Karan ist tot Teil 1

Am nächsten Morgen ging die Welt unter. So erschien es mir zumindest, als neben mir ein Radau los ging, als müssten wir uns jetzt alle in einem Bunker verstecken.
Es war ein Gequietsche, Geschreie und Getöse.
Das ich dem entsprechend halb aus dem Bett fiel, konnte mir keiner verübeln.

Meine Ohren verbluteten unter diesem Krach regelrecht und ich drückte verwirrt meine Hände auf meine halbtoten Ohre. Als ich gestern Abend in den Schlaf gesunken war, hatte ich mir wirklich alles vorstellen können, außer dieses Erwachen.
Ich schob Panik. War es vielleicht wirklich ein Alarm? Hatte jemand meine Identität herausgefunden und nun wurden alle Schüler gewarnt?

Ich sah schnell zu Musa, der sich gähnend streckte, als wäre nichts, und dann seine Hand auf seinenWecker legte.
Sofort verstummte das Gedröhne und er lächelte mich entschuldigend an.
Aber eher so, als hätte er mich haushoch im Schach besiegt und deswegen blamiert, als das er mich mit dem schlimmsten Wecker aus dem bestens Schlaf gerissen hatte, den ich je erlebt hatte.

„Sieht nicht so aus, als hätte dich jemand gewarnt.", stellte Musa fest und lachte beschämt. Da hatte er recht. Also wirklich! Konnte der nicht „Achtung!" an seinen Wecker kleben?
Ich senkte langsam meine Hände und kontrollierte schnell, dass kein Blut daran war. Glück gehabt.

„Du willst mir nicht ernsthaft sagen, dass du so jeden Morgen aufstehst! Wieso? Einfach nur wieso?"
Wütend warf ich meine Hände in die Luft und gestikulierte dann wild zu seinem Wecker alias dem Bunkeralarm. „Ich habe leider einen echt tiefen Schlaf und nur durch den Krach wache ich auf.", murmelte er kleinlaut.

Konnte man sein Zimmer vielleicht wechseln? Ich wollte nicht jeden Abend mit dem Gedanken einschlafen, so aufzuwachen.
„Sicher, dass es keine Alternative gibt?", stöhnte ich und versuchte das Verlangen zu unterdrücken, den Wecker einfach aus dem Fenster zu werfen. „So schlimm ist das gar nicht. Man gewöhnt sich schnell daran."

Ich stand auf und fuhr mir durchs Haar. Es war echt verstörend, so aufzuwachen. Da war nur mein Trauma schlimmer. Ich hatte wenig Lust, mir schon am frühen Morgen den Kopf zu zerbrechen, weswegen ich mir Klamotten aus dem Schrank kramte und mich wortlos umzog.
Musa redete auf mich ein, doch ich ignorierte ihn einfach. Ich zog einen schwarzen Pullover über mein rostrotes T-Shirt, strich über eine Falte an meiner Hose, um sie zuglätten.

„Ist gut, Musa!", keifte ich ihn an, als ich mich fertig angezogen hatte. Ich hatte keine Ahnung, was er die letzten paar Minuten gelabert hatte. Es war mir sowieso egal.
„Ich habe eh nicht vor, lange hier zu bleiben. Zermalm dir also nicht dein Gehirn.", meinte ich trocken und warf mir die Kapuze über den Kopf.
„W..was? Aber wieso nicht? Gefällt es dir hier nicht?", fragte Musa verwirrt und sah mich fast schon verletzt an.

Ich trat zur Tür, drehte mich kurz zu ihm um.
Das Morgenlicht ließ meine Augen rötlich schimmern, während meine Hand über das kalte Eisen der Türklinke glitt. Mindestens genauso kalt war auch meine Stimme: „Du nervst.".
Bevor ich das Zimmer verließ, sah ich noch seinen traurigen Blick. Menschen.... Igitt! Ich erinnerte mich, wie Odi einst ein bewegendes Zitat in die Welt setzte.
„Nur Monster können Monster erschaffen."

Frustriert donnerte meine Faust gegen die nächst beste Wand, die ich fand.
Sie war pastellblau. Nicht gerade eine Farbe, die meine Gefühle wieder spiegelte. Meine Hand verkrampfte sich und ich schloss meine Augen.
Karan war längst tot ;aus seiner Asche entstand Luzifer.

Die Farben tanzten vor meinenAugen, verblassten mal, tauschten kurz mit Schwarz und Weiß, sowie einer Nuance Grau. Ich schüttelte den Kopf, beruhigte Socium und richtete mich auf.
Mein Hass richtete sich gegen alle noch lebenden Menschen.
Wie sollte ich da inmitten hunderten von Diesen keinen Aggressionsausbruch bekommen? Ich sog die Luft ein.
Mein Vater hatte mir immer eingeschärft, dass es ein Privileg sei, zu leben.

Alleine zu atmen sollten wir wertschätzen. Dafür war er ganz schön dumm mit seinem Leben umgegangen. „Danke", wisperte ich und straffte meine Schulter. Kopf hoch, sonst siehst du den Pfeil nicht, der auf dich gerichtet ist.
Ich schloss noch einmal kurz die Augen, ehe ich umdrehte.

Ich fragte mich ernsthaft, ob ich schon längst aufgegeben hätte, wäre ich Odi nicht begegnet. Ihm und seinem gebrochenem Lächeln.
Ich würde ihn gerne einfach einmal in dem Arm nehmen. Ich streckte meine Faust aus und lächelte traurig.
„Du hast dein Versprechen gebrochen, geborener Arzt.", flüsterte ich.
„Wir sehen uns irgendwann wieder." Noch einmal schwer geschluckt, dann ging ich zurück zu meiner Zimmertür.
Vorsichtig öffneteich die Tür und entdeckte Musa.

Er suchte sich gerade ein Outfit für heute aus und drehte sich zu mir um. Als er mich sah, wirkte er unsicher und versuchte mich aufmunternd anzulächeln.
„Hi. Ähm... tut mir leid wegen eben."
Seine Reaktion war zu erwarten gewesen. „Gar kein Problem. Eine neue Schule ist bestimmt anstrengend und sehr viel auf einmal.", lächelte er verständnisvoll.

Es war fast schon lächerlich, wie einfach man sich bei ihm entschuldigen konnte. Naiver Musa. „Wir sehen uns dann beim essen.", meinte ich und hob zum Abschied die Hand.
„Jo. Ich komme gleich nach.", sagte er und ich stieß mich vom Türrahmen ab, schloss die Tür. Dann lief ich auf schnellsten Weg in die Mensa und setzte mich an einen freien Tisch, relativ mittig.

Ich verspürte keinen Hunger, weswegen ich mich nur gähnend umsah und Lexi entdeckte. Neben ihr lief ein Junge, den ich nicht kannte, der gerade eine Hand vorwurfsvoll in die Luft warf, so dass ihm fast sein Tablett herunter gefallen wäre, doch rechtzeitig glich er den Verlust des Gleichgewichts aus.
Lexi kicherte und stellte ihm frech ein Bein, doch er blieb vor der Falle stehen und warf ihr einen „Da musst du dir schon was besseres einfallen lassen"- Blick zu.

Sie grinste nur und ihr Blick fiel auf mich. Sofort steuerte sie auf meine Wenigkeit zu.
„Hey, du! Kessan oder so war doch dein Name. Du solltest lieber etwas essen.", belehrte sie mich und stellte ihr voll geladenes Tablett neben mir ab. „Wieso?" Mir kam es merkwürdig vor, dass sie unbedingt wollte, dass ich etwas zu mir nahm.

„Dir hat echt niemand was vom Fahnenspiel erzählt? Das Highlight des Jahres? Klingelt's?"
Mit meinem Kopfschütteln war sie wohl nicht zufrieden, denn sie rümpfte die Nase. „Hm. Dir wird bestimmt noch alles genau erklärt, aber jeder Zeit kann für unsere Klasse statt Unterricht das Fahnenspiel stattfinden. Also iss einfach jeden früh was, um vorbereitet zu sein, ja?"
Lexi klopfte mir auf die Schultern, als wollte sie mich aufmuntern.

„Willst du dein Verhalten von gestern wieder gut machen?", fragte ich misstrauisch.
Eingeschnappt sog sie die Luft ein und stellte mir dann einen Joghurt mit Erdbeeren und Schokoladenstücken hin. „Hier. Probier das mal.", sagte sie und umging somit meine Frage einfach.

Ich presste unsicher meine Lippen aufeinander und schielte zu der Schüssel. War herausgekommen, dass ich Luzifer war und jetzt versuchte sie mich zu vergiften?
Erfahrung hatte ich damit schon mal machen müssen. Meine Magengrube verkrampfte sich bei den Erinnerungen und mir wurde erneut bewusst, wie grausam die Menschen waren. Spielten sich hämisch auf und töteten wie trainierte Hunde.

Hungrige Biester. Tiere töteten zum überleben, Menschen für Macht und aus Spaß. Lexi räusperte sich.
„Wir gehen dann mal.", meinte sie und deutete zu einem Tisch, an dem sich schon einige Schüler tummelten.

Ich nickte nur knapp und ließ sie mit ihrem Freund davon gehen.
Hunger hatte ich nun noch weniger, weswegen ich die Schüssel einfach beiseite schob und auf Musa wartete. Vor ihm trafen jedoch Willow und Louis ein. Auf beide konnte ich eigentlich gut verzichten, doch ich hatte noch eine Frage, die ich gerne beantwortet hätte. Als sich beide mir gegenüber setzten und mich die Braunhaarige freudig begrüßte, kam ich gleich zum Punkt.

„Willow, ich habe dich gestern mit einem Buch gesehen, wie heißt das?"
Ich ließ ungern Dinge in meinem Leben unbeantwortet.
Selbst wenn es nur so kleine Details waren. Sie schluckte ihren Bissen Melonensalat herunter und strich sich ihr Haar hinters Ohr.
„Das Buch heißt Once to the Moon and Back und ich liebe es einfach! Der Schreibstil ist soooo packend und die Geschichte einfach toll entwickelt. Außerdem finde ich denHauptcharakter echt lustig.", kicherte sie und Louis verdrehte schmunzelnd die Augen.

„Will jemand?", fragte ich und schob den Joghurt zu ihnen herüber.
„Willst du nicht?" Sie schnappte sich gierig die Schüssel und ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. Also wirklich. Wie unschuldig konnten Monster eigentlich aussehen? „Was ist denn dieses Fahnenspiel?", erfragte ich.

„Ihr Glückspilze! Wir haben unseres im Winter!", regte sich Louis kurz auf, bevor er mir eine grobe Erklärung gab: „Es gibt zwei Teams. Bei uns ist es Lehrer gegen Schüler. Jeder hat eine Hälfte des Waldes und man versucht die Flagge des gegnerischen Teams in das Territorium von seinem Gruppe zu kriegen. Dann hat man einen Punkt. Wird man aber auf dem Land des Gegners von einem Fein berührt, muss man zurück in sein Lager und sich ein neues Lebensbändchen holen. Nur mit diesem kann man angreifen."

Ich nickte wie in Zeitlupe. Klang für mich wie Alltag.
Einbrechen, ausbrechen, fast draufgehen, töten. Ich ließ meine Fingerknochen knacken. Das wird lustig werden.
„Was ist eigentlich mit deinen Eltern passiert?" Gut. Willow war vielleicht unschuldig, aber verdammt direkt.

Erwartete man bei ihr gar nicht. Die Worte steckten mir in meinem Hals fest, obwohl ich schon eine Lüge parat hatte. Meine Kehle war plötzlich staubtrocken und mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen.

„Ich hole mir schnell was zu trinken.", krächzte ich und stand auf.
„Klar", nickte Willow und sah mich mitleidig an. Sofort fühlte ich mich wieder unterschätzt. Ich hielt mehr aus, als alle dachten!
Nur mein achtjähriges-Ich eben nicht!

Ich schnappte mir ein Glas und füllte es an einem Getränkeautomaten mit Wasser, ehe ich es gierig austrank, als hätte ich seit Tagen nichts getrunken. Ich füllte das Glas dann noch mit Apfelsaft auf, ehe ich zurück zu „meinen Freunden" stiefelte und mich hinsetzte. Auch Musa hatte sich nun zu uns gesellt. Ich rang mir ein Lächeln ab und setzte mich hin.
„Reitunfall", beantwortete ich nun Willows Frage. Natürlich war das völliger Mist und meinem Vater gegenüber auch fast schon respektlos.

Für meine Mutter war das eher gut reden. „Du bist doch komisch.", schnaubte Louis kopfschüttelnd und wütend drehte ich meinem Kopf zu ihm, ballte meine Fäuste.
„Was soll das jetzt?", fuhren Willow und ich ihn fast synchron an.
„Was denn?", fragte er und hob unschuldig seine Hände. „Ich verstehe nur nicht, wieso man dann als Wahlkurs reiten nimmt."

Nun sahWillow mich an und legte den Kopf schief. „Hast du?"
„Es wurde mir mehr oder minder aufgezwungen." Ein mattes Schulterzucken meinerseits. „Hey!" Wütend sprang Louis plötzlich von seinem Platz auf.
Willow zuckte erschrocken zusammen und sah irritiert zu ihm hoch.
„Tue den Tod nicht so achtlos ab, als wäre er unbedeutend!", schrie er mir ins Gesicht.

„Wir sollten die Toten respektieren und nicht so halbherzig damit umgehen! Das ist denen, die durch einen Unfall oder als Helden gestorben sind, nicht gerecht!"

Ich ließ ihnausreden, ehe ich ihn mit zusammen gekniffenen Augen ansah und am Pullover packte. Meine Hand verkrampfte sich schmerzhaft um sein Oberteil und ich zog ihn näher an mich, beugte mich den Rest zu ihm und starrte in seine braune Augen.
„Fresse!", wies ich ihn erstaunlich ruhig zurecht.
Dann ließ ich ihn los und ließ mich auf meinen Sitz zurück fallen.

Louis wirkte ungewöhnlich blass und sein Blick klebte erniedrigt an seinem fast leeren Teller. Ich sog die Luft ein. Seiner Reaktion nach zu urteilen hat meine Aura ihm einen kleinen Streich gespielt.
Am Tisch war es still. Nein, im ganzen Saal war es still.
Die Blicke der anderen prickelten selbst durch meine Kleidung auf meiner Haut. Wieso musste mich Louis auch so provozieren? Ich hatte schon genug Probleme mit Xan.

Wieso musste ich auch ausgerechnet an eine blöde Schule? Es war zum Mäuse melken.
„Kann ich mir von einen von euch vielleicht mal den Bibliothekspass ausleihen, bis ich meinen eigenen habe?", fragte ich nach einem Räuspern und setzte ein unschuldiges Lächeln auf. Warum gab es keinen Theaterkurs? Wobei meine schauspielerischen Künste dann auffliegen würden.

„Eigentlich sehr gerne.", sagte Musa. „Aber ist uns nicht erlaubt."
Schade. Dann musste ich eben noch etwas warten. Nur ein paar Tage mehr mit Louis und Xanthos. Kein Beinbruch. Eher schlimmer, aber egal.
Ich schloss meine Augen. Was würde mein Vater wohl von mir denken, wäre er noch da? Dumme Frage. Wäre er noch am leben, wäre ich nicht hier.

Frust erschütterte mich und mit dem Grund, dass ich noch etwas auspacken müsste, verschwand ich. Kaum hatte ich die Mensa verlassen, blieb ich unschlüssig stehen und sah mich um. In den Wald konnte ich nicht. Das Risiko das ich zu spät zu meiner ersten Stunde kommen würde, war einfach zu groß. Auf Ärger konnte ich nun erst einmal verzichten.

Ich gähnte und streckte mich. Spontan entschloss ich, dass Risiko auf mich zunehmen und stolzierte aus der Schule. 

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