Kapitel 1.3

Eine kurze Stille entstand. Sie gingen durch die verwobenen Gänge der Schule. Egal wie weit man blickte, es wurde einfach nicht schöner, fand Amael. Aber so ging es ihm überall in Hiall und bei dem Großteil seiner Einwohner. Wo Ferno'al Städte wie Aristo-I'l-gilasy hatte, die durch ihre einzigartige und filigrane Architektur einfach wunderschön anzusehen war, war Hiall einfach gesagt plump. Die Gebäude wirkten beengend und die Kombination rot-schwarz in Mitten von Vulkanen ließ es noch dunkler erscheinen.

,,Was glaubt ihr, wie es sein wird nach so langer Zeit endlich mal wieder außerhalb dieser Schule zu sein?", fragte Lucifer. In den goldenen Augen des Engels funkelte etwas, was Amael nicht ganz definieren konnte. War es Furcht? Furcht davor, wie die Welt außerhalb von diesem mehr-oder-weniger-Gefängnis aussehen würde?

,,Es wird schön werden", sagte Raven ehrlich. ,,Es ist ein Jahr her, seit ich das letzte Mal auch nur einen Hauch Freiheit hatte. Ich für meinen Teil werde es genießen." Die Hiriko lächelte breit und entblößte spitze Eckzähne. Dennoch sah es weniger bedrohlich und viel mehr glücklich aus. Ihr Blick landete auf Amael. ,,Was ist mit dir?"

,,Ich weiß es nicht. Im Endeffekt ist das wahrscheinlich nur ein Trick um uns Hoffnung zu machen hier rauszukommen. Solange wir die Dinger nicht los sind und unsere Strafe abgesessen haben gibt es für uns keine Freiheit." Er deutete auf das dünne Metallband, das nun schon seit zwei Jahren um seinen Hals geschlungen lag und ihn jeden verdammten Tag daran erinnerte, dass er hier gefangen war und es keine Möglichkeit gab zu entkommen. Immerhin verhinderten die Bänder, dass sie irgendwelche Kräfte einsetzten konnten und sorgten dafür, dass man jederzeit über ihren Standort verfügen und sie zur Not ausschalten konnte. Als wären sie Haustiere, die es zu dressieren galt.

,,Sei nicht so pessimistisch! Du klingst wie ein verbitterter alter Mann", spottete Lucifer. Amael schnalzte unzufrieden. ,,Ich bin nicht pessimistisch, sondern realistisch. Einer muss euch ja auf den Boden der Tatsachen bringen."

,,Der Boden ist zu schmerzhaft. Der Himmel ist schöner. Fliegen ist schöner" Raven zuckte mit den Schultern und blickte während des Gehens aus den kleinen Fenstern.

Amael schüttelte irritiert den Kopf. Der Himmel und das Fliegen konnte ihm gestohlen bleiben. Er würde nie verstehen, was seine Freunde darin zu finden schienen. Bei Lucifer war es immer genetisch bedingt. Er hatte noch nie von einem Engel gehört, der den Himmel hasste, aber Raven... Er würde es wohl nie verstehen. Lucifer hatte ihr irgendwann mal versprochen sie eines Tages mit auf einen Flug zu nehmen, sobald er das Band los war und wieder fliegen konnte. Vielleicht war dieses Versprechen ja der Grund für ihre Begeisterung.

,,Da hast du es", sagte Lucifer mit einem sehnsüchtigen Blick in den Augen, den Amael jedes Mal bei sich selbst sah, wenn er in den Spiegel schaute und von der Welt außerhalb den Gefängnismauern träumte.

,,Wenn diese Strafe endlich vorbei ist, wird der Himmel so nah sein wie nie zuvor." Amael blendete Lucifer und Ravens Stimmen aus. Seine Gedanken begannen langsam abzudriften. Er wusste, dass weder Raven, noch Lucifer beleidigt sein würden, wenn er sie ignorierte. Sie waren es wahrscheinlich schon viel zu gewohnt und wussten, dass er keine bösen Absichten verfolgte. Er konnte sich einfach schlecht fokussieren. Auch jetzt kam er nicht mit dem einfachen Tagesablauf klar. Sein Geist verlangte nach Abwechslung; Eis bedeckte Hallen, Luft so kalt, dass es weh tat sie einzuatmen und dem Klirren von Stahl, wenn Messer auf Schwerter trafen. Es war schwer alte Gewohnheiten abzulegen und seine Gewohnheiten waren viel zu tief in seinem Gedächtnis verankert, als das er sich je von ihnen lösen könnte.

Er seufzte leise und blickte zur Seite. Erst jetzt viel ihm auf, dass sie mittlerweile stehen geblieben waren und Raven in wartend anblickte. ,,Tut mir leid, wo war'n wir stehen geblieben?", fragte er. Raven schüttelte belustigt den Kopf. ,,Ich hab mich nur verabschiedet."

Amael schaute sich um. Sie standen vor der Kreuzung, die die Schlafräume der Mädchen von denen der Jungs trennten. Was auch immer das genau bringen sollte an einer Schule, in der Regeln als Freizeitbeschäftigung gebrochen wurden.

,,Genau. Tschüss", murmelte er und ignorierte das Lachen seiner Freunde. Raven hob noch einmal die Hand und verschwand dann in den rechten Korridor. Lucifer und er bogen nach links ab. In regelmäßigen Abständen konnte man schwarze Türen erkennen, die tatsächlich aussahen als würden sie direkt in eine Zelle führen. Nicht, dass die Zimmer sich groß davon unterschieden. Sie alle waren gleich eingerichtet: dunkle Wände, zwei Betten, die an Pritschen erinnerten, zwei kleine Kommoden und ein kleines, vergittertes Fenster. Wunderschön...

Nach acht Türen kamen sie zum Stehen. Lucifer schloss die Tür auf. Es war besser, wenn er den Schlüssel hatte. Amael hatte ihn in der Zeit, in der er ihn hatte viel zu oft verlegt und Lucifers Nerven deutlich überstrapaziert.

,,Trautes Heim, Glück allein", murmelte Amael, kaum in der Lage den Spott aus seiner Stimme zu verbannen. Lucifer schnaubte und stieß die Tür auf. ,,So gerne, wie du diesen Satz sagst, wenn wir eintreten, solltest du ihn auf die Tür kleben."

Amael lächelte schief. ,,Und riskieren, dass sie mir einen Strafpunkt wegen Sachbeschädigung geben? Nein, danke. Anders als du oder Raven lege ich Wert auf eine möglichst fehlerfreie Zeit hier."

Nun lachte Lucifer. ,,Wir haben nicht viel mehr Punkte als du und der Grund warum wir unsere bekommen haben ist deutlich weniger brutal als deiner." Amael biss sich auf die Zunge. So sehr er es auch hasste, Lucifer hatte recht. In seiner ganzen Zeit hier hatte er genau einen Ausrutscher gehabt. Er war ein Fae, das Kämpfen lag ihm im Blut und zu Beginn seiner Zeit hier war es deutlich schwieriger gewesen Reflexe zu verhindern und zwischen nutzlosen Schulkameraden, die nur provozieren wollten, und echten Feinden zu unterscheiden. Es war also nicht verwunderlich gewesen, als eine Sicherung durchbrannte, weil ein selbstmörderischer Hiriko irgendwelchen Schrott und schließlich eine Gabel nach ihm warf. Ja, eventuell hatte er überreagiert, als das metallische Blitzen, dass entfernt an eine Schwertklinge erinnert hatte, gesehen hatte, aber Reflexe waren Reflexe und hatten die Kontrolle übernommen, ehe sein Verstand hatte verstehen können.

,,Er hatte es verdient", sagte Amael nur, nicht in der Lage die Schuld, die er möglicherweise hatte, auf sich zu nehmen. Lucifer lachte einfach weiter, wie der unerträgliche Idiot, der er war. ,,Du hast ihm das Auge ausgestochen. Mit einer verfluchten Gabel, die er nach dir geworfen hat und die dich vermutlich eh verfehlt hätte."

,,Vermutlich... Aber es bestand immer noch die Chance hinterrücks erstochen zu werden", gab Amael zurück. Er trat in den dunklen Raum und streifte die schwarzweißen Chucks, die ihre besten Zeiten definitiv schon hinter sich hatten und für dessen Besitz seine Eltern ihn wahrscheinlich hochkant rausgeworfen hätten, ab und warf sie achtlos neben die Tür. Lucifer folgte seinem Beispiel wie zu erwarten nicht. ,,Ts. Zieg deine Schuhe aus, Morgenstern", meckerte er.

Lucifer verdrehte die Augen und lächelte dann beunruhigend. ,,Ja, ja, Mama." Amael blickte ihn beleidigt an. ,,Ich bin nicht deine Mutter!"

,,Nah, so wie du darauf bedacht bist, dass ich mich an Regeln halte, für Ordnung sorge und meine Hausaufgaben mache, könnte man das fast meinen."

,,Sei froh, dass wir so viele Strafpunkte für einen Mord bekomme und ich darauf bedacht bin unauffällig zu bleiben, Líka ¹." Amael konnte nur Lachen, als er in Lucifers verständnisloses Gesicht blickte. Es war gut, dass der Engel nicht in der Lage war ein Wort auf Noķan, der Sprache der Fae, zu sprechen, geschweige denn zu verstehen.

,,Was heißt das? Wehe du hast mich jetzt beleidigt!" Als Amael sich dazu entschied nicht zu antworten und einfach nur still zu lächeln, seufzte Lucifer frustriert. ,,Es ist unfair, das du mich theoretisch gesehen jederzeit ohne mein Wissen beleidigen kannst!"

Amael hob eine Augenbraue. ,,Denk lieber daran, dass du deine Kindheit nicht damit verbringen musstest drei verschiedene Grammatiken auswendig zu lernen. Ihr Engel habt es so einfach. Was sag ich? Alle außer mir haben es einfach..."

Auf Sakuro'ma gab es in etwa 20 Sprachen. Drei davon wurden auch wirklich aktiv gesprochen. Dazu gehörte natürlich Marală, was ehemals auch als Sprache der Engel und Hiriko galt, sich später jedoch auf der ganzen Welt verbreitete und mittlerweile in so gut wie jedem Land, mit Ausnahme von Ferno'al gesprochen wurde, Noķan, welches nur in Ferno'al und an den Rändern von Ji'Su gesprochen wurde und schließlich Tėkịr, eine Sprache, die hauptsächlich von Hexern benutzt wurde, da sie sehr kooperativ mit Magie war. Natürlich gab es auch noch Syralisch. Diese Sprache wurde zwar an vielen Schulen geleert, war aber nur zur Übersetzung alter Überlieferungen zu gebrauchen und taugte absolut nichts im alltäglichen Leben.

,,Warum drei?", fragte Lucifer eine zugegebenermaßen dumme Frage. ,,Denk mal nach. Ich spreche mit dir und allen hier Marală und anders als du bin ich damit nicht aufgewachsen. Es fühlt sich immer noch falsch an es zu sprechen... Aber gut. Dann wäre da nach Noķan, das ich ebenfalls lernen musste, da die Runen kein Kinderkram sind und man manche Sachen einfach auswendig lernen muss. Und zu guter Letzt beherrsche ich genau wie du weißt Syralisch", erklärte Amael langsam.

Lucifer blickte ihn forschend an. ,,Ihr Fae seid unnötig kompliziert." Amael nickte zustimmend. ,,Stimmt wohl, aber genug davon. Du musst deine Hausaufgaben noch erledigen und ich hab auch noch eins zwei Sachen zu tun." Der Engel rollte mit den Augen, holte aber klaglos einen Block, Stifte und einige Bücher über Physik hervor.

,,Ich muss nochmal kurz raus", sagte Amael, während er seine Schuhe erneut anzog. Es war wirklich eine Zeitverschwendung gewesen sie auszuziehen. ,,Mach was du willst, aber denk dran, das in einer Stunde die Türen schließen und wer bis dann nicht drin ist... Du weißt ja."

Amael nickte bloß. ,,Ich hab eh nicht vor lange draußen zu bleiben."

Er öffnete die Tür und trat in den Korridor. Einzelne Schüler waren zu sehen. Nichts Einzigartiges. Amael ging mit zielstrebigen Schritten los. Gerade jüngere Schüler wichen ihm großteils aus. Der Augenvorfall von damals hatte ihm wohl einen gewissen Ruf eingebracht. Nicht, dass es ihn interessierte. Er war tatsächlich sogar sehr froh darüber, dass er einfach in Ruhe gelassen wurde. Es war besser als von irgendeinem Idioten im Badezimmerwaschbecken ertränkt zu werden. Das war hier schon viel zu oft passiert, als das es keine Option wäre so zu sterben.

Je weiter er ging, desto weniger Schüler kreuzten seinen Weg, bis er schließlich ganz alleine durch die dunklen Korridore wanderte. In den Westflügel der Schule trauten sich die wenigsten, immerhin rangten sich mindestens genauso viele wahre Morde, wie Schauermärchen um den Teil der Schule, der durch Flammen völlig verunstaltet worden war. Amael hatte diese Angst vor dem Tod, der hier lauern sollte nie verstanden. Im Endeffekt war Angst nicht mehr als ein Gefühl, dass lediglich in seinem Kopf existierte und leicht verdrängt werden konnte.

Sein Weg führte ihn zu einer kleinen Nische in Mitten des ausgebrannten Flurs. Er griff hinein und tastete solange, bis er auf kühles Metall traf und zwei mickrige Messer hervorzog. Innerhalb der Schule waren Waffen strengstens Verboten und selbst das Besteck wurde für gewöhnlich doppelt und dreifach gezählt um zu verhindern, dass ein Schüler von dort etwas mitgehen lassen könnte. Nicht, dass Amael sich davon abhalten ließ. Zwei Messer, kurz und stumpf, aber immer noch gut genug um sich zu verteidigen und zu töten, waren zwar alles, was er hatte ergattern können, aber es war besser als nichts.

Er betrachtete die Messer, zog seine Schuhe aus und klemmete sie in die von ihm geschaffene Lücke zwischen Sohle und Schuh. Als er sicher war, dass nichts zu sehen war, zog er die Schuhe wieder an und machte sich auf den Weg zurück. Er wäre wahnsinnig, wenn er morgen ohne Waffen in eine wildfremde Stadt, die ihn als Verbeecher klassifizierte gehen würde und alleine das schlechte Gefühl, ihn überkam, sobald er an den Ausflug dachte war Warnung genug sich darauf vorzubereiten, was auch immer passieren würde.

Líka: noķ. Toter, in Zukunft Sterbender (unteranderem Drohung für zukünftigen Mord); alternativ auch Dämon

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