8.Kapitel
8.Kapitel
Langsam öffnete ich die Augen. Ich hatte es nicht bemerkt, doch eine salzige Träne rollte über meine Wange. Alex' Hand streifte meine weiche Haut und wischte sie weg. Er schenkte mir sein warmes Lächeln und ich erwiderte es. Peinlich berührt senkte ich den Kopf und setzte mich in Bewegung. Er folgte mir.
Schweigend gingen wir zu Fuß ein gutes Stück Richtung Innenstadt. Ich liebte diesen Ort. Ich ging hier gerne spazieren, wenn das Wetter mitspielte. Am Vormittag, wenn alle arbeiteten, war es der perfekte Zeitpunkt, um es sich am Heldenplatz gemütlich zu machen und die Nationalbibliothek in ihrer Pracht zu betrachten. Dann Richtung Stephansplatz gehen und später bei dem guten Eisgeschäft auf der Rotenturmstraße ein Frozen-Joghurt holen.
Ich wusste nicht mehr wann, doch irgendwann hatte Alex unauffällig nachmeiner Hand gegriffen. Die Wärme seiner Hand drang durch meine Handschuhe undgab mir ein Gefühl von Geborgenheit. In dem Moment vergaß ich all meine Trauerund Sorgen. Eigentlich war das, was wir machten, falsch. Doch es fühlte sichrichtig an.
---
Die Zeit verging, wie der Wind wehte. In den, für meine Wahrnehmung, wenigen Stunden erzählte er mir von sich. Über seine Arbeit und sein Leben. Ich merkte, dass er nicht alles sagte. Warum denn auch? Wir kannten einander schließlich nicht so gut, dass wir all unsere Geheimnisse schon am ersten Tag einander offenbarten. Doch jetzt wusste ich, dass der Laden nur ein Nebenjob war. Er gehörte ihm nicht, sondern einer anderen Person, und sie wechselten hin und wieder. Er arbeitete drei Mal die Woche als Pfleger in einem Altersheim. Das hätte ich ihm so gar nicht angesehen. Er kam mir eher wie ein Frauenheld vor. Er war sehr offen und lustig. An Humor fehlte ihm nichts. Außerdem wohnte er mit seinem Mitbewohner, Georg, in einer Wohnung im fünfzehnten Bezirk.
Ich erzählte ihm von meinem Kunststudium, das ich mit meiner besten Freundin berufsbegleitend besuchte. Von meinen Kaninchen und von meiner Mama, Chris ließ ich jedoch aus. Mir fiel noch ein, dass ich noch für die bevorstehende Prüfung lernen musste.
Bald schlug es Mitternacht. Unauffällig sah ich auf meine Uhr. Es war wirklich schon Mitternacht. Wenn ich noch die letzte U-Bahn erwischen wollte, musste ich mich bald auf den Weg machen, denn unter der Woche fuhren sie nicht über Nacht und den ganzen Weg zurückgehen wollte ich nicht.
Wir blickten zurück und sahen den Weg, den wir zurückgelegt hatten. Wer hätte gedacht, dass wir so weit gegangen waren, ohne es zu merken? Mittlerweile standen wir vor dem Mozarthaus hinter dem Stephansdom. Nicht viele wussten, dass man das Haus auch von einer Nebenstraße erreichen konnte. Die meisten Menschen gingen den offensichtlichen Weg. Wir standen auf der leeren Seitengasse und sahen einander in die Augen. Der Abend gefiel mir mehr als ich erwartet hatte. Meine Wut war nicht mehr vorhanden und Freude hatte ihren Platz eingenommen.
„Hier stehen wir nun!", sagte er ruhig.
„Ja", entgegnete ich und lächelte leicht.
Seine Augen leuchteten in der Dunkelheit. Hatte er genau so wie ich den Abend genossen? Was, wenn ich ihm jetzt nicht mehr gefiel? Was, wenn ich etwas Falsches gesagt und seine Meinung über mich geändert hatte?
Verlegen blickte ich in Alex' Augen. Er sah mich amüsiert an und lächelte. Als wüsste er, was für ein Schlamassel sich gerade in meinem Kopf befände.
„Ähm, ich muss dann bald leider los, wenn ich noch die letzte U-Bahn erwischen will." Eigentlich wollte ich nicht, doch ich musste. „Ich schaue geschwind im Handy nach, wann die wegfährt."
„Ja, klar."
Er steckte die Hände in seine Hosentaschen und senkte seinen Blick auf den Boden.
Ich wollte ihn nicht warten lassen, also holte ich mein Handy rasch aus der Tasche und suchte die U-Bahn-App, die einem sagte, wann jede Linie fuhr.
„Ach, herrjeh! Gerade ist eine weggefahren. Die nächste fährt in zwanzig Minuten."
„Soll ich dich zum Bahnsteig begleiten?", fragte er besorgt.
„Ich komm' schon klar, aber danke." Es war schon sehr spät und ich wollte nicht, dass er dann meinetwegen mit dem Taxi heimfahren musste. „Wie fährst du eigentlich heim?"
„Ich gehe etwas zu Fuß und fahre dann mit dem Nachtbus heim. Etwas mehr Abendluft ist nicht schlecht", meinte er und wirkte fröhlich.
Von hier aus würden wir dann beide unseren Heimweg antreten.
Langsam näherte er sich mir und legte seine Hand auf meine Wange. Sie war warm. Das beruhigte mich. Ich beobachtete seine Gesichtszüge, wusste jedoch nicht, was in seinem Kopf vorging. Seine Augen gaben nichts preis. Schließlich senkte er den Kopf und legte seine weichen Lippen auf die meinen. Ich schloss die Augen und genoss diesen Augenblick. Er öffnete leicht den Mund und eine angenehme Wärme überkam mich. Innerlich schauderte ich, doch ich hörte nicht auf. Ich begann ihn intensiver zu küssen, doch plötzlich überkamen mich Zweifel. Das war nicht richtig. Ich hatte einen Freund und versuchte ihn die ganze Zeit irgendwo in meinen Hinterkopf zu stecken.
Sofort brach ich den Kuss ab. Irritiert sah mich Alex an, nicht wissend, ob er etwas falsch gemacht hatte. Seine Lippen waren rötlich und seine Lungen suchten nach Luft. Ich entfernte mich von ihm und verdeckte mein Gesicht mit den Händen.
„Was tun wir denn hier?"
„Was meinst du?"
Verständnislos stand er vor mir und sah mich an.
„Was machen wir hier, Alex? Ich habe einen Freund. Das ist nicht richtig."
Nachdem ich diese Sätze gesagt hatte, bereute ich sie alle. Dieser Moment war unendlich schön und ich hatte ihn ruiniert.
„Ach, und das fällt dir erst jetzt auf, oder wie?" Er wurde wütend. Ich sah seine Hände Fäuste ballen. „Ich fühle mich jetzt voll verarscht."
„Alex, warte!"
Er hatte sich schon in Bewegung gesetzt und ging weg.
„Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass es dazu kommt. Ich weiß nicht, was ich sagen soll."
Ich hätte nicht mit ihm ausgehen sollen. Was dachte ich mir eigentlich dabei? Ich betrog Chris und mich selbst. Warum machte ich mir was vor? Das konnte nicht funktionieren.
Mittlerweile war er wieder auf mich zugekommen und stand vor mir, ganz nah. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut.
„Du brauchst gar nichts zu sagen, Klara. Höre einfach deinem Herzen zu. Was sagt es? Du wolltest den Kuss doch genauso sehr, wie ich ihn wollte. Gib's zu."
Er sah mich flehend an. Seine Nasenspitze kitzelte meine.
„Ich..."
Ich zögerte. Ich wusste nicht, was mein Herz sagte. Es sagte nur „Bumbum, bumbum, bumbum." und das verstand ich leider nicht.
„Alex, ich...", mir stockte der Atem. Ich brachte keine Worte rüber.
„Ich verstehe. Vielleicht war das hier wirklich keine gute Idee. Ich habe dich um eine Chance gebeten und ich dachte, du wüsstest, was du willst."
Enttäuscht näherte er den Kopf ein letztes Mal, schloss die Augen und wartete. Seine Augenlider zuckten. Ich wollte ihn küssen, doch das würde die ganze Situation jetzt noch verwirrender machen. Flüchtig drehte er sich wieder um. Er würdigte mich noch eines Blickes und sagte, „Dann haben wir uns nichts mehr zu sagen", und ging.
Ich stand wie angewurzelt da und wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte. Ich sah Alex zu, wie er immer kleiner und kleiner wurde, bis er irgendwann aus meinem Sichtfeld verschwand. Langsam kam ich zu mir und setzte mich in Bewegung. Ich musste ihn finden. Es durfte nicht so aufhören. So sollte es nicht enden. Ich lief und mein Atem wurde schneller. Die U-Bahn war ganz vergessen. Ich stand vor dem Stephansdom, doch er war nirgendwo zu sehen. Ich schmeckte Salz. Verzweifelt stand ich da und merkte nicht, dass ich weinte. Der Wind stand still. Es war nichts zu hören. Alles war still und er war weg.
Von der Ferne hörte ich ganz verschwommen eine Gruppe von betrunkenen jungen Männern, die mit Alkoholflaschen in der Hand unverständliche Worte redeten, laut lachten und mit wackeligen Schritten gingen.
„Hey Süße! Man, hascht du einen geilen Arsch."
Einer pfiff in meine Richtung. Ich versuchte sie zu ignorieren, diese Aussage und seine betrunkene Stimme. Mir wurde kalt. Ich verfluchte, dass ich heute meinen Schal vergessen hatte.
Die Gruppe näherte sich mir. Ich war die einzige Person, die um diese Uhrzeit mitten in der Woche hier am Platz stand. Was für eine Verliererin. Und ich dachte, der Tag würde schön enden. Mit Schneeflocken in der Luft und warmen Händen.
Die Leute tuschelten miteinander und lachten auf einmal ganz laut auf. Ich wusste nicht, warum ich noch dastand. Insgeheim wünschte ich mir, Alex würde wieder auftauchen. Insgeheim wartete ich auf ihn.
„Komm mal her, Hübsche!", sagte ein anderer.
Einer der Jungs kam schwankend in meine Richtung. Ich hätte in diesem Augenblick gehen sollen. Schließlich konnte ich ihnen leicht aus dem Weg gehen und mich in Sicherheit bringen. Doch ich stand starr da und sah, wie er auf mich zukam. Sein Gestank war nicht zu überriechen. Als hätte er seit Wochen nicht geduscht.
Seine Whiskeyflasche war fast leer. Wie konnte man so viel von dem Zeug trinken? Der junge Mann schaute zwischen mir und seiner Flasche hin und her, dann grinste er und kam auf mich zu. Die anderen lachten immer lauter und sprangen energisch hin und her. Mich hätte eigentlich Panik überkommen sollen, doch meine Gedanken waren woanders. Als hätte sich meine Sicht verdunkelt und meine Ohren sich mit Watte gefüllt.
Er murmelte unverständliche Worte, hob dann die Hand mit der Flasche und ging auf mich los. Ich brauchte eine Sekunde, um zu verstehen, was los war, auch, wenn mir das hätte früher auffallen sollen. Ich versuchte mich panisch zu befreien, schaffte es nicht, denn ein anderer kam, packte mich am Arm und zog mich in seine Richtung.
Lautes Lachen. Übler Gestank. Schmerzen.
Verzweifelt versuchte ich meinen Arm loszukriegen, doch sein Griff war zu stark und ich zu schwach. Der erste, mit der Flasche, schlug mich am Rücken und ich war froh, eine dicke Jacke anzuhaben. Jedoch hielt sie die Schmerzen nicht auf.
Plötzlich hörte ich Glas brechen und als ich mich umdrehte, sah ich ihnmit der zerbrochenen Whiskeyflasche auf mein Gesicht losgehen und das Einzige,was ich noch wusste, war, dass mir schwarz vor Augen wurde.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top