Kapitel 17

Lesenacht - 2/3

Die Schlüssel im Schloss rasselten, als die Tür zu schlug. Ein schwermütiges Seufzen entkam dem bedröppelten Jungen. Sein leicht zerzaustes Haar kitzelte ihm im Gesicht, als er sich auf der Couch niederließ und den Kopf in den Nacken legte. Den ganzen Morgen versuchte er bereits den Blonden zu erreichen, selbst eine Nachricht von dessen Schwester hätte ihn beruhigt. Vergeblich.
Die vergangene Zeit meinte es wirklich nicht gut mit ihm, musste er seufzend feststellen.
Es sind nun bereits einige Tage vergangen, doch der Schock steckte dem Studenten noch tief in den Knochen, selbst Albträume plagten ihn und es schien kein Ende zu nehmen.
Aufgrund dessen und den unzähligen Gedanken, die Jungkook durch den Kopf schossen, beschloss er einen Tag dem Trubel des Studiums fernzubleiben. Er fühlte sich so ausgelaugt, wie schon seit langem nicht mehr.
Es war erst früher Vormittag und er wäre am liebsten jetzt schon unter seiner warmen Bettdecke verschwunden, um erst dann wieder zum Vorschein zu kommen, wenn die Welt etwas gnädiger zu ihm sein würde.

Der, für den blonden Jungen gekaufte Blumenstrauß, legte er von seiner Brust neben sich auf den gläsernen Couchtisch. Er führte ihn wie ein Relikt bei sich. Das Geschenk der duftenden Pflänzchen wirkte leider nicht mehr so schön, wie zuvor. Wann immer Jungkook den Blonden im naheliegende Krankenhaus aufsuchte, umklammerte er die Stängel, wie ein Elternteil die Hand ihres Kindes. Die gelben Blumen verloren jedoch von Besuch zu Besuch mehr Blüten, was den Studenten regelrecht bedrückte. Er zog förmlich eine Spur von gelben Blättern hinter sich her, als er das von Stille durchflutete Krankenzimmer samt Blumenstrauß verließ. Jungkook konnte die Blumen nicht bei dem Blonden lassen, wie es dessen anderen Freunde, Bekannte und Verehrer taten. Er fühlte sich mit seinem Geschenk nicht willkommen. Keiner wusste von dem, was zwischen den beiden jungen Männern lief. So wurde einzig der Strauß mit den fallenden Blüten zu seinem stetigen Begleiter.

„Es tut mir leid, Mr. Jeon, doch die Familie ihres Mitstudenten hat uns die Nachricht übermitteln, dass seine weitere Behandlung in einem Krankenhaus nahe seines Zuhauses weitergeführt wird. Er ist nicht mehr da."

Noch immer konnte er diese Tatsache nicht verarbeiten. Der Schock saß tief, als er an diesem Tag das letzte Mal das Krankenhaus aufsuchte, um dem Blonden beizustehen, dieser seit seinem Zusammenbruch die Lieder nicht mehr aufgeschlagen hat. Er sah aus, als würde er bloß schlafen und jeden Moment wieder erwachen. Zu Jungkooks Bedauern, war dem aber nicht so.

Stark musste der Braunhaarige gähnen. Schuld waren seine Gedankengänge über die vergangenen Tage, die ihn schlussendlich immer zu dem Blonden führten. Ob es daran lag, dass er diesen Jungen wirklich gut leiden konnte? Womöglich sogar zu gut. Der Jüngere genoss den unerwarteten Kuss mehr als ihm bewusst war. Wie oft ertappte er sich dabei, weiter zu denken, als das, was geschehen war?
Darüber dachte er lieber nicht nach.
Träge kratze er sich am Hinterkopf und richtet sich ein Stück auf, um seiner zu bequemen Position zu entfliehen. Es war ja schließlich noch zu früh, um zu schlafen.
„Ich muss irgendwie auf andere Gedanken kommen", seufzte er und schaltete beiläufig, schon beinahe unbewusst, den Fernseher an.
Erst als er sich auf den Weg zur Küche machte, merkte er erst wie hungrig er doch war. Sein Magen war schon fast schmerzhaft leer.
Die Idee tat sich ihm auf, wenn er aß, ginge es ihm vielleicht ein Wenig besser.
Man sagte sich nicht umsonst 'Bei leeren Magen sind alle Übel doppelt schwer.'
Geschwind nahm er sich darauf Eier und Pfanne zur Hand, um anschließend den Herd einzuschalten. 'Sehr provisorisch dieses Essen', spaßte er beiläufig, doch man nahm sich eben was man hatte. Er konnte es schlecht wieder soweit kommen lassen, wie vor einigen Jahren.

Kräftig zischt es in dem erhitzten Metall, nachdem er die Eierschalen aufgebrochen hatte und den Inhalt hineinleerte. Möglichst konzentriert briet er die, sich langsam verfestigende, Flüssigkeit und starrte doch gedankenverloren in die weiß-gelbe Masse. Geschickt würzte er die Spiegeleier, nachdem er mit ihrer Konsistenz zufrieden war, doch bemerkt er schnell, dass es das Kochen nicht
schaffte seine Gedanken von den letzten Ereignissen loszureißen.

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lange ich darauf schon warte, Jk~"

Moch immer spürte Jungkook das sachte Kribbeln auf seinen rosanen Lippen. Er merkte nicht einmal, wie unbewusst seine Hand zu ihnen wanderte, um sanft über sie zu streichen. Der Augenblick war magisch und das Gefühl hatte ihm sehr gefallen. Er müsste
lügen, würde er das Gegenteil behaupten. Die Wärme, die er in jenem Augenblick erhielt, genauso wie die Geborgenheit, die er empfand, ließen sein Herz höher schlagen.
Viel zu gern würde er diese Berührung noch einmal spüren. „Reiß dich zusammen, Jeon."
Hastig schüttelte er den Kopf, als ob er diese Erinnerung bekämpfen wollen würde. Das zwischen den Beiden hätte sowieso nie funktioniert, gestand er sich ein, doch sein Herz sang ein anderes Lied.

Gekonnt platzierte er das fertige Gericht auf einen Teller, die Pfanne ließ er sorglos auf der Platte stehen und zuletzt kramte er aus einer der vielen Schubladen noch das benötigte Besteck hervor.
Entspannt, mit dem Teller in der Hand, verzog er sich wieder zum Fernseher. Ein wenig Ablenkung durch sinnlose Serien, war nun genau das Richtige. Schwer wie ein Stein, ließ sich er sich in die weichen Kissen der Couch plumpsen. Seine Mundwinkel zuckten kurz nach oben, als er auf dem unglaublichen weichen Polster lag.
Nachdem es die letzten Reste seines Essens vom Teller geschabt hatte und diesen auf dem gläsernen Tisch zu seiner Rechten abstellte, glitt sein Blick von dem langsam zwischen Eisschollen verschwindenden Drachen auf seinem Fernseher, zu der kleinen Kommode unweit von dem Flackern des Bildschirms entfernt. Auf dem alten Holzschränkchen befanden sich neben einer dekorativen Figur auch mehrer Bildrahmen. Sie zeigten Fotos von den ihm am wichtigsten Personen, wie seine Eltern, Großeltern und eine Frau mit auffällig silberfarbenen Haaren. Sein Kindermädchen.

„Kummer dich um dich. Reicht schon, dass du da bist."

Seine Augen verfingen sich mit den ihren, trotz der aufkommenden Erinnerung in seinem Kopf, die ihm wie gedanklich einen kleinen Tritt verpasste. Es war aber nur eine Fotografie, doch es fühlte sich so an, als würde sie bis in das Innere seiner Seele starren. Doch hatte er nur noch so wenig Erinnerungen an, er war ja schließlich erst um die acht Jahre, als sie auf ihm Acht gab.

„Verschwinde, bevor er dich auch noch holt."

Ein frostiger Schauer durchfuhr den Körper des jungen Manns. Der gleiche Schauer, der ihm und dem Blonden über die Haut kroch, als Jungkook sich nach ihm erkundigte, schauen wollte, ob es ihm gut ging. Sein Grübeln blieb an der geistähnlichen Person haften, die, nachdem der Blondschopf sein Bewusstsein verlor, in den Hauptraum des Apartments trat. Seine farblose Haut, die eng um seine knochige Statur gespannt schien, verstörte Jungkook beinahe noch mehr, als die Tatsache, wer diese Person war oder herkam.
In diesem Moment kreiste Jungkooks Sorge aber nur um den Bewusstlosen und schaltete sein anderes Empfinden völlig aus. Doch im Nachhinein?

„Seine Augen...", murmelte der Braunhaarige, als er die Fotografie seines Kindermädchens weiterbetrachtete und an das Schwarz in den Augen des Fremden dachte. Keiner glaubte dem damals sieben oder acht Jährigen Jungkook, als er von den rabenschwarzen Augen seines Kindermädchens sprach. Er selbst redete sich in den darauffolgenden Jahren seinen Irrtum ein, doch dieser Fremde, er war äußerlich der jungen Dame zum Verwechseln ähnlich.
Jungkook fiel förmlich aus allen Wolken im Unglauben über seine Entdeckung. Diese Übereinstimmung konnte kein Zufall sein und wenn doch, dann der verstörendsten überhaupt.
„Bilde ich mir das wieder nur ein? Das kann doch nicht sein?", grübelte er.
Vielleicht irrte er sich ja wirklich, doch glauben an einen solchen Zufall tat er nicht, so naiv war der Junge nicht. Nicht mehr.

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Gelangweilt zog Yoongi die Decke etwas höher, um sich damit etwas warmzuhalten. Er vermisste die Wärme, die in seinem eigentlichen Zuhause herrschte. Nahe des Fegefeuers zu hausen, hatte eben stets den Vorteil, nie ins Frieren zu verfallen.
Er saß entspannt vor seinem Karmin, in dem die Flammen langsam hin und her tanzten. Als sie jedoch zu schwächeln begannen, tastete er nach den unzähligen Briefe auf dem kleinen Tisch zu seiner Linken. Er nahm die Erstbesten zur Hand, drehte und wendete sie, überflog schnell den Namen, der in edler Schrift auf dem Umschlag stand und warf sie darauf in die Flammen. Der Namen des Absenders, der wie gewohnt der Selbe war, wurde langsam von dem Feuer zerfressen. Wenn der Teufel bloß wüsste. Das leuchtende Rot im Kamin hatte Yoomgi förmlich dazu eingeladen, das unnütze Papier zu vernichten. Es war auch nicht das erste Mal, dass er Jacksons Nachrichten einfach ignorierte.

Mit einer Tasse heißer Schokolade in der Hand ließ der Dämon seinen Abend ausklingen, und wie immer wanderte sein Blick zu dem Bild auf dem Kaminsims. Wie all die Male zuvor fragte er sich, ob es dem Jungen gut ginge, welcher auf diesem abgelichtet war. Die Sorge um ihn war ermüdend. Sie plagte ihn beinahe täglich. Um seinen erschöpften Körper endlich die verdiente Ruhe zu gönnen, schloss er seine müden Lider in der Hoffnung, in das Reich der Träume zu fallen. Das wäre dem Dämonen auch nicht sonderlich schwer gefallen, durch dieses warme Licht und die wohlige Hitze, doch wurde sein zuckersüßer Plan zunichte gemacht. Die Hitze wurde urplötzlich immer stärker, sodass der Schwarzhaarige gezwungen war, seine Lider wieder zu öffnen. Die Wärme glich der, die er aus der unteren Ebene der Hölle so sehr vermisste.

Überrascht blickte Yoomgi in das Feuer, welches bis eben noch warmrot schien, jetzt aber in einem giftgrün brannte. Inmitten der Flammen bildete sich Stück für Stück das wütende Gesicht eines alten Bekannten des Höllenwesens.

„Wieso ignorierst du mich?"

Ohne sich groß um Formalitäten Sorgen zu machen, wurde Yoongi sein Vergehen von einem erzürnten, aber die Nerven behaltenden Jackson, vorgehalten. Als Frage waren die Worte nicht gemeint, viel mehr als Feststellung, denn sein Untergebener machte nicht den Anschein, als wüsste er nicht, worum es ginge. 

„Ich bin wirklich enttäuscht. Du warst einst mein bester Vollstrecker, Yoongi", klagte der König der Hölle und schnaubte, sodass die grünen Flammen dem ertappten Dämonen entgegen sprangen.
„Ich bin vielseitig beschäftigt." Gleichgültig, dass seine kleine Missetat aufgedeckt wurde, antwortete er seinem Herrscher. Dennoch, mit einem Augenrollen symbolisierte Jackson seinen Unglauben.

„Lüg mich nicht an, du faules Stück. Ich weiß, dass dein letztes Opfer bereits seit vergangener Woche im Fegefeuer brennt. Halte mich ruhig für uninteressiert, aber nicht für dumm!"

Die Tatsache, dass Jackson von allem wusste, was in seinem Reich passierte, es ihn aber in den meisten Fällen nicht kümmerte, vor allem nicht, was sein geschätzter Vollstrecker veranstaltete, bot Yoongi zuvor einen anständigen Spielraum. Anscheinend hatte es nun aber zu nahe am Feuer gespielt.

„Gut! Auf frischer Tat ertappt. Ich hatte keine Lust."

Die Wahrheit vermittelte er so unverfroren, dass sie beinahe respektlos war.
Dies gefiel Satan ganz und gar nicht. Yoongi hatte zu gehorchen, er vergaß wohl mit wem er zu dem Zeitpunkt sprach.

„Zügele deine Zunge, Dämon!"

Nach dem Machtwort, das Jackson sprach, erschien sein markantes Grinsen auf seinen Lippen. Es war von reiner Schadenfreude durchzogen, denn allein der Gedanke daran Yoongi dieser Feuerprobe auszusetzen, war furchtbar unterhaltsam.

Genervt stöhnte der Dämon aus und stellte seine kalte Tasse Kakao auf den Tisch zu seiner Rechten. Ihm war die Lust auf alles gerade vergangen, doch sein Herr war dabei ihm eine neue Aufgabe aufzuerlegen. Wie Yoongi diesen dunklen Engel doch manchmal hasste.

„Hör zu, alter Freund. Da ist so ein Kind. Ziemlich perfekt und scheußlich gutherzig. Du müsstest ihn kennen. Hab' ein Augen für mich auf ihn."

Ein wenig aufmerksamer hob die erschöpfte Gestalt eine Braue. Er wusste genau, von wem der Herr der Hölle sprach.
Die Hände auf dem Schoß gefaltet, blickte Yoongi in die hinterhältig funkelnden Augen Jacksons, der nur darauf gewartet hatte.
Dem Dämon, der in der Zeit des viktorianischen Zeitalters gefunden hatte, biss sich auf die Lippe. Bitterkeit stieg in ihm auf, denn sein Herr wählte ihn nicht ohne Grund für dieses Spiel an. Nach all den Jahren war es wohl endlich so weit.

„Jeon Jungkook wird sich freuen."

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