Kapitel 9
„Seokjin wird stolz auf dich sein, mein Freund."
Die laut polternde Stimme seines Vaters drang allen Umstehenden durch Mark und Bein.
Er warf mit vorwurfsvollen Argumenten um sich, tobte und fluchte, sodass die Regale bebten und die Pflanzen im Hause erzitterten. Sein Zorn galt jedoch nicht nur seinem kleineren Gegenüber, der den Blick beschämt zu Boden gerichtet hatte. Der Teufel hatte wie so oft seine Pranken mit im Spiel.
Waren Seokjins Worte aber auch in tiefer Sorge ertränkt worden. Sie trieften förmlich davon.
„Wie konntest du nur?"
Die verängstigten Boten, die im Heim der Reiter eigentlich fleißig umher wuselten, verschanzten sich hinter allem Greifbaren oder zwängten sich in die mickrigsten Nischen, um dem Wüten zu entfliehen. Es war ihnen eine Graus, ihren Herrn derart zu erleben.
Jimin machte keinen Hehl aus dem, was der Tod so oder so herausfinden würde. Also beichtete er ihm seine missliche Lage beinahe unverzüglich, die Türen waren nicht einmal ins Schloss gefallen. Diese Ehrlichkeit brachte aber auch eine Unwetterfront mit sich, die einem platzregenartigen Sturm an tosenden Argumenten nur so glich.
Der Tod war fassungslos und ließ es sich nicht nehmen, seinen Sohn vor allen noch Anwesenden, jeden erdenklichen Tadel vorzuhalten.
Der junge Famine ließ die temperamentvollen Argumente des Tobenden widerstandslos über sich ergehen. Sein schlechtes Gewissen plagte ihn, wie sein Vater die Menschheit seit Beginn der Zeit.
Schweifte Jimin einfach mit seinen Gedanken etwas ab. Zu viele Eindrücke, Erinnerungen und Worte tummelten sich in seinem Verstand.
Was seine Brüder wohl dazu sagen werden?
„Jimin, ich spreche mit dir", brachte Seokjin sein geistesabwesendes Kind wieder zurück in die unberechenbare Realität.
„ -und nicht mit den Irrlichtern. Wenn ich mich mit dir unterhalte, hast du gefälligst zuzuhören!", mahnte ihn der Mächtigere.
Jimin zuckte merklich zusammen, nickte, ohne auch nur ein einziges Wort über seine Lippen kommen zu lassen.
Nun lag Schweigen schneidend in der Luft. Er hatte das Gefühl, dass Stille nun die sicherste Methode wäre, gegen den weitaus Älteren anzukommen. Seokjin schnaubte, als die erste Welle seines Gefühlsausbruchs abgeebbt war.
Dies alles geschah also, als er nur einen Augenblick lang sein Kind aus den Augen ließ.
Was wäre, sollte Jimin versagen?
Er fürchtete sich.
Die erstickende Angst, noch ein Kind zu verlieren, zerbrach dem Tod das stille Herz in unzählige Bruchstücke. Alleine der Gedanke hätte ihm Tränen in die Augen treiben können. Beherrschte er sich jedoch und bändigte das sich anbahnenden Wasser.
"Wie konntest du nur...", seufzte der Tod herzzerreißend und ließ sich in seinen thronartigen Stuhl sinken, der am Kopfe der Familientafel stand. Sein mit Federn verzierten Mantel folgte ihm in seiner Bewegung.
Jimin, der seinen Platz etwas abseits des Größeren eingenommen hatte, wagte es nicht sein Haupt zu heben.
Die Türen zum Esszimmer der Familie waren verschlossen, doch die Dienstboten harrten noch immer in ihren Nischen aus.
„Ist dir eigentlich bewusst, was dieses Mal auf deiner Haut bedeutet? Was es dich kosten kann?", verlautete der elegant Gekleidete. Er wollte nicht wahr haben, was er auf der bleichen Haut seines Sohnes erblicken konnte, als dieser es ihm Momente zuvor offenbarte.
Teilnahmslos starrte der Hunger zu Boden.
Er wusste nicht, was er seinem Vater als Antwort überreichen sollte. Beschämt wandte er sein Haupt weiter von ihm ab, mied um jeden Preis die verletzten und vorwurfsvollen Augen, die mit ihrem Ausdruck hätten erstechen können.
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Seine Hände lagen auf den Oberschenkeln, krallten sich in das wenige Fleisch und ließen den Stoff um es herum völlig kraus werden.
In tonloser Zweisamkeit saßen beide nun schweigend an der Tafel im Esszimmer, welche aus kostbaren Amaranth gefertigt war. Das purpurfarbene Holz glänzte und ließen die aufgestellten Kerzen sich darin spiegeln.
Mehr oder wenig geduldig, warteten die zwei Reiter auf ihr bevorstehendes Dinner.
Die Zeit war verstrichen wie im Flug, die Boten gingen langsam ihren vielen Arbeiten wieder nach, doch die Nachwehen der hitzigen Worte seitens Seokjin, lagen noch immer in der Luft.
Während Jimin angespannt da saß, wurmte es den viel beschäftigten Tod umso mehr, dass sein Sohn so leichtfertig in eine so offensichtliche Falle getappt war. Er konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, weshalb er diesem Spiel zustimmte. War Jimin stets einer der Vernünftigsten seiner Söhne.
Dieses Unwissen gefiel ihm ganz und gar nicht.
Er verabscheute es, wenn ihm etwas vorenthalten wurde und er war sich sicher, dass dem auch so war. Jimin beharrte so starrsinnig auf sein Schweigen.
Eine, in Kutten gekleidete Gestalt, trat in den viktorianisch eingerichteten Speisesaal, der von unzähligen Kerzen und einem Kronleuchter aus Onyx beleuchtet wurde. Die Gestalt transportierte einen anständig beladenen Servierwagen mit sich, der ab und and etwas knirschte.
Der Etikette treu, bekam zuerst der Hausherr seine Speise aufgetischt, danach folgend sein stummer Sohn, der seinen Blick noch immer nicht wagte zu heben. Schenkte der Diener seinem Gebieter auch Wein in dessen Glas. Die Anwandlungen des Sohnes bereits kennend, fragte er ihn erst gar nicht danach.
Verschwand der Untergebene zügig nach einer ehrfürchtigen Verbeugung.
Eine Speise, bestehend aus einem feinen Stück Fleisch und kohlrabenschwarzen Beilagen, kam zum Vorschein, als der Tod die Servierkuppel anhob. Seine polierten Ringe hallte auf dem Metall wieder.
Nach weiterem Schweigen und sturem Ignorieren seitens des Hungers, nahm Seokjin selbst die Zügel in die Hand und befreite das dampfende Mahl seines Sohnes von seiner Abdeckung.
Das, was sich dem jüngsten Reiter offenbarte, war so gar nicht nach seinem Geschmack.
Ihm drehte es den leeren Magen um und immer mehr machte sich das unangenehme Gefühl der Übelkeit in ihm breit.
Missbilligend, ohne auch nur einen Gedanken an den Verzehr des Gerichtes zu verschwenden, starrte Jimin es durch seine dunklen Augen an. Alles in ihm sträubte sich dagegen, es zu essen. Würde er sich eher in den eigenen Finger beißen.
Sein Vater bemerkte die angeekelte Grimasse, zu der sich das zarte Gesicht seines Sohnes verzog. Da seine Geduld wie so vieles auch begrenzt war, brach er das ächzende Schweigen, als es ihm zu bunt wurde.
"Wie bist du eigentlich auf diese naive Idee gekommen? So kenne ich dich gar nicht, mein kleiner Schatten," sprach er liebevoll, um endlich Antworten auf seine unzähligen Fragen zu gewinnen. Die Absicht, auch eine wenig das schlechte Gewissen in dem Kleineren zu necken, war auch nicht ganz unbeteiligt.
Er wusste, dass er mit dem Hunger erst etwas spielen musste, ihn etwas aus der Reserve locken musste, um seine benötigten Antworten zu bekommen.
Ein listiger Trick, doch sah Seokjin keinen anderen Weg. Wie sonst sollte er den Jungen zum Sprechen bringen?
"Es sei denn, unser König hat dir etwas versprochen. Stimmt es oder habe ich Recht?"
Wie auf ein Stichwort, wendete der eingeschüchterte Hunger seinen Blick von seiner Speise zum siegessicheren Tod und musterte diesen eindringlich.
"Dieses Gespiele geht mir gehörig auf den Keks", knurrte der Hunger unverständlich vor sich hin.
"Jimin-", wollte Seokjin erbost seinen Sohn in die Schranken weisen, doch wurde er harsch von ihm unterbrochen.
"Was er mir versprochen hat, willst du wissen!? Mit was er mich um seine widerlichen Finger gewickelt hat? Sehr gern!"
Die Hände auf den Tisch schlagend, schwang sich die zierliche Gestalt von ihrem Stuhl. Selbst stehend, befand sich Jimin bloß in Augenhöhe mit dem Tod, der kerzengerade auf seinem Thron saß.
„Er bot mir eine einmalige Möglichkeit", begann der Hunger, die Gesichtszüge des Anderen studierend.
„Er versprach mir die Möglichkeit endlich Rache zu nehmen."
Die zuvor ausdruckslos gewordenen Gesichtszüge entglitten dem Tod, als bestünden sie aus Eis.
So zerschellte seine Geduld auch wie Eiszapfen, die zu Boden gestürzt waren.
„Schau mich nicht so an! Es wurde mir auf einem Serviertablett serviert und ich sollte dazu etwa nein sagen!?", fügte der Junge noch hilflos hinzu, die Entscheidung stark in Frage stellend. Er fühlte sich mit dem Rücken zur Wand. Dass der Teufel ihm erst Wimpernschläge nachdem er dessen Hand ergriff, offenbaren würde, wie lange er mit der Zeit spielen durfte, bis er mitsamt dieser umworbenen Seele in die Hölle zurückkehren musste, konnte Jimin nicht ahnen.
Oder etwa doch? Mit Jackson ist schließlich nicht zu Spaßen.
Der Spieler war unberechenbar, ein beeindruckender Betrüger und Manipulator.
„Sag mir nicht, dass du derart naiv gewesen bist, Jimin", verlautete Seokjin bestürzt, trotz dessen, dass es bei ihm mehr als nur brodelte.
Rasant griff er zu einem Messer, das sich an seinem bestimmten Platz neben ihm auf der Servierplatte befand.
Wutentbrannt stieß dessen Eisen in die purpurne Tischplatte, ließ das Holz knirschen.
Sofort hielt Jimin den Atmen, spannte den Körper unter Schreck an. Er vergaß vor lauter Rage, dass er, trotz seines brennenden Zorns, der dem Teufel und vor allem sich selbst galt, seinem Herren dem Tod gegenüber stand und nicht einem dahergelaufenen Dämonen.
Der Kleinere blickte beschämt auf dem mit jeder Sekunde wachsende Riss im Holz, der durch den ständigen Zuwachs an Druck, den Seokjin ausübte, berstete.
Seokjin war fassungslos und meinte sich verhört zu haben. Was sein Sohn ihm eben erzählt hatte, kam ihm einfach zu surreal vor.
Die Hand des Todes zitterte vor lauter Aufregung und fesselte sich noch stärker um den Messergriff. Er wusste nicht wie, aber er würde dafür sorgen, das der Teufel es bereuen würde, seinen Sohn in dieses Spiel gedrängt zu haben.
Immer weiter realisierte der junge Famine, wie er seine Entscheidung mehr in Frage stellte.
Die Reue wuchs.
Er wollte diese Rache unbedingt, doch was wenn er wirklich scheitern würde? Nichts mehr würde von ihm bleiben. Er würde ausgelöscht werden.
War es dieses Gefühl von Vergeltung wert?
Oder waren das alles nur Wunschvostellungen, um seine Gedanken davon abzulenken, dass er sich geradewegs auf den Weg in sein sicheres Verderben begab?
Er wusste es nicht.
„Ich habe ein Jahr."
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