe mich mit achtzehn verpflichtet. Zwei Jahre später war ich im Ausland, zwischen den Einsätzen war ich nur wenige Monate daheim." Er erklärte es mir, als wäre es absolut gewöhnlich, nichts Besonderes.
„Wow...das ist echt krass!" sagte ich, denn mir fiel nichts Eleganteres ein. Er lachte humorlos auf und nickte. „So kann man es wohl ausdrücken, schätze ich."
Einen Moment schwiegen wir, dann sah er mich an. „Was machst du eigentlich?" fragte er mich. „Ich bin Tierarzt, momentan noch Assistenzarzt. Aber ich bin bald fertig."
Er nickte und musste lächeln, sah mir einen Moment zu lange in die Augen. „Ist das erfüllend?" fragte er und ich musste lachen. „Ich finde schon, es macht mir Spaß und ich rette gern kleine niedliche Hundewelpen und andere Tiere!"
Er lachte auch leicht und nickte, lehnte sich zurück und trank seinen Kaffee aus. „Kennst du noch jemanden, der Visionen hatte?" fragte er mich, woraufhin ich den Kopf schüttelte. „Nein, niemanden." Dann sah ich zu ihm. „Das heißt aber nicht, dass es sowas nicht geben kann. Vielleicht ist die Person, die du gesehen hast, irgendwie mit dir verbunden."
Harry sah mich nachdenklich an, legte den Kopf schief. „Wie Seelenverwandte, meinst du?" Seine Frage war ziemlich direkt und ich zuckte mit den Schultern, lächelte. „Wer weiß? Vielleicht gibt es sowas ja wirklich! Du sagst, die Person war dir unbekannt. Vielleicht ist sie dir doch nicht unbekannt und du hast sie nur vergessen. Vielleicht kennst du sie von früher?" Meine Mutmaßungen waren allesamt vermutlich Nonsens, doch er wirkte viel entspannter und schien wirklich darüber reden zu wollen. Er kaute auf seiner Lippe und nickte leicht, sein Bein wippte auf und ab.
„Es war ein Mann." Die Worte kamen leise aus seinem Mund, er blickte mir dabei direkt in die Augen, was mir augenblicklich eine Gänsehaut bescherte.
Nickend sah ich zu ihm, leerte dann ebenfalls meinen Kaffeebecher und lächelte ihn an. „Vielleicht bist du mit der Person ja unsichtbar verbunden."
Harry nickte leicht, sah auf seine Hände. „Ja, vielleicht.", murmelte er abwesend und dann richtete er sich auf. „Ich sollte jetzt zurück zu Gemma. Sie wartet sicher schon."
Ich nickte lächelnd. „Du hast ja meine Nummer. Wenn du möchtest, können wir uns wieder treffen!" schlug ich ihm vor, er stand auf und sah zu mir. „Wirklich?"
Ich stand ebenfalls auf und warf meinen Becher in den Mülleimer neben der Bank, sah zu ihm. „Klar, wieso nicht?"
Harry lächelte. „Dann bis bald vielleicht..." sagte er leise und warf mir noch einen Blick zu, dann drehte er sich um und lief zurück zum Krankenhauseingang. Ich sah ihm nach und mein Herz klopfte kräftig, als er sich umdrehte und mir noch einmal zuwinkte.
Ich winkte ebenfalls, lächelte und atmete tief durch, als er im Gebäude verschwunden war und nicht mehr in Sicht war. Was er mir eben erzählt hatte, klang vermutlich unglaubwürdig, dennoch glaubte ich ihm jedes Wort davon. Und ich kam nicht umhin, mich zu fragen, ob es seine Augen waren, die ich in meinen Träumen gesehen hatte. Das wiederum klang für mich absolut absurd. Doch als ich ihn angesehen hatte, war es ein vertrauter Anblick gewesen, nicht wie zwei Fremde, die sich zum ersten Mal in die Augen blickten.
Nachdenklich trat ich den Heimweg an und beschloss, dass ich meine Mutter zu Rate ziehen würde. Sie konnte mir vielleicht helfen, die Sache zu verstehen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top