THUNDERSTRUCK

[Valerie]

Seufzend füllte ich die Notfallberichte aus und legte sie sortiert zu den anderen in die blaue Ablage.

Ich legte die Stirn in die Hände und betrachtete durch die Abstände meiner Finger die vielen unterschiedlichen Patientenakten, die sich nur so stapelten, während ich mich mit den Ellenbogen abstützte.

Um mich herum herrschte wie immer das geschäftige Treiben der Notaufnahme.
Der schwache, dennoch kalte, Luftzug der geöffneten Türen ließ mich schaudern und für einen Moment blendete ich die unverständlichen Gesprächsfetzen aus und versuchte mich kurz zu entspannen.

Zwei Schwestern liefen schnellen Schrittes an der blütenweißen Kanzel vorbei und wehten den beißenden Geruch des Desinfektionsmittel auf, von dem ich blinzeln musste.

Erschöpft schaute ich auf die digitale Uhr, die mir gegenüber an der Wand angebracht war.

Es war fast vier Uhr nachmittags. Heute war es für die Zeit des angebrochenen Nachmittags ziemlich ruhig, was ich ziemlich begrüßte.
Genau genommen war ich heil froh, dass ich mich heute nicht mit den Ärzten um die einkommenden Patienten kümmern durfte, sondern erleichtert, dass ich wenigstens nicht den ganzen Tag auf den Beinen sein musste.
Ich wollte es zwar nicht zugeben, aber die Begegnung mit den FBI Agents hatte mich mehr beunruhigt, als sie eigentlich sollte, denn ich hatte nichts Illegales getan.
Die ganze Nacht lag ich wach und malte mir Szenarien aus, in denen ich wegen Amtsbehinderung verhaftet wurde, mich jemand wegen den Informationen bedrohen würde oder ich meinen Job wegen der Verletzung des Arztgeheimes verlieren würde.
Insgeheim hatte ich heute Morgen erwartet, dass mein Chef mich zu sich rufen würde und mir die Kündigungsapiere überreichen würde.
Dazu kam noch der Streit mit Connor, den ich noch immer nicht aus der Welt geschafft hatte und mir deswegen schwer im Magen lag.
Wir waren jetzt schon seit drei Jahren glücklich zusammen und vor drei Wochen hatte ich ihn dabei erwischt, wie er seine Assistentin leidenschaftlich geküsst hatte.
Ich wollte ihn an seinem Arbeitsplatz überraschen, doch fand ihn daraufhin mit der asiatischen Schönheit auf dem Schoß auf dem kleinen Sofa, das in seinem Büro stand.
Er hatte sie natürlich sofort von sich weggestoßen, war mir hinterhergerannt und hatte sich unentwegt bei mir entschuldigt, doch ich hatte nur versucht dieses schreckliche Gefühl des Verrats und die Tränen zu unterdrücken und hatte ihn für unbestimmte Zeit aus meiner Wohnung geworfen.
Ich hatte mir einen Erklärungsversuch angehört, in dem er mir versicherte, dass es nur das eine Mal vorgekommen sei, er sie versetzen hat lassen und es nie wieder vorkommen würde.
Da wir uns wegen dieser Angelegenheit getroffen hatten, konnte ich die ehrliche Reue und Aufrichtigkeit in seinen Augen erkennen und überlegte mir, ob ich ihm tatsächlich vergeben konnte.
Connor und ich hatten uns in einem kleinen Café kennengelernt, in dem er damals als Barista gearbeitet hatte, um sein Studium als Architekt zu finanzieren. Er hatte mir versehentlich mein bestelltes Wasserglas über meinen Schoß verschüttet und mich als Entschuldigung auf ein Bier eingeladen.

Für mich hatten Männer wie Connor schon immer als unerreichbar gegolten.
Er hatte wunderschönes, kräftiges karamellbraunes Haar mit Naturlocken, die ich bei mir nicht einmal nach Stunden mit meinem Lockenstab und dutzenden Anleitungen aus dem Internet zustande bekam und himmelblaue Augen, bei denen jede Frau dahinschmelzen würde.
Connor war gebildet, humorvoll, teilte die gleiche ungesunde Vorliebe für Süßigkeiten wie ich und wir beide waren absolute Fans von Serien und Filmen.
Manchmal fragte ich mich, ob es alles nur ein Traum war, wenn wir uns um halb eins nachts versprachen nur noch eine Folge von Arrow anzusehen und er einen Arm um mich legte wenn ich mich näher an ihn kuschelte.
Wie er mich morgens liebevoll küsste, obwohl ich wie eine Vogelscheuche aussah.

Kurz gesagt: Ich hatte nur darauf gewartet, dass so etwas passieren würde.

,,Valerie!" Eine raue Stimme zusammen mit einem nachdrücklichen Schlag mit der Hand auf den Tresen holten mich augenblicklich in die Realität zurück und ließ mich vor Schreck mit dem Kopf auf den flachen, weißen Tisch knallen.
,,Was zum...", merklich entrüstet richtete ich mich auf.
Lloyd stand vor mir, merklich angesäuert.
,,Die Akten stapeln sich nur und du machst ein kurzes Schläfchen? Das kannst du machen, wenn du Pause hast."
Ich hatte großen Respekt vor Lloyd. Was er alles schon geleistet hatte, wie gerecht er war. Und obwohl er so etwas wie ein Freund war, konnte ich ihn manchmal nicht ausstehen.
,,Ich habe nur kurz meine Augen geschlossen", sagte ich bockig und nahm zwei Akten aus dem Fach und übergab sie ihm.
Sofort schlug er sie auf und brachte sich auf den neuesten Stand zu dem Gesundheitszustand der Patientin.
Danach drückte er sie mir wieder in die Hand und gab mir mit seiner Hand zu zeigen, dass ich ihn begleiten soll.

,,Was ich dich noch fragen wollte: Was hast du dir eigentlich dabei gedacht mit deinem Patienten von Vorgestern zu flirten?", fragte er ungläubig.
Jetzt reichte es mir!
,,Zum Hundertsten Mal. Ich habe es nicht getan! Weiß Gott, was die alte Tratschtante Steve gesagt hat, oder was andere Ärzte oder Schwestern mitbekommen haben, aber ich bin professionell geblieben! Du weißt, dass ich die Letzte bin, die sich nicht an die Vorschriften hält! Soll ich es ausrufen lassen, damit es auch der Letzte kapiert?" Ich versuchte ruhig zu sprechen, doch heraus kam nur ein schrilles Zischen.
Wenn mich das nochmal jemand fragt, würde ich körperlich aggressiv werden. Ich wusste nicht warum gerade Michael so viel Aufruhe mit sich brachte. Sogar noch Tage danach. Warum nicht jemand anderes? Es war ja nicht so, als ob er anders, als andere Menschen war.
,,Ich weiß, dass du bemüht bist, dich an die Vorschriften zu halten. Ich wollte nur sichergehen, dass das Geschwätz nicht wahr ist." Kurz, dennoch durchdringend, blickte er mich an und klopft dann an eine Tür, nur um sich dann Zutritt zu beschaffen.

Eine dunkelblonde Frau, noch umgeben von einem Notfallassistenten, saß still auf einer Pritsche und blickte auf nur eine einzige Stelle im Raum, ohne zu blinzeln.
Wow, das war gruselig.
Ich konnte erkennen, dass die Jeans ihres linken Unterschenkel voll mit Blut durchtränkt war, von der Verletzung an ihrem Bein. Doch sie schien keinerlei Schmerzen zu haben.
Sie erinnerte mich ein bisschen an eine abgehalfterte Version von Sarah Connor aus Terminator von 1984, die sich in eine heftige Folge von The Walking Dead verirrt hatte.
Striemen waren überall an ihrem Körper verteilt. Sämtliche Krazer, die zum Teil verheilt waren oder noch bluteten, zierten ihr verschmutztes Gesicht. Sowie die Blätter, die sich in ihren Haaren verfangen hatten. Das graue, langärmlige Shirt und die Jeans waren zerrissen.
Was war mit ihr nur geschehen?
Mich schüttelte es.
,,Was ist passiert?", fragte Lloyd den Notarzt nebenbei, während er anfing die Patientin zu untersuchen. Er holte seine kleine längliche Taschenlampe aus der Tasche seines Arztkittels und prüfte, ob die Pupillenreflexe noch funktionierten.
Als er nickte, notierte ich es.
,,Wir wissen es nicht. Ein Passant hat uns gerufen und er hat uns gesagt, sie wäre gerade aus dem Wald gekommen."
Das könnte zu den kleinen Striemen auf ihrem Gesicht passen. Es könnten Äste gewesen sein, die ihr beim Rennen in Gesicht gepeitscht sein könnten.
,,Wir wissen nicht wie sie heißt oder woher sie kommt. Sie hat kein einziges Wort gesagt. Sie hat keine Reaktionen auf unser Ansprechen gezeigt."
,,War sie die ganze Zeit ruhig, oder hat sie Widerstand geleistet?", fragte ich und schaute von meinem Blatt auf. Beim Klang meiner Stimme richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf mich und ich konnte sehen wie sie ihr fahlen, weißen Lippen in ein höhnisches Grinsen verzog.
,,Nein, sie war..."

Auf einmal ging es ganz schnell.

Schneller als ich sehen konnte, sprang sie von der Pritsche auf. Ich schrie auf, als sie mit einer unmenschlichen Kraft den Notarzt von sich stieß, wobei er mit einem unschönen Geräusch mit dem Kopf an die Wand fiel und ohnmächtig liegen blieb.
Adrenalin pumpte durch meine Venen, als ich Lloyd am Arm panisch packte.
Lloyd versuchte mich zu schützen, indem er mich hinter sich schob, doch die Blondine schubste ihn beiseite, als wäre er nur ein lästiges Insekt.
Ich hörte es knacken und Lloyd aufstöhnen. Ich wollte sofort auf ihn zu rennen, doch die Frau versperrte mir den Weg.

Oh mein Gott!

Ich wusste zwar, wie ich mich selbst verteidigen konnte, doch ich war wie paralysiert und wich wie ein verängstigtes Reh vor einem Wolf zurück. Das Blut rauschte in meinen Ohren als ich mich nach einer Waffe umsah.
,,Ich habe von dir gehört, wir haben von dir gehört.
Aber ich kann nicht glauben, dass du besonders sein sollst. Das du seine Aufmerksamkeit erhalten hast", sprach sie mit rauer Stimme.
Breitbeinig und mit durchgedrücktem Rücken stand sie vor mir.
,,Vielleicht gefällt es ihm neuerdings mit Menschen zu spielen."
Ihr Blick war glasig und es spiegelte sich der pure Wahnsinn in ihm.
Sie kam mit einem boshaften Grinsen auf ihren aufgeplatzten Lippen auf mich zu, und kicherte vor sich ihn.
Dabei murmelte sie undeutliche Laute und beobachtete mich eingehend.

Ich war so eingeschüchtert, dass ich vergaß nach Hilfe zu schreien, oder auch nur ,,Hilfe" sagen konnte. Ich konnte nur panisch vor ihr zurückweichen. Tränen schossen mir in die Augen, doch nicht weil ich traurig war.
Ich hatte Angst um mein Leben.
,,Du bist es doch gar nicht Wert, oder doch?", gackerte der Sarah-Connor-Verschnitt verrückt und drängte mich in eine Ecke neben einem Fenster.
Ich konnte keinen Gegenstand finden mit dem ich mich verteidigen konnte, wenn ich nicht gerade McGyver war.
Doch ich glaubte, dass selbst McGyver sich nicht mit Holzstäbchen und Watte retten konnte.

Als ich mit dem Rücken an die Wand stieß keuchte ich ängstlich auf und versuchte ihr zu entkommen, doch stattdessen drückte sie mir ihren Unterarm schmerzhaft gegen Kehle.
Kleine scharfe Überreste, die sie an ihrem Shirt hängen hatte drückten sich nun in meine Haut.

Ich versuchte mich von ihr wegzudrehen, doch damit machte ich es nur schlimmer, sodass ich schrill stöhnen musste.
Heilige Scheiße!
Ihr Gesicht war nicht mehr zwanzig Zentimeter von meinem entfernt. Angsterfüllt drückte ich meinen Kopf an die Wand, um Abstand zwischen uns zu schaffen.

,,Warum bist du ihm so wichtig, dass er dich nicht getötet hat? Er ist doch ein Gott, was ist so Besonders an dir?", dachte sie laut nach.
Anscheinend war das keine rhetorische Frage, denn sie drückte nachdrücklich ihren Arm noch fester auf meinen Hals.
,,Ich... Ich weiß nicht... was du meinst", japste ich verängstigt und einige Tränen lösen sich aus meinem Augenwinkel.
Sie zog mit ihrer freien Hand fasziniert einige Strähnen aus meinem Zopf und drehte sie in Locken, bevor sie sich vorbeugte und an mir roch.
,,Obwohl... Du riechst nach frischer Erlösung. Süßer Erlösung. Aber Gnade ist es nicht", flüsterte sie heiser mit einer Spur von Ehrfurcht in ihrer Stimmfarbe.
Ich versuchte mich aus ihrem stählenden Griff zu lösen, doch sie kicherte nur und begann meinen Hals zu küssen.
Ich spürte wie Galle sich auf den Weg nach oben suchte, als sie die Haut hinter meinem Ohr küsste.
,,Und du schmeckst nach leichter Vollkommenheit. Ich spüre das Blut in deinen Adern, wie mein ganzes Wesen danach lechzt.
Aber er wäre wahrscheinlich traurig, wenn du tot bist."
Ja, primär wäre ich auch traurig, wenn ich tot wäre.

Ich konnte aus meinem Augenwinkel sehen, wie sie mit ihrem Schneidezahn über meine Halsschlagader fuhr und einen langen, schmerzhaften Kratzer hinterließ.
Ich kniff die Augen zu und stieß ein Wimmern aus, dass sie zum Kichern brachte.
Dann hielt sie inne und schaute mir unverwunden in die Augen. Ich konnte in ihren Augen den gleichen Wahnsinn erkennen, der auch in den Augen des Messerstechers geglitzert hatte.

Anschließend tat sie etwas mit dem ich nie gerechnet hatte.
Sie legte ihren Kopf in den Nacken und lachte aus vollem Halse.
Ihr Lachen hörte sich an, als ob jemand mit dem Fingernagel über eine Tafel kratzte.
Und sie beließ es dabei auch nicht.
Das Lachen verwandelte sich in grelles Schreien, dass lauter als ein Presslufthammer war.
Sie war so mit ihrem krankhaften Gelächter beschäftigt, dass ich glaubte mich von ihr zu befreien.
Ich war selbst kein Fan von Gewalt, verabscheute sie. Doch nun musste ich über meinen Schatten springen, um mich zu befreien.
Ich schloss die Augen, weil ich mir selbst nicht dabei zuschauen wollte, was ich nun tat.

Ich nutzte den Überraschungsmoment und mein anatomisches Wissen um dort zuzudrücken, wo es wehtat.
Stürmisch legte ich meine Daumen aggressiv auf ihre Augenlider und drückte mit all meiner Kraft zu. Dabei rammte ich meine Nägel in ihre Haut und verbot mir nachzugeben.
Mir wurde übel, als ich den gelartigen Glaskörper eindrückte und ein leises Knirschen hörte.
Sie krisch nun ohrenbetäubend vor Schmerzen und nahm ihren Arm von meinem Hals.

Ich riss meine Hände von ihrem Gesicht und stieß sie zu Boden, bevor sie mich schnappte.
Ich würgte, als ich Blut an meinen Fingern sah.
Aber ich ließ mich deswegen nicht beirren.
Später könnte ich mich solange ich wollte übergeben.

Meine neu gewonnene Freiheit ermöglichte es mir einige tiefe Atemzüge zu schnappen, als ich zu sah, wie sie sich krümmte.
Ich dachte es wäre vorbei, als ich das Wimmern hörte, dass sie von sich gab.
Allerdings wurde ich eines Besserem belehrt.
Wie eine Furie rappelte sie sich auf und ging auf mich los. Mit Wutverzerrten Lippen und den blutigen Augen sah sie aus wie ein Monster aus meinen schlimmsten Alpträumen.
Ich hob blitzschnell meine Arme vor mein Gesicht und drehte mich zur Seite, darauf wartend, dass sie mir wortwörtlich die Augen auskratzen würde.

Doch als ihr Angriff nicht kam öffnete ich meine Augen und nahm langsam die Arme hinunter.
Der verfluchte Sicherheitsdienst war hier, zusammen mit einem Arzt, der eine Beruhigungsspritze in der Hand hielt.
Vier Mann waren nötig um die Blondine festzuhalten, die wieder angefangen hatte irre zu Lachen und sich mit all ihrer Macht wehrte.
Ich sah laut aufatmend zu wie sie ihre blutverschmierten Augen verdrehte und mich lauthals anschrie: ,,Du bist nicht mal ganz menschlich, du Miststück! Du bist das perfekte..."

Dann erlosch der pure Wahnsinn abrupt und sie erschlaffte in den Armen der Wärter.

-

Wie hat euch das Kapitel gefallen?
War es zu heftig oder noch Okay?

Was sagt ihr dazu, dass Valerie nicht ganz menschlich sein soll? Und was sie sein könnte?

Bis zum Nächsten Mal ^^

~ liebliche

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