Kapitel 20
Weit waren seine Augen aufgerissenen, da die verruchten Gedanken ihn an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln ließen.
War er wirklich so einfach gestrickt?
Verloren starrte der braunhaarige Student ununterbrochen auf zur blanken Zimmerdecke, die Hände lagen gefaltet auf seinem Bauch. Ein zarter Windhauch von draußen flüchtete von dem gekippten Fenster aus, durch den von goldgelbem Licht durchfluteten Raum. Kaum hörbar, waren Stimmen von der Außenwelt zu vernehmen. Sie unterhielten sich über Belangloses, arteten aber ab und an Gelächter aus, als sie zu dieser Uhrzeit über die Gehwege trotteten. Sie befanden sich auf Universitätsgelände, also war der Alkohol nicht weit.
Warmes Licht der Nachttischlampe, die für die gemütliche Atmosphäre verantwortlich war, sollte Jungkook eigentlich Frieden und Geborgenheit spenden. Er nahm das alles aber gar nicht wahr. Seine Aufmerksamkeit galt gedanklich jemand anderem. Und er schämte sich abgrundtief dafür.
„Hätte ich erwidern sollen? Man verschenkt doch einen Kuss nicht grundlos... und wir kennen uns doch gar nicht."
Während sein Körper unter einer dicken Deckenschicht verborgen lag, nebenbei hoffend in naher Zukunft in das Land der Träume abzutauchen, kreisten seine Gedanken nur um eine einzige Person. Sie hielten ihn um diese gottlose Uhrzeit noch immer wach. Ihm wurde heiß und kalt, als stünde er mit der Erkältung bereits Auge in Auge. Wenn es derartiges bloß wäre.
„Himmel... das kann doch nicht wahr sein", stöhnte er genervt auf und wälzte sich auf die Seite, die Beine nun angezogen und den Kopf auf seinem Arm abgelegt. Er wollte wirklich nur noch schlafen, für einen Moment Ruhe finden, aber alles drehte sich um diesen
unerwarteten Kuss. Er spukte in seinem Verstand umher, wie ein wildgewordenes Tier. Als diese begehrenswert vollen Lippen des eigentlich ihm fremden Silberhaarigen auf seine trafen, setzte Jungkooks Verstand für einen Augenblick aus. Unzählige kleine Blitze schossen durch seine Adern, so fühlte er sich dabei. Dieser Moment hielt zwar bloß für einen Bruchteil an, doch schien sich der Jüngere fast darin zu verlieren. Er empfand viel mehr, als gut für ihn war.
Diesmal verließ ein genervtes Seufzten seine Kehle. Er drehte sich dabei auf seine andere Seite, die Beine dabei fest aneinander gepresst. Die Bettdecke raschelte und schlang sich immer enger um seinen momentan so empfindlichen Körper. Er kannte diesen etwas kühlen, jungen und äußerst attraktiven Mann doch gar nicht. Durch seine Schusseligkeit war er geradewegs in den Unbekannten gestolpert. Mehr war da nicht.
„Vielleicht war es ja Schicks.... Ach red' nicht so einen Stuss...", ermahnte er seine Fantasien und schob den Kopf unter seine weiches Federkernkissen. Würde es nach ihm gehen, wäre er am liebsten in seiner Matratze versunken. Doch der elegant Gekleidete hatte sich in seinen Verstand eingebrannt und damit musste der Junge nun, ob er wollte oder nicht, zurechtkommen.
„Was hatte dieser Kuss denn eigentlich zu bedeuten?", nuschelte er von unter dem Kissen.
Nicht wissend, wo ihm der Kopf stand, rollte sich Jungkook nun wieder auf seinem Rücken, den Blick erneut starr an die Zimmerdecke gerichtet. Seine Bettdecke hing mittlerweile wie eine verwehte Flagge halb auf dem blanken Fußboden, entblößte dabei seinen gesamten Unterleib. Er wagte es gar nicht an sich herabzuschauen, denn das altbekannte Kribbeln in seiner Lendengegend offenbarte ihm, was er sich bereits dachte. Und er trieb ihm die Röte auf die Wangen.
„Ich hab' ihn nichtmal nach seinem Studiengang gefragt. Hatte ich wirklich wieder nur das Eine im Sinn? Gott, bin ich so dämlich."
Schon fast schluchzend fuhr er sich durch das von Augenringen gezeichnete Gesicht. So kannte er sich gar nicht, derart verhielt er sich doch sonst auch nicht. Er wollte es immer langsam angehen. Bei dem Fremden mit dem beeindruckenden silbernen Haaren war es jedoch anders. Durch Jungkooks Adern floss reine gier nach weiteren Küssen dieses Jungen und mehr. Viel mehr.
Ein Piepsen klang kaum Hörbar durch das Schlafzimmer, in welchen Jungkook mit seinem Körper und dem Einschlafen rang. Aufgrund seiner immer lauter werdenden Gedanken und seiner Abscheu gegen sich selbst, bemerkte er nicht das kleine, unscheinbare Tierchen, das ihn von Minute eins an beobachtete. Musste sie sich ab und an wirklich zügeln, über sein Fluchen und Plappern nicht zu kichern. Sie, Fell so dunkel wie die Schale einer Kastanie, wusste jedoch, was sie tat und hielt sich beinahe gänzlich schweigend im schutzspendenden Schatten des Zimmers auf. Der Mensch durfte sie keines Wegs zu Gesicht bekommen, ihr Herr wäre außer sich. Die kleinen runden Äuglein, die alles beobachteten und jede kleinste Regung des Braunhaarigen mit Skepsis verfolgten, hatten aber nun genug gesehen, beschloss die falsche Maus, nachdem ihr Zielobjekt endlich zur Ruhe kam. Es war Zeit wieder zurückzukehren. Zurück zu ihrem Herren und Meister. Sie arbeitete für niemand geringeres, als für den Hunger. Dieser hatte sie losgeschickt, dessen Beute zu beschatten. Jimin überließ nichts dem Zufallen. Sein Triumph war bereits so sicher, wie das heuchlerische Amen in der Kirche.
Die kleine Maus hatte sich zu Beginn des Abends, zwischen Milben und Staubballen, die größer als sie selbst waren, niedergelassen. Von unter dem Nachttisch aus konnte sie dem Gemurmel des Jungen hervorragend lauschen, sodass er sie keinesfalls entdecken konnte. Nachdem sie sich mit ihren kleinen Pfoten über das Schäuzchen fuhr, um sich etwas zu putzen, machte sie sich auf. Leises Schnarchen war von unter der warmen Bettdecke mit Wolfsmotiven aus zu vernehmen. Der Mensch musste wohl endlich in das Reich der Träume gefallen sein. Es fiel nicht auf, als der geheime Gast das Heim des Jungen verließ, noch als sie sich zuvor einschlich. Die Mäuschen war eben wie ein kleiner Schatten.
Zwischen unzähligen Türspalten hindurchzwängend, war sie auf ihrem Weg zurück. Hoffentlich würde in keinem der Räume eine hungrige Katze auf sie lauern. Doch prinzipiell brauchte sie sich nicht fürchten. Sie war der Gefährte eines Reiters. Sie brauchte sich vor gar nichts fürchten.
,,Mein Engel... Darf ich nächste Woche wieder... also."
Der erhobene Finger, um den sich ein kostbar funkelnder Ring befand, brachte den unwichtigen Studenten zum Schweigen. Dieser war gerade dabei seine Unterwäsche und Kleidung wieder an Ort und Stelle zu bringen, wo sie ordnungsgemäß hingehörte. Er hatte die Augenblicke zuvor einen der intensivsten Abende, den er je erleben durfte. Seine Gliedmaßen und die darunter liegenden Muskeln brannten, wie die Flammen, die den Alltag der Hölle am Laufen hielten. Er wollte diese Momente unbedingt wiederholen. Seine Gier nach dem zierlich blassen Fremden mit den silbernen Haaren, war kaum zu stillen.
Provokant leckte sich Jimin über die leicht geschwollenen Lippen, linste von dem Buch in seinen Händen auf, traf direkt in die vor Hunger glänzenden Augen seines unbedeutenden Zeitvertreibs, dessen lockiges dunkles Haar ihm in das schmale Gesicht fiel.
„Ich würde mir einen harmloseren Zeitvertreib suchen, wenn ich du wäre. Ich, mein Lieber, will dich hier nicht mehr sehen."
Ein erhabenes Lächeln überschattete die kalte Miene des jüngsten Reiters, die einen Schauer über die noch teils entblößte Haut des Häppchens jagte. Er deutete dabei auf seinen von bunten Malen gezeichneten Hals, der dem seines Gegenübers wie eine Kopie glich.
Jimins Stimme wurde noch immer von etwas verzogen, was der junge Mann als reine Lust interpretierte, doch der Hunger hatte so viel anderes im Sinne. Ein einfacher Mensch konnte sich das nicht vorstellen. Wie auch?
Wieder die Nase in dem Buch versenkt, saß der befriedigte Hunger an den Bettkopf zwischen seinen Kissen und Decken, laß konzentriert diesen jahrhundertealten Wälzer aus der Hölle. Die weichste Bettdecke hatte er sich bis über seinen Unterleib gezogen, der bei jeder kleinsten Bewegung noch immer etwas ziepte. Das gehörte eben dazu.
In dem Buch, das er aus der Bibliothek seines Vaters hatte mitgehen lassen, standen bis ins kleinste die Lehren, die ihm Seokjin im ersten Jahr seines Lebens als Tsunas Nachfolger beibrachte. Es erzählte von all dem Bösen, dass in Menschen hauste, von ihren Eigenarten, Schwächen und wie man sich diese am besten nutze. Nicht selten Griff der Silberhaarige auf die Hilfen der überlieferten Schriften seiner Schwester zurück. Sie war eine Göttin im Bereich ihrer von Hunger und Leid gezeichneten Taten. Entspannt blätterte er die Seiten um, die er schon als höllisches Kind überflog.
"Du warst ein Genie... Warum nur bist du schlussendlich doch gescheitert?"
Jimin fuhr mit den Fingern über das Geschriebene, während er sich an das erinnerte, was ihm seine Brüder und Vater über die letzte Hungersnot berichteten. Nicht viel, wenn er so darüber nachdachte.
„Dieser Junge ist doch ein völliger Idiot. Oder übersehe ich hier etwas?"
Jimin hob seinen Kopf aus den Zeilen der Überlieferungen Tsunas und sah zu dem kleinen Tierchen am Ende seines Bettes. Er schenkte ihm ein liebevolles Lächeln und reichte ihm darauf die knochige Hand.
„Ich habe mich schon gefragt, wo du bleibst, mein Herz."
Kia gähnte und wandelte sich nun Stück für Stück. Er legte seine knuffige Gestalt als Maus nieder, um schlussendlich seinen Meister durch die Augen eines kraftvollen Wolfes zu mustern. Auch schüttelte er sich kurz, sodass das Collier um seinen Hals klimperte. Die Rubine funkelten im Licht der Nachttischlampe.
„Und? Was hast du so zu berichten", erkundigte sich Kias Herr, legte das Buch neben sich zur Seite und klopfte anschließend auf den freien Platz an seiner Seite. Der dunkelrotfarbene Vierbeiner kam langsam auf Jimin zu und schmiegte sich an dessen Seite. Ein Platz, den er sich nach diesem Tag mehr als nur verdient hatte.
„Aish... pass' bitte auf", zischte Jimin und verzog das Gesicht, als sein Gefährte den Kopf auf seinem Schoß ablegte. Sie wechselten darauf alles sagende Blicke.
„So, jetzt erzähl mir mal, wie dieser Mensch so einschlafen konnte. Ich kann es mir zwar vorstellen, doch man weiß ja nie."
Der Reiter kraulte seinem Gefährten im Wolfspelz belohnend hinter dem Ohr.
Ein Schnauben entfuhr dem Tier und es blickte mit seinen goldfarbenen Augen zu seinem Herren auf.
„Wie es mir gedacht habe. Dieser Junge ist doch zu einfach", antwortete Jimin und verrollte doch etwas überrascht die Augen.
Sein Vorhaben geschah wirklich, wie dem Buch entsprungen. Der jüngste Reiter wusste genau, dass er den Jungen nicht einfach so unter die Erde bringen konnte. Das war bereits alles bedacht. Jungkooks reine Seele stand ihm zuerst im Weg. Diese musste er zuerst brechen. Und wie es scheint, begann dessen Unschuld bereits zu bröckeln.
„Geben wir ihm sieben Tage, dann gehorcht er wie die Vollstrecker dem Teufel. Der Junge wird mir freiwillig in die Hölle folgen, ohne dass ich mir die Hände groß schmutzig machen muss!", verkündete er und konnte seine Freude, in Form eines breiten Grinsens, kaum bändigen.
„Vater und Joon werden so stolz sein, und Tae... Ja, Tae wird es aus seinen verschmutzten Schuhen hauen, wenn er sie mittlerweile nicht doch verloren hat."
Seinen zerstreuten älteren Bruder kannte er nur zu gut, es wäre nicht das erste Mal, dass dieser seine Schuhe auf seinen Reisen verlegte.
Besonders angetan von den Gedanken seines Herren, schien Kia nicht. Skeptisch musterte er ihn, die Ohren dabei angelegt.
"Ach schau mich doch nicht so an, mein Herz", entgegnete Jimin seinem Wolf, strich ihm zuversichtlich über das seidige Fell.
Kia schien jedoch nicht ansatzweise überzeugt von den Worten und winselte gequält, was der Hunger mit einem Kopfschütteln quittierte.
„Wir sind schneller als du dich versiehst, wieder zuhause. Vertrau mir."
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