Kapitel 23
„Jimin? Bist du da drin? Alles in Ordnung?"
Als die Stille im Saal wieder einkehrte, nachdem ein völlig zerstreuter Jimin das Weite suchte, wagte es Jungkook wieder anständig zu atmen. Nervös spielte er mit dem Ring, den der Silberhaarige einige Tage zuvor zurückließ. Beinahe von Anfang bis Ende, indem der Jimin in Angesicht aller vorgeführt wurde, war der Braunhaarige Student mit dem unschuldigen Ausdruck nicht fähig, normal zu atmen. Es war ihm schlichtweg nicht möglich.
„I-Ich weiß es nicht."
Dieser verängstigte Blick des kleinlich ausschauenden Jimin verursachte in Jungkook einen förmlichen Knoten. Als dann noch dunkles Blut aus dessen Nase tropfte, war es um den Studenten geschehen. Ihm war schlecht und er wollte nicht glauben, was er da mitansehen musste. Der Anblick der roten Flüssigkeit war dabei noch das geringste Übel.
Hätte er versuchen sollen Jimin in Schutz zu nehmen? Oder war es klug, sich nicht einzumischen? Immerhin kannten sie sich kaum und der Professor war allgemein bekannt als wandelndes Pulverfass. Seine Launen kamen und gingen. Jimin war und wird auch nicht der Letzte in solch einer Situation sein.
„Alles in Ordnung?", sprach Jungkooks Sitznachbarin und brachte ihn, der über das Handeln des Professors dennoch mehr als erschüttert war, wieder zurück mit seinen Gedanken.
Friedlich musterte die junge Frau ihren Banknachbarn, die Hände dabei auf dem Tisch gefaltet. Die anderen Studenten lauschten währenddessen bereits wieder den Worten des Professors. Jungkook jedoch wusste; für ihn war die Vorlesung für heute vorläufig beendet. Ebenfalls wollte er sich so schnell wie möglich auf die Suche nach Jimin machen. Er verspürte große Sorge um den Neuen, den er kaum kannte, aber sehr gerne besser kennenlernen wollte.
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Die Sitzreihen begannen sich langsam zu leeren, als Jungkook sich zu Jimins Sitzplatz bewegte, um dessen Habseligkeiten einzusammeln, welche er verständlicherweise zurückgelassen hatte. Ein kleines Wesen huschte dabei, als der Junge nicht wirklich Acht auf seine Umgebung gab, in die Tasche des Silberschopfes. Kia hatte natürlich alles mitangesehen. Der Groll im Inneren des Tieres war immens, doch für seinen Herren würde es die Fassung behalten. Abwartend saß die kleine Fledermaus also zwischen etlichen Heftern und Büchern in der Tasche, in die Jungkook Jimins restliche Eigentümer verstaute. Langsam wurde es eng in der dunklen Umhängetasche und Kia machte sich so klein wie er nur konnte. Ein bedrücktes Schnaufen konnte er sich nicht verkneifen.
Mit einem Seufzen streifte sich Jungkook den Gurt der Tasche über, griff er noch nach der dünnen Jacke, die Jimin am Morgen noch um die Schultern trug und bewegte sich anschließend aus dem großen Hörsaal. Dass der Professor seinen Schüler dabei streng beobachtete - eine Raubkatze sah schlecht aus im Vergleich - beachtete er nicht weiter.
Er trottete an unzähligen weiteren Studenten vorbei, denen allen die Zeit im Nacken saß. Für den erst Achtzehnjährigen war es für diesen Tag zum Glück mit den Vorlesungen vorbei. Seine einladende Couch und eine Schüssel Knabberzeug wartete bereits zuhause auf ihn, doch die Sorge um Jimin wog größer.
„Ja! Wie hätte ich so jemanden übersehen können? Hast du seine Figur gesehen? Zum Anbeißen!"
„Also diese silbernen Haare haben mich förmlich in ihren Bann gezogen. Wie war sein Name noch gleich?"
'Jimin!', dachte der Junge erleichtert und krallte seine Nägel in den Gurt der Umhängetasche. Zügig bewegte er sich auf eine Gruppe Personen zu, die sich vor den Spinden im Flur gesammelt hatten. Als er sie erreichte, musterten ihn zwei Paar blaue Augen mit Skepsis, ein braunes Paar in Verwirrung und zu letzt die auffällig grünen Augen eines jungen Mannes mit kleiner Statur, der etwas Abseits von den erheitert schwärmenden Studenten stand. Seine Hände waren in den Taschen seiner tannengrünen Schürze versteckt.
„Ist hier zufälligerweise jemand - etwas so groß - in dunkler Kleidung und mit silbergrauen Haaren vorbei gekommen?", erkundigte sich Jungkook und schenkte der Gruppe ein hoffnungsvolles Lächeln. Die Leute in seinem Alter nickten, berichteten ihm auch von dem atemberaubend Schönheit des Mannes, der an ihnen vorbei geeilt war und ihre Herzen einen Schlag aussetzen ließ. Er stürmte genau diesen Flur hier entlang und bog an der nächsten Gabelung rechts ab.
„Falls du ihn findet, würdest du ihm das hier geben und ihm ausrichten, dass er sich gern' jeder Zeit melden kann?"
Hart musste Jungkook schlucken, nickte dem blauäugigen Mädchen aber mit gerunzelter Stirn bestätigend zu, bevor er sich wieder in Bewegung setzte. Den Windzug an seiner Hand bemerkte er dabei nicht. Das andere Mädchen und der braunäugige Junge winkten ihm freudig nach. Von dem Vierten in der Runde fehlte jedoch jegliche Spur.
Unbeirrt trabte er weiter den Flur entlang und an der kommenden Weggabelung bog er ebenfalls rechts ab. Dieser Teil der Universität war bereits wie ausgestorben und keine Seele befand sich mehr auf den Gängen. Er kam an etlichen Spinden, Wasserspendern und Plakaten von anstehenden Veranstaltungen vorbei.
„Warum bist du hier denn hingerannt, Jimin?", murmelte der Student zu sich und schulterte die Tasche erneut, da sie ihm durch ihr Gewicht stetig davonrutschte.
Kia - durchgeschüttelt von all dem Gerüttel - hielt sich die Flügel vor das kleine Mäulchen. Ihm war ziemlich übel. Nur Jin wusste, was Jimin mit ihm tun würde, würde er die altertümlichen Bücher aus Minhos Buchsammlung beschmutzen.
Im Augenwinkel erkannte Jungkook ein blitzschnelles Huschen, als er in den nächsten langen Flur einbiegen wollte. Verwundert blieb er stehen wie angewurzelt und ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen. Ihm fiel zunächst nichts ausschlaggebendes auf, wollte er sich bereits wieder in Bewegung setzten, da hörte er ein Fluchen, dessen Stimme er erkannte. Das Gesprochene kam aus der Richtung der Toilettenräume, die es auf einigen Wenigen der Flure des Campuses gab. Mit gespitzten Ohren näherte er sich der Tür der Damentoiletten. Verwundert hielt er inne, als er die Klinke nach unten drücken wollte, doch die Tür öffnete sich nicht.
„Jimin? Bist du da drin? Alles in Ordnung?"
Das Geräusch, das Jungkook als Schritte und leichtes Gemurmel identifizieren konnte, verstummte augenblicklich. Besorgt klopfte der Student erneut an die Tür vor ihm und kaute dabei nervös auf seinen Lippen. Er hoffte wirklich, dass es sich bei der Person hinter der anderen Seite der Tür um den Silberschopf handelte. Für den Nervenzusammenbruch eines völlig Fremden hatte er nicht wirklich einen Nerv übrig. Jungkook war müde und erschöpft. Zusätzlich hatte er ziemlichen Hunger.
„Verschwinde!", kam es drohend von hinter der Tür. Die Stimme klang heiser, als hätte die Person dahinter geweint.
„H-Hast du geweint, Jimin? Geht es dir gut?"
Jungkooks Alarmglocken klingelten im Chor, als er raue und dumpfe Laute vernahm. Die Aktion des Professors hatte die Silberlocke hart und unverhofft getroffen.
„Tickst du noch ganz sauber?!"
Ruckartig öffnete sich die Tür und ein Jimin - mit vor Stolz geschwollener Brust - trat voller Anmut ins Freie. Seine Strähnen glänzten so stark wie noch nie und nichts deutete in seinen makellosen Gesicht darauf hin, dass er zuvor noch so einige Tränen verschenkte, noch, dass ihm tiefrotes Blut aus der Nase tropfte und in seiner Kleidung versickerte. Sein Kragen befand sich gerichtet um seinen Hals und seine feine Hand berührte - wie so oft - das rote Schmuckstück um seinen Hals.
„Mir geht es gut."
Der ernste Blick seines Gegenübers ließ Jungkook einige Schritte zurücktreten. Jimins Aura, die ihn wie einen düsteren Umhang umgab, schüchterte den Jungen ein. Noch immer besorgt, kämpfte er aber gegen das Gefühl in ihm an, das Weite zu suchen.
Um diese seltsame Situation ein wenig zu entschärfen, zog der Achtzehnjährige die Umhängetasche von seinen Schulter und überreichte sie dem Silberhaarigen, samt dessen kostbar ausschauender Jacke.
„H-hier... das hast du vergessen. Ich dacht.. du..." Eine ruckartige Bewegung seitens Jimin ließ den Menschen verstummen. Sein Gegenüber griff hastig nach seinen Habseligkeiten und drückte diese darauf fest an sich, den Blick gesenkt, wie auch die Augen geschlossen.
„Vater sei dank", murmelte Jimin, als er Kia Präsenz in der Tasche erspürte. Erleichterung ließ die Sorge von ihm abfallen. Diese Ausnahmesituation traf ihn wirklich so, dass er seinen treuen Begleiter mehr unfreiwillig zurücklassen musste. Er befürchtete schon, dass das Wesen aus Rachsucht auf diese Professor losgehen würde. Er kannte seinen kleinen Freund und traute ihm so einiges zu.
Der Junge wollte gerade nach dem Ring um seinen Finger greifen, den Jimin im Café zurückließ. Erschrocken griff Jungkook jedoch ins Leere. Hatte er ihn etwa zuhause vergessen? Er hatte ihn doch zuvor noch um seinen rechten Ringfinger. Wo konnte das Ding bloß sein?
Jimin bedankte sich mit einem schüchternen Lächeln bei dem Jungen, strich er sich dabei eine Strähne hinter das Ohr und schulterte anschließend seine Tasche, die Jacke behielt er in den Händen vor seinem Bauch, der noch immer schmerzte. Der Braunhaarige, den Jimins Charm einmal wieder um den Finger wickelte und ihn das Offensichtliche übersehen ließ, erwiderte mit einem Strahlen. Er mochte Jimin. Zusätzlich empfand er ihn als sehr anziehend.
„Wo müssen wir denn jetzt eigentlich hin?", erkundigte sich Jimin, als die beiden gemeinsam in Richtung der Gärten des Campuses liefen. Der Mensch folgte dem Reiter dabei wie ein verlorengegangenes Hündchen.
„Also, ich habe mein Soll für heute erledigt. Keine Ahnung, wie das für dich ausschaut."
Die Beiden erreichten eine gläserne Tür, die zu der Grünanlage des Geländes führte. Warmes Licht strahlte von außen herein und tauchte alles in ein angenehmes Orange. Er war bereits später Nachmittag.
„Dann gilt das wohl auch für mich", sprach Jimin, mehr an sich selbst gerichtet, als an den gutherzigen Jungen. Dieser nickte bloß unwissend, geblendet von dem Gefühl, welches in ihm auf und ab tänzelte, wenn er dem Silberschopf zu nahe kam. Zu dieser Zeit bemerkte er es jedoch noch kaum, da er Seokjins jüngsten Sohn noch nicht wirklich kannte.
„Weißt du... Jimin. Also... ich..."
Das Zwitschern eines rotbraunen Vogels brachte Jimin augenblicklich zum Stehen, was das Unvermeidbare nicht vermeiden ließ, dass der Größere der beiden in den skeptischen Silberschopf hereinließ. Erschrocken hob Jungkook seine Hände und trat einige Schritte zurück. Er entschuldigte sich dabei unentwegt, was Jimin leicht zum Schmunzeln brachte. Wären die Umstände anders gewesen, hätte der Hunger ziemlichen Spaß mit dem unschuldigen Jungen haben können.
Da die Realität jedoch ein hinterhältiger Verräter war, musste der Reiter pflichtbewusst handeln. Und nur Gott wusste, wie sehr er es hasste.
Ein unverkennbares Zwitschern kam von dem altbekannten Tier, dessen Flügelspitzen so reinweiß waren, wie der Schnee. Jimin betrachtete das Tier biss dabei mit stetigen wachsendem Druck die Zähne zusammen. Er wollte wirklich wissen, was das Tier hier in seiner Nähe zu Suchen hatte. Das bedrohliche Knurren Kias bestätigte seinen Verdacht.
,,Weißt du, Jimin, ich kann dir etwas Nachhilfe geben, wenn du möchtest. Das macht mir nichts aus."
Verlegen kratzte sich der Junge am Hinterkopf und lächelte den Kleineren freundlichen zu. Der Silberschopf wollte bereits protestieren, da kam ihn ein grandioser Einfall, der seinen Vater mit Stolz erfüllen würde.
Lieblich schenkte Jimin dem Jungen ein Kichern, was dessen Wangen sich knall rot färben ließ. In seinem Bauch schwirrten lauter Schmetterlinge und er füllte sich so glücklich wie noch nie. Dieses Kichern empfand er als absolut magisch.
„Das würdest du für mich tun? Du bist mein Held!"
Die rosige Fassade wurde innerlich von einem grässlich höhnisch Grinsen, das die mächtigen Schneidezähne der Bestie zum Vorschein brachte, gestützt. Jimins Plan lief besser als zuvor gedacht.
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