Kapitel 32
-Charlie-
"Ihr werdet nicht glauben, was hier gerade passiert ist", meinte Alex, der scheinbar vollkommen fasziniert von der Situation war, zu Rylin und Gale. "Also zuerst hat Matthew das Bewusstsein verloren, scheinbar hat sein Herz aufgehört zu schlagen. Sofort hat Aves reagiert und versucht, ihm zu reanimieren. Als sie das nicht geschafft hatte, ist Jack für sie eingesprungen und führte verzweifelt weiterhin die Herzmassage durch. Die Spannung war echt kaum auszuhalten. Dann kam dazu noch das Gewitter. Ständig hat es geblitzt und gedonnert. Man konnte ihren Schmerz als seinen eigenen spüren..."
"Komm zum Punkt",unterbrach Rylin ihn. Doch irgendwie klang ihre Stimme anders als sonst. Zwar noch genervt, aber nicht als wäre sie es wirklich, sondern eher als würde sie es für extra so betonen.
"Gut, gut",entgegnete Alex etwas entäuscht. "Also die Zusammenfassung: Nachdem Matthew wiederbelebt wurde, gab er zu, dass er für das alles verantwortlich ist. Daraufhin ist Luke durchgedreht und sie haben sich geprügelt. Doch als Charlie aufgetaucht ist, konnte er Luke überreden, aufzuhören. Die Gelegenheit des glücklichen Wiedersehens nutzte Matthew um abzuhauen. Seine Taten blieben aber nicht ungestraft, da sofort als er im Wald angekommen war, ein Blitz genau dort einschlug. Tja, und dann seid ihr gekommen."
Nach einer kurzen Pause, in der sich Gale den anderen vorgestellt hatte, murmelte Aves plötzlich:"Ich glaube nicht, dass es Matthew war. Zumindest nicht allein. Warum sollte er sowas machen? Wie würde er überhaupt auf so eine Idee kommen?"
Rylin schaute Gale verdächtig lange an, fast so als würde sie sich etwas ausdenken, aber Charlie interpretierte da nichts weiter hinein.
Dann sagte sie:"Er war es auch nicht, also nicht alleine." Ihr Blick hing immer noch an Gale. "Im Wald trafen wir auf so einen kranken Psycho, der bestimmt an allem hier schuld war. Wir sind vor ihm weggelaufen und haben es gerade so aus dem Wald geschafft. Er hat es wohl nicht mehr herausgeschafft."
"Ja, genau",bekräftigte Gale ihre Aussage. "Aber zum Glück konnten wir ihm vorher noch das hier abnehmen." Gale holte aus seiner Jackentasche ein Funkgerät heraus. "Zeit nach Hilfe zu funken, was?"
Gesagt, getan. Es dauerte nicht lange, bis sie jemanden erreichten, der ihnen sofort einen Rettungshubschrauber schickte.
Einige Stunden später saßen sie darin. Charlie starrte auf das jetzt sich unter ihnen befindende Meer, das gerade noch so endlos schien und nun gerade zu winzig wirkte. Es war wohl alles eine Frage der Perspektive.
"Ich glaube, jetzt wird sich alles verändern",brach Luke die Stille plötzlich. Daran hatte Charlie auch gerade gedacht. Nur wusste er nicht, ob Luke auf Camberlynnes Tod anspielte oder auf das Ende der gemeinsamen Zeit, also der Schulzeit, oder ob... er das zwischen ihnen meinte. Er liebte ihn zwar, das hat er sich ja endlich eingestanden, aber woher will er denn wissen, dass er dasselbe empfand? Aber vielleicht würde er es nie wissen, wenn er nicht mit ihm darüber redete. Doch nicht hier, nicht jetzt.
Als sie endlich wieder das Festland erreichten, wurden sie sofort von der Polizei vernommen. Schließlich hatten ihre Eltern sie als vermisst gemeldet und sie mussten erklären, wie es zu den toten ehemaligen Mitschülern gekommen ist. Nachdem sie ihre Aussagen gemacht hatten, wurden ihre Eltern angerufen, damit diese sie abholen konnten. Das haben sie auch getan. Alle, außer ein Elternteil.
"Es tut mir leid, Charlie. Ich kann deinen Vater nicht per Telefon erreichen",entschuldigte sich der äußerst freundlich Polizeibeamte.
"Kein Problem, wir können ihn mitnehmen",bot Lukes Mutter an, die gerade eingetroffen war.
"Danke",nahm Charlie das Angebot an und stieg zu Luke ins Auto. Sie verließen die Polizeistation und fuhren direkt zu Charlies Haus. Er holte den Schlüssel unter der Fußmatte hervor, weil es wohl keinen Sinn hatte zu klingeln, da sein Vater um diese Uhrzeit immer arbeitete. Warum sollte es dieses Mal anders sein?
Als er die Wohnung betrat, empfing ihn ein beißender, verwesender Geruch. Was hatte sein Vater denn angestellt, das es so schrecklich stank? Während er die Treppe hinaufstieg, hörte er den Motor des Auto von Lukes Mutter angehen. Aus irgendeinem Grund hatte Luke wohl noch einen Moment gewartet. Wollte er Charlie etwa dasselbe sagen wie er ihm?
In Gedanken vollkommen bei Luke, öffnete er die Zimmertür seines Vaters. Eigentlich hatte er den Geruch schon wieder fast ausgeblendet und wollte nur nach seinem Vater schauen, der wenn er doch da war, sich dort oft aufhielt. Aber als die Tür offen war, wurde Charlie schlagartig bewusst, dass dieses Zimmer der Ursprung des Gestankes war. Doch als er einen Augenblick später die Ursache erblickte, schrie er auf.
Der Motor schaltete sich aus. Luke kam die Treppe hochgesprintet, Charlie musste wohl versehentlich die Haustür offen gelassen haben.
"Charlie, was ist los? Ich hab' dich schreien gehört",sagte Luke besorgt. Aber als er auch das Zimmer betrat, wurde es ihm klar. Er rief nach seiner Mutter, die sofort die Polizei verständigte.
"Ich verstehe das nicht. Warum hat mein Vater das getan?",murmelte Charlie unter Tränen.
"Es tut mir so leid, Charlie. Ich bin für dich da, das weißt du doch, oder?" Luke drückte seine Hand. Es könnte eine freundschaftliche Geste gewesen sein, oder war es doch mehr?
Wenig später traf die Polizei ein. Derselbe freundliche Polizist stellte ihm ein paar Fragen, aber ließ ihn dann in Ruhe. Er erklärte ihm nur noch, dass es schon einige Tage her sein musste, vielleicht sogar eine Woche. Das heißt, er hat es wahrscheinlich getan, als Charlie auf der Kreuzfahrt war.
Nachdem die Leiche abgeholt wurde, verließ Charlie mit Luke sein Haus. Lukes Mutter fuhr sie zu ihrem Haus. Die beiden Jungs nahmen draußen auf der Terrasse Platz. Inzwischen war es dunkel, aber es war auch Zeit, dass dieser schreckliche Tag endete.
"Er hat es bestimmt nicht wegen dir getan." Luke schaute ihn mitfühlend an.
"Ich weiß einfach nicht, wo ich jetzt hinsoll." Wenigstens hatte Charlie es geschafft, mit dem Weinen aufzuhören. "Soll ich etwa meine Mutter suchen? Die Frau, die mich allein gelassen hat und der ich scheinbar vollkommen egal bin? Und zu meinem Vater kann ich ja jetzt auch nicht mehr." Vor seinem inneren Auge sah er die ganze Zeit über seinen Vater, dessen Kopf in der Schlinge steckte. Das was er vorhin gesehen hatte, hatte er doch bereits auf der Insel gesehen. Nur diesmal konnte er sich sicher sein, dass es keine Einbildung war. Hieß das etwa auch, dass es nie Einbildung war, sondern der Geist seines Vaters, der wirklich versucht hat, ihm zu helfen? So verrückt es klang, es schien die logischste Erklärung zu sein. Obwohl was war schon noch logisch? Dass sein Vater Selbstmord beging, war es auf jeden Fall nicht.
"Du kannst bei mir bleiben. Ich werde immer für dich da sein." Luke starrte Charlie tief in die Augen. Dann legte er seine Lippen auf seine. Scheinbar klärte das auch die Frage, ob er dasselbe für ihn empfand.
Und obwohl Charlie so viel verloren hatte, schien das Leben ihm endlich mal etwas zurückzugeben. Etwas, für das sich das Leben lohnte und er sich so lange schon gewünscht hatte. Liebe.
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