Kapitel 3

Das Erste, was mir in den Kopf schoss, als ich aufwachte, war: Hier muss aber dringend mal gelüftet werden! Dicht gefolgt von: Ihh! Staub.

Um an was anderes zu denken, war mein Kopf noch zu benebelt. Ich befand mich in einem stickigen Raum, vermutlich ein ehemaliges Wohnzimmer, denn ich lag auf einem Sofa. Neben mir erstreckte sich ein Tisch, auf dem meine Maske und Tasche lag. Ich schien schon länger hier zu liegen, denn im Zimmer wurde es schon dunkel, die Lampe über meinem Kopf war aber noch aus.

Meine linke Hand schmerzte immer noch, nun aber nicht mehr so pochend.
Als ich sie unter der zerfledderten Decke hervorholte, entdeckte ich, dass sie jemand entlang des Daumens, hoch zum Handgelenk, aufgeschnitten hatte.

So, als hätte die Person versucht, das Gift herauszuholen.
Schien erfolgreich gewesen zu sein, immerhin lebte ich noch, aber wieso sollte mich jemand retten?
Das machte keinen Sinn. Die meisten, na gut eigentlich alle, Menschen, denen ich begegnete, versuchten mich zu töten.

Und ich hatte kurz vor meinem Ableben gestanden. Die Gestalt hätte mich einfach sterben lassen können oder mit dem Dolch zustechen. Aber sie hatte mir geholfen. Wieso?

Es gab keinen Grund, einen Schwerverbrecher zu schützen. Außer, man wollte etwas von diesem. Da hatte mein Retter jedoch Pech gehabt.

Ich half nur mir.

Als ich meinen Blick durch den Raum gleiten ließ, heftig überlegte, ob ich einfach meine Sachen krallen und verschwinden sollte, entdeckte ich eine Person. Sie stand mit dem Rücken zu mir am Fenster, wodurch es hier drinnen noch ein gutes Stück dunkler war, und schien auf die Straße zu starren, denn in dieser Geisterstadt gab es nichts anderes.
Oder hatte sich das geändert?

Immerhin schien der Fremde auch hier untergekommen zu sein. Lebten im Geheimen noch mehr hier? Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als die Person resignierend seufzte und ihre Hand hob, um sich die Schläfe zu massieren.

Dabei rutschte die Kapuze von ihrem Kopf und entblößte weißes, kurzes Haar. Na toll. Mich hatte also ein alter Mann gerettet. Bestimmt hatte der Alzheimer und keine Ahnung, wem er da geholfen hatte.

Dann stellte er jedoch eine Gefahr dar, die UJG zu alarmieren, wenn er es herausfand. Das Risiko konnte ich nicht eingehen.
Also streifte ich die Decke ab und stand auf. Sofort setzte Schwindel ein und Schmerz zuckte meinem Arm empor.
„Nicht aufstehen!", rief die Person, die zu mir stürzte und mich zurück auf das Sofa drückte.

„Es sind noch Reste des Gifts in deinem Körper. Die bauen sich bei dir recht schnell ab, aber du musst deinem Körper schon die Zeit dazu geben, zu regeneriere. Wenn du dich überanstrengst oder, zumindest erst einmal, aufstehst, pumpt dein Herz schneller und das Gift wird wieder gefährlich!", tadelte er mich.
Zu meinem Erstaunen war er recht jung - ich schätzte ihn auf nicht mal zwanzig.

Er hatte blaue, runde Augen, die eine Trauer versprühten, die ich manchmal bei meinem Spiegelbild beobachten konnte.
Dies sorgte dafür, dass ein Art Gefühl von Vertrautheit in mir aufstieg. Schnell verdrängte ich es. Ich war nicht naiv genug, um diesen Kerl zu vertrauen, auch wenn es keinen Sinn machen würde, wenn er mir schaden wollte.

Er hatte genug Chancen dafür gehabt.
„Was willst du von mir?", keifte ich und ließ mich widerwillig in das mit alten Kissen bestückte Sofa sinken.

Er wirkte nicht überrascht über meine direkte und aggressive Art. „Deine Hilfe", antwortete er ernst.
„Zu deinem Pech wirst du sie nicht von mir kriegen!", feixte ich und hätte ihn von mir gestoßen, hätte ich mich nicht so matt gefühlt.

Ein paar Stunden brauchte ich definitiv noch, bevor ich abhauen konnte. Ein Menschen, ohne den guten Regenerationsprozess der Schattenmagie, hätte vermutlich noch Tage flach gelegen. Es wirkte so, als verdunkelten sich seine Augen bei meinen Worten etwas.

„Das habe ich erwartet. Ich weiß, dass ich dich nicht dazu zwingen kann, meine Bitte zu erfüllen, aber ich kann und werde dich dazu bringen, mir zuzuhören. Ich hatte gehofft, dich einmal zu treffen. Zugegeben: die Voraussetzungen sind nicht optimal, aber jetzt bist du mir schon eher einen Gefallen schuldig."

Er trat zurück ans Fenster und sah mich an, als er plötzlich lächelte. Ein warmes Lächeln, das mir einen angenehmen Schauer über den Rücken jagte.
„Es ist mir wirklich eine Ehre, dich zu treffen, Karan. Oder soll ich lieber Luzifer sagen? So nennen dich ja alle." Da hatte er Recht. Kaum jemand kannte meinen echten Namen.
Ich war so grausam, dass ich mit dem Teufel gleich gesetzt wurde.
Ups.

„Ich bin Odi", stellte sich der Weißhaarige vor und deutete eine Verbeugung an. Er war erstaunlich ruhig in meiner Anwesenheit.
„Komm zum Punkt", knurrte ich. „Was genau willst du?"

Er fuhr sich über die Stirn und wandte sich von mir ab, um aus dem Fenster zu blicken.
„Kennst du die Geschichte der ersten beiden Umbritor? Die Geschichte der Zwillingssteine? Die Geschichte von Bonya und Fanga?" Ich machte es mir auf dem Sofa etwas gemütlich, nur meine Beine blieben angespannt; immer fluchtbereit.
„Vielleicht mal gehört", grummelte ich.
„Dann erzähle ich dir vom Schicksal deinerindirekten Vorfahren", entschied er.

„Sonst verstehst du meine Bitte nicht." Seine Stimme schrumpfte zu einem Flüstern zusammen und ich sah, wie sich seine Hände frustriert zu Fäusten ballten.

Ich schloss meine Augen.
Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn einschätzten sollte. Er wirkte ruhig und ernst, aber auch aufrichtig und freundlich, aber was, wenn der Schein mal wieder trog? So waren Menschen eigentlich immer.

Gerissene Schauspieler.

„Die Zwillinge waren die Ersten, die mit der Schattenmagie gesegnet wurden." Er schwieg kurz. „Weißt du, sie war eigentlich ein Geschenk. Ein Umbritor zu sein ist nur so lange ein Fluch, wie die Menschen euch als verflucht sehen."
Ich hielt erstaunt in meiner Bewegung die Decke zu richten inne.

Er hatte Recht!
So was von! Unsere Magie könnte gutes bewirken, doch die Menschen gaben uns nicht einmal eine Chance.
„Die Beiden wussten, dass sie deswegen verhasst sein werden, also verheimlichten sie ihr Können, übten es nur im Keller ihres Elternhauses. Sie waren so mächtig, dass sie ihre Magie mühelos unterdrücken konnten."

Ich nickte leicht. Die einzige Gefahr an Schattenmagie war, dass sie einen irgendwann versuchte einzunehmen. Dann wurde man zur Killermaschine.
Socium und ich jedoch waren Freunde. Er versuchte es nie.

Aber den anderen meiner Art ging es anders.
Wenn sie eine Spur Schwäche zeigten, konnte dies fatale Folgen haben. Würden die Menschen uns doch nur helfen. Wir könnten alle in Harmonie leben.

„Sie führten ein relativ normales Leben. Fanga eröffnete ein Geschäft. Viele streiten sich darüber, was genau. Manche behaupten, es war ein Buchladen, andere, dass es eine Schmiede oder Bäckerei war. In Wirklichkeit war es eine Apotheke. Er arbeitete nur mit natürlichen Stoffen, stellte alles selbst her. Das ist doch verrückt!"

Odi warf die Hände in die Luft. „Er hat versucht, Menschen zu heilen! Und...und sie..."
Seine Stimme brach ab und er seufzte. „Bonya, der Jüngere, verliebte sich unglücklicherweise und er wollte seiner Freundin erzählen, dass er Magie besaß. Sein Bruder, der nicht nur wegen seines Jobs, sondern auch wegen seinen Misserfolgen, mächtige Artefakte zu kreieren, um den Menschen auch etwas von der Magie abzugeben, gestresst war, rastete bei diesem Vorschlag aus.

Zerstritten verließ Bonya also das Haus seines Bruders, immer noch entschlossen, es seiner großen Liebe zu erzählen."

Ich konnte mir denken, dass die Geschichte kein gutes Ende nahm. Der bittere Ton in Odis Stimme war wie eine Zustimmung.
Noch immer wusste ich nicht, was ich von ihm halten sollte. Wieso erzählte er mir das?

Schmerz durchzuckte meine Hand und, obwohl er immer noch von mir abgewandt stand, schien er dies zu bemerken. „Ich gebe dir dann schmerzlindernde Medizin, wenn du schlafen willst", sagte er.
„Passt schon", murmelte ich. „Wieso erzählst du mir das eigentlich?" Ich wusste zwar, dass die Geschichte noch nicht zu Ende war, aber wollte ich es wirklich hören?

Wollte ich erneut an die Grausamkeit erinnert werden. „Antworte", keifte ich, als Odi schwieg.
„Ich glaube nicht, dass du dich rein aus Spaß über die ersten Umbritor informiert hast! Oder mich umsonst rettest! Wieso willst du etwas von mir? Soll ich jemand für dich töten? Hast du dich mit deinen Eltern gestritten und willst, da ich meine angeblich umgebracht habe, das ich das auch für dich erledige?"

„Vorsicht!", zischte Odi plötzlich und drehte sich langsam zu mir um.
„Du willst keinen Kampf herausfordern. Ich kann dir nicht wirklich schaden, aber die Anstrengung wird dir das Blut wieder rasend schnell durch deinen Körper pumpen. Und mit ihm das Gift."

Ich funkelte ihn wütend an, ehe er sich wieder abwandte und seine verkrampfte Haltung entspannte sich wieder etwas, so als freute er sich über das, was nun kommen wird.

„Meine... meine Schwester. Sie ist genau wie du."
Ich hob erstaunt eine Augenbraue. „Sie ist nur weniger tödlich." Er lachte leicht.
„Haha", brummte ich.

„Zurück zu Bonya und Fanga. Bonya erzählte also seiner Freundin, die eine echt hübsche junge Frau gewesen sein sollte, was er war. Die Reaktion war erwartbar. Sie tötete ihn. Klar hätte er sich wehren können, aber er wollte nicht. Es war doch seine große Liebe. Man sagt, dass an jenem Tag die Ehre der Menschen starb."

Frustriert donnerte seine Faust auf die Theke. „Menschen sind so grausam!" Ich lächelte bitter und stimmte ihm mit einem Nicken zu. „Was ist jetzt deine Bitte?"
„Ich bin noch nicht fertig. Zwillinge haben eine magische Verbindung und so hatten es auch die Beiden. Nach Bonyas Tod ging dessen Magie in Fanga über, der somit eine unglaubliche Macht erlangte.

Er galt schon so, als einer der stärksten Umbritor, die je existiert hatten. Stell dir nur vor, was er hätte erreichen können, mit doppelt so viel! Er hätte die Menschen leiden lassen können, für was sie getan haben, oder die Weltherrschaft an sich reißen.

Alles! Aber.. aber er war zu gut. Er trauerte lange um seinen Bruder und schloss seinen Laden. Wochenlang hörte man nichts von ihm.
Keine Ahnung, wie er so überleben konnte. Vermutlich bunkerte er im Keller, wo er die Zeit verbrachte, Essen und Trinken.

Jedenfalls bemerkte er die Veränderung seiner Macht und sah seine Chance, Artefakte zu erstellen. Er dachte, wenn er den Menschen so an der Magie teilhaben lassen konnte, würden sie ihn nicht verurteilen, für das, was er war. Und eines Nachts gelang ihm der Durchbruch.

Keiner weiß genau wie, aber zwei der Steine wurden zu den lang ersehnten mystischen Werken.
Er kam jedoch nie dazu, sie jemanden zu geben. Als er nämlich am nächsten Tag übermüdet und ausgemagert die Straßen entlang hetzte, um die Zeitung zu informieren, brach die Magie aus ihm heraus.

Als dies beobachtet wurde und einige Menschen starben, töteten sie ihn. Sie merkten schnell, dass die Steine, die er bei sich trug, dämonisch waren und versteckten sie."
Odi hielt inne und sog die Luft ein. „Ich will, dass du die Steine findest!"

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top