Kapitel III
Wärme umhüllte Laira. Langsam öffnete sie ihre Augen und sah sich um. Sie befand sich in einem kleinem Raum mit großen Fenstern und einer kleinen Holztür. Durch die zugezogenen Vorhänge erhellten vereinzelte Sonnenstrahlen das recht kleine Zimmer. Das Bett auf dem Laira lag, ein kleines Tischchen und eine Topfpflanze waren die einzigen Möbel, die den Raum zierten. Augenblicklich fiel ihr Blick auf den kleinen Rucksack, der in einer Ecke lag. Wer hatte ihn hierher gebracht? Wer hatte sie überhaupt hier her gebracht? Laira richtete sich mühselig auf, schob die Decke zur Seite und kletterte aus dem Bett. Sofort vermisste sie das warme Gefühl um sich herum. Dafür, das es so hell war, war der Raum erstaunlich kalt. Vorsichtig tapste sie durch den Raum zum Rucksack. Erst dann viel ihr auf, dass ihre nackten Füße auf dem Boden nicht das einzige Geräusch waren. Schritte und gedämpfte Stimmen drangen zu ihr herüber. Mabel! , schoss es ihr durch den Kopf. Sie wusste, eine der Stimmen musste ihrer Freundin gehören, aber wem gehörte die Zweite? Sie zog den Rucksack zu sich heran und löste die Schnur die ihn zusammenhielt. Wo war ihr Messer? Sollte eine der sich draußen aufhaltenden Personen etwas mit ihnen vorhaben, wollte Laira wenigstens darauf vorbereitet sein. Es hätte zu lange gedauert den Rucksack Stück für Stück auszuräumen,weshalb sie ihn einfach auskippte. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, was sie bei ihrer Flucht eingepackt hatte, weshalb sie neugierig den Inhalt beäugte den sie ausgeleert hatte. ,,Laira!", ertönte plötzlich Mabel's Stimme auf der anderen Seite der Tür. Die Türklinke bewegte sich nach unten und Mabel erschien im Türrahmen. ,,Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!" , brach es aus ihr heraus. Sie stürmte auf Laira zu und fiel ihr im den Hals. Laira war viel zu überrascht um zu reagieren. Widersprüchliche Gefühle krochen in ihr hoch. Einerseits war sie erleichtert Mabel gesund und munter anzutreffen, andererseits war sie immer noch wütend auf sie. Jedoch verging letzteres, als sie einsah, wie dämlich und unnütz ihr Streit war. Laira legte ihre Arme um Mabel und ließ sich auf die Umarmung ein. ,, Wo sind wir hier?", fing Laira an, als sie sich nach gefühlten Stunden von einander lösten. ,, In Mia's Haus. Sie hat mir angeboten bei ihr zu bleiben, bis es dir besser geht. Was machst du da?", fragte sie neugierig, als sie den ausgeschütteten Rucksack bemerkte. ,,Ich schaue nach, ob ich irgendetwas Nützliches eingepackt habe." Lairas Blick schweifte über den ganzen Krempel, der ihr wahrscheinlich nicht viel nützen würde, außer als Erinnerung an ihr zu Hause. Eigentlich wollte Laira nachfragen, wer Mia war, doch Mabel begann zuerst zu sprechen ,, Wofür ist das Buch?" Mabel streckte ihre Hand nach dem in Leder gebundenen Buch aus. Der Einband war relativ schlicht, lediglich ein paar Edelsteine an den Ecken, die höchst wahrscheinlich nicht einmal echt waren. In der Mitte des Umschlages war ein Strich zu sehen, der, wie Laira vermutete, die römische Zahl Eins symbolisieren sollte und darauf hindeutet, dass es noch mehrere dieser Bücher gab. Sie erinnerte sich daran, es aus der Bibliothek ausgeliehen zu haben, da sie von den ganzen Bildern darin fasziniert gewesen war, doch sie konnte sich nicht entsinnen es eingepackt zu haben. Das Buch hatte sich noch in ihrem Rucksack befunden, bevor sie die anderen Sachen hineingestopft hatte. Sie zuckte mit den Schultern, hob es hoch und schlug die erste Seite auf. Laira fiel auf, dass das Buch weder einen Titel hatte, noch war der Autor angegeben. Auf jeder Seite war eine andere Zeichnung abgebildet und daneben ein dazugehöriger Steckbrief. Laira war grade bei dem Buchstaben F und betrachtete die Abbilder verschiedener Feen, wobei ihr eine Zeichnung besonders ins Auge stach. Auf dem Bild war eine Schmetterlingsfee zu sehen, welche gerade auf einer Blume posierte. Obwohl die Zeichnung selbst mit Kohle skizziert war konnte sie sich vorstellen wie ihre Flügel in allen möglichen Farben strahlten.
***
Bell rieb sich die Augen. Sie hatten die letzte Nacht kaum geschlafen. Als der Riss aufgehört hatte sich auszubreiten, hatte Jack beschlossen die Pause ausfallen zu lassen, da sie die verlorene Zeit wieder aufholen mussten. Sie hatten mehrere Stunden gebraucht, um einen Weg um die Klippe herum zu finden und als sie Jack dazu überreden konnten ein Lager aufzuschlagen, war bereits der Morgen angebrochen. Zudem hatte sie am vorigen Tag so viel erlebt, dass sie kaum Schlaf gefunden hatte. Tausende Fragen waren ihr durch den Kopf geschossen, von denen sich keine beantworten ließ. Nun war es bereits Mittag und die Sonne brannte auf ihrer blassen Haut. Es würde nicht mehr Lange dauern, bis sie das Grünwassertal erreichen würden und trotzdem befanden sie sich noch inmitten einer steinigen Wüste. Weit und breit war kein Anzeichen für irgendeine Art von Leben zu sehen. ,,Hier." Bell schaute mit großen Augen zu Jack hinauf, der ihr gerade eine Flasche hinhielt.,, Danke", murmelte sie in sich hinein und zog den Stöpsel aus dem Hals des Lederbeutels. Durch das kalte Wasser, das ihre trockene Kehle hinab rann, fühlte sie sich viel wacher und lebendiger als zuvor. Zuspät bemerkte sie, dass sie vor lauter Gier die gesamte Flasche ausgetrunken hatte. Schuldbewusst blickte sie wieder hinauf zu Jack, der für alles nur ein Lächeln übrig hatte: ,,Keine Sorge, wir haben noch eine Flasche. Außerdem sind wir sowieso bald da." Beruhigt atmete sie aus: ,, Wie lange wird es noch dauern?", erkundigte sie sich. ,,Vermutlich noch ein bis zwei Sunden. Die Anderen Wächter werden schon vor uns eintreffen und die Umgebung auskundschaften. Sie vermuten, dass diejenigen, die sie verfolgten, in einem Dorf, ganz in der Nähe Unterschlupf gesucht haben." Danach entschloss sie sich nicht weiter Nachzufragen und stumm weiterzulaufen. Glücklich bemerkte sie, dass vereinzelt ein paar Grasbüschel auftauchten. Zwar waren diese gelb und vertrocknet, doch immerhin war es ein Anfang.
***
Hastig stopfte sich Laira ein Brötchen nach dem anderen in den Mund, verwundert wo der plötzliche Appetit her kam. Sie saß zusammen mit Mabel und Mia in der Küche an einem kleinen runden Tisch. Mia war, wie Laira bereits ahnte, das Mädchen welches in der letzten Nacht bei ihrem provisorischen Lager aufgekreuzt war. Laira konnte sich nur wage an die letzte Nacht erinnern. Sie wusste, dass sie einen Streit mit Mabel gehabt hatte, doch warum sie schließlich ohnmächtig geworden war, blieb ihr schleierhaft und die anderen wollten ihr auch nichts verraten. Doch im Moment war sie einfach nur glücklich darüber, dass alles so friedlich war und dass sie, wenn auch nur für kurze Zeit, all ihre Sorgen hinter sich lassen konnte. Wie Mia ihr erklärt hatte, waren sie in Vera gelandet, einer der fünf Kontinente von Tanaya. Leider war es einer dieser Planeten, die nach dem Krieg der Welten fast komplett in den Hintergrund gedrängt wurden, was bedeutet, dass sich keiner mehr daran erinnern konnte. Jedoch gab es immer noch etliche Geschichten und Märchen darüber. Eine von Laira's Lieblingsgeschichten handelte von einer Kriegerin Namens Mysa, die im Krieg der Welten in einem halben Monat ganz Vera eroberte. Der Krieg der Welten... eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte. Es war einer dieser Kriege, der so lange andauerte, dass sich keiner mehr so genau an den Auslöser erinnern konnte. Fast hundertfünfzig Jahre bekämpften sich alle Planeten, bis ein Friedensabkommen das Problem löste. Jedoch wurde einer der Planeten Namens Aveny oder wie er von seinen Einwohnern genannt wurde, die Erde, fast komplett zerstört. Viel mehr hatte Laira in ihrem Unterricht über diesen Planeten nicht gelernt, außer, dass einige überlebt hatten und diese einen Neuanfang ohne jegliche Art von Magie oder sonstigen magischen Wesen bildeten. Dennoch hatten die anderen Welten einen Teil ihrer Sprache übernommen und auch einige Namen, wie beispielsweise der von Laira, stammten noch davon ab. ,, Wo sind eigentlich deine Eltern?", fragte Laira neugierig, da sie, so weit sie wusste, in deren Bett geschlafen hatte. Der Rest des Hauses war noch kleiner als Laira befürchtet hatte. Es gab zwei Schlafzimmer, das von Mia's Eltern, in dem Mabel und sie zusammen geschlafen hatten, und Mias. Die Küche und das Esszimmer waren in einem Raum untergebracht. Das Einzige, was an diesem Haus groß war, war der Garten, in dem alle möglichen Blumen und Sträucher wuchsen. ,, Sie sind in Ivaan, um Güter zu besorgen. Wahrscheinlich kommen sie in ein paar Tagen wieder." , erklärte Mia. ,, Gibt es hier nicht auch einen Markt?", fragte nun Mabel. ,, Hier auf dem Markt gibt es lediglich Lebensmittel. Ich war zwar noch nie in Ivaan, aber der Markt dort soll der größte in ganz Vera sein." , berichtete Mia. ,, Können wir den Markt später mal besuchen, also den hier und nicht in Ivaan?" In Mabel's Stimme klang Aufregung mit. ,, Sicher. Momentan werden die Vorbereitungen für das Frühlingsfest getroffen, weshalb vermutlich sehr viel los sein wird." ,,Frühlingsfest?!", ertönte es nun von Laira. Frühlingsfeste gab es auch bei den Kentari, jedoch wurden diese dort nie so richtig gefeiert. Man zündete nur ein paar Kerzen an und betete für eine reiche Ernte. ,, Es sind leider nur die Vorbereitungen. Das richtige Fest findet erst in einer Woche statt." Enttäuschung und Kummer breitete sich in Laira's Gesicht aus und sie konnte erkennen, dass Mabel vermutlich an dasselbe dachte. Und wieder breitete sich eine welle von Angst in ihr aus. In einer Woche. Vielleicht würde sie dann schon tot sein. Mia schien ihr Unbehagen ebenfalls zu bemerken und wurde ernst. ,,Jetzt aber mal zu euch beiden'', sagte Mia und sah sie eindringlich an. Laira wusste genau, was Mia nun von ihnen erwartete. ,, Ich habe euch mit zu mir nach Hause gebracht, euch schlafen lassen und euch etwas zu essen gegeben. Jetzt möchte ich, dass ihr mir die Wahrheit sagt. Wer seid ihr? Und wieso seid ihr hier?'' Mabel und Laira tauschten einen kurzen Blick aus und dann fing Mabel an zu reden. Wir kommen aus Noeria und wir ...", sie schaute Laira an und als diese nickte, als Zeichen, dass sie weiter sprechen sollte, fuhr sie fort. ,,Laira musste von den Kentari fliehen, da sie zwei Elemente hat und dies bei ihnen verboten ist. Als ich auf sie traf, wurde sie gerade von ihrem eigenen Stamm gehetzt. Wir flohen gemeinsam und da öffnete sich plötzlich ein Portal unter unseren Füßen und wir fielen hindurch." Als Mabel mit ihrer Erzählung fertig war, starrte Mia sie mit offenem Mund an. ,,Wie habt ihr das Portal geöffnet?", staunte Mia. ,,Es tauchte auf einmal unter unseren Füßen auf", erklärte diesmal Laira. Mia schüttelte den Kopf. ,,Tut mir leid, aber das ist unmöglich. Für das Öffnen eines beweglichen Portals muss entweder ein Magier anwesend sein, der sich darauf spezialisiert hat oder ein Nachkomme der Pier Blutlinie. Ansonsten ist es vergeblich", entgegnete Mia. ,,Woher weißt du das alles? Ich meine, du bist jünger als wir und trotzdem...",fing Mabel an. Mia schaute immer noch ernst, jedoch konnte man erkennen, dass sie sich ein kleines, stolzes Lächeln kaum verkneifen konnte. ,,Immer wenn meine Eltern auf Reisen sind, bringen sie mir ein Buch mit und da man in diesem gottverlassenen Dorf nichts besseres zu tun hat, lese ich die meisten davon mehrmals durch." Mabel staunte. ,,Nachdem ihr euch fertig gemacht habt, könnten wir gemeinsam dem Markt einen Besuch abstatten", lenkte Mia von sich ab, ,, Ich habe euch auf dem Bett in meinem Zimmer Sachen meiner Mutter rausgelegt. Meine wären euch wahrscheinlich zu klein. Außerdem könnt ihr auch das Bad benutzen, das direkt neben meinem Raum liegt. Über alles Weitere unterhalten wir uns später. Solltet ihr versuchen abzuhauen, müsste ich leider die Wachen verständigen, verhaltet ihr euch verdächtig, genauso.'', meinte Mia plötzlich distanziert. Sie hatte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. Das Gesagte gab ihr wohl einiges zu denken. ,,Mia...'', begann Laira zaghaft. Sie wollte für niemanden eine Last darstellen. ,,Warum hilfst du uns überhaupt? Du weißt doch, dass du dich dadurch auch selbst in Gefahr bringst'', flüsterte sie. Mia's Ausdruck verhärtete sich. ,,Ja, ich weiß, aber ihr könnt nicht zurück, da ihr von eurem Volk gejagt werdet und außerdem wäre es euch sowieso nicht möglich ein Portal zu öffnen. Ehrlich gesagt, sieht eure Lage sogar richtig schlecht aus, denn ich bin mir sicher, dass die Wächter längst informiert worden sind und bereits nach euch suchen'', stellte Mia fest, ,, außerdem habe ich schon einmal den Fehler gemacht, dass ich jemandem nicht geholfen habe, der es bitter nötig hatte. Zusätzlich dazu bin ich noch ein Kind. Ich bin erst 14, sie können nicht einfach so und schon gar nicht ohne irgendeine Verhandlung ein Kind töten. Ihr beide seid die einzigen, die hier wirklich in Gefahr sind.'' Laira nickte nur, eine bessere Erwiderung fiel ihr nicht ein. Mabel und sie erhoben sich und liefen zu Mias Zimmer, das im hinteren Teil des Hauses lag. Mia folgte ihnen. Dort angekommen nahmen sie erstmal die Kleider, die auf dem Bett lagen unter die Lupe. Es waren ein Langes und ein Kurzes, sowie zwei braune Ledergürtel, ein Jagdmesser in einer Leder hülle und ein längeres, braunes Band mit Federn und Schmuck für die Haare. ,, Ihr müsst euch tarnen'', sagte Mia, die ihnen gefolgt war, knapp, ,,denn im Moment gibt es für euch keine andere Möglichkeit, als so zu tun , als wärt ihr von hier, oder zumindest von dieser Welt. Ihr seid hier in einem Hexendorf namens Hela. Die Kleider, die auf dem Bett liegen, sind traditionell.'' Sie hob das kürzere der beiden Kleider auf. Es war sehr schlicht, wie das längere war es pechschwarz und aus weichem, seidigem Stoff. ,, Dieses Kleid hier würde, denke ich , besser zu Laira passen'', stellte sie fest. ,,Also ehrlich gesagt würde mir eine Hose besser gefallen.'', widersprach Laira, ,, Kleider passen nicht gut zu mir''. Mia warf ihr nur einen stechenden Blick zu. Sie reichte ihr das Festkleid mit einem der braunen Gürtel für die Taille. ,,Das Badezimmer findest du vermutlich alleine'', sagte sie. Laira wusste, dass sie keine andere Wahl hatte und setzte sich deswegen gleich in Bewegung. In dem Badezimmer, das genauso klein war wie alle anderen Räume dieses Hauses, befand sich nur eine Steinwanne, die gerade noch Platz für ein schmales Waschbecken ließ, das unter einem Spiegel angebracht war. Wasser wurde anscheinend durch ein Pumpensystem in das Häuschen geleitet, was Laira an einem kleinen Zapfen erkannte, der jeweils über dem Waschbecken und der Wanne befestigt war. Es musste sich ein Brunnen unter dem Haus befinden, von dem dann Wasser in einen Speicher hinter der Wand laufen musste. Theoretisch sollte auch ein Heizsystem an den Speicher integriert sein, wenn nicht, müsste Laira sich kalt baden, worauf sie keine Lust hatte. Sie drehte den Hahn auf und hielt prüfend den Finger darunter. Das Glück war auf ihrer Seite und das Wasser war angenehm warm. Schnell drehte sie den Hahn ganz auf, sodass sich die Wanne füllte und begann sich auszuziehen. Dabei fiel ihr Blick in den Spiegel. Sie erkannte sich selbst kaum wieder. Ihr Gesicht war aschfahl und von roten Kratzern übersät, während ihre kupferroten Haare wirr darüber hingen. Ihre Pupillen waren trotz des hellen Lichtes seltsam geweitet und ließen ihre türkisen Augen noch größer erscheinen. Die langen, schwarzen Wimpern, die ihre Augen umrahmten, betonten die ungesunde Blässe ihres Gesichtes nur noch mehr, außerdem war sie dreck- und blutverschmiert. Laira wandte sich ab. Ein Bad würde vielleicht gegen den ganzen Dreck helfen, aber was war mit den ganzen Verletzungen? Sie seufzte resigniert. Eine andere Möglichkeit bot sich ihr schließlich nicht. Bestimmt würde es ihr gut tun, das Dorf und den Markt ein wenig zu erkunden. So könnte sie auch auf andere Gedanken kommen. Vorsichtig ließ sie sich in das klare Wasser gleiten. Erst jetzt wurde deutlich sichtbar, was sie durchgemacht hatte. Ihre Beine waren, so wie der Rest ihres Körpers, von blauen Flecken gezeichnet und alle ihre Knochen schmerzten. Laira musste trotz der Situation plötzlich grinsen. Mia würde ihr wohl oder übel doch eine Hose geben müssen. Sie wusch sich gründlich, wobei sie dafür weniger lange brauchte, als für ihre hüftlangen Harre, die sich vor Dreck an manchen Stellen braun verfärbt hatten. Nachdem sie sich aus der Wanne erhoben hatte, war das Wasser von einer dunklen Farbe, bei deren Mischung Laira unwillkürlich die Nase rümpfte und sich fragen musste, was sie sich da gerade alles vom Körper gewaschen hatte. Schnell ließ sei ihren Blick durch das Badezimmer schweifen, auf der Suche nach einem Handtuch. Irgendwo hier müsste Mia doch eines hinterlegt haben. Laira brauchte nicht lange zu suchen, unter dem Waschbecken lag ein ganzer Haufen bunter Tücher, von denen sie kurzerhand eines nahm. So schnell es ging rubelte sie sich trocken, sie hatte nämlich geschätzt schon mehr als eine Stunde das Bad blockiert. In das Tuch gewickelt, mit ihren und den neuen Kleidern in den Händen lief sie zurück in die Küche, wo Mabel und Mia schon auf sie warteten. Mabel trug das Kleid, das Mia ihr gegeben hatte und Laira musste sich eingestehen, dass es ihr sogar richtig gut stand. ,,Warum trägst du dein Kleid nicht?'', fragte Mia, wie erwartet. ,,Weil ich überall verschiedene Verletzungen habe und das Kleid sie nicht verbirgt, im Gegenteil'', antwortete Laira ein wenig genervt, da Mia sich dies eigentlich hätte denken können. ,,Okay.'', gab Mia sich geschlagen, ,, du bekommst eine Hose''. Laira nickte ihr nur zu. Eigentlich hatte sie nicht das Recht dazu, genervt zu sein. Mia tat alles in ihrer Macht stehende, dass Laira und Mabel sich wohlfühlten und nicht entdeckt wurden. ,, Danke'', murmelte Laira, plötzlich beschämt über ihr undankbares Verhalten. Mia hörte sie jedoch nicht mehr, sie war schon in das Zimmer ihrer Mutter gelaufen, um neue Kleidung zu holen. Laira drehte sich wieder um und entdeckte auf dem Tisch eine Schale und verschiedene Pflanzen in den unterschiedlichsten Farben. Eine der Pflanzen, die größte und einzige schwarze, strahlte einen seltsamen Glanz aus. ,,Was ist das?'', fragte Laira an Mabel gerichtet. Diese zuckte jedoch nur mit den Schultern. Sie hatte anscheinend genauso wenig Ahnung von Pflanzen wie Laira selbst. Interessiert betrachtete sie die unnatürlichen Gewächse. Ob diese Dinger magische Kräfte hatten? Mia würde es ihr wahrscheinlich gleich erklären. Inzwischen war das Mädchen wieder zurückgekehrt, in den Armen ein dunkles Bündel. Sie warf ihr die Sachen zu und wandte sich an die Pflanzen. Laira sandte einen irritierten Blick an Mabel, die genauso verwirrt aussah. Dann dreht sie sich um und machte sich wieder auf den Weg ins Badezimmer. Mia würde ihr schon noch erklären, was es mit den Pflanzen auf sich hatte. Sie wickelte das Bündel aus und zog sich, ohne die Klamotten genauer anzusehen, an. Erst im Spiegel unterzog sie sich einer Musterung. Eine pechschwarze Lederhose betonte ihre Beine und ein ebenfalls schwarzes Oberteil machte den Aufzug komplett. Der breite, braune Gürtel an ihrer Taille bildete eine schöne Abwechslung zu dem ganzen Schwarz. Positiv überrascht zog sie eine Augenbraue hoch. Sie hätte nicht gedacht, dass einfache, schwarze Kleidung so viel bewirken konnte. Durch die dunkle Kleidung wirkte sie älter. Mit Schwung öffnete sie die Türe und gesellte sich zu den Anderen. Lächelnd stellte sie sich neben Mabel, die Mia gespannt über die Schulter schaute. Mia hob in diesem Moment den Kopf. ,,Fertig!'', rief Mia fröhlich. Sie strahlte übers ganze Gesicht. ,,Was ist los?'', fragte Laira, immer noch grinsend und froh darüber, dass Mia wieder lächelte. Ein bitterer Ausdruck passte einfach nicht zu ihr. ,,Also, du hast leider ziemlich auffällige Augen, die wir verbergen müssen, weil sie dich sonst sofort verraten würden. Die leuchtende Farbe ist für die Kentari schließlich und endlich auszeichnend. Deswegen habe ich dir eine Pflanzengemisch vorbereitet, das deine Augenfarbe für so ungefähr 48 Stunden verändern sollte. Du musst es aber in die Augen tropfen, ein Vorgang, der am Anfang etwas brennt, was du jedoch, wie ich denke, schon überleben wirst.'', erklärte Mia. Laira schluckte. Sie warf einen Blick in das Gefäß, das sich hinter Mia befand. Es war randvoll mit einer scheinbar schleimigen, schwarzen Flüssigkeit. Sie würgte. Und dieses Zeug sollte sie sich in die Augen träufeln? ,, Bist du dir auch hundertprozentig sicher, dass das gut ist?'', meinte sie unsicher. Mia nickte. Zögernd nahm Laira das Gefäß in beide Hände. Angewidert sog sie die Luft ein. Die seltsame Flüssigkeit schwappte bei jeder Bewegung fast über. ,, Muss ich das Ganze nehmen?'', fragte sie, während sie das Gesicht zu einer Grimasse verzog. Mabel hatte Schwierigkeiten nicht in Gelächter auszubrechen. Sie stand hinter Mia und hatte die Hände vor den Mund geschlagen. ,, Werden wir noch sehen'', antwortete Mia, ebenfalls schmunzelnd, ,, wenn du willst, helfe ich dir.'' Laira war es ein wenig suspekt, sich das Pflanzengemisch in die Augen zu schmieren und außerdem hatte Mia mehr Erfahrung, weshalb sie die Hilfe schon nach kurzem Zögern annahm. ,,Am Besten legst du dich hin'', sagte Mia. Laira gehorchte ihr ohne nachzufragen. Als sie jedoch auf dem schmalen Tisch lag, fragte sie sich, ob das wirklich eine so gute Idee war. Sie war Mabel und Mia schutzlos ausgeliefert. Aber wenn sie sie umbringen wollten, dann hätten sie schon mehrmals die Chance dazu gehabt und es nicht getan. Aber vielleicht wollten sie.... Lairas Gedanken überschlugen sich. Sie wusste, dass sie sich beruhigen musste. Unruhig bewegte sie sich auf dem Tisch hin und her. ,,Ruhig!'', befahl Mia. ,,Ich...'', setzte Laira an, aber Mia hatte schon mit der Prozedur angefangen. Sie begann in den Augenwinkeln und schmierte die zähe Flüssigkeit dann sorgfältig um die Augen herum. Sofort setzte ein unangenehmes Brennen ein. Lairas Hände schossen nach oben zu ihrem Gesicht, doch Mabel hielt ihre Hände fest. ,, Mach die Augen jetzt ganz weit auf'', sagte Mia zu ihr, aber Laira reagierte nicht. Nur noch fester kniff sie die Augen zu. ,,Nur ganz kurz, dann ist es vorbei'', sprach Mabel ihr beruhigend zu. Laira riss sich zusammen und öffnete blitzschnell die Augen, nur kurz, was für Mia aber reichte. Nachdem Mia die Flüssigkeit auch in Lairas Augen getröpfelt hatte, fühlten sich ihre Augen ganz warm an und sie hatte das Gefühl sie müsste weinen. ,,Was jetzt?'', fragte sie mit zittriger Stimme. ,, Warte einfach bis das seltsame Gefühl verschwunden ist'', antwortete Mia. Laira tat wie ihr gesagt worden war. Als sie die Augen aufschlug starrte sie direkt in die verwunderten Gesichter ihrer Freundinnen. ,,Wow! Ich wusste nicht das das so gut funktioniert!'', rief Mia erfreut. Laira starrte sie entsetzt an. ,, DU WUSSTEST NICHT, DASS DAS FUNKTIONIERT?!'', kreischte sie aufgebracht. Mia grinste entschuldigend. ,,Also, naja, ich habe es eben noch nie selber ausprobiert.'', nuschelte sie. Laira warf ihr einen bösen Blick zu. Das durfte doch nicht war sein! Wenigstens hatte es jetzt doch ohne Nebenwirkungen geklappt. Aber was wäre, wenn es bleibende Schäden hinterließe? Mia hatte es nach eigener Aussage noch nie versucht, was bedeutete, dass sie auch keine Ahnung hatte und einfach warten musste, bis die Wirkung nachließ. Mit einem wütenden Schnauben erhob sie sich vom Tisch. Tolle Freunde hatte sie da. ,,Wohin willst du?'', fragte Mabel. ,,Keine Sorge, ich laufe euch schon nicht weg, ich werfe nur mal einen Blick in den Spiegel'', antwortete Laira mit einem seufzen. Sie wollte sich nach der Tortur nur vergewissern, ob die Wirkung so erstaunlich war, wie Mia und Mabel meinten. Vor dem Spiegel angekommen, hielt sie die Luft an. Mia hatte Recht. Das Ergebniss war unglaublich! Wie viel eine Augenfarbe doch ausmachte! Ihre zuvor türkisen Augen hatten sich in dunkle, fast schwarze verwandelt. Sie hatte das Gefühl, dass es unnatürlich aussah, aber jemandem, dem sie zum ersten Mal über den Weg lief, würde nicht auffallen, dass es sich nicht um ihre eigentliche Augenfarbe handelte. Sprachlos ging sie zu ihren Freundinnen zurück. Kurz kam ihr der Gedanke, was Clara wohl zu der Farbe sagen würde, aber sie versuchte sofort krampfhaft den Gedanken zu verdrängen. Sie war noch nicht bereit, an Clara oder ihren unfairen Tod zu denken. ,,Wollen wir aufbrechen?", erkundigte sich Mia, nachdem es eine weile Still gewesen war. Laira, in Gedanken versunken, schaute sie verwirrt an. ,,Na zum Markt, ihr wolltet ihn doch sehen." , erläuterte Mia. Mabel nickte und stand auf, woraufhin alle das Haus verließen. Die Sonne stand hoch am Himmel und ließ das grüne Gras noch stärker leuchten. Der Duft von Blumen stieg in Laira's Nase und ein friedliches Gefühl breitete sich in ihr aus. Es war an der Zeit, die Sorgen hinter sich zu lassen, wenn auch nur für einen Tag. Sie füllte ihre Lungen mit Luft, um so viel wie möglich davon einzuatmen. Fast schon fühlte sie sich frei. ,,Kommst du?", rief Mia ihr zu. Sie war einige Meter von ihr entfernt und betrachtete Laira mit einem Lächeln.
***
,,Alles in Ordnung?", fragte ihn eine besorgte Stimme. Er erkannte wie Bell ihn mit großen Augen anstarrte, doch seine Sicht war zu verschwommen um weitere Details erkennen zu können. ,,Ja, geht schon", erwiderte Cade. Sein Arm tat immer noch weh und er konnte durch die Hitze kaum atmen. Schweiß rann ihm über die Stirn und er fühlte, wie er langsam aber sicher das Bewusstsein verlor. Er versuchte sich zusammenzureißen, doch es gelang ihm nicht. ,,Können wir bitte eine Pause machen, Jack?", rief Bell über die Schultern. ,,Wir haben schon genug Zeit verloren, wenn wir jetzt eine Pause einlegen, kommen wir erst um Mitternacht dort an", widersprach Jack. ,,Ich glaube, Cade fällt gleich um.", erklärte sie ihm. Cade blieb stehen, die Augen weit aufgerissen. Warum tat sie ihm das an? Er durfte keine Schwäche zeigen, schon gar nicht vor Jack. ,, Mir geht's gut", erklärte er. Er biss die Zähne zusammen und drehte sich zu Jack um. ,, Ach komm schon Cade. Dir geht es jämmerlich und das kann man auch sehen", versuchte es Bell erneut. ,,Wir legen eine Pause ein, jedoch nur für eine halbe Stunde. Mehr können wir uns nicht leisten", erklärte Jack, nachdem er kurz überlegt hatte. Er setzte sich auf einen der Steine und suchte die Wasserflasche in seinem Rucksack. Bell half Cade dabei, sich ebenfalls niederzulassen. Sie hielt ihm die Flasche und eine eigenartig glänzende Kugel hin, die gerade so groß wie ein Kieselstein war. ,,Was ist das?", erkundigte sich Cade heiser. ,,Gegen das Fieber", erläuterte sie ihm und beobachtete wie er entgeistert die Kugel zwischen den Fingern hin und her drehte. ,,Aber ich hab gar kein Fieber.", murmelte er vor sich hin, doch sie konnte ihn trotzdem hören. ,,Ich sag das jetzt nur ungern, aber, Cade, du glühst förmlich und du hast das dringend nötig, auch wenn du es nicht zugeben willst." Cade schluckte die Kugel mit etwas Wasser runter und sofort konnte er spüren, wie die Schmerzen allmählich nachließen. ,,Besser?", fragte Bell nach einer Weile. Cade nickte stumm. ,,Du solltest dich noch etwas ausruhen, bevor wir wieder aufbrechen."
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