Kapitel 28
Eine Spirituose (lateinisch spiritus ‚Geist'; Neutrum Plural: spirituosa ‚Geistiges') . Ein alkoholisches Getränk, das seinen Sinn und Zweck darin besitzt, die menschliche Spezies in einen rauschartigen Zustand zu versetzten. Einige Tropfen davon sind in der Lage; Sorgen, Ängste und Erinnerung einfach hinweg zu spülen, um deren Dasein erträglicher zu gestalten.
So stand es über Gottes Schöpfung in eines der Bücher Minhos Sammlung geschrieben. Der Hunger war erst einige Tage alt, als sein Vater ihm dieses Buch überreichte. Er solle schließlich wissen, auf welche perfide Art und Weise, er diese Kreaturen handhaben musste.
Diesen Rausch, dieses wabernde Gefühl, wann die Spannung endlich aus dem Körper verschwindet. Auch die Wärme, die sich in den Gliedmaßen festsetzt, sie schwer macht.
Genau nach diesem Zustand sehnte sich Jimin nun, mehr als er sich eingestehen wollte.
Er war wütend. Er war rasend und er war enttäuscht, wie auch zwiegespalten.
Die Worte seines Bruders geisterten in ihm auf und wie ein Haufen Ratten. Ausgehungert nagte sie sich voran, ohne Rücksicht auf Verluste. Jimin war es so leid.
Sein Blick schweift über bereits wieder in Fahrt gekommene Menge. Die bunte LED-Technik, wie auch der trommelfell- malträtierende Bass, hielt die Scharr auf Trapp.
Keiner der hier Anwesenden ließ sich von etwas stören und tanzte oder küsste sich die Muskeln wund im Einklang zur Musik.
Jeder, bis auf Jungkook.
Allein, wie ein verlassenes Junges, das seine Mutter aus den Augen verloren hat, stand der Junge zwischen den anderen Besuchern der Feier. Er schien nach etwas zu suchen. Die Sorge in seinen markanten Augen verriet ihn.
Der Reiter wusste natürlich, was das zu bedeuten hatte.
Die Beute suchte nach ihrem Jäger.
Um sich vor den Blicken des Opfers zu bewahren, wandte sich der Silberschopf ab, um anschließend zwischen den sich auslassenden menschlichen Kreaturen zu verstecken.
Er gab das Spiel für den heutigen Tag auf. Zu vieles beeinflusste seinen Verstand. Er konnte nicht klar denken und dies würde zu überflüssigen Missgeschicken führen, für deren Ausgleich Jimin augenblicklich einfach nicht die Kraft besaß. Er wollte den Jungen nicht unnötig ver...
Schwermütig ließ sich Jimin auf einem der Barhocker nieder. Er brauchte jetzt einen Drink und zwar einen Starken. Der Barfrau ein sanftes Lächeln schenkend, womit sein Bruder ihn womöglich aufgezogen hätte, da er einer Frau schließlich mit dem gebürtigen Respekt und Ehrlichkeit entgegentreten sollte - er verstanden sowie nicht, was Namjoon an weiblichen Menschen so interessant fand - die sie verdienten.
Wieder verrollte er die Augen aufgrund seiner Familie und leerte sein Glas Bourbon. Die junge Frau, die ihm den Drink zuvor überreichte, betrachtete ihn dabei etwas mitleidig. Sie verzog die blass rosafarbenen Lippen zu einem Strich.
Bei diesem einen Glas sollte es aber nicht bleiben.
„Morgen ist auch noch ein Tag zum Sterben", besänftigte der Hunger sein Gewissen. Es entsprach ihm nicht, seine Pflichten aufzuschieben. Vor allem nicht, wenn sein Leben und das Herz seiner Familie dabei auf dem Spiel stand.
Der Alkohol zeigte nach einer für Menschen ungesunden Menge endlich Wirkung. Die Sorgen im Inneren des Hungers waren endlich unter einer schwelenden Masse an Rausch bedeckt. So bemerkt er auch nicht, wie sich ein Zweiter neben ihn auf einen der Barhocker setzte und ebenfalls nach einem Drink fragte. Er strich sich beiläufig die schwarzen Strähnen aus der Stirn. Besorgte Augen musterten den, mit dem Kopf auf der Küchenzeile ruhenden Silberschopf.
„Er kann ja prinzipiell nichts dafür."
„Bitte?" Der Fremde zog verwundert die Brauen kraus.
Der Orientierung fern, hob Jimin den Kopf von der Platte und blickte in das Gesicht seines Nebenan. Alles drehte sich und er konnte bloß die Umrisse der Gestalt verschwommen ausmachen. Der Alkohol tat dies, was Jimin so sehnlichst wollte.
Er konnte nicht wissen, dass sein geschwächter Körper den Rausch noch weniger vertrug, wie ein herkömmlicher Mensch.
Es machte ihn leichtzüngig.
„Er kann prinzipiell gar nichts dafür. Das war meine Schuld", äußerte sich der Reiter, sprach erfolgreich gegen die dröhnende Musik an und stützte sich mit dem Ellenbogen, damit sein Kopf nicht wieder Bekanntschaft mit der Tischplatte machen würde.
„Eigentlich ist ja mein Vater daran Schuld. Also nicht mein neuer Vater. Papa tut was er kann..."
Der Fremde schien verwirrt, doch machte nicht den Anschein das Weite zu suchen. Mit besorgter Miene wandte er sich dem Silberhaarigen zu.
„Ich weiß, dass mein echter Vater daran Schuld ist, aber ich kann mich nicht wirklich erinnern. Es ist, als wäre ich mit 17 einfach aus dem Grab gestiegen. Verrückt!", gluckste Jimin und setzte das Glas, das er vor sich fand, wieder an seine plumpen Lippen und spülte seine aufkommenden Gefühle herunter.
„Teufel, geht mir diese Familie so auf den Keks." Er unterbrach sich kurz selbst. Die nass geschwitzten Strähnen auf seiner Stirn nervten ihn. Hier war es so warm.
„Sie machen sich bloß Sorgen, weißt du. Ich hab' Mist gebaut. Er ist verständlich, dass sie sich also Sorgen machen, a-aber ich hab' das Recht, mich selbst aus dem Dreck zu ziehen. Das ist meine A-Aufgabe. Papa versteht das aber nich'." Eine Pause.
„Ich bin kein Kind mehr..."
Beiläufig reichte der Zuhörer dem Jungen ein Taschentuch, um die Tränen zu trocknen.
„Ich will doch nur ihre Anerkennung und ihr Vertrauen..." Er bemühte sich die Worte, ohne von Schluchzen beeinflusst, über seine Lippen zu lassen. Er würde seine Familie so gerne dafür hassen, wie sie ihn behandeln. Er empfindet es als nicht gerecht. Er möchte nicht, dass es so weiter geht.
Er...
„Dieser verdammte Junge." Schwärze blitzte in den Augen den Hungers auf, doch die bunten Lichter der Umgebung dienten ihm als Schutz.
„Ich geh' bald noch ein. Nicht, dass mich dieser Hunger noch um den Verstand bringt. Nein! Ich kann diese Schüchternheit und dieses... arg... Kind. Mehr ist er nicht. Das sollte nicht meine Aufgabe sein. Er ist ein Kind. Ein Kind! Was sind schon 18 Jahre?
„Aber ist es nicht das, was ich will? Um so schneller er sich mir an den Hals wirft, um so schneller sind Kia und ich wieder Zuhause. Warum stört mich das Ganze nur so!"
Der Fremde blinzelte bloß überrascht. Er selbst war bereits bei seinem dritten Drink.
„Versteh' mich nich' falsch. Er ist ein guter Kerl. Aufrichtig und viel zu freundlich. Seine Art erinnert mich an jemanden von früher. Gott... ist das lange her", hauchte Jimin und legte die Hand auf die Wange des Fremden.
Der ganze Alkohol in seinem Körper verhinderte, dass er bemerkte, wie kalt die Haut seines Gegenübers eigentlich war. Selbst sein Geruch war ihm auf seltsame Art und Weise bekannt.
„Als das siehst du mich?"
Die Musik schien für Jimin zu stoppen. Verwundert wandte er ab und blickte unerwartet in die von Tränen unterlaufenen tiefbraunen Augen eines unschuldigen Jungen. Sein Herz hatte einen Stich verpasst bekommen.
‚Die Klinge des Verrats ist eine hinterhältige Waffe', wie Seokjin es oft zu sagen pflegte.
„Was? Jungkook, nein...", hauchte Jimin und sprang völlig perplex von dem Hocker der notdürftigen Bar. Seine Beine waren weich wie Butter und konnten ihn kaum tragen. Der Alkohol war der zweite Verräter dieses Abends.
Der Reiter versuchte den verletzten Jungen zu besänftigen, ihm zu erklären und weiß zu machen, dass er sich verhört haben muss. Jimin wusste nicht, wo ihm der Kopf stand.
Aber Jungkook wollte von den faden Ausreden nichts hören. Selten fühlte er sich so allein.
„Du widerst mich an"
Die sich anbahnende Welle an Furcht, die dieser Satz in Jimin auslöste, ließ seinen Geduldsfaden endgültig reißen. Sein Hunger war so unerträglich.
Er legte seine dürren Finger um das Medallion auf seiner Brust. Mit dem Auftauchen des Schwarz in seinen Augen, begann auch das Schmuckstück um seinen Hals zu leuchten. Die Zeit blieb stehen und die Mengen erstarrte in ihren Bewegungen. Mit Ausdruckslosigkeit im Gesicht trat er auf sein Opfer zu. Er dachte zurück an das, was er im Buch seiner verstorbenen Schwester gelesen hatte.
Eine Träne lief über die Wange des Jungen. Ein gewisser Hauch an Sanftheit kehrte auf die Gesichtszüge des Reiters zurück. Liebevoll befreite er den Jungen von den salzigen Tränen auf seinen Wangen und küsste ihm anschließend sachte auf die Lippen.
„Ich möchte, dass du alles an diesem Abend vergisst, was ich gesagt habe, noch, dass ich überhaupt hier war. Wenn du morgen erwachst, wirst du dich nach mir verzehren", hauchte er gegen die Lippen des Größeren.
„Du wirst fröhlich sein und lachen können. Vergiss einfach das, was ich über dich gesagt habe."
Jimin schaute zurück an die Bar, doch die Person, der er dort zuvor sein Herz ausschüttete, als der Alkohol seinen Verstand dominierte, war verschwunden. Spurlos.
Er fühlt sich aber zu sehr aufgewühlt, der Sache nachzugehen. Dieser kleine Kuss gab ihm zwar einen Hauch an Kraft, doch das Verlangen ebenfalls spurlos zu verschwinden, war viel zu groß.
Als die Menge wieder zu tanzen begann und Jungkook zwischen ihnen wieder zu Verstand kam - sein Gedächtnis wies so einige Lücken auf - lief Jimin mit schmerzendem Gewissen an der Seite Kias zurück in sein Versteck.
Selten bereute er den Deal mit Jackson so sehr, wie an diesem Tag.
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