Kapitel 21
„Wir sind schneller als du dich versiehst, wieder zuhause. Vertrau mir."
Seine Lippen waren gespitzt, als er gleichgültig den Blick über die anliegenden Regale gleiten ließ. Von literarischen Wälzern bis Broschüren für den gestressten Studenten, es war in der Bibliothek der Universität beinahe alles verfügbar. Jimins schwarz lackierte Fingernägel - eine Kurzschlussreaktion seinerseits - tippelten zusätzlich ungeduldig auf dem massiven Holz der Theke, hinter dem eine kleine und unbedeutenden Angestellte - in den richtenden und selektierenden Augen des jungen Hungers - fleißig arbeitete. Sie war für das katalogisieren aller Bücher hier zuständig. Ein Knochenjob würde ein Außenstehender feststellen, nicht aber der silberhaarige Sohn des Todes.
„So, Liebes. Falls dir im Laufe doch noch ein Buch fehlen mag, scheu dich nicht, wiederzukommen."
Ihre Augen nahmen die Form von schmalen Strichen an, als sie dem angeblich neuen Studenten ein herzliches Lächeln schenkte, ihm innerlich auch viel Erfolg in all seinen vermeintlich bevorstehenden Klausuren wünschte. Der Angesprochene erwiderte die liebliche Geste ebenfalls, sodass sich seine bemerkenswert pinken Lippen zu einem verlegenen Schmunzeln verzogen. Selbst seine Wangen färbten sich zart rosa.
„Dort vorne findest du auch unsere Computer, um dich bei dem lokalen Server anzumelden, damit du uns hier auch erfolgreich vorankommst", säuselte die Frau, völlig benebelt von dem Charm, der alle Reiter umgab, ihnen die Menschen sich zu Füßen legen ließ.
Verbeugend wandte sich der Jüngste ab, die schweren Bücher in seinen Armen und bemüht, die Last nicht fallen zu lassen.
So findet er sich einige Zeit später mit der aktuellen und mehr als verrückten Technik der modernen Welt konfrontiert. Skeptisch begutachtete er die Tastatur, die er ansatzweise noch aus seiner Kindheit kannte, der flache Bildschirm war ihm da schon mehr suspekt. Es ist nicht, dass Jimin solche Technik nicht im Geringsten kannte. Nein. All seine vergangenen, wohlhabenden Opfer/Mahle verfügten über solche Geräte in Hülle und Fülle. Hatte es ihn aber nie genug gereizt, etwas von seiner kostbaren Ewigkeit dafür zu verschwenden.
„Du schaust etwas verloren aus, darf man dir helfen, Schönheit?"
Ein junger Mann, einer von vielen, mit rot gefärbten Haaren, einem Piercing mal hier und mal dort, lugte von hinter dem Pc-Bildschirm auf den Blasshäutigen herab. Schüchtern strich sich Jimin eine verirrte Strähne hinter das Ohr, darauf bedacht, seinem Gegenübers für diese Tändelei zu entlohnen.
Der jüngste Reiter war hungrig und sein Verlangen bitzelte ihm unter den lackierten Fingernägeln. Dieses unwissende Häppchen kam ihm da gerade recht.
„Ich... weiß nicht so ganz", begann er, die Wangen erneut rosig vor gespieltem Scham. Seinen Blick dementsprechend gesenkt, biss er sich auf die vollen Lippen. „ -aber du darfst es gerne versuchen."
Ein Siegerlächeln legte sich auf dem Gesicht des Rothaarigen nieder, als er sich zügig neben den Jungen gesellte, der sein Interesse geweckt hatte. Diese zierliche, kleinliche und hilflose Schönheit, die er noch nie zuvor auf dem Campus erblickte, ließ ihn beinahe alles stehen und liegen. Er hatte nur Augen für ihn, stieß er selbst den Kaffeebecher seiner Sitznachbarin um, die die Nase tief in einem Gesetzbuch hatte.
Das zukünftige Häppchen fragte nach Jimins Namen, der diesen nach einigen Anläufen auch über die Lippen bekam, die Fassade des schüchternen Jungen aufrecht erhaltend. Dieser ließ den unwissenden Menschen einfach machen, klimperte ab und an mit den verboten langen Wimpern und ließ das ein oder andere falsche Kompliment über seine Zunge tanzen. Dass es den Sohn des Todes innerlich beinahe den Magen auf links drehte, konnte der Fremde aber nicht wissen.
„Hätte ich gewusst, dass es hier so.. also so jemanden wie dich hier gibt, wäre ich früher her gekommen", log die Silberlocke in einem süßlichen Ton.
„Das kann ich nur zurückgeben. Nur, sag mal, Ji..." Ein Magenknurren unterbrach den Rotschopf, der währenddessen seine Finger in einem beachtlichen Tempo über die Tastatur fliegen ließ.
Die Augen Jimins weiteten sich und nun trat die wahre Röte vor Scham auf seine Wangen. Er hatte Hunger, unbeschreiblich Hunger. Trotz dessen, dass er einen Heidenspaß mit seinem kleinen Spielzeug am Abend zu vor hatte, fühlte sich sein Magen so leer an, wie schon seit Jahren nicht mehr. Zu Beginn verdrängte er noch das Empfinden, was er in so vielen unwissenden Menschen hervorrief und diese damit in den Wahnsinn trieb. Nun selbst wieder davon befallen zu sein, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Auch wenn keines mehr in ihnen weilte.
„Da hat ja jemand anscheinend hunger! Kann ich dir eine Kleinigkeit ausgeben? Es wäre mir eine Ehre", gluckste der Rothaarige, ein laszives Lächeln auf dem Gesicht tragend, sodass man seinen silbernen Eckzahn deutlich erkennen konnte. Dieses Angebot kam dem entgeisterten Jimin gerade recht. So erwiderte er das Verziehen der Lippen, zeigte Zähne und seine wahren Augen, sodass ihm das Häppchen hörig wurde.
Das Knurren blieb ein einmaliger Fauxpas, doch gefolgt davon, setzte sich ein altbekanntes Brennen an den Magenwänden des jungen Reiters fest. Während das Schwarz begann seine Augäpfel zu dominieren und sein ahnungsloses Opfer in eine Art Trance fiel, aus der es kein Entrinnen gab, legte der Hunger seine Handfläche auf seinen schmerzenden Bauch. Er fühlte nichts.
„Warte vor meinem Apartment auf mich. Bewahre Schweigen, kreuze keinen Blick. Ach ja, gib Acht auf meine Bücher."
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Der Campus war wirklich größer als gedacht, bemerkte Jimin, als er versuchte, an das andere Ende zu gelangen. Überhörte er bei einem Gespräch von zwei plappernden Studentinnen, dass sich auf dem Gelände auch eine Obstwiese befand, die die Studenten hier selbst hegten und pflegten. Eigentlich erwartete den Hunger nun eine Vorlesung, die Jungkook ebenso besuchen würde, doch verspürte der Silberhaarige nicht den Drang, sein ganzen Vorhaben zu überstürzen. Dass sein eigener Hunger sich nicht legte, lag bestimmt bloß an dem bedeutungslosen Happen am Abend zuvor.
‚An dem war bereits sowieso schon nichts dran', beschwichtigte der Jüngste sein Gewissen, rieb sich dennoch dabei über den brennenden Bauch.
„Jetzt mach' aber mal halblang!"
Entrüstet hielt Jimin in seiner Bewegung inne, kam dabei vor der gesundblühenden Wiese zum Stehen. Bienchen, Schmetterlinge und anderes Viehzeug flatterte munter umher und ging seinen Aufgaben nach.
Ein Wesen, was jedoch nicht seiner Pflicht und Aufgabe als untergebenes Begleittier erfüllte, hing nun mürrisch vor der Brust der Silberlocke und funkelte ihn durch Knopfaugen an. Kia war mit dem halbherzigen und sorglosen Verhalten seines Herren so gar nicht einverstanden und ließ ihn das auch wissen.
Das eigentliche Reittier Jimins dekoriert als eine hübsche kleine Fledermaus, die mit Rüschen verzierte Bluse auf dessen Brust. Kia krallte sich mit seinen winzigen Pranken an der Kette des Medallions fest, welches sich stets um das Genick des Reiters befand.
„Ich gehe hier gar nichts unbedacht an", verteidigte sich Jimin vehement, als er sich unter einem großen Apfelbau niederließ und sich an die schroffe Rinde des Stammes lehnte. Die mächtige Baumkrone schützte ihn vor den grellen Sonnenstrahlen, die sich heute einmal zeigten. Sogleich schlug er auch das Buch auf, das er seinem zukünftigen Häppchen nicht mit in die Hände drückte.
In großen Buchstaben standen die Worte ‚Grundlagen der Architektur' auf dem Umschlag geschrieben. Das schien Jimins Interessen dann wohl doch etwas angeregt zu haben. Neugierig überflog er die Zeilen der ersten Paar Seiten, bis eine kleine dunkle Kreatur sich demonstrativ auf das Papier setzte, die Flügelchen verschränkt.
„Kia, Schatz. Das Jahr ist noch lange. Wir müssen nicht gleich wie eine Axt im Wald über diesen Jungen herfallen", beschwichtige er chancenlos und erntete darauf bloß ein verächtliches Schnauben.
„Ich muss mir meine Kraft eben etwas einteilen, du ungeduldiger Lederlappen." Die Fledermaus verrollte bloß unbeeindruckt due Augen.
Leidig atmete Jimins aus, nahm seinen Gefährten auf die Hand, das Buch dabei noch immer aufgeschlagen auf dem Schoß habend. Er legte den Kopf etwas schief, nun ein herzliches Lächeln auf den Lippen tragend, um die Sorge aus dem winzigen Körper des Tieres verschwinden zu lassen. Die Furcht Kias war unbegründet, dachte Jimin.
„Hör mal, Liebling. Wenn ich nun schon zum großen Schlag aushole - und du kennst mich - ich dann verfehle, wie sollen wir beide dann über das gesamte Jahr kommen. Ich kann nicht alle meine Kraft aus diesen unbedeutenden Happen ziehen. Du kennst das Spiel doch."
Zärtlich strich er mit den Finger über das kleine Köpfchen seines Begleiters.
Kia war noch immer nicht zufrieden, nicht im Geringsten. Vor allem nicht in Angesicht mit der Tatsache, dass sein Herr vor einigen Momenten noch unnötigerweise etwas seine Kraft verschwendete, um einen unbedeutenden Menschen zu verführen.
Es gab zu dieser Zeit wichtigeres, als den Abend mit so einem Taugenichts zu verbringen, um vielleicht einen Hauch an Macht zurückzuerlangen.
„Ich weiß wie ich das Fressen zu handhaben habe, Kia. Ich mach' das schon länger als zwei Tage, wie du weißt", fügte der Silberhaarige noch hinzu, bedacht das Gespräch nun zu beenden, da ihm dieses Buch über Architektur weitaus interessanter erschien.
Kaum hatte er aber die Fledermaus wieder an ihren Platz an seiner Brust befördert, fiel der Schatten eines Vogels auf die Seiten seines Buches nieder.
Seine Federn waren in einem glänzenden Kupfer und nur deren Enden schienen wie in weiße Farbe getaucht. Er zwitscherte etwas, worüber Jimin nur die Stirn in Falten legte. Auch schlug das Tier zügig mit den Flügeln, bevor es schweigend davon flatterte. Die Augen den Hungers verfolgten es, dessen Lust am Lesen so verflogen ist, wie der kupferne Vogel.
„Wie gesagt, lasst mich tun. Ich habe noch so einige Asse im Ärmel", sprach Jimin, das Wort an den dösenden Kia gerichtet.
Der Reiter erhob sich und trat aus dem Schatten den Baumes hervor. Er mag zwar nicht wirklich zum Lesen gekommen sein, dennoch waren bereits einige Zeit ins Land gestrichen und die Sonne stand oben am Himmel, bereit sich langsam auf den Weg hinter den Horizont zu machen.
Kehrte nach einiger Zeit auch das Knurren seines Magens zurück. So beschloss Jimin sich kurzerhand in sein Apartment zurückzuziehen, den jungen Mann, der dort bereits auf ihn wartete, auf Herz und Nieren zu prüfen.
Mit der einen Hand auf der Brust, um das eingeschlummerte Wesen vor dem Fallen zu bewahren, und mit der anderen das Buch haltend, schlenderte Seokjins jüngster Sohn zurück, vorbei an betrunkenen Studenten und übermüdeten Professoren, die die Flure der Nebengebäude füllten. Er schlängelte sich unbemerkt an jedem vorbei. Das Klacken seiner Absatzschuhe verhallten in all dem Geplauder. Jimin kam auch an dem Café vorbei, in dem er das letzte Mal etwas Kraft erlangte. Hungrig schaute er im Vorbeigehen in den gutbesuchten Laden. Er hörte die Leute euphorisch quatschen und Lachen. Ein süßlicher Duft von Backwaren lag in der Luft, wie auch...
Jimin blieb skeptisch stehen, sodass beinahe ein gutgebauter Mann in ihn hineinlief. Fluchend umging er die Silberlocke und verschwand ohne weiteres in der Menge.
Der Hunger hob das Kinn, Kia nun schlussendlich doch auf dem Arm tragend.
„Dämon", sprach er, als dieser unverkennliche Geruch seine Sinne in Alarmbereitschaft setzten. Dieses Jahr konnte noch ziemlich spannend werden.
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