Sherlock Teil II
Für dich stand eines fest: Nie wieder wolltest du eine Beerdigung planen! Du warst normalerweise ein recht lebensfroher Mensch, doch die letzten Wochen zerrten an deinen Nerven.
Morgen war es soweit, dein Vater würde seine geliebten Zwiebeln von unten zählen müssen und du müsstest dein Leben allein in die Hand nehmen.
Dein Blick glitt noch einmal über die Rede, die du geschrieben hattest, doch deine Gedanken hafteten an Sherlock Holmes, jenem Mann, den du als unhöflichste Person des Universums abgestempelt hattest. Und doch faszinierte dich irgendetwas an ihm, vielleicht war es seine eigensinnige Art oder die Weise, wie er dich gemustert hatte.
Frustriert rauftest du dir die Haare und unterdrücktest einen resignierten Laut.
Durch deine Finger hindurch lugtest du auf die Karte, die Dr. Watson dir gegeben hatte. Auf der Rückseite standen eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse.
Kurzerhand schaltetest du deinen Laptop an und gabst die Adresse in der Suchleiste ein. Als erstes Ergebnis prankte dir dein eigener E-Mail-Account entgegen. Weiter unten fandest du einige Wikipedia-Einträge, die du geflissentlich ignoriertest.
Genervt löschtest du deinen Eintrag und gabst die Namen der beiden ein. Prompt tauchte ein neues Ergebnis auf dem Bildschirm auf.
Es war ein Blog, den ein Dr. Watson über die Fälle seines Partners geschrieben hatte. Partners? Nein, die beiden waren keine Partner, zumindest nicht in den Augen des Detektives.
Du hattest ihn erlebt, Sherlock Holmes, hattest ihn gesehen, hattest ihn gehört und du hattest in seinen Kopf geblickt. Oder es wenigstens versucht.
Interessiert klicktest du auf das Online Tagebuch und last dir die aktuellsten Fälle durch. Auch du warst in der Lage, Dinge zu erkennen, die für das gewöhnliche Auge unsichtbar blieben, doch das, was dieser Mann leistete, war einfach nur unglaublich.
Rasch speichertest du dir den Blog ab, fuhrst den Laptop herunter und knipstest die Schreibtischlampe aus.
"Ich danke Ihnen allen, dass Sie gekommen sind." Deine Stimme war brüchig, nicht mehr so stark, wie du es gewohnt warst. "Sie alle kannten meinen Dad mehr oder weniger gut, doch eines wissen Sie über ihn: Es gab keinen Menschen auf dieser Welt, der gütiger und weltoffener war als er."
Zustimmendes Gemurmel breitete sich aus und du nutztest die Zeit, um dich zu sammeln.
"Und im Namen dessen, möchte ich Sie bitten, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Sehen Sie nicht die Makel und Fehler Ihrer Mitmenschen, sehen Sie deren Fähigkeiten und Einzigartigkeit. Dad wollte die Welt immer zu einem besseren Ort machen, sie verändern. Wenige Tage vor seinem-" Du stocktest kurz und schlucktest. Dann atmetest du tief durch und sprachst weiter.
"Wenige Tage vor seinem Ableben sagte er mir, dass eine Veränderung immer bei einem selbst beginne. Wir sollten in den Spiegel blicken und den Menschen, den wir sehen, verbessern."
Du starrtest auf deine Zettel. Tränen tropften auf diesen und du ignoriertest die weiteren Erlebnisse, die du aufgeschrieben hattest. Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen nahmst du den Strauß weißer Lilien und legtest ihn auf den Sarg.
Die Trauer überrannte dich wie ein Wirbelsturm, schwappte auf dich hinab wie ein Tsunami und du konntest deine Tränenwellen nicht länger zurückhalten. In den Armen deiner Tante standest du neben dem Grab, in das soeben der Sarg hinabgelassen wurde.
"Wenn du etwas brauchst, sind wir für dich da, Sweetheart", flüsterte sie dir zu, gab dir eine letzte Umarmung und verabschiedete sich mit einem Kuss auf deine Stirn.
Als die Sonne langsam unterging, standest du noch immer am Grab, getrocknete Tränen auf den Wangen und den Regenschirm aufgespannt.
"Ein schöner Tag, nicht?" Erschrocken fuhrst du zusammen und drehtest dich um.
"John sagte, ich solle das Gespräch mit etwas Nettem beginnen. Das habe ich, also beantworten Sie mir einige Fragen? Bitte?"
Vor dir stand Sherlock Holmes, dem es sichtlich egal war, wie schockiert du gerade warst.
"Also Miss" Er sah auf den Grabstein hinter dir. "Miss D.N.N." Seufzend klapptest du deinen Schirm zusammen und erwidertest den Blick des Mannes vor dir.
"Bevor wir anfangen, hier." Er reichte dir einen Zettel, den du neugierig entgegennahmst. Eine Geldsumme prangte dir entgegen.
"Was soll das sein?"
"Die Rechnung der Wäscherei, Sie haben meinen Mantel beschmutzt", meinte er nur trocken und zog seinen Geldbeutel hervor.
"Haben Sie keine Waschmaschine?"
"Natürlich habe ich eine!" Eine leichte Empörung schwang in seiner Stimme mit.
"Und warum benutzen Sie diese dann nicht und sparen sich die Wäschereikosten?", entgegnetest du säuerlich. Du warst kurz davor, ihm deinen Regenschirm über den Kopf zu ziehen.
"Da Sie die Rechnung bezahlen werden, muss ich mir darum keine Sorgen machen."
Das nächste Geräusch war ein schallendes Klatschen, als du Sherlock Holmes eine Ohrfeige gabst. Dann zerrisst du den Zettel, gabst ihm die Schnipsel zurück und machtest auf der Stelle kehrt.
Kurz bevor du den Friedhof verließt, ertönten Schritte hinter dir und eine kalte Hand umfasste deinen Arm.
"Warten Sie, es tut mir leid, was Ihrem Vater passiert ist." Auch wenn er nicht so klang, zeigten seine Augen einen Hauch von Mitgefühl, wobei du dir sicher warst, dich zu irren.
"Wenn Sie es ernst meinen, melden Sie sich noch einmal", gabst du zurück, drücktest ihm eine Visitenkarte mit deiner Telefonnummer in die Hand und liefst auf den näherkommenden Bus zu.
So bekamst du nicht mehr mit, wie Sherlock Holmes sein Handy zückte und deine Nummer einspeicherte. Seltsame, aber liebenswürdige Frau, deren Charakter nicht aufschlussreich ist.
So, hier ist die gewünschte Fortsetzung meines ersten Oneshots. Wenn ihr weitere Wünsche habt oder ebenfalls eine Fortsetzung lesen wollt, schreibt es einfach in die Kommis. ^^
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