Kapitel I
Sie rannte so schnell sie konnte. Ihr Atem ging keuchend und unregelmäßig. Die Riemen ihres Rucksacks, den sie sich zuvor schnell übergeworfen hatte, schnitten ihr unangenehm in ihre Schultern. Brennnesseln und Äste von Sträuchern peitschten ihr um die Beine und sie spürte, wie sich die Nadeln am Waldboden in ihre nackten Füße bohrten.
Neben sich hörte sie ihre beste Freundin Clara nach Luft ringen. Sie würden nicht mehr lange durchhalten. Laira verfing sich an den vielen Wurzeln am Waldboden und stolperte, doch Clara zerrte sie gleich wieder hoch und sie rannten weiter, angetrieben von der Panik und dem Wissen, dass ihre Verfolger sie, sollten sie sie jemals einholen, töten würden.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie hatte furchtbare Angst davor, geschnappt zu werden. Die kalte Nachtluft fraß sich durch ihre dünnen Kleider und hinterließ ein taubes Gefühl auf ihrer Haut, während sie sich so schnell wie nur möglich einen Weg durch das Gebüsch schlug. Es war ihr egal, dass sich Dornen in ihre Füße gruben oder ihre Haare sich an Ästen verfingen, sie nahm die Schmerzen kaum wahr.
Umso lauter hörte sie jedoch die aufgebrachten Schreie ihrer Jäger, hatte das Gefühl, die Hitze, die die Fackeln ausstrahlten, direkt im Rücken zu spüren. Viel lauter erschienen ihr auch alle anderen Geräusche, die sie sonst nie wahrgenommen hatte.
Die Äste unter ihren Füßen brachen krachend zusammen, als sie durch das Unterholz hetzten. Sie setzte alles auf ein erfolgreiches Entkommen. Dennoch fragte sich Laira langsam, wohin sie ihre Flucht führen sollte. Sie hatten alles an nur einem einzigen Tag verloren. Wo sollten sie hingehen? Wer würde ihnen helfen? Würde ihnen überhaupt jemand helfen?
Sie spürte wie ein dorniger Zweig ihr Gesicht streifte und ihr warmes Blut über die Wange lief. Gequält schnappte sie nach Luft. Ihre Lungen brannten, jeder Atemzug schmerzte. Sie hätte nie gedacht, dass sie mal in eine solche Situation kommen könnte.
Vor ein paar Tagen noch war alles anders gewesen. Damals hatte sie gedacht, die Schule sei die Hölle, die Zeremonien, die sie abhalten mussten, das lange Training, von dem Laira hinterher meistens Muskelkater hatte.
Doch sie hatte sich getäuscht. Sie hätte dankbar sein sollen für das, was sie gehabt hatte. Eine Familie. Ein Dach überm Kopf. Die Wahl zwischen mindestens zwei Möglichkeiten. Aber meistens bemerkt man erst, dass man etwas liebt und braucht wenn man es verloren hat und es längst zu spät ist.
Das Seitenstechen raubte ihr fast den Atem, doch sie zwang sich weiter zu laufen. Die Angst ballte sich zu einem Knoten in ihrem Magen zusammen. Ihre Verfolger waren viel zu dicht hinter ihnen. Eine Atempause würde sie das Leben kosten. Was gäbe Laira nur dafür, wenn alles noch so wäre wie vor einer Woche. Vor einer Woche. Das schien ihr Jahre her zu sein und doch konnte sie sich klar daran erinnern.
,, Das Kentari ist, wie ihr schon wisst, ein viertägiges Fest, in dem die Göttin Aurora gefeiert wird. In der Geschichte heißt es, sie hätte in diesen Vier Tagen die Welt erschaffen. Für jedes Element einen Tag. Wir werden uns die nächsten Tage darauf konzentrieren, euch auf den letzten Tag des Festes vorzubereiten, an dem jeder von euch ein Element erhält. Dieses wird bei dem Ritual zu einem Teil eurer selbst, sodass die Seele sich entweder mit dem Feuer, dem Wasser, der Luft oder der Erde vereinigt. Das jeweilige Element bestimmt dann einen großen Teil eures restlichen Lebens und es ist sehr wichtig, dass ihr wisst, wie das ganze abläuft......"
Laira hörte kaum zu. Wie jeder in ihrer Klasse wurde sie schon seit ihrer Geburt nur auf diesen einen Tag vorbereitet und bekam diese Dinge, vor allem in den letzten Wochen, tausend Mal zu hören. Sie warf einen Blick zu Clara, der es augenscheinlich nicht anders ging. Sichtlich gelangweilt starrte sie die aufgeregte Lehrerin an.
Laira und Clara waren seit ihrer Kindheit befreundet, was wahrscheinlich daran lag, dass ihre Häuser direkt nebeneinander lagen und auch ihre Mütter sich gut vertrugen. Sie verbrachten fast ihre ganze Freizeit miteinander, sie halfen sich gegenseitig, wenn etwas schief ging und waren jederzeit für einander da.
Laira dachte an die Zeit zurück, in der sie und Clara spielten, sie würden ihre Elemente erhalten und danach so getan hatten, als könnten sie das Wasser im Teich bändigen. Damals hatte sie noch keine Ahnung gehabt, dass das Ritual nicht so verlaufen würde, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Laira hatte Clara noch nicht erzählt, dass sie an dem Ritual nicht teilnehmen können würde, sie würde am letzten Tag des Festes fliehen müssen, da es sonst jemand herausfinden könnte. Doch sie wusste, Clara würde sie nicht gehen lassen. Aber sie musste gehen, denn wenn irgendjemand erfuhr, dass Laira am letzten Tag zwei Elemente entgegennehmen würde, würde das den Tod für sie und ihre Mutter bedeuten.
,, An dem ersten Tag des Festes werden eure Haare rot gefärbt, als Zeichen dafür, dass ihr euch vollständig der Erde hingebt. Jedoch lässt sich die Farbe nach einigen Tagen wieder herauswaschen. Die Farbe wird aus einer seltenen Pflanze gewonnen,......" Laira richtete ihren Blick wieder nach vorne und versuchte nicht mehr über mögliche unangenehme Folgen nachzudenken.
Die Stimmen ihrer Verfolger rissen Laira aus ihren Gedanken. Auf einmal blieb ihre Freundin stehen. Irritiert schaute sie Clara an und packte sie am Arm, um sie weiter zu ziehen, doch Clara weigerte sich. Tränen liefen über ihre Wange. ,, Es tut mir Leid..." , schluchzte sie.
Genervt strich sich Laira ihre nun kupferfarbenen Haare hinters Ohr. Ihr ging das alles viel zu schnell. Die Vorbereitungen für das Ritual hatten an diesem Morgen begonnen, in denen ihnen erklärt wurde, wie sie sich am letzten Tag zu verhalten hatten.
Sie mochte es nicht unbedingt, wenn etwas so über diszipliniert eingelernt und eingehalten werden musste. Ein Fehltritt und alles ging den Bach hinunter! Das alles setzte ihr stark zu. Sie konnte nachts nicht mehr schlafen, aus Angst irgendetwas würde schief gehen.
Sie hatte mit ihrer Klasse den Ritualplatz besucht und ihnen wurde erklärt, wie sich hier alle Stämme versammelten, um gemeinsam ihre Elemente zu erhalten.
Laira hatte sich danach in die Bibliothek zurückgezogen und sich in die hinterste Ecke verkrochen, um irgendwelche Geschichten über ein Kind namens 'Erin Klin' zu lesen, welches damals mit neun Jahren hingerichtet worden war, weil es das Kind zweier Stämme war.
Dies war zwar zur damaligen Zeit noch nicht verboten, jedoch hatte es nach den Legenden seine eigenen Eltern in ihrem Haus verbrannt und mehrere Dörfer im Alleingang ausgelöscht. Seither gab es ein Gesetz , welches die Vermählung zweier Leute aus verschiedenen Stämmen strengstens untersagte und mit dem Tod bestrafte.
Laira hatte nach den letzten Sätzen das Buch zugeklappt und sich tiefer in den Stuhl sinken lassen. Sie wusste, dass sie Clara irgendwann von ihrem Plan erzählen musste, doch sie hatte Angst, ihre Reaktion zu sehen.
Was, wenn Clara sie verabscheute und nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte? Oder es sogar weitererzählte? Schnell schüttelte sie ihre Gedanken weg. Ihr war klar: Clara würde so etwas nie tun.
Laira packte Clara an den Schultern und schüttelte sie, während sie sie weiter zerrte. ,, Willst du Schuld sein wenn wir beide sterben?! Dann war alles umsonst!'', rief sie mit unnatürlich hoher Stimme. Clara wimmerte, ließ sich dann aber mitziehen.
Sie wurden wieder schneller, aber durch den Zwischenfall hatten sie noch mehr an Vorsprung verloren. Schwer atmend liefen sie nebeneinander her. ,,Stehenbleiben!'', brüllte einer ihrer Verfolger.
Die Stimme gehörte einem von Lairas Nachbarn. Sie hatte einige Male auf seine Tochter aufgepasst, als sie noch nicht auf die Zeremonie vorbereitet worden war. Damals hatte er sich immer im Hintergrund gehalten, ihr gelegentlich einen Saft angeboten und ihr auch bei den Hausaufgaben geholfen. Sie hatte ihn noch nie so schreien hören. Zu was er wohl fähig sein würde, wenn sie geschnappt werden würden?
Laira legte, wenn das überhaupt möglich war, noch einen Zahn zu. Sie schlug einen Haken nach dem anderen. Ihre Jäger konnte sie so jedoch trotzdem nicht abhängen. Verzweiflung schwappte über Laira hinweg. Was sollte sie noch tun? Ihre Energie schwand mehr und mehr. Außerdem hatten sie keinen Plan, wie es, nachdem sie ihre Verfolger abgehängt hatten, weitergehen sollte.
Lairas Beine fühlten sich bleischwer an. Sie wollte nicht mehr weiter rennen! Gerade als sie sich einfach fallen lassen wollte, übernahm Clara die Führung. Mit einem schwachen Handzeichen gab sie ihr zu verstehen, dass sie ihre folgen sollte.
In einem scharfen zickzack schoss Clara voran durch den Wald. Laira wunderte sich, warum Clara plötzlich so schnell lief. Vorhin hatte sie doch gerade noch stehen bleiben wollen.
Mit zusammengebissenen Zähnen schloss sie auf. Der Abstand zu ihren Verfolgern hatte sich bis jetzt zum Glück kaum verringert. ,,Wa.....rum.....?'', keuchte Laira. Das Seitenstechen hatte ihr komplette rechte Körperhälfte betäubt. ,, Ver..trau..mir..!'', stieß Clara zwischen ihren Atemzügen hervor.
Plötzlich lichteten sich die Bäume vor direkt vor ihnen. Laira kniff die Augen zusammen. Da vorne war eine Lichtung! Aber auf einer Lichtung wären sie ja noch leichter zu fangen. Wollte Clara sich etwa auf dem Silbertablett präsentierten? Da könnten sie ja gleich aufgeben!
Laira verlangsamte ihre Schritte, aber Clara rannte einfach weiter, was also blieb Laira anderes übrig, als weiter zu laufen? Die Beiden rannten zwischen den Bäumen hervor und hielten direkt auf eine Gruppe von Felsen zu, die eine Grenze zwischen ihnen und dem nächsten Waldabschnitt bildete.
Das Geröll, das rechts und links von dem Felsgebilde lag, reichte bis an die Enden der Lichtung und es würde zu lange dauern, darüber zu klettern. Dunkelgrüne Schlingpflanzen bedeckten den größten Teil der Felsen.
Clara lief genau auf die Mitte des Gebildes zu. Schwer atmend blieben sie stehen. Clara entriss Laira den Rucksack und warf ihn in hohem Bogen auf die Felsen. Wollte sie etwa darüber klettern? War sie von allen guten Geistern verlassen? Das war unmöglich zu schaffen!
Doch Clara machte keine Anstalten zu klettern. Sie packte Laira an den Schultern und schupste sie direkt in das Planzengewirr hinein. Laira erwartete, gegen die Felswand zu prallen, aber nichts dergleichen passierte. Sie fiel einfach hindurch.
Als sie bemerkte, dass da keine Wand war, gegen die sie prallen konnte, war es schon zu spät sich abzurollen und sie fiel unangenehm hart auf den Boden. Schnell rappelte sie sich auf, lief zurück und schob die Schlingen wie einen Vorhang ein wenig zur Seite, nur so, dass sie etwas sehen konnte.
,,Wa...", Laira verstummte als sie die Blut getränkte Spitze eines Pfeiles aus Claras Hals ragen sah. Sie unterdrückte nur mit Mühe einen entsetzten Aufschrei.
Wie versteinert stand Laira da, und Blickte auf das Blut welches von der Pfeilspitze aus auf den Boden tropfte. Sie hatte das Gefühl, jegliche Kontrolle über ihren Körper verloren zu haben. Panik und Entsetzen steuerten sie, sodass sie sich fühlte, als würde sie innerlich in Stücke gerissen werden.
Das konnte doch jetzt nicht gerade wirklich passieren! Laira wurde aus ihrer Starre gerissen als ein weiterer Pfeil durch Claras Körper geschossen wurde. Entsetzt zuckte sie zurück. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf ihre Freundin.
Das musste ein Alptraum sein! Wenn sie blinzelte würde sie aufwachen, in ihrem Zimmer liegen und alles wäre gut! Ein leises gurgeln drang aus Claras Mund, dann knickten ihre Beine weg und sie fiel zu Boden, wie eine Marionette deren Fäden man durchtrennt hatte.
Blut befleckte das durch den Nebel kaum sichtbare Gras vor Lairas Füßen. Blitzartig verfärbte sich der restliche Boden um Clara herum unregelmäßig in einem dunklen rot. Laira konnte nicht anders als stumm auf den zuckenden Körper zu starren.
Clara atmete gequält, während ihr unentwegt Blut aus dem Mund lief. Der zweite Pfeil musste ihre Lunge getroffen haben. Ihr Gesicht verlor schnell an Farbe und wurde gräulich. Sie rang nach Luft, ihr ganzer Körper zuckte krampfartig. Laira wurde übel bei dem Anblick ihrer Freundin. Clara lag röchelnd vor ihr, die Augen bis ins weiße verdreht.
Laira entwich ein schluchzen. Sie konnte Clara nicht helfen, sich nicht verabschieden. Vor ihr lag sie, immer noch verzweifelt darum bemüht Luft zu bekommen.
Es war zwecklos. Sie wurde bei ihrem Kampf gegen den Tod immer schwächer. Ihre Gesichtszüge verkrampften sich. Die Lippen zu einem stummen Schrei geöffnet blieb sie wie erstarrt liegen, den Ausdruck puren Entsetzens in ihrem bleichen Gesicht.
Laira hatte immer gedacht, nach den Erzählungen ihrer Mutter, dass tote Menschen in irgendeiner Weise friedlich aussähen aber der Anblick der sich ihr hier bot, war der Beweis für das genaue Gegenteil.
Lairas Beine gaben nach und sie taumelte rückwärts, bis sie mit dem Rücken gegen eine Wand krachte. Ihr war bewusst, dass sie nicht ewig hier bleiben könnte und auch wenn sie im Moment in Sicherheit war, würden ihre Verfolger sie irgendwann finden.
Doch sie konnte Clara nicht einfach zurück lassen, immerhin hatte sie gerade ihr Leben für sie geopfert. Tot... Das Wort machte sich in ihrem Kopf breit, doch es klang so fremd. Clara, ihre beste Freundin, die sie ihr ganzes Leben lang kannte, war tot...
Laira saß verzweifelt auf ihrem Bett, während Tränen über ihre Wangen rollten. Am Fußende des Bettes lag ihr Rucksack, in den sie wahllos irgendwelche Gegenstände geworfen hatte, die ihr in irgendeiner Hinsicht nützlich erschienen.
In den Rucksack hatte nicht sonderlich viel hineingepasst, weshalb sie sich Gedanken hätte machen sollen, was wirklich mitgenommen musste, aber sie war zu aufgewühlt. Eigentlich hätte sie schon längst auf dem Weg sein sollen, doch Clara war noch nicht aufgetaucht. Warum kam sie denn nicht? Die Zeit lief ihnen davon!
Sie hatte ihr am Tag davor alles erzählt und Clara hatte nur stumm dagesessen und zugehört. Am Ende hatten sie beschlossen sich zu verabschieden, bevor Laira für immer verschwunden sein würde, doch sie war nicht aufgetaucht. Den ganzen Tag über hatte sie Clara noch nicht gesehen, es war, als würde sie Laira meiden.
Panik erfasste sie, gefolgt von Wut und Entsetzten. Wieso tat Clara so etwas? Wo war sie? Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren beunruhigenden Gedanken zurück in die Gegenwart.
Sofort war Laira auf den Beinen. Wer konnte das sein? War das Clara, die nun doch noch gekommen war , oder waren das die anderen, die Laira nun mitnehmen und töten würden? L
aira wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und stürzte schnell die Treppe hinunter. Zitternd griff sie nach dem Messer, das neben der Tür auf einem kleinen Tisch lag. Ihre Hand wanderte zur Türklinke.
Ein schrecklich lautes Quietschen, Knarren und Kratzen zerriss die Stille, als Laira diese langsam nach unten drückte, um die Türe kurz darauf mit einem Ruck aufzureißen.
Die Sekunden in denen die Türe aufschwang, zählten für Laira wohl zu den schlimmsten ihres Lebens. Es war ein Moment der Ungewissheit, ob ihre Flucht, noch nicht einmal angefangen, schon enden musste oder ob es für sie noch eine Chance gab.
Laira atmete erleichtert aus. Clara stand davor. ,,Wie müssen los. Sie suchen nach dir."
Laira hörte Stimmen, die sich auf sie zubewegten. Sie musste hier weg, doch wie? Draußen hatten sich die Verfolger um Claras Leiche versammelt und standen somit nur wenige Meter von Laira entfernt.
Sie drückte sich gegen sie Wand und versuchte ihren Atem unter Kontrolle zu bekommen, in der Hoffnung man würde sie nicht hören. Sie holte tief Luft und schlich dann zurück auf den Eingang zu. Sie musste wissen was jetzt mit Clara passierte.
Sie beugte sich vor und linste zwischen den Schlingen hindurch. Eine lange Blutspur zog sich über den Boden, als man Claras Körper wegschleifte. Laira drückte sich die Hände auf den Mund um nicht laut los zu weinen, doch es gelang ihr nicht.
Tränen rannen ihr die Wange hinunter und sie unterdrückte ein Schluchzen. Claras blasse Haut verschmolz langsam mit dem Nebel. Laira nutzte die Chance und suchte schnell nach einem Fluchtweg.
In der Höhle gab es keinen Ausgang, weshalb sie vorsichtig durch den Vorhang aus Pflanzen schaute. Keiner war zu sehen. Ihr Herz begann zu rasen als sie sich aus ihrem Versteck wagte. Laira drehte sich zur Felswand um. Ihr Rucksack lag dahinter.
Sie hatte noch nie wirklich gut klettern können, doch nun blieb ihr keine andere Wahl. Sie griff mit ihren Händen an den Stein, der von dem Nebel feucht war. Ihr war bewusst, dass ihre Verfolger immer noch in der Nähe waren, doch im Moment blieb ihr nichts anderes übrig.
Ihre Füße fanden auf dem nassen Felsen kaum halt und sie spürte sie sich kleine Steinchen lösten, wenn sie abrutschte.
Laira wunderte sich wie Clara es geschafft hatte ihren Rucksack so hoch zu werfen. Aber dafür blieb keine Zeit. Sie hatte das Ende der Felsen schon fast erreicht.
,, Hey!", rief eine tiefe Stimme unter ihr. ,,Ich hab sie gefunden!" Laira fing an schneller zu klettern, was nur dazu führte, dass sie mehr Fehltritte machte.
Blut quoll aus ihren Fingern, als sie sich versuchte an den spitzen Felsstücken festzuhalten. Ein Pfeil streifte ihren Arm, prallte neben ihr in die Wand und zersplitterte, als er auf den harten Stein traf.
Sie begann noch nervöser zu werden und ihre Hände fingen an zu zittern, doch dann erblickte sie den Felsrand. Schnell zog sie sich über die Kante und rollte sich im ersten Augenblick auf den Rücken.
Sie war sich bewusst, dass die anderen wahrscheinlich schon längst begonnen hatten zu klettern, weshalb sie sich aufsetzte und nach ihrem Rucksack umsah.
Sie konnte ihn ein paar Meter von sich entfernt liegen sehen. Mit einem Ruck war sie auf den Beinen und rannte auf ihn zu um ihn sich um die Schultern zu hängen. Ihr war klar, dass sie keinen großen Vorsprung hatte und sich deshalb beeilen musste.
Also rannte sie los. Sie konnte spüren, wie sich kleine Steine in ihre Füße gruben und ihr der Wind um die Ohren schlug. Sie dachte an Clara, wie sie sie anschaute, mit ihren leeren Augen.
Laira wurde durch einen schmerzhaften Aufprall in die Realität zurückversetzt. Mittlerweile stand der Mond hoch am Himmel und der dichte Nebel begann sich aufzulösen, von ihren Verfolgern fehlte jede Spur.
Weder Geschrei noch das helle Licht der Fackeln drang durch die dicht aneinander gerieten Bäume. Laira kannte ihr Volk gut genug, um zu wissen, dass sie sich nun aufgeteilt hatten um sie im Stillen zu suchen, zu jagen.
,, Alles in Ordnung?", fragte die leise Stimme einer zierlichen Gestalt, die vor ihr stand. Laira blickte ängstlich in die hellblauen Augen, die aus der Dunkelheit heraus stachen. Sie zuckte zusammen, als das Mädchen die Hand nach ihr ausstreckte.
Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Wo kam dieses Mädchen auf einmal her? Sie umklammerte das Heft ihres Messers so stark, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Ihre Verfolger hatten, wie es aussah, die Strategie noch einmal geändert. Sie wollten ihr Vertrauen gewinnen. Damit hatte sie nicht gerechnet.
Laira wurde heiß und kalt zugleich. Sollte sie die Hand annehmen? Was, wenn sie hinter den Bäumen lauerten und nur noch auf den richtigen Moment warteten? Bestimmt war das Mädchen eine von ihnen!
Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Plötzlich hörte Laira ein Knacken im Unterholz. Sie sprang auf die Beine und drehte erschrocken den Kopf in die Richtung des Geräusches. Das Mädchen hatte genauso reagiert wie Laira.
Was für eine gute Schauspielerin , dachte Laira verbittert und spürte, wie ihre Angst sich in Wut verwandelten. ,, Wer oder was verfolgt dich?", flüsterte das Mädchen hinter ihr. Als Laira die panische Stimme des Mädchens hörte war sie sich auf einmal nicht mehr so sicher, ob das Mädchen wirklich etwas mit ihren Verfolgern zu tun hatte.
Sie konnte sich nicht erinnern wann sie zuletzt so schnell die Meinung über eine Person geändert hatte, noch dazu über eine, von der sie höchst wahrscheinlich getötet werden würde. Dennoch beschloss Laira ihr vorläufig zu vertrauen. Was hatte sie schon groß zu verlieren? Ihr Leben? Ohne Freunde, Familie und Zuhause schien ihr das gar nicht mehr so wichtig.
Hinter den Bäumen des Waldes sah sie ein weißes Gesicht aufblitzen. Das Gesicht eines Verfolgers. Obwohl es schnell verschwand, sah sie die Überraschung in seinen Augen, als er das Mädchen neben ihr bemerkte.
Mit einem kalten Lächeln drehte sie sich zu dem Mädchen um, mit der Erkenntnis, dass sie mit ihrem Schicksal nun nicht mehr allein war. Laira packte das Mädchen am Arm und zerrte sie mit sich . Sie brauchte nicht lange zu zerren, bald rannte das Mädchen ebenfalls so schnell sie konnte vor ihren Verfolgern davon.
Laira hatte Mühe mit dem Mädchen mitzuhalten. Ihre Blicke trafen sich. Plötzlich, ohne irgendeine Vorwarnung, wurde ihnen der Boden unter den Füßen weggerissen. Nein, er wurde nicht weggerissen, er verschwand einfach. Ein seltsames Schwindelgefühl ergriff Laira.
Der Wald und die Dunkelheit um sie herum verschwand, wurde immer verschwommener, so als würde sie durch einen fast erblindeten Spiegel schauen. Auch die Geräusche wurden immer leiser, bis sie schließlich komplett verstummten. Laira presste ihre Augenlider fest zusammen. In ihrem Kopf drehte sich alles. Totenstille...
***
Danke fürs Lesen♡
Wir hoffen euch hat das erste Kapitel gefallen. Unsere Uploads werden unregelmäßig sein, da wir uns das Ziel gesetzt haben mindestens 3000 Wörter pro Kapitel zu schreiben. Verbesserungsvorschläge, konstruktive Kritik & eure Meinung zu unserem 'Buch' sind erwünscht.
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