22. Kapitel

Noch immer konnte ich gar nicht so richtig begreifen, wie schnell die Umgebung an uns vorbeiflog und dabei sogar zwischenzeitlich vor meinen Augen zu verschwimmen schien. Doch das lag nicht an dem Wind, der mir schon fast all meine Luft aus meinen Lungen zu nehmen schien und den ich am liebsten trotzdem nie wieder in meinem Leben missen wollte, da ich wusste, dass solange ich ihn spüren würde ich immer bei ihr sein würde. Viel mehr lag es an Feder selbst, mit der ich all das hier und noch so viel mehr erleben durfte, obwohl ich das Gefühl hatte die Tragweite dessen noch immer nicht richtig erfassen zu können.

Es war erst gestern gewesen, dass Feder mir gezeigt hatte was es eigentlich bedeutete Frei zu sein, doch ich fragte mich schon jetzt wie ich es jemals ohne dieses Gefühl hatte aushalten können.

Das war auch der Grund gewesen, warum ich gestern erst nach Hause gekommen war, als allein das Licht der Mondes und der tausend Sterne die Nacht erleuchtet hatten. Mit einem vollkommen eingerissenem und dreckigen Kleid und einer nicht mehr zu erkennenden Frisur aber mit einem Strahlen in meinen Augen von dem ich erst als ich mich genau so im Spiegel gemustert hatte, merkte wie sehr es mir gefehlt hatte.

Aber vielleicht bemerkte man manchmal erst, dass einem etwas fehlte, wenn man die Chance dazu bekam, genau das auszuprobieren.

Für einen Moment schloss ich meine Augen und bemerkte erst Sekunden später wie wahr meine Worte waren, denn genauso war es bei mir gewesen. Ich hatte nie bemerkt wie sehr mir das Reiten gefehlt hatte, was ich im Nachhinein damit begründete, dass ich es mir die ganze Zeit über insgeheim und wenn überhaupt nur mit Feder hatte vorstellen können. Sobald ich bei ihr sein durfte war ich jedoch wunschlos glücklich gewesen und hatte mir einfach gar nichts besseres vorstellen können, bis sie mir die Chance dazu gegeben hatte es auszuprobieren.

Nur jetzt konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen ohne ihren schnellen Galopp leben zu können, denn die gemeinsamen Sekunden in der wir die Welt auf dieselbe Art und Weise, aber doch ganz anders als früher erkunden konnten, hatten eine riesige Lücke in meinem Herzen gefüllt, von der ich noch nicht mal gewusst hatte, dass sie existierte.

Einen Moment ließ ich noch die Sonne, die hoch am Himmel stand auf mein Gesicht und meine geschlossenen Lieder fallen und hörte auf Feders rasenden Hufschlag, doch dann öffnete ich sie wieder.

Nicht, weil ich ihr nicht vertraute, sondern weil ich wieder das sehen wollte, was sie mit gerade alles zeigte.

Obwohl ich mein Ballkleid bestimmt nie wieder würde anziehen können, hatte ich es wieder in meinen Kleiderschrank gehängt, genauso wie es gewesen war, denn es war eine Erinnerung für mich. Zum einem an meine Eltern, die es mir als eines der letzten Geschenke geschenkt hatten und besonders an meine Mutter, die es gemeinsam mit mir gekauft hatte, aber auch an das einfach unbeschreiblich wunderbare, dass ich gestern mit Feder hatte erleben dürfen.

Bei dem Gedanken daran nahm ich meine Hände aus Feders Mähne, die ich ohnehin nur locker zwischen meinen Fingern hielt und strich ihr ein paar Mal über den Hals. Auch wenn ich nicht beschreiben konnte wieso schien es für mich das einfachste der ganzen Welt zu sein ihren schnellen Galopp zu sitzen und es fühlte sich nicht an als würde Feder über all die unebenen Felder und Wege rennen, sondern als würden wir gemeinsam fliegen.

Von der großen Wiese, auf der wir schon gestern gewesen waren bogen wir wieder in den kühlen Wald ein und nach einer Zeit glaubte ich den Weg wiederzuerkennen, auf dem ich schon früher mit ihr ausgeritten war.

An der nächsten Weggabelung bogen wir jedoch nach links und nicht nach rechts ab so wie wir es früher immer getan haben mussten und wie bereits gestern ließ ich mich wieder von Feder führen. Nach ein paar Minuten hatte ich jegliche Orientierung verloren und war mir nur darin komplett sicher, dass ich hier hundertprozentig noch nie gewesen war. Doch ich vertraute ihr über alles und wusste zudem, dass sie sich durch all ihre Alleingänge, in dem Jahr das sie einsam auf jener abgelegenen Weide verbracht hatte und von denen so niemand etwas wusste, abgesehen von mir, hier ziemlich gut auszukennen schien.

Anders als gestern flogen wir jedoch nicht ohne Ziel über die Wiesen, Felder und nun auch Trampelpfade, die immer tiefer in der Wald vorzudringen schienen.

Ich hatte absolut keine Ahnung was Feder mir wohl zeigen wollte, doch ich war mir schon bald sicher, noch nie so tief im Wald gewesen zu sein wie jetzt. Aber auch wenn meine Eltern mir solange ich denken konnte schon immer eingebläut hatten, wie gefährlich es war zu tief in den Wald zu gehen, hatte ich keine Angst.

Nein, überhaupt nicht. Das einzige was ich fühlte war die Aufregung, die durch jede meiner noch so kleinen Adern fließen zu schien und das Wissen, dass ich Feder jederzeit ohne nachzudenken mein Leben anvertrauen würde. Ich wusste, dass sie auf mich aufpassen würde, immer genauso wie ich auf sie und auf einmal hatte ich das Gefühl wieder zuhause angekommen zu sein. Nicht hier an dieser Stelle im Wald, auch wenn ich sie zugegebener Maßen ziemlich schön fand, sondern bei Feder.

Doch ehe ich noch weiter darüber nachdenken konnte, viel Feder in einen langsamen Trab und fast schien es so als wollte sie mir mit ihrem Kopf bedeuten nach links zu sehen. Ganz automatisch folgte ich ihren Blick und für einen Moment verschlug es mir die Sprache.

Durch das dichte grün der Büsche konnte ich etwas Blaues an manchen kleinen Stellen durch das dichte Blattwerk hindurch scheinen sehen, doch erst ein paar Sekunden später realisierte ich, dass hier tatsächlich ein See liegen musste.

Feder parierte zum Schritt durch und ging zwischen einer Lücke von zwei Bäumen auf die kleine Wiese, die ich erst jetzt bemerkte, doch die den kleinen See rundherum zu umgeben schien. Da der Schatten der Bäume es hier scheinbar schafften das Graß vor den heißen Sonnenstrahlen beschützen zu können, war es anders als auf Feders Weide noch nicht fast vertrocknet und gelblich, sondern saftig grün.

Vorsichtig schritt Feder immer weiter auf das Wasser zu, an dessen Grund ich Steine liegen sehen konnte. Das alles kam mir fast schon surreal vor. Ein See mit so klarem Wasser wie ich es noch nie irgendwo anders gesehen hatte, inmitten des Waldes.

„Wow Feder, das ist wunderschön", flüsterte ich um die Stille die hier herrschte und dem Ort etwas ganz Besonderes, ja wenn nicht schon fast magisches verlieh nicht zu sehr zu durchbrechen.

Feder wieherte leise, wie als wollte sie meine Worte bestätigen und erst jetzt viel mir auf was mich an diesem Anblick so irritiert hatte. Wir waren alleine und das war ja an sich noch nicht mal ein Wunder, aber hier war wirklich niemand anders, abgesehen von ein paar Vögeln, die am Wasserrand auf den Steinen standen und etwas tranken.

Kein anderer hatte auf der Wiese sein Handtuch ausgebreitet und keine kleinen Kinder planschten im Wasser, wir waren wirklich ganz für uns. Das bedeutete zwei Dinge, zum einen schienen also wirklich noch nicht viele von diesem kleinen, traumhaften See zu wissen, da er sonst nicht so menschenleer sein würde und zum anderem, dass auch ich dafür sorgen würde, dass dies so blieb.

Ich beugte mich nach vorne über Feders Hals und flüsterte ihr: „Das hier bleibt unser Geheimnis, ja?", in ihr linkes Ohr. Diese schnaubte nur zufrieden, als wäre sie genau meiner Meinung und ging bis an das Ufer des Sees heran, dessen kleine Wellen in regelmäßigen Abständen auf die Steine schwappten, bevor sie sich wieder zu dem restlichen Wasser zurückzogen.

Eigentlich hatte ich erwartet, dass Feder nur etwas trinken wollte, doch anstatt ihren Kopf zu senken, trat sie vorsichtig in das kühle Nass, dessen Grund am Anfang nur ganz leicht abfiel, sodass sie nur bis zu ihren Knöcheln in dem glasklaren See stand.

Einen Moment verharrten wir so und ich entdeckte einen kleinen Fisch, der direkt vor ihren Hufen schwamm, aber blitzschnell wieder verschwand als sie sich bewegte.

Langsam wartete Feder immer weiter ins Wasser doch als ich bemerkte das sie es ernst zu meinen schien, parierte ich sie schnell noch einmal durch um meine Wanderschuhe auszuziehen, falls sie nass werden sollten. Mehr oder weniger geschickt warf ich sie zurück ans Ufer, gerade weit genug, dass die Wellen sie nicht mehr erreichen konnten. Wie schon so oft seit bereits mehreren Jahren nahm ich mir vor endlich mal meine Armmuskeln zu trainieren, obwohl ich genau wusste, dass dies ein gänzlich nutzloses unterfangen sein würde.

Feder ging immer weiter in den kleinen See und auch wenn ich mich schon auf seine kühle vorbereitet hatte, zuckte ich unweigerlich zusammen, als das Wasser meine Füße umspülte und mit ihnen auch meine Socken, von denen mir erst jetzt bewusstwurde, dass ich wohl vergessen haben musste sie auszuziehen.

Obwohl ich mich nur ein bisschen wegen der Temperatur des Wassers erschreckt hatte, die sich obwohl es draußen so heiß war, einfach nur eiskalt anfühlte, blieb Feder sofort stehen und ich musste wegen ihrer Fürsorglichkeit lächeln.

„Brave Maus", ich strich ihr einmal über den Hals und schon bevor ich überhaupt meinen Schenkeldruck auch nur ein bisschen verstärken konnte, lief sie wieder weiter, so als wüsste sie genau was ich wollte und vielleicht stimmte das ja auch.

Inzwischen reichte mir das Wasser schon fast bis zu meinen Knien und ich musste zugeben, dass es gar nicht mehr so kalt war, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hatte.

Als es für Feder allerdings zu tief wurde um zu laufen, ließ sie sich ins Wasser gleiten und begann zu schwimmen. Auch wenn ich es nicht beabsichtigt hatte sog ich laut die Luft ein, als das Seewasser mir auf einmal bis zur Hüfte reichte und Feder schnaubte leise.

„Ej, es hat je nicht jeder so dickes Fell wie du!", antwortete ich, begann aber schon zeitgleich über mich selber zu lachen, da ich schon immer sehr kälteempfindlich gewesen war.

Früher als Feder noch nicht bei mir gewesen war, hatte es sogar Zeiten gewesen, in denen ich mich hatte weigern wollen, im Winter rauszugehen, da es mir zu kalt gewesen war. Meine Eltern hatten es dann doch noch jedes Mal geschafft mich zu überreden mit ihnen zu kommen, wenn sie am Wochenende einen Spaziergang hatten machen wollen, doch ich wusste das es für sie immer ziemlich harte Arbeit gewesen war. Oder eben sehr viele Süßigkeiten für mich bedeutet hatte.

Als ich Feder bekommen hatte, hatte sich jedoch alles geändert und sie hatten mich Abends schon fast zwingen müssen, wieder mit ihnen ins Haus zu kommen.

Der Boden des Sees war mittlerweile so tief, dass ich ihn nur noch verschwommen wahrnehmen konnte, doch ich bewunderte wie geschickt Feder ihre Beine auch unter Wasser bewegen konnte und uns beide damit, mehr oder weniger über Wasser hielt.

Mein dunkelrotes T-Shirt, dass Lino mir vor zwei Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte, klebte inzwischen ebenfalls vollkommen durchnässt an meinem Oberkörper, da ich mich ein paar mal vorgebeugt hatte um sie streicheln zu können, doch es störte mich gar nicht weiter.

Zudem hatte ich jetzt auch herausgefunden, warum das Wasser so kalt war. Der große Steinfelsen, der sich auf der rechten Seite des Sees entlangzog versteckte einen kleinen Wasserfall, den man nur sehen konnte, wenn man in dem glasklaren Wasser schwamm. Auch wenn ich in der Schule in Erdkunde nie wirklich gut aufgepasst hatte, vermutete ich, dass der Bach, der hier in dem See mündete aus einem der nahen Berge stammen musste, was dann auch die Eiseskälte erklären würde.

Doch nicht nur der versteckte Wasserfall, sonder einfach alles hier, das unendlich klare Wasser, die kleinen Fische die in ihm schwammen, der große Felsen, die kleine Wiese, die so weit ich es erkennen konnte, einmal um den ganzen See herumführen musste und die dichten Büsche und Bäume, die ihn ringsherum umgaben, waren so wunderschön, dass ich es kaum begreifen konnte.

Aber am allermeisten genoss ich die Tatsache, dass ich mit Feder hier sein durfte und dass sie mir dieses kleine versteckte Reich überhaupt gezeigt hatte.

„Danke", Feder schnaubte zufrieden und ich wusste das sie genau verstand was ich damit meinte und dass der Dank somit ihr galt.

Sie hatte mir meinen Wunsch wirklich erfüllen können, denn immer, wenn ich bei ihr war, war ich frei. Für einen kurzen Moment aus den Fesseln meines momentanen Lebens befreit und schaffte es einfach alles was mich sonst umgab zu vergessen. Immer wenn ich bei ihr war war ich glücklich und konnte ganz ich selbst sein und dafür war ich ihr unendlich dankbar, denn das konnte ich bei keinem anderen.

Einen Moment später verbesserte ich mich, denn so war das nicht hundertprozentig richtig. Denn inzwischen wusste ich, dass auch Lino mich so akzeptierte wie ich war, doch das zwischen ihm und mir etwas war etwas anderes als das was Feder und mich verband, was auch für immer so bleiben würde, auch wenn ich nicht begründen konnte warum.

Lino. Schon allein bei seinem Namen fingen die tausend Schmetterlinge wieder an in meinem Bach zu fliegen, ohne dass ich mich dagegen wehren konnte. Vielleicht lag es ja aber auch daran, dass ich es eigentlich gar nicht mehr verhindern wollte.

Schon lange waren sie immer dabei, wenn ich an ihn dachte, doch früher hatte ich mir immer nicht einzugestehen getraut, was das bedeutete. Nach dem Unfall meiner Eltern hatte ich schlichtweg keine Zeit und Kraft mehr gehabt mich damit zu beschäftigen, und sie so weit verdrängt, dass ich sie tatsächlich irgendwann vergessen hatte.

Aber jetzt waren sie wieder da und anders als zuvor konnte ich mir selber nicht länger verschweigen, was für eine Bedeutung sie hatten und eventuell wollte es dies auch gar nicht mehr.

Die Erkenntnis kam so plötzlich, dass ich fast das Gefühl hatte sie würde mir meinen Atem rauben. Ich wollte mich überhaupt nicht mehr länger gegen das wehren, was ich für ihn empfand und ich wollte es mir vielleicht auch gar nicht mehr länger verheimlichen, da ich es sowieso nicht würde ändern können. Aber vor allem erkannte ich tief in mir drinnen, dass ich mir sogar wünschen würde, dass es ihm genauso ging wie mir.

Mit einem Kopfschütteln vertrieb ich diese Gedanken wieder, denn ich wusste das ich auf sie zumindest hier und jetzt keine Antworten finden würde, doch die Schmetterlinge blieben.

Feder war fast wieder ans Ufer zurückgeschwommen, doch noch immer war der steinige Grund hier so tief, dass sie noch nicht sehen konnte.

Ich wusste nicht woher meine plötzliche Idee kam, doch vielleicht lag es auch einfach daran, dass ich quasi sowieso schon total nass war und ich das Gefühl hatte, dass das Seewasser so auch nicht viel kälter sein konnte als mein durchtränktes T-Shirt es ohnehin schon war. Ohne weiter nachzudenken hob ich mein linkes Bein über Feders Kruppe, doch bevor ich mich ganz ins Wasser fallen ließ, nahm ich mir einfach einer Intuition folgend vor, diese kleine, so versteckte Welt auch Lino zu zeigen.

Ich wusste nicht warum und ich wusste nicht wann, aber mir war bewusst das ich ihm immer vertrauen konnte und ich wollte von ganzem Herzen, dass er diese Schönheit eines Tages auch zu Gesicht bekommen würde.

Dann ließ ich mich von Feders Rücken gleiten und viel in das weiche Wasser. Erst als es über meinem Kopf wieder zusammenschlug, wurde mir bewusst, dass es eine vollkommene Fehleinschätzung gewesen war zu vermuten, es würde mir nicht mehr so kalt vorkommen.

Doch im nächsten Moment öffnete ich meine Augen und vergaß vor lauter staunen alles andere um mich herum.

Schon als kleines Kind hatte ich es geliebt unter Wasser meine Augen zu öffnen und hatte das selbst in den Schwimmbädern immer gemacht, obwohl sie danach wegen dem Chlor immer total rot gewesen waren. Als meine Eltern mit mir und Lino einmal nach Fehmarn an das Meer gefahren waren, hatte ich es selbst da nicht lassen können, unter Wasser etwas sehen zu wollen.

Jedoch war das Meer durch den Sand dort so schmuddelig gewesen, dass ich nichts hatte erkennen können und zudem hatte es beim auftauchen immer fürchterlich in meinen Augen gebrannt. Trotzdem hatte ich es aber nicht daraus gelernt und mir einmal sogar eingebildet einen Fisch gesehen zu haben, was ich jetzt im Nachhinein jedoch für ziemlich unwahrscheinlich hielt. Denn das Salzwasser war so unklar gewesen, dass ich selbst meine eigene Hand vor den Augen nicht hatte erkennen können und welcher Fisch schwamm bitte so dicht an die Küste, wenn er ein ganzes Meer zu Verfügung stehen hatte?

Hier war es jedoch vollkommen anders. Ganz klar konnte ich den Boden sehen, der aus den einzelnen kleinen Steinen bestand und die vielen kleinen Fische die zwischen ihren Spalten hervorschwammen aber auch von die eine auf die andere Sekunde wieder in ihnen verschwanden.

Meine Haare schwebten schwerelos um mich herum und wie immer, wenn sie im Wasser waren, wirkten sie eher orange als blond. Mit meiner rechten Hand strich ich sie mir aus dem Gesicht und sah jetzt nach oben an die Wasseroberfläche.

Einen Moment lang überlegte ich wiederaufzutauchen, doch ich verwarf diesen Gedanken wieder, da ich noch nicht das Bedürfnis hatte wieder Luft zu holen und genoss die Ruhe die mich hier unten umgab.

Einer der kleinen Fische schwamm neugierig zu mir nach oben und blieb nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt, doch als ich ein paar Luftblasen ausstieß erschreckte er sich und verschwand sofort wieder.

Direkt vor mir konnte ich Feder erkennen, die noch immer gleichmäßig ihre Beine in dem Wasser bewegte und bewunderte wie geschmeidig sich ihre Sehnen und Muskeln unter ihrem nassen Fell bewegten. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich wie sich ein paar Wellen über mir ausbreiten und als ich nach oben blickte, sah ich wie sie ihre Nüstern ins Wasser gesteckt hatte und scheinbar nach mir suchte.

Ohne weiter zu überlegen schwamm ich auf sie zu und tauchte direkt unter ihrem Bauch hindurch wobei ich versuchte möglichst nicht ihre Beine zu berühren, damit sie nichts von all dem bemerken würde. Immer weiter schwamm ich durch das klare Wasser und tauchte erst an die Oberfläche, als mir bewusstwurde, dass ich den Reflex einzuatmen nicht mehr länger würde zurückhalten können.

Das ich überhaupt so lange meine Luft anhalten konnte schob ich darauf, dass ich es früher geliebt hatte zu tauchen und natürlich auf die Wer-kann-am-längsten-die-Luft-anhalten-Duells, die ich früher fast immer gegen Lino gewonnen hatte. Daher hatten wir das nach einer Zeit auch nicht mehr wirklich oft gespielt, denn Lino war wirklich alles, nur kein guter Verlierer.

Die Schmetterlinge von denen ich schon gedacht hatte, dass sie erfroren wären, als ich mich ganz in den See hatte fallen lassen, kehrten mit einem Mal zurück und ohne mich dagegen wehren zu können, schlich sich ein Lächeln auf mein Gesicht.

Trotzdem gab ich mir Mühe, nur so leise Luft zu holen wie möglich, obwohl meine Lungen nach Sauerstoff schrien, denn mein Plan war anscheinend aufgegangen. Feder hatte noch immer nicht gemerkt, dass ich mich inzwischen hinter ihr befand und suchte immer hektischer im Wasser unter ihr.

Einerseits tat es mir leid, dass sie sich jetzt um mich sorgte, doch ich würde sie ja nicht zu lange warten lassen, aber andererseits, war dies auch meine Revanche, die sie nach den unzähligen Malen als wir auf ihrer Weide Fangen spielten und bei denen sie jedes Mal gewann, auch echt verdient hatte.

Es war ja eigentlich sogar auch wie fangen, nur mit dem Unterschied, dass ich dieses Mal eine reelle Chance hatte.

Als ich jedoch sah, wie Feder immer mehr Wasser aufspritzte und erkannte das sie langsam wirklich panisch wurde, rief ich leise ihren Namen.

Zuerst hörte sie mich nicht und wühlte immer hektischer mit ihren Beinen und ihrem Kopf in dem Seewasser herum, doch als ich näher an sie erneut schwamm und erneut: „Hey, hier bin ich Maus, es ist alles in Ordnung.", sagte, drehte sie sich blitzschnell zu mir herum.

Ihre Augen schimmerten ganz dunkel vor Sorge und einen hatte ich Angst vielleicht wirklich zu weit gegangen zu sein, doch als sie mich entdeckte, fingen sie wieder an zu strahlen.

Langsam schwamm ich zu ihr zurück und konnte noch immer erkennen, wie sehr sie die ganze Situation zu verwundern schien, sodass ich die letzten paar Meter zu ihr hinübertauchte, um ihr zu zeigen, wie ich sie hatte austricksen können.

Unter Wasser konnte ich mich kaum von der Schönheit losreißen, die dieser See zu bieten hatte, doch ich zwang mich wieder vor ihr aufzutauchen, da ich noch immer außer Atem war und meine Lungen nach Luft schrien.

Diese Rechnung hatte ich allerdings ohne Feder gemacht, denn kaum war ich aufgetaucht, flog mir ein großer Schwall des kalten Wassers ins Gesicht. Das war also ihre Rache. Doch bei der Sorge die ich ihr bereitet hatte, indem ich mal wieder nicht nachgedacht, bevor ich gehandelt hatte, war mir bewusst das mir das auch voll und ganz recht geschah.

Trotzdem sog ich erstaunt die Luft ein und kniff erschrocken meine Augen zusammen, sodass ich noch einen Wasserschwall vollkommen schutzlos über mich ergehen lassen musste, bevor ich sie wieder öffnete.

Ich sah Feder die keine zwei Meter von mir entfernt schon wieder dabei war ihre Schnauze in einer ausladenden Bewegung ins Wasser zu tauchen um mich erneut nass zu spritzen.

Lachend kam ich ihr jedoch zuvor bevor sie ihren Plan in die Tat umsetzen konnte, holte noch einmal tief Luft und tauchte dann wieder hinab, in der Hoffnung inmitten des Wassers vor Feders Attacke geschützt zu sein.

Mit langen und möglichst ruhigen Schwimmzügen um an der Wasseroberfläche möglichst nicht zu viel Wellen zu erzeugen, tauchte ich einmal um sie herum. Genau wie beim letzten Mal kam ich erst hinter ihr wieder an die Wasseroberfläche, aber nun lange nicht so weit weg wie beim ersten Mal.

Denn so konnte ich meine Hände knapp unter Wasser mit möglichst viel Schwung nach vorne gleiten lassen und zusehen wie die unzähligen kleinen Wassertropfen, die im Licht der Sonne in allen Farben des Regenbogens schimmerten auf Feders ohnehin schon nasses Fell vielen.

Überrascht und vor Freude quietschend drehte sie sich zu mir um und noch bevor ich meine Arme schützend um mich legen konnte, feuerte sie aufgeregt Schnaubend zurück.

Mir wurde bewusst, dass ich gegen ihre vier Beine und ihre lange Schnauze im Wasser ebenso wenig wie an Land eine Chance hatte, aber das machte mir überhaupt gar nichts. Hier ging es nämlich weder ums Gewinnen noch ums Verlieren, für keinen von uns beiden.

Deshalb schlug ich einfach schmunzelnd zurück, indem ich meine Handfläche so auf die Wasseroberfläche fallen ließ, wie mein Vater es mir früher immer gezeigt hatte und tauchte selbst schnell unter.

Von unten konnte ich sehen wie die Wassertropfen wieder zurück in den See vielen und jeder einzelne von ihnen kleine, kreisförmige Wellen hinterließ, die sich immer weiter ausbreiten, bevor sie von neuen verdrängt worden.

Bevor ich jedoch Zeit dazu hatte es noch weiter zu bewundern, schob sich auf einmal ein neugieriger Kopf durch die Oberfläche des Sees und himmelsblaue Augen strahlten mich Sekunden lang an, bevor sie ebenso schnell wieder aus meinem Blickfeld verschwanden wie sie gekommen waren.

Nur knapp konnte ich mir mein Lachen verkneifen, bis ich wiederauftauchte und sah Feder vor mir, die noch immer vollkommen irritiert ihren Kopf schüttelte und in einem großen Bogen überall Wasserspritzer verteilte.

Mir wurde klar, dass sie es zwar schon bereits kennen musste zu schwimmen, aber ihren Kopf, abgesehen von dem Bereich ihrer Nüstern wohl noch nie unter Wasser getaucht hatte. Die Kälte und allgemein ungewohnte Nässe hatte sie wohl ziemlich verwirrt, denn sie stand an einer Stelle, die anscheinend nicht so tief zu sein schien nur ein paar Meter entfernt von mir und sah ziemlich verunsichert aus.

„Hey Maus!", vorsichtig schwamm ich näher und blieb direkt neben ihr stehen, um ihr die Nasse Mähne aus den Augen zu streichen. „Alles ist gut, das Wasser tut dir doch nichts und das weißt du auch."

Sie schnaubte leise aber klang bei weitem noch nicht überzeugt. „Es ist doch vollkommen okay, wenn tauchen nicht so dein Ding ist, aber immerhin hast du es jetzt ausprobiert, wenn auch eher unfreiwillig...", bei dem Gedanken an ihren verblüfften Gesichtsausdruck als sie bemerkt hatte was sie gerade tat, stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen, das ihr wieder mehr Sicherheit zu geben schien: „Aber es ist doch total lieb von dir, dass du gucken wolltest, was ich denn immer da unten gemacht habe."

Ich kraulte ihre Stirn und konnte spüren wie sie sich immer weiter entspannte. Es musste für sie echt ziemlich einschüchternd gewesen sein, alles ihr so altbekannte plötzlich von einer ganz anderen Perspektive zu sehen.

Auch wenn wir beide stehen konnten, reichte mir das Wasser immer noch bis kurz über die Schultern und als Feder ihren Kopf wieder senkte und eine leichte Welle zu mir schubste, viel auch von mir alle Anspannung ab.

Ein bisschen mehr als beabsichtigt erwiderte ich ihre Welle, doch Feder erschreckte sich nicht davor, wie ich es schon einen Moment lang befürchtet hatte. Aber auch durch dieses für sie zuerst bestimmt ziemlich beängstigende Ereignis, schien sie keine Angst vor dem See oder Wasser im Allgemeinen zu haben, was mich sehr erleichterte.

So wirklich gar keine, um genau zu sein, denn ehe ich mich versehen konnte, regneten die Wassertropfen wieder auf mich herab. Natürlich konnte ich sie darauf nicht sitzen lassen und holte zum Gegenangriff aus. Feder schnaubte mehrmals glücklich und ich musste lachen.

Wie lange wir noch im Wasser gewesen waren, konnte ich nicht so genau sagen, da dieser Tag so wunderschön gewesen war, dass ich jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Doch zwischen Feder und mir kehrte erst ein Waffenstillstand ein, als ich nach Luft ringend, aber noch immer grinsend aufgab.

Wir schwammen noch zusammen gemütlich bis an das Ufer des Sees, an dem ich es schon fast verfluchte meine Wanderschuhe doch noch ausgezogen zu haben, denn die Steine wurden immer Spitzer, je flacher das Wasser wurde.

Am Ufer rannte ich nur auf Zehenspitzen über sie hinweg und auch wenn Feder hinter mir ging und ich sie so nicht sehen konnte, erkannte ich an ihrem belustigten Wiehern, wie sehr sie sich amüsieren musste.

„Du hast es mit deinen harten Hufen ja auch deutlich leichter als ich!", verteidigte ich mich grummelnd, doch konnte nicht lange eingeschnappt sein.

Schon als ich mich keine fünf Meter weiter in das sonnige, weiche Graß fallen ließ streichelte ich Feder, die neugierig mitgekommen war über die zu mir hinuntergebeugte Stirn, bevor ich meine lange, klitschnasse Jeans und mein ebenso durchtränktes T-Shirt auszog und neben mir zum Trocknen auf die Wiese legte.

So saß ich nur noch in BH und Unterhose auf der Wiese, aber da wir ja ganz alleine waren, machte mir das nichts aus. Fürs nächste Mal nahm ich mir auf jeden Fall vor, meinen Bikini mitzunehmen. Heute jedoch war mir jedoch gar nicht bewusst gewesen wo wir hatten hin reiten wollen und somit keine Chance gehabt ihn einzupacken.

Mit ausgebreiteten Armen ließ ich mich nach hinten auf die Wiese fallen und starrte in die Baumwipfel über mir und in den hellblauen Himmel, an dem ich weit und breit keine Wolke entdecken konnte.

Vorsichtig trat Feder noch einmal näher zu mir und ich musste Lachen als sie an meinem Gesicht schnupperte, aber sich danach abwandte und neben mir begann zu grasen.

Vor zwei Tagen hätte ich es nie für möglich gehalten heute hier zu sein, genaugenommen hatte ich diesen Ort hier noch nicht einmal gekannt, aber vor allen Dingen hatte ich damals noch daran geglaubt, nie wieder in meinem Leben reiten zu werden.

Aber jetzt, keine achtundvierzig Stunden später lag ich hier auf ebendieser kleinen Wiese, mit ihren langen Grashalmen, die sich seicht im leichten Sommerwind bewegten und war so glücklich wie schon lange nicht mehr.

Doch das lag nicht an diesem wunderschönen Ort hier, oder nur zum Teil, denn eigentlich lag es an Feder und an ihr ganz allein.

Ich hatte ihr anvertraut, wie gerne ich einfach manchmal und nur für kurze Augenblicke aus meinem jetzigen Leben verschwinden wollte um es kurz vergessen zu können. Ich hatte ihr von meinem größten Wunsch erzählt: so frei zu sein wie früher.

Feder jedoch hatte mir so viel mehr geschenkt: ganze Welten von denen ich gar nicht gewusst hatte, dass es sie gab, das Gefühl zu fliegen und tatsächlich frei zu sein, so intensiv wie noch nie zuvor in meinem Leben, aber auch einfach ich selbst sein zu dürfen.

Denn sie verlangte nichts von mir, nein Feder nahm mich einfach so an wie ich war.

Am allerwichtigsten war jedoch, dass sie nicht nur dem Wort Zuhause, wie schon seit unserer ersten Begegnung eine neue Bedeutung gegeben und es mir wieder ins Gedächtnis gerufen hatte, da sie nämlich mit Sicherheit meines war. Sondern sie hatte es auch geschafft mir zu zeigen, was das Wort Leben eigentlich bedeutete und wie wunderschön es sein konnte, auch wenn noch so schreckliche Dinge passierten.

Es war einfach alles gut, jetzt in diesem Moment. Sie war bei mir, ich bei ihr und das war alles was ich in diesem Moment zu wissen brauchte. Und nichts wünschte ich mir sehnlicher, als dass dies für immer so bleiben würde.

Mit diesen Worten schloss ich meine Augen und schlief so glücklich und erfüllt wie schon lange nicht mehr ein.

Ein warmer Windhauch, der direkt über mein Gesicht flog und der verdächtig nach Graß roch, holte mich langsam wieder in die Realität zurück. Ich konnte zwar nicht mehr sagen was ich geträumt hatte, doch da ich mich so entspannt wie schon lange nicht mehr fühlte, musste es etwas Schönes gewesen sein, sodass ich für einen Moment noch meine Augen geschlossen lies um herauszufinden was es gewesen war.

Deshalb stupste Feder mich auch leicht an meinem Arm an und da ich eigentlich sowieso wusste, dass ich mich nicht mehr würde daran erinnern können, öffnete ich sie und blickte direkt in die großen strahlend blauen Augen über mir, die teilweise von einer glänzendweißen Mähne verdeckt wurden.

Noch etwas müde setzte ich mich auf und stellte fest, dass Feders ganzes Fell nun so weiß war, wie ich es seit langem schon nicht mehr gesehen hatte. So sauber war sie selbst bei weitem noch nicht gewesen, als ich sie über zwei Stunden auf ihrer Weide geputzt hatte. Ich nahm mir vor, dass Feder eine Dusche wohl öfter mal ganz guttun würde, doch wusste Zeitgleich auch, dass das auf unserem Hof nur schwer möglich sein würde.

Überhaupt konnte ich nur tagsüber bei Feder sein, da ich mich mit ihr nicht länger auf ihrer Weide aufhielt und Linos Eltern mich so nicht würden entdecken können. Denn würden sie zufällig an Feders Koppel vorbeikommen, würden sie anstatt mich bei Feder zu sehen nur gähnende Leere vorfinden und denken, dass Feder sich einfach nur in dem Wald auf ihrer großen Koppel aufhalten würde. So hatte es mit zumindest Lino erklärt, den ich heute morgen gefragt hatte, ob ich nicht wieder wie gestern tagsüber zu Feder gehen konnte.

Tatsächlich hatte er es mir erlaubt, aber nur unter zwei Bedingungen: zum ersten durfte ich eben nur am Tag zu Feder, wenn wir uns nicht auf der Weide aufhielten und zweitens musste ich abends um acht immer pünktlich zum Abendessen zuhause sein. Damit seine Eltern keinen Verdacht schöpfen konnte.

Ich war ihm total dankbar gewesen und ihm strahlend um den Hals gefallen, was ihn sichtlich überrascht hatte, doch hatte ihm nicht erzählt, dass ich anders als er dachte nicht nur mit Feder spazieren ging, sondern wieder mit ihr ritt.

Eigentlich hatte ich es ihm gar nicht verschweigen wollen, doch in diesem Moment hatte ich mich einfach noch nicht dafür bereitgefühlt, ihm dieses Geheimnis anzuvertrauen, von dem bis jetzt nur Feder und ich wussten. Zudem hatte ich auch Angst vor seiner möglichen Reaktion gehabt, auch wenn mir bewusst war, dass er mir und auch Feder inzwischen vertraute. Aber vor allem hatte ich es einfach noch ein bisschen für mich behalten wollen.

Feder schabte ungeduldig mit dem Huf neben mir und so verdrängte ich meine Gedanken schnell und konzentrierte mich wieder auf das hier und jetzt.

In dem ich erst jetzt bemerkte wie tief die Sonne schon am Himmel stand und mit einem Mal klar wurde, warum Feder mich geweckt hatte. Denn wir mussten dringend wieder zurück, wenn wir, wie ich es Lino versprochen hatte, pünktlich zum Abendessen wieder zuhause sein wollten.

„Es war echt schön heute, meine Maus, aber ich glaube, dass wir uns langsam auf den Rückweg machen müssen...", schon bevor ich zu ende gesprochen hatte schnaubte Feder fast schon ungeduldig als wäre, dass das gewesen, was sie mir schon die ganze Zeit hatte sagen wollen.

„Ist ja okay!", lachend erhob ich mich und sammelte mein T-Shirt und meine Hose ein und streifte sie mir schnell mehr oder weniger geschickt über. Sie hatten zwar bestimmt ein paar Stunden gehabt um zu trocknen, doch da sie inzwischen im Schatten lagen, war die Jeans noch immer feucht und ich musste mich überwinden den kalten Stoff meine Beine hinaufzuziehen.

Während ich mich angezogen hatte, hatte Feder sich schon so auf die Wiese gelegt, dass ich bequem aufsteigen konnte. Als ich bei ihr angekommen war, hob ich vorsichtig mein rechtes Bein über ihren Rücken und noch bevor ich mich richtig hinsetzen konnte, stand sie auf und ließ meine Füße vom Boden abheben.

Lächelnd lehnte ich mich nach vorne und umarmte Feder einmal, bevor ich mein Gewicht wieder nach hinten verlagerte und sie losging. Wir verstanden uns eben auch ohne Worte perfekt, huschte es mir durch den Kopf, als ich mich noch einmal nach hinten drehte und mich mit einer Hand auf Feders Kruppe abstützte, um mich ein letztes Mal umzusehen.

Am liebsten wäre ich hier mit ihr zusammen noch Stunden, oder am besten die ganze Nacht geblieben, doch ich wusste, dass ich gegenüber Lino mein Versprechen halten musste. Deshalb prägte ich mir den Anblick des so märchenhaften Sees, auf dem nun einzelne Libellen tanzten noch einmal gut ein, bevor ich wieder nach vorne sah und mir vornahm hier unbedingt wieder herzukommen.

Feder schien das ähnlich zu sehen, denn erst als wir durch die Büsche wieder den Schmalen Trampelpfad erreicht hatten, von dem ich mir inzwischen fast sicher war, dass er nur durch sie entstanden war, trabte sie wieder an.

Der Wind fuhr mir durch meine Haare und schien mir den Atem zu nehmen, als Feder in einen langsamen Galopp wechselte, aber immer schneller wurde.

Viel zu früh für meinen Geschmack erreichten wir wieder die Felder, doch als es neben mir nur noch Pflanzen und keine eng an eng stehenden Bäume mehr gab, schloss ich meine Augen und streckte meine Arme zur Seite aus.

Wie schon beim letzten Mal spürte ich das Getreide, dass manchmal leicht meine Fingerspitzen berührte, aber versuchte mich nur auf Feders Galoppsprünge zu konzentrieren, die wenn es überhaupt ging noch länger und schneller wurden.

Ich konnte jeden ihrer Muskeln spüren, wenn sie ihn bewegte und hatte das Gefühl mit ihr zu verschmelzen, so sehr vertraute ich Feder und würde es auch immer tun.

Ganz leicht öffnete ich meine Augen wieder, aber nur um die Landschaft zu sehen, die verschwommen an uns vorbeiflog. Fliegen, ja so fühlte es sich an. Feder und ich flogen geradezu über das Maisfeld und der Wind war so stark, dass er mir fast dem Atem nahm, doch trotzdem konnte er mir mein leises Lachen nicht nehmen.

Wir hatten es geschafft, zusammen. Wir waren frei und das jetzt, in diesem Moment.

„Aber ich kann noch nicht schlafen, Papa!" Zuerst dachte ich mich verhört zu haben und kam vor Schreck so sehr aus dem Gleichgewicht, dass ich meine Augen aufriss und mich an Feders Mähne festhalten musste.

Wie durch dicken Nebel nahm ich wahr, wie Feder ihren Galopp sofort verlangsamte, doch ohne, dass ich es verhindern konnte, verschwamm meine Sicht immer weiter.

„Aber mein Engel, es ist doch schon spät."

„Ja, aber trobstem bin ich kein bisschen müde!" Vor meinem inneren Auge konnte ich sehen, wie ich mich damals wieder in meinem Bett aufgerichtet hatte und gespielt entrüstet meine Arme vor der Brust verschränkte.

„Doch so schneller du jetzt einschläfst, desto früher kannst du Morgen die Überraschung sehen, die wir für dich haben."

„Eine Überraschung? Meine Stimme überschlug sich fast vor Aufregung."

„Genau, eine Überraschung mein Schatz." Wieder hörte ich den so liebevollen Unterton in der Stimme meiner Mutter, der mir jedes Mal einen Stich versetzte, da mir bewusst war das ihn nie wieder in der Gegenwart hören würde. Zudem bewirkte sie mit ihren Worten genau das Gegenteil, denn auch wenn ich keine Ahnung hatte woher ich mich daran erinnern konnte, wusste ich, dass ich damals gleich meine Bettdecke zurückschlagen und ihr in die Arme springen würde.

„Dann kann ich jetzt erst recht nicht einschlafen!"

„Das solltest du aber, damit du morgen dann schön wach bist."

„Nein, ich will nicht!"

Ich wusste was für einen verwunderten Blick meine Eltern sich zugeworfen haben mussten, auch wenn ich mich nicht daran erinnern konnte und wie mein Vater sein lautes Seufzen nur mit Mühe hatte unterdrücken können.

„Glaub mir, Lotte, du wirst es viel mehr genießen können, wenn du dich schön ausgeschlafen hast."

„Ich kann dir nur verraten, dass es etwas ganz Besonderes ist und das du dich sehr darüber freuen wirst."

„Aber was, wenn ich es bis Morgen nicht mehr abwarten kann?"

„Oh das wirst du mein Schatz. Es ist doch nur eine Nacht und gleich, wenn du morgen aufwachst, können wir die Überraschung lüften."

„Und was ist, wenn ich gar nicht einschlafen kann?"

„Das wirst du bestimmt. Wir sind auch bei dir bist du schläfst, okay?"

„Meinetwegen", ich klang zwar schon ruhiger, aber immer noch ganz und gar nicht zufrieden. Ein Bild tauchte aus meinen Erinnerungen auf und ich erkannte mich selber, wie ich damals trotzig auf dem Schoß von meiner Mutter gesessen hatte, die mir vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Doch sosehr ich mich auch an noch mehr erinnern wollte, da war nichts.

„Aber Mama, ich bin so aufgeregt!"

„Das haben wir gemerkt mein Engelchen, aber versuch dich doch einfach nur zu freuen."

„Das tue ich ja, aber trobstem!"

„Weist du was?" Mein Vater sah mich erwartungsvoll an. „Ich denke, nein ich weiß sogar, dass es jemand anderem ganz genauso geht. Nur das diejenige auf einmal auch in einem neuen Zuhause lebt und sich noch gar nicht hier auskenn..."

„Ein Pferd? Oh das ist die beste Überraschung aller Zeiten!"

„Nur es ist jetzt keine Überraschung mehr, aber gut. Jetzt möchte ich aber das du schlafen gehst, damit wir sie sofort morgen besuchen können, ja?"

Ich antwortete nicht, doch mir war bewusst, dass ich damals eifrig genickt hatte und wieder unter meine warme Bettdecke gekrochen war, nachdem meine Mutter mich auf die weiche Matratze gesetzt hatte.

„Dann schlaf schön mein Engel." Auch wenn ich es nicht sehen konnte, wusste ich, dass mein Vater mich ganz behutsam auf die Stirn küsste, bevor die Stimme meiner Mutter, die mich wieder richtig zudeckte und mir ebenfalls einen Gutenachtkuss gab immer leiser wurde.

Der Nebel der mich Umgeben hatte lichtete sich langsam und verschwand nach wenigen Sekunden im Nichts, genau dorthin, wo diese Erinnerung sich jetzt befand.

Schweigend blickte ich auf Feders Hals und konnte nicht verhindern, dass eine einzelne Träne in ihre Mähne viel.

Sie, sie war meine Überraschung gewesen. An diesem Tag oder viel mehr dem nächsten Tag hatten mir meine Eltern Feder geschenkt und zuvor hatte ich mich nicht einmal mehr daran erinnern können. Was kam als nächstes? Ich wusste es nicht. An wie viel aus meinem Leben konnte ich mich ebenfalls nicht mehr erinnern, ohne dass ich davon wusste und warum verstand ich die Hälfte von dem meine Eltern redeten nicht einmal?

Ein leises und fast schon unsicheres Wiehern von Feder riss mich aus den Gedanken und ich wusste, dass sie fragen wollte, ob alles okay wäre. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie mitten auf der Traktorspur durchpariert hatte und nur auf eine Antwort von mir zu warten schien.

Mit einer hastigen Bewegung wischte ich mir über mein Gesicht und verdrängte die Tränen aus meinen Augen, die mir auf altbekannte Weise, doch trotzdem jedes Mal anders die Sicht verschwimmen ließen.

„Ja, ja alles ist gut.", hörte ich mich selber leise flüstern, obwohl das Zittern in meiner Stimme so ziemlich das Gegenteil bewies. Trotzdem setzte Feder sich, wenn auch eher wiederwillig, da sie mitbekommen hatte, wie verwirrt und verunsichert ich war wieder in Bewegung als ich Schnalzte.

Wenige Sekunden später flogen wir schon wieder über die Felder und weiten Wiesen und ich ignorierte die Tränen die unaufhaltsam meine Wangen hinabrannen, obwohl der Wind sie immer wieder trocknete.

So gut es ging versuchte ich jeden Gedanken an die Rückblende von eben zu verdrängen, denn ich wollte mir diesen Moment nicht kaputt machen. Was immer das auch gewesen war und was es mir sagen wollte, ich war gerade bei Feder und das war jetzt alles was zählte.

Ich war bei ihr und sie bei mir und zusammen galoppierten wir fast so schnell wie der Wind über die weite Wiese mit ihren hohen, im Wind wehenden Grashalmen.

Vielleicht liebte ich es so, weil es mich an früher erinnerte, oder weil ich so vor allem wegrennen konnte: meinen momentanem Leben, meinen Sorgen, vor den scheinbar unlösbaren Rätzeln die meine Eltern mir hinterlassen hatten und auch vor eben genau diesen Rückblenden, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte, die aber hundertprozentig aus meinem früheren Leben stammten.

Doch was auch immer der Grund meiner Sorgen war, sie rückten wirklich in den Hintergrund wenn ich bei Feder war und ich genoss die Zeit die ich mit ihr verbringen durfte mehr als alles andere, da mir gerade nur noch einmal bewusst geworden war, wie kostbar diese war.

Und in diesem Moment, in diesem Moment durfte ich einfach nur frei sein mit Feder zusammen, auch nach allem was passiert war, einfach alles vergessen und das hatte ich nur ihr zu verdanken.

Also schloss ich wieder meine Augen, streckte meine Arme zur Seite und war einfach nur eines: Frei und das gemeinsam mit Feder.

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