18. Kapitel

Die Unebenheiten des breiten Baumstammes, an den ich mich gelehnt hatte, piksten mir unangenehm in den Rücken, doch ich nahm es fast gar nicht war.

Meine Tränen tropften unaufhörlich auf den Tüll meines Kleides, der sich links und rechts neben mir ausbreitete und ich zog meine Beine noch fester an um meinen Kopf auf meine Knie legen zu können.

Ich wusste nicht, ob erst Minuten, oder schon ganze Stunden vergangen waren, seitdem ich Hals über Kopf aus dem Ballsaal gerannt war, denn es war schon dunkel gewesen als ich ihn verlassen hatte.

Natürlich hatte Lino mir versucht nachzulaufen, doch durch meine Größe hatte ich mich leichter durch die anderen Paare hindurchdrängen können.

Da mir jedoch bewusst gewesen war, dass ich ihn auf Dauer nicht würde abhängen können, hatte ich mich auf die Damentoilette zurückgezogen, weil ich gewusst hatte, dass es dort große Fenster gab. Als ich Marcellinos Stimme dann vor der Tür mit einer anderen Stimme reden gehört hatte, die ziemlich nach der von Fia klang, war ich tatsächlich durch eines dieser Fenster auf den Schotter vom Parkplatz gesprungen.

Doch es war nicht der richtige Zeitpunkt gewesen sich über meine Abenteuerlust zu freuen und so war ich einfach zwischen den Autos hindurch auf ein kleines Waldstück zugelaufen, das hinter ihnen lag. Auch nachdem ich es erreicht hatte war ich immer weitergerannt, immer tiefer in den Wald hinein damit mich niemand würde finden können, doch hier war ich dann schließlich unter Tränen zusammengebrochen und hatte mich nur noch schwach an den Baum gelehnt.

Immer wieder sah ich Linos entsetztes Gesicht vor mir aufblitzen und hörte seine Fragen, auf die ich einfach nicht hatte antworten können.

Es war alles meine Schuld.

Doch warum war jeder so nett zu mir? Warum sorgte sich jeder um mich? Weil es keiner wissen konnte.

Selbst Fia hatte mich heute Abend so nett aufgenommen und mir sofort verziehe, obwohl ich sie immer hatte abblitzen lassen, wenn sie an der Tür von meinem neuen Zimmer gestanden hatte und wissen wollte wie es mir ging. Alle waren nett gewesen, obwohl ich es gar nicht verdient hatte.

Auf einmal musste ich an das denken, was meine Eltern mir in dem Brief geschrieben hatten: vertraue niemals den Falschen. Sie hatten ganz deutlich geschrieben, dass sie vor etwas wegliefen, auch wenn ich noch immer keinen blassen Schimmer hatte wovor. Deshalb sollte ich auch niemanden ohne weiteres vertrauen, doch egal wen sie gemeint hatten, es waren ganz sicher nicht Feder oder ich gewesen.

Dafür waren es Feder und ich gewesen, die sie letztendlich getötet hatten, obwohl es vor allem meine Schuld gewesen war. Sollte ich mir selber also nicht mehr vertrauen? Verdient hätte ich es ja, doch ich glaubte nicht, dass es das war was meine Eltern gemeint hatten.

Nein gerade ergab einfach nichts mehr einen Sinn. All die Dinge an die ich mich nach ihrem Tod geklammert hatte brachen auseinander und ich fiel mit ihnen in die unendliche Tiefe.

Immer wieder hörte ich mein Lachen und mir fiel wieder ein was für eine glückliche Familie wir damals gewesen sein mussten. Das waren wir schon immer gewesen und würden es auch noch immer sein, wenn ich nicht alles zerstört hätte. Wenn ich ihren Tod verhindert hätte...

Ein Ast knackte nicht weit von mir entfernt, doch ich sah noch nicht einmal auf. Was oder wer auch immer es war, es war mir egal. Selbst wenn mich jemand oder etwas schrecklich verletzten wollen würde, ich hatte es verdient.

Ich hörte das Laub leise rascheln als jemand auf mich zuging und als ich mich nicht rührte, kniete die Person sich neben mich nieder.

„Hey, was ist denn los?", Linos Stimme klang ganz einfühlsam, besorgt und leise, fast so als hatte er angst etwas falsches zu sagen: „Habe ich dich vorhin zu sehr bedrängt?"

Erst jetzt viel mir auf was er denken musste und ich hob meinen Kopf um ihn anzusehen. Auch wenn ich jetzt am liebsten ganz allein wäre und mit niemandem reden wollte, musste ich für ihn klarstellen, dass es nicht seine Schuld war.

Vor lauter Tränen nahm ich ihn nur verschwommen war und schüttelte leicht den Kopf.

„Was ist es dann?", vorsichtig strich er mir über meine Haare, doch ich schwieg. Ich konnte es ihm einfach nicht sagen, denn dann würde es noch realer werden als es sowieso schon war.

„Charlotte, bitte sprich mit mir. Ich sehe doch gerade wie schlecht es dir geht, bitte spiel mir nicht wieder etwas vor, ich möchte dir doch nur helfen."

Mir helfen? Das hatte ich doch gar nicht verdient. Eigentlich müsste er aufstehen, vor mir weglaufen und für den Rest meines Lebens nicht mehr mit mir reden. Doch er saß noch hier und machte keine Anstalten von meiner Seite zu weichen.

„Es ist alles meine Schuld!", nur ganz leise drangen diese Worte über meine Lippen und meine Stimme zitterte bei ihnen noch stärker als jemals zuvor.

Jetzt war es raus und auch wenn es vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen war, war mir klar, dass Lino wusste wovon ich sprach.

Schluchzend vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen. Gleich würde er bestimmt aufstehen, mich anschreien und danach enttäuscht gehen, denn Lino hätte ja vollkommen recht, doch zu meiner Überraschung tat genau das Gegenteil.

Er ließ sich ganz neben mir nieder, rückte noch ein Stück zu mir heran, sodass er sich ebenfalls an dem Baum anlehnen konnte und legte seinen linken Arm über meine Schulter.

Ein leichtes Prickeln breitete sich an den Stellen an meinem Nacken und meinem Rücken aus, an denen er mich berührte, aber ich ignorierte es und verdrängte auch das Gefühl zu schweben, dass mich wie sonst auch immer überkam.

Eine Zeit lang saßen wir einfach nur ganz still nebeneinander und nur mein Schluchzen durchbrach die Stille der Nacht, doch irgendwann zog Lino mich noch dichter zu sich heran und umschloss mich mit beiden Armen so, dass mein Kopf auf seinem Oberkörper ruhte.

Lino fragte nicht nach, warum ich die Schuld am Unfall trug und verlangte von mir auch nicht ihm mein Verhalten von vorhin zu erklären, sondern hielt mich einfach nur ganz fest.

Doch würde er das überhaupt tun, wenn er wüsste, was passiert war? Er war immer für mich dagewesen, aber hätte er das auch gemacht, wenn er die ganze Geschichte kennen würde?

Diese Frage fragte ich mich schon ewig, jedoch würde nur Lino sie mir beantworten können.

„Weißt du...", meine Stimme versagte und ich fing noch mal von vorne an: „Wenn Feder daran schuld ist, dass meine Eltern ihre Leben verloren..., dann ist es auch meine Schuld."

Immer wieder musste ich unterbrechen, da ich vor lauter Schluchzen nicht mehr sprechen konnte, doch Marcellino sagte nichts dazu, sondern hörte sich einfach nur an was ich erzählte. Wenn meine Stimme mal wieder brach, fuhr er mit seinem Finger nur behutsam in kleinen Kreisen über meinen Arm und schaffte es wirklich mich wieder ein bisschen zu beruhigen.

Wie durch Watte hörte ich mich selber erzählen, dass ich, wenn ich meine Eltern damals nicht ständig um ein Pferd angebettelt hätte, gar nicht bekommen hätte und sie somit noch am Leben wären.

Noch immer hörte Lino mir aufmerksam zu und unterbrach mich kein einziges Mal, sodass ich den Mut bekam noch weiterzureden. Über das, wegen dem ich mir seit jenem Tag Vorwürfe machte und mir die Schuld gab, denn ich hätte alles verhindern können.

„An unserem letzten Schultag vor einem Jahr..., als Feder auf der Weide so durchgedreht ist als meine Eltern bei ihr waren, das ist alles nicht zufällig passiert...", ich stockte und Lino versuchte mich wieder zu beruhigen, indem er meinen Kopf sanft zurück auf sein tränennasses Hemd bettete.

„... eigentlich wollte ich dich an diesem Tag zu einem Überraschungsausritt überreden, doch da wir nicht so viel Zeit hatten, da wir abends ja schon wieder zum Schulball wollten habe ich... ich habe morgens schon meine Eltern gefragt ob sie Feder mittags nicht von der Weide holen können..."

Stille. Einen Moment befürchtete ich schon, dass Lino sich gleich erheben, weggehen und mich alleine lassen würde, doch er seufzte nur einmal und legte seine Hand beruhigend auf meine inzwischen vollkommen zerstörte Frisur: „Ach Lotte."

„Verstehst du denn nicht?", meine Stimme klang ungewöhnlich schrill: „Es ist allein meine Schuld Lino. Hätte ich meine Eltern nicht gefragt, wären sie niemals auf Feders Weide gegangen und hätten gar nicht von ihr angegriffen werden können!"

Ich schniefte ein paar Mal und ließ die Tränen still über meine Wangen rennen, doch Lino schwieg noch immer.

Verunsichert hob ich meinen Kopf an um ihn in sein Gesicht blicken zu können. Zuerst schien er meinen Blick gar nicht zu merken und schien tief in den Gedanken versunken zu sein, doch etwas irritierte mich an seinen Augen. Lag da ein Schatten über seinem Gesicht?

Doch als er bemerkte wie ich ihn musterte, verschwand dieser Ausdruck sofort wieder und ich war mir nicht einmal sicher ob ich ihn mir vor lauter Tränen vielleicht sogar nur eingebildet hatte.

Langsam ließ ich meinen Kopf wieder zurücksinken und spürte die Wärme seiner Haut unter dem dünnen Hemd.

„Hör zu... du darfst dir an dem Tod deiner Eltern niemals die Schuld geben."

„Das sagst du so einfach...", ich schniefte: „aber der Punkt ist, dass ich eben Schuld habe. Hätte ich sie nicht danach gefragt, wäre das alles nicht passiert."

Er schlang seine Arme um mich bevor er antwortete: „Das ist nicht deine Schuld, schließlich haben sie sich ja freiwillig dazu entschieden Feder zu holen, denn sie hätten dir diesen Gefallen ja nicht tun müssen. Zudem waren sie erwachsen und somit alt genug um ihre Entscheidungen selbst abzuwägen."

„Aber hätte ich sie nicht gefragt, würden sie vielleicht immer noch leben.", meine Augen füllten sich erneut mit Tränen und ich ließ sie einfach fließen als ich weitersprach: „Ich verstehe dich nicht, Marcellino. Du hast versucht immer für mich da zu sein, doch ich habe dich jedes Mal weggestoßen und trotzdem hast du mich nicht aufgegeben. Als ich dir von Feder erzähl habe, wolltest du mir erst verbieten Zeit mit ihr zu verbringen, aber nur weil du Angst um mich hattest. Und jetzt?... Die ganze Zeit habe ich mich gefragt wie es sein würde, wenn du es wüsstest, war fest davon überzeugt das du mich wegstoßen würdest, was ich ja auch verdient hätte, aber stattdessen versuchst du mich weiterhin zu trösten und für mich da zu sein."

Die Stille die auf meine Worte folgte schien mir Sekunde für Sekunde mehr die Luft aus meinen Lungen zu pressen und ich vermutete, dass ihm bei meinen Worten gerade bewusst geworden war, wie recht ich hatte, doch als er anfing zu reden bemerkte ich, das er nur nach den richtigen Worten gesucht hatte.

„Ich habe nicht eine Sekunde, nicht mal während unserem Streit darüber nachgedacht dich im Stich zu lassen und auch wenn es ein bisschen aus dem Ruder gelaufen ist, wollte ich dir nur auf andere Art und Weise zeigen, dass du dich nicht für den Rest deines Lebens im Zimmer verkriechen solltest... aber was erwartest du eigentlich von mir? Wir kennen uns wahrscheinlich länger als ich bis drei zählen kann und in allen schönsten Momenten in meinem Leben warst du auch mit dabei. Du bist mir unglaublich wichtig, Lotte. Ich wollte immer das es dir besser geht aber zu sehen, dass ich dir nicht helfen konnte, hat mehr wehgetan als alles andere, auch wenn ich jetzt verstehen kann warum du so gehandelt hast...", er machte eine kurze Pause bevor er weitersprach, aber nur um kurz Luft zu holen: „Du hättest schon viel früher mit mir darüber reden können und das ich nicht schon viel früher auf den Gedanken gekommen bin, das du dir völlig zu unrecht die Schuld gibst, dafür könnte ich mich selber Ohrfeigen. Wenn du mich nur halb so gut kennst, wie du es mir in all den Jahren gezeigt hast, dann müsstest du doch wissen, dass ich trotz allem immer für dich da sein werde."

„Ich weiß, aber wieso?... Denn ich bin mit Sicherheit die Letzte die das verdient hat. Wäre ich nicht gewesen, würden sie beide noch leben... aber trotzdem sind alle so nett zu mir und wollen mir nur helfen. Dabei müssten sie mich doch eigentlich verachten, weil ich meine Eltern auf dem Gewissen habe, doch trotzdem sind sie alle und besonders du immer für mich da... wieso? Wieso bist du so unglaublich nett zu mir seit du weißt das ich dafür verantwortlich bin.", schluchzend versuchte ich die einzelnen Gedankenfetzen die in meinem Kopf umherflogen zu einem logischen Satz zu formulieren, doch das was ich jetzt aussprechen würde, musste einfach gesagt werden: „Manchmal denke ich, dass ich mich vielleicht nur so gut mit Feder verstehe, weil wir beide an dem Tod meiner Eltern Schuld haben, obwohl ich selber ja eigentlich noch mehr Verantwortung trage als sie. Vielleicht ist das der einzige Grund wegen dem ich ihr verzeihen konnte, weil ich dachte meinen Teil im Ganzen somit vergessen zu können, aber das klappt nicht... vielleicht haben wir uns aber auch nur gegenseitig vertraut, weil wir wussten das uns kein anderer mehr vertrauen würde, denn ganz ehrlich, ich weiß nicht mal wie man Feder, oder vor allem mich überhaupt noch mögen oder ansehen kann."

Während all die Mauern, die ich innerhalb des letzten Jahres um mich herum gebaut hatte zusammenbrachen, spürte ich wie Lino sich unter mir anspannte. Für einen Augenblick hatte ich wieder das Gefühl, dass dort noch etwas war, an das ich mich nicht mehr erinnern konnte, doch dass immer dichter an die Grenze zu meinem Bewusstsein zurückkehrte, obwohl mir noch immer ein paar Zentimeter fehlten um es greifen zu können. Da war irgendetwas und ich wusste nicht ob Lino sich daran nicht sogar erinnern konnte, es aber vor mir geheim hielt.

Bevor ich weiter auf das komische Gefühl hören konnte, dass sich immer weiter in jeder Zelle meines Körpers auszubreiten schien und mir merkwürdig bekannt vorkam, obwohl ich es nicht zuordnen können, zog Lino mich jedoch noch dichter an sich heran. In meinen Sturm aus anderen Gefühlen ging es wieder unter und verschwand so plötzlich wie es aufgetaucht war.

Noch immer zog ich meine Nase hoch und ignorierte die Tränen die mir aus über meine Wangen rannen und Lino strich mir immer wieder beruhigend über meine Haare.

„Versprich mir Lotte, dass du nie wieder so abwertend über dich selber denkst.", ich spürte seinen aufmerksamen Blick auf meinem Hinterkopf, doch sah nicht zu ihm hinauf, sondern blickte weiterhin zum Boden hinab.

„Du bist absolut wundervoll so wie du bist und mach dich nicht immer selber schlecht. Ich weiß, dass du sowieso nicht auf mich hören wirst, aber ich kann dir versichern, dass du wirklich keine Schuld trägst, auch wenn du das jetzt noch nicht wirst begreifen können. Du hast nur gefragt, deine Eltern haben freiwillig entschieden und ich weiß das sie mir zustimmen würden, wenn ich sage, dass ihr Tod nicht in deiner Verantwortung liegt."

Auch wenn ich es nicht wollte, schafften seine Worte es mich ein bisschen zu trösten, doch ich verbat mir ihnen Glauben zu schenken obwohl es ein großer Teil von mir am liebsten sofort getan hätte.

„Vor allem aber hast du es vor zwei Wochen nur geschafft mich zu überzeugen, dich bei Feder zu lassen, da du mir selber gezeigt hast, wie viel sie dir und du ihr bedeutest. Außerdem hast du weitaus überzeugendere Argumente geliefert, warum du ihr verziehen hast und ihr wieder vertraust, außer dass ihr beide Schuld tragt und das stimmt ja noch nicht mal. Seit der ersten Sekunde die ihr gemeinsam verbracht habt passt ihr perfekt zusammen und du weißt gar nicht wie sehr ich deine besondere Beziehung zu ihr immer bewundert habe. Ihr passt perfekt zusammen und seitdem wir zusammen spazieren waren, habt ihr beide mir das bewiesen und gezeigt, dass es unter allen Umständen immer so gewesen ist und auch für immer so sein wird. Sie passt auf dich auf auch wenn sie selber Angst hat und würde dich mit ihrem eigenen Leben beschützen und ich zweifle nicht eine Sekunde daran, dass du es genauso tun würdest..."

Für einen Moment schweiften meine Gedanken ab und ich wusste wie recht er hatte. Feder bedeutet mir alles, sie bedeutete mir mein Leben, nein, sie war mein Leben.

„...das allein zeigt doch schon, was für ein gutes Pferd Feder trotz allem ist und an dir habe ich sowieso nie gezweifelt. Ihr passt perfekt zusammen, auch wenn ich neulich eine Zeit gebraucht habe um das zu erkennen, doch wenn du es jetzt nicht mehr sehen möchtest, dann werde ich es dir so lange zeigen bis du es wiedererkennst."

Ich weiß es doch, hätte ich am liebsten geschrien, doch ich blieb ganz still. Obwohl ich nicht erklären konnte wieso vertraute ich Feder und im vergangenen Jahr hatte ich wenigstens zwei Dinge daraus gelernt: 1. Ich vertraute ihr blind und nichts und niemand auf dieser Welt würde das jemals ändern können und 2. Ich würde mich nicht länger dagegen wehren, denn das brachte sowieso nichts.

Zu Feder würde ich ab jetzt immer halten, egal was passiert war und was passieren würde und gar nichts würde daran im Geringsten etwas ändern können.

Vielleicht lag das auch daran, dass wir eben doch beide die Schuld am Tod meiner Eltern trugen, wenn das wirklich das war, was damals passiert waren. Denn egal was Lino sagte, es war meine Schuld. Selbst wenn er mich irgendwann davon überzeugen würde, dass es nicht so wäre, könnte er mir niemals sagen, dass ich es nicht hätte verhindern können, denn das wäre gelogen.

Mit einem Satz, einer Textnachricht hätte ich sie zurückhalten und somit alles verhindern können, aber ich hatte es nicht getan und das war das was zählte.

Auch Lino schien das zu wissen, denn er sagte nichts mehr und zog mich nur noch enger an sich heran wie um mir zu zeigen, dass ich nicht alleine war.

Denn auch wenn heute innerhalb von wenigen Stunden mein ganzes Leben und Tun wieder in Frage gestellt und mein dunkelstes Geheimnis, von dem ich mir eigentlich geschworen hatte es niemals jemandem zu verraten gelüftet worden war, hatte ich etwas gelernt.

Ich war nicht alleine und musste diesen Kampf nicht alleine kämpfen. Lino konnte mir nicht helfen, indem er alles rückgängig machte, einfach weil es nicht fing, aber heute Nacht hatte ich erfahren, dass es wirklich helfen konnte über die Dinge zu reden.

Noch immer flossen meine Tränen meine Wangen hinab und auf Linos mittlerweile vollkommen durchnässtes Hemd und mein leises Schluchzen drang unnatürlich laut durch den fast stillen Wald, doch er hielt mich noch immer ganz dicht bei sich und legte seinen Kopf ganz vorsichtig auf meinen.

Heute Nacht hatte ich gelernt, dass ich nicht alleine war, auch wenn ich nicht viele Freunde hatte. Doch das brauchte ich auch nicht, denn ich hatte dafür die besten, die man sich nur vorstellen konnte und in diesem Moment wusste ich, dass sie mich nie alleine gelassen hatten und dies auch niemals tun würden, genauso wie ich es nie bei ihnen tun würde.

Sie waren für mich da, nahmen mich im Schutz und ließen mich einfach nicht alleine. Feder und ich gehörten zusammen und in diesem Moment wurde mir bewusst, dass das auch für immer so bleiben würde und ich das nicht länger vor mir selber verstecken musste. Aber es war mir auch bewusst geworden, dass es zwischen Lino und mir genau das gleiche war. Wir waren immer zusammen gewesen und würden es hoffentlich auch immer sein.

Die beiden konnten nicht das ungeschehen machen was passiert war oder mir sagen, dass ich nicht die Verantwortung dafür trug, doch das sie mich einfach so akzeptierten wie ich war und sogar bereit waren meine Last mit sich zu teilen, war mit größter Wahrscheinlichkeit die schönste Erkenntnis die ich jemals in meinem Leben würde machen dürfen.

Mit diesen Gedanken und Linos sanften Kreisen, die er mit seinem Daumen auf meinen Oberarm fast an die Stelle malte, an der er gebrochen gewesen war, weinte ich mich vollkommen fertig und ganz dicht in seinen Armen versunken in den Schlaf.

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