Kapitel 1.2

Ein kurzes Lachen ertöhnte. Lucifer lehnte sich zurück, bis er in die grünen Augen von Raven blickte. Die Hiriko saß auf einen Einzelplatz direkt hinter ihnen und beobachtete sie aufmerksam. ,,Euer Gespräch war sehr interessant, lasst euch nicht stören", meinte sie.

Lucifer blickte sie fragend an. Amael fürchtete er könnte in Kürze von seinem Stuhl fallen und sich den Kopf aufschlagen, wenn er diese Position beibehalten würde. ,,Glaubst du auch, dass die Fae mich in einen Eis am Stiel verwandeln würden, Rav?", fragte er.

Raven blickte ihn amüsiert an. ,,Sie würden dich zerreißen, noch ehe du ein Wort sagen könntest. Es grenzt an ein Wunder, dass Amael sich mit uns abgibt, wenn man bedenkt, dass zwischen Engeln, Hiriko und Fae nicht gerade viel Liebe verloren gegangen ist", gab sie nüchtern wie immer zu bedenken. Amael nickte zustimmend und ignorierte Lucifers beleidigtes Keuchen. ,,Exakt und jetzt kniet nieder und bedankt euch, dass ich mich mit euch abgebe", witzelte er.

Raven beugte sich nach vorne und versuchte ihm auf den Hinterkopf zu schlagen. Amael duckte sich im letzten Moment weg, schlug jedoch mit der Stirn auf den Tisch auf. Lucifer kicherte. ,,Und da sagen sie noch ihr Fae hättet eine ganz besondere Art der Voraussicht."

Amael schnaubte nur, strich die weißen Haare, die vor seine Stirn fielen zur Seite und deutete auf das schwarze Mal in Form eines Bluttropfens, das auf dieser zu sehen war. ,,Ich bin Toa und kein Matakite." Es stimmte, einige Fae hatten die Voraussicht. Einige sehr wenige. Man konnte die Fae in fünf Arten aufteilen. Unteranderem die Matakite, auch bekannt als Seher und die Toa. Die Krieger der Fae.

,,Alles das Selbe...", winkte Lucifer ab. ,,Und deshalb würdest du keine fünf Minuten unter den Fae überleben", entgegnete Raven trocken. ,,Ihr könnt es nicht wissen! Vielleicht würden sie ja alle meinem Charm verfallen", sagte der Engel mit solch einer Aufrichtigkeit, die Amael an Lucifers geistiger Gesundheit zweifeln ließ. Auch Raven lachte. ,,Welcher Gott hat dich angelogen?", fragte sie amüsiert.

,,Es reicht mir! Das ist eine verdammte Intrige! Ihr habt euch gegen mich verschworen, stimmt's oder hab ich recht?" Lucifer verschränkte die Arme. Er sah aus wie ein trotziges Kleinkind, fand Amael.

,,Armes Engelchen. Kommt nicht mit dem großen bösen Hiriko-Fae-Bündniss klar", säuselte Raven. Ein unschuldiges Lächeln, von dem Amael fand, dass es ganz und gar nicht zu ihr passte, lag auf ihrem Gesicht, als sie auf Lucifers Kopf klopfte. Dieser sah so aus, als wollte er etwas erwidern, wurde jedoch von dem schrillen Ton, der Klingel unterbrochen.

Jedes Mal aufs Neue stellte Amael sich die Frage, warum er durch dieses elendige Geräusch noch nicht jegliches Gehör verloren hatte. Götter! Die Schulleitung sollte endlich kapieren, dass einige Arten besser hören konnten, als irgendeiner der niederen Hiriko, die diese Schule vermutlich zusammenzimmert hatten.

Seine Ohren klingelte es unangenehm. Fae waren für ihre ausgeprägte Wahrnehmung bekannt und auch Amael war davon nicht ausgeschlossen.

Entfernt nahm er war, wie Lucifer versuchte seinen, nach Amaels Meinung nicht vorhandenen, Stolz zu verteidigen. Er nahm den unbeschriebenen Block, dessen einziger Inhalt aus unzähligen Zeichnungen bestand, die während dem nutzlosen Unterrichtsstunden entstanden waren, und versiegelte ihn zusammen mit den restlichen Schulmaterialien in einem aufwendig gearbeiteten Anhänger, der an einem dünnen Band befestigt um sein Arm geschlungen war. Versiegelung war unglaublich praktisch, auch, wenn die wenigen Stücke, mit denen man versiegeln konnte, unglaublich kostspielig und auch schwer zu bekommen waren. Zumindest, solange er nicht aus Jacan kam oder dort lebte. Sein Geld hatte unter dieser Anschaffung leiden müssen und es tat ihm im Herzen weh so viel für einen Anhänger auszugeben, aber die Nützlichkeit hatte überwogen, zumal man so nicht nur Schulsachen praktisch und effektiv mitnehmen konnte.

Er konnte sehen, wie Lucifer seine Sachen ebenfalls versiegelte, während Raven ihre Sachen auf die altmodische Art und Weise in einen schlichten schwarzen Rucksack packte.

Es war kaum ein Wunder, dass Lucifer das Geld für Versiegelungen hatte. Auch, wenn es unter den Engeln keinen Adel, wie bei den Fae, oder den Niravan gab, so galt die Morgenstern doch als eine der mächtigsten Familien, zumal sie nicht nur ein, oder zwei, sondern gleich drei Positionen innerhalb der Regierung, der zehn Säulen der Sterne, wie sie genannt wurde, inne hatten. Amael wusste, dass Lucifer unter den Engeln als das schwarze Scharf seiner Familie galt. Man hatte große Hoffnungen in ihn gesetzt, nachdem er jedoch aus Gründen, die Amael nicht kannte, auf die Kyseria abgeschoben wurde, wandelten die Hoffnungen sich in hämisches Geflüster. Lucifer hatte es in Haeven nicht leicht, so viel war sicher. Schon gar nicht mit einem Vater, der die höchste Position innerhalb der Säulen bekleidete und zwei Brüdern, die als Wunderkinder ihrer Zeit galten.

Ganz im Gegensatz zu seinem zahlreich vorhandenen Wissen über Lucifers Vergangenheit stand sein Wissen über Ravens. Das war nämlich nicht vorhanden. Und so sehr er auch herausfinden wollte, was der Grund dafür war, dass sie von den Hiriko gemieden wurde, obwohl sie selbst eine war; er kannte seine Grenzen und würde nicht nachbohren um seine Neugierde zu befriedigen.

,,Kommst du, Amael, oder willst du weiter Löcher in die Luft starren?" Ravens Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er hatte nicht bemerkt abgeschweift zu sein. Das Klassenzimmer hatte sich bereits großteils geleert und nur noch vereinzelte Schüler unterhielten sich auf ihren Plätzen miteinander oder tauschten irgendwelche undefinierbare Pulvertütchen, von denen Amael gar nicht wissen wollte, wo sie es her hatten, oder was es mit dem Hirn anrichten könnte, untereinander. Andererseits war das wahrscheinlich für die Meisten eh irrelevant. Immerhin liefen hier Gestalten rum, deren Hirn wahrscheinlich schon bei ihrer Geburt ein kaputtes Etwas gewesen war.

,,Es ist physikalisch nicht möglich die Luft mit seinem Blick zu durchbohren", sagte er verzögert. Lucifer lachte nur und Raven rollte mit den Augen. ,,Gibt's darüber 'ne Studie?", fragte sie sarkastisch.

,,Ich bezweifle, dass du dich freiwillig mit Physik beschäftigen würdest. Vor allem nicht, wenn ich mir deine letzte Note anschaue", gab er schnippisch zurück. Würde er Raven und Lucifer nicht dazu überreden zumindest die lächerlich einfachen Hausaufgaben zu machen, würden sie wahrscheinlich nicht einmal die Grundlagen beherrschen. Amael hingegen konnte stolz behaupten, auch ohne wirkliches Lernen, notentechnisch im besten Bereich zu sein, was wahrscheinlich vor allem daran lag, dass die Schulsyteme in Ferno'al weit über denen ihn Hiall lagen und er den ganzen Stoff schon vor Jahren durchgenommen hatte.

,,Ts. Ich bin immer noch besser als Luc."

Amael hob eine Augenbraue. ,,Ja. Das liegt aber nur daran, dass er es schafft aus absolut allem ein Feuer zu machen." Er hasste es mit Lucifer in Physik zusammenarbeiten. Man sollte meinen Chemie sei mit den unzähligen Chemikalien gefährlicher, aber da gab es keine Elektrizität. Aus irgendeinem Grund fing alles, was mit Elektrizität und Lucifer zu tun hatte Feuer. Es gab einen guten Grund, weshalb Amael Lucifer jedes Mal ans andere Ende des Klassenzimmers schickte und ihre Aufgaben alleine erledigte, wenn es um irgendwelche Versuche mit Elektrizität ging. Er wollte nicht in Hiall sterben, vielen Dank, aber nein.

,,Ich... Das war nicht so oft. Außerdem ist das ja nicht meine Schuld. Ich halte mich an die Anweisungen und spiele weder mit der Energie, noch mit den Runen." Der Engel hob die Hände als Zeichen seiner Unschuld. Amael begnügte sich damit zu schnauben. Er würde sowieso nie verstehen, was Lucifer falsch machte.

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