15. Kapitel
Ich wusste nicht mehr wirklich wie ich hier hergekommen war, aber als ich den mir mittlerweile nur allzu bekannten Zaun vor mir auftauchen sah, war ich doch froh hierhergekommen zu sein.
Während ich ihn überwand sah ich mich nach Feder um und entdeckte sie wie fast immer an ihrem Lieblingsplatz, unter den ausladenden Ästen des alten Apfelbaumes.
Als sie mich sah hob sie ihren Kopf und kam auf mich zu. Sonst hatte ich immer ihren Namen gerufen, bevor ich über den Zaun geklettert war, sodass sie schon früher gewusst hatte, dass ich kommen würde, weshalb sie mir heute etwas zögerlich entgegentrabte.
Würde sie bald jemandem anderen so entgegentraben um ihn genauso liebevoll begrüßen wie mich sonst immer? Schnell versuchte ich diese Gedanken zu verdrängen. Das durfte einfach nicht passieren.
Feder wieherte mir freudig entgegen, sichtlich überrascht mich tagsüber zu sehen und blieb knapp vor mir stehen.
„Hallo meine Maus...", meine Stimme brach als ich ohne es verhindern zu können darüber nachdenken musste, wie oft ich das wohl noch würde zu ihr sagen können.
Statt zu reden schlag ich meine Arme um ihren Hals und verbarg wie früher immer, wenn ich traurig gewesen war oder Ärger bekommen hatte mein Gesicht in ihrem Fell. Nur das es dieses Mal schlimmer war. Meine Eltern würden nicht gleich zu mir kommen um mich auch zu trösten oder mir zu sagen, dass sie schon gar nicht mehr so sauer auf mich waren und dass wir uns wieder vertragen konnten.
Es würde nicht einfach so wieder alles gut werden. Feder war die Einzige die ich jetzt noch hatte und der ich wirklich vertraute und jetzt sollte sie mir auch noch weggenommen werden.
Meine Tränen rannen meine Wangen hinab und wurden von Feder weichem Fell aufgesogen, während wir einfach nur still dastanden und Feder immer wieder ihren Kopf drehte und mir leicht durch meine Haare pustete um mich zu trösten. Sie war einfach immer für mich da so wie ich auch für sie, für immer, das hatte ich zumindest gehofft doch auf einmal war die Gewissheit da, dass dies nicht so sein würde, dass es zwischen uns kein für immer mehr geben würde.
Sie hatte noch nicht verstanden worum es ging, wusste nicht warum ich traurig war aber legte trotzdem alles daran mir helfen zu können und einfach für mich da zu sein.
So war das schon immer gewesen. Wir hatten uns nicht miteinander unterhalten können, doch das hatten wir auch gar nicht gebraucht, denn wir hatten uns auch so verstanden. Wir hatten so viel zusammen erlebt und ausprobiert uns gegenseitig immer ermutigt, aber am wichtigsten war, dass wir immer bedingungslos füreinander dagewesen waren.
Zu gut konnte ich mich noch an den Tag erinnern, an dem Feder auf der Weide gestürzt war und sich ihr linkes Vorderbein verletzt hatte. In den folgenden zwei Wochen war ich ihr keine Sekunde von der Seite gewichen und auch wenn es mich viele Überredungsversuche gekostet hatte, hatten mir meine Eltern am Ende sogar erlaubt bei ihr in der Box schlafen zu dürfen.
Dass das in absehbarer Zukunft nicht mehr so sein würde, brach mir das Herz.
Die Zeit verstrich und noch immer klammerte ich mich an Feders Hals als wäre sie mein Felsen in der Brandung, doch stimmte das nicht sogar? Mittlerweile war sie der einzig verlässliche Teil in meinem Leben, da sie immer für mich da war und mich ohne Bedingungen zu stellen so hinnahm wie ich war.
Irgendwann versiegten meine Tränen, auch wenn ich glaubte, dass es allein daran lag, dass ich keine mehr hatte.
Noch immer ruhte mein Kopf an der flauschiegen Stelle in ihrer Halsbeuge. Hier war alles gut, doch würde ich ihn hochnehmen und mich auf Feders Weide umsehen würde ich wieder begreifen, was ich bald alles verlieren würde.
Aber war nicht alles was zählte, dass es jetzt nicht so weit war? Ich schniefte einmal und atmete Feders Geruch danach ganz tief ein, in der Hoffnung ihn egal was passieren würde nie zu vergessen.
Doch zählte in dieser Sekunde nicht noch viel mehr, dass Feder trotz allem neben mir stand und ich bei ihr sein konnte?
Vorsichtig hob ich meinen Kopf an und wischte mir mit meinen Händen über mein Gesicht und meine Augen. Jetzt war ich bei ihr und anstatt traurig zu sein, weil das in Zukunft vielleicht nicht mehr so sein würde, sollte ich doch viel lieber die Zeit genießen die ich noch hatte oder?
Als ich mich endgültig aus unserer Umarmung löste und ihr ihn ihre tiefen, strahlend engelsblauen Augen sah, die mich wie so oft zuvor besorgt ansahen, weil sie sofort gemerkt hatte, dass es mir nicht gut ging, wurde mir wieder klar, wie sehr ich ihr vertraute und wie unendlich viel sie mir bedeutete.
Meine Verzweiflung wich auf einmal einem anderen Gefühl, dass mich wieder hoffen ließ: meinem Kampfgeist.
Denn Feder war mir wichtig, wichtiger als alles andere und auch wenn das nun definitiv keine neue Erkenntnis war, denn das war mir schon lange bewusst gewesen, wurde mir wieder bewusst, dass ich sie nicht einfach so aufgeben konnte. Egal was also passieren würde, ich würde um Feder, um uns kämpfen, denn ich hatte nichts zu verlieren, außer wenn ich jetzt aufgab, denn dann hatte ich bereits verloren.
„Komm", ich ging los und schnalzte einmal und Feder ging neben mir her bis zu ihrem Unterstand.
Auch wenn ich nicht wusste wohin, wollte ich jetzt erst einmal hieraus, denn ich wollte Zeit für mich und Feder und nicht das Lino gleich wiederkommen und alles kaputt machen würde. Ihm war hundertprozentig bewusst, dass ich mich zu Feder geflüchtet haben würde, doch ich wollte nicht, dass er gleich auf ihre Weide kam und mir verbieten wollte Zeit mit ihr zu verbringen.
Mir war bewusst, dass er nur Angst um mich hatte, doch ich war mir sicher, dass er das nicht brauchte und selbst wenn er das so sah, hätte ich mir gewünscht, dass er mir soweit vertrauen würde, mir zu glauben. Denn ich war mir sicher: Feder war alles, nur nicht gefährlich.
Während ich kurz in ihrem Unterstand verschwand und das Halfter holte, dass ich mit der Putztasche ebenfalls hiergelassen hatte, da es ja sowieso niemand suchen würde, wartete Feder geduldig draußen.
Nebeneinander gingen wir auf den Teil ihrer Weide zu, der bis in den Wald reichte und indem ich gestern Abend ein kleines Tor im Zaun, kurz vor der rechten Ecke entdeckt hatte, dass mir bis dahin noch gar nicht aufgefallen war. Aber wie auch, wenn die Bäume so dicht beieinanderstanden, und das Grün der Büsche so dicht war, dass man teilweise keine zwanzig Meter gucken konnte?
Als wir schon so weit in den Wald gegangen waren, dass ich die Wiese hinter uns kaum noch erkennen konnte, wurde mir bewusst, dass Lino, wenn er jetzt auf Feders Weide käme, was er früher oder später gewiss tun würde um nach mir zu suchen uns nicht finden würde und mich somit erstmal nicht mehr von Feder trennen konnte. Obwohl mir allzu bewusst war, dass ich ihm wenn überhaupt nur für wenige Stunden entfliehen konnte, war es als ob mit einem Mal meine ganze Anspannung verschwand und mich so leicht fühlen ließ wie schon lange nicht mehr.
Erst als wir an dem unscheinbaren Tor angekommen waren, bemerkte ich, dass ich das Halfter mitsamt dem Strick noch immer über meiner Schulter trug, doch obwohl ich es mir einfach nur hätte den Arm hinabrutschen lassen müssen, zögerte ich noch.
Klar, dass hier war nicht mehr die Weide und wenn Feder im Wald weglaufen sollte, würde ich sie nicht so einfach wiederfinden können, doch wieso sollte sie das tun?
Hatte sie nicht schon oft genug bewiesen, dass wir kein Halfter brauchen würden? Wenn wir auf ihrer Koppel waren, blieb sie immer an meiner Seite – außer wenn wir fangen spielten, aber das war ja auch etwas anderes – und auch beim Putzen hatte sie total stillgestanden.
Trotzdem zögerte ich noch, obwohl ich mich im nächsten Moment schon wieder fragte wieso. Ich vertraute Feder doch, mehr als jedem anderen und sie mir doch auch. Außerdem hatte sie mich vor ein paar Wochen aus ebendiesem Wald gerettet und mir den Weg zu ihrer Weide gezeigt, ebenfalls ohne Halfter.
Als ich daran dachte viel mir auch wieder ein, dass wir damals nicht durch dieses Tor hier auf ihr großes Stück Wiese gegangen waren, sondern über den Zaun gesprungen – oder geklettert waren. Das hieß zum einen, dass Feder und ich schon einmal ohne Halfter im Wald gewesen waren und sie mir keine Sekunde von der Seite gewichen war, aber zum anderen auch, dass sie diesen Zaun sowieso überwinden konnte wann immer sie wollte und so wahrscheinlich diverse Spaziergänge unternommen hatte, von denen ich gar nichts wusste.
Bei dem Gedanken wie Feder alleine durch den Wald ging und an verschiedenen Büschen, Sträuchern und Bäumen angehalten hatte, um an ihnen zu schnuppern, stahl sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen.
Ich nahm mir das Halfter von meiner Schulter und guckte es noch einen Moment an, während ich es in meinen Händen hielt. Nein, ich vertraute Feder und sie vertraute mir, deshalb würden wir es nicht brauchen.
Feder schnaubte fast schon erleichtert als ich es an einen der schon bereits etwas morschen Pfosten hängte und mich dann zu dem rostigem Metallriegel am Tor drehte, um herauszufinden, wie man es öffnen konnte. Oder bessergesagt, ob man es vor lauter Rost überhaupt noch öffnen konnte.
Wer hatte eigentlich die phänomenale Idee gehabt das Tor für diese Weide mitten in den Wald zu bauen, sodass es total umständlich war es zu benutzen? Andererseits, so wie es aussah, hatte es auch schon lange keiner mehr benutzt.
Erst im Nachhinein hatte ich bemerkt, dass es bestimmt geschlagene fünf Minuten gedauert hatte, bis ich es schaffte den rostigen Riegel so beiseite zu schieben das ich das Tor nach innen aufziehen konnte, doch die Zeit hatte sich definitiv gelohnt.
„Nach dir", ich hielt Feder das Gatter auf und ging nach ihr hindurch, bevor ich es langsam wieder zufallen ließ.
Seite an Seite gingen wir mitten durch den Wald und genossen das laute Singen der Vögel. Einmal raschelte es im Gebüsch neben uns und Feder machte einen Satz zu Seite, doch als sie sah wie ich nur schmunzelnd weiterging, folgte sie mir wieder. Kurz bevor wir an dem Busch vorbeigingen, schoss eine kleine Maus aus ihm hervor und rannte vor unseren Füßen auf die andere Seite in das nächste Gestrüpp.
„Siehst du, kein Grund zum Erschrecken."
Feder schnaubte zufrieden als Antwort und wir gingen weiter.
Auch wenn ich die ganze Zeit versuchte nicht darüber nachzudenken, überlegt ich, wie oft ich das wohl noch mit ihr zusammen würde machen können. Doch so sehr ich auch versuchte diese Gedanken zu verdrängen, überschatteten sie unseren ganzen Spaziergang.
Aber auch wenn ich die ganze Zeit darüber nachgrübelte und verzweifelt nach einer Lösung suchte, kam ich auf kein Ergebnis, außer, dass ich Feders, dieses Mal echten Verkauf einfach nicht zulassen konnte, aber das war mir schon von vornerein klargewesen.
Immer wieder stupste Feder mich sanft an um mich in die Gegenwart zurückzuholen und erst als sie vor lauter Langweile schon anfing nach einem Schmetterling zu schnappen der neben ihr flog, zwang ich mich meine Gedanken beiseitezuschieben. Denn im Moment konnte ich ja noch bei ihr sein und das sollte ich lieber genießen. Zudem würde ich auch später noch genügend Zeit haben eine Lösung zu finden, dass hoffte ich zumindest.
Je tiefer wir in den Wald gegangen waren, desto einfacher war es für mich gewesen, einen Moment wirklich zu vergessen, womit Marcellino mir heute Morgen gedroht hatte und ich hatte einfach genießen können, wie ruhig Feder neben mir hergegangen war.
Ich hatte ihr ansehen können, wie schön sie es gefunden hatte nicht alleine durch den Wald zu gehen und mir hatte es ebenso sehr gefallen.
Tatsächlich war Feder hin und wieder an ein paar Büschen oder Sträuchern stehengeblieben und hatte an ihnen gerochen und jedes Mal hatte ich bei ihrem Anblick lächeln müssen. Danach war sie immer wieder zu mir gekommen und ich hatte ihr ihre Mähne aus den Augen gestrichen oder ihr einfach so ihre Stirn gekrault.
Mittlerweile waren wir schon wieder auf dem Rückweg und kurz vor ihrer Koppel, oder ich glaubte es, denn Feder hatte irgendwann die Führung übernommen und ich hatte wieder einmal meine Orientierung verloren.
Doch ich hatte es sogar gut gefunden, denn Feder hatte mir ein paar schöne Stellen gezeigt, die ich noch gar nicht gekannt hatte und sie fand sich hier eindeutig besser zurecht als ich.
Im Gegensatz zum letzten Mal, als sie mich mitten in der Nacht aus dem Wald geführt hatte, vertraute ich ihr dieses Mal voll und ganz und hatte keine Angst mehr vor ihr, oder der mir fremden Umgebung.
Genaugenommen freute ich mich sogar, dass sie mir so viel zeigen konnte und es auch wollte und auch wenn ich in Wirklichkeit keinen blassen Schiller hatte, wo wir uns nun befanden, fühlte ich mich absolut sicher, denn Feder war bei mir und sie wusste definitiv wo wir gerade waren.
In diesem Moment kam sie gerade mit hoch erhobenem Kopf und wehendem Schweif von links auf mich zugetrabt, wo sie an dem Efeu eines großen Baumes gerochen hatte.
„Na, so spannend hier draußen", ich schloss sie in meine Arme als sie bei mir war und sie wieherte zustimmend.
Lachend folgte ich ihr, als sie sich zwischen zwei Büsche hindurchpresste, die sehr eng beieinandergestanden hatten und ein kleines Loch in ihnen hinterließ.
„Ach Feder", schmunzelnd holte ich sie wieder ein und merkte selber wir mir das Lächeln auf der Haut gefror, als ich den Zaun ihrer Weide erkannte, auf den sie gerade zuging.
Mit einem Mal war ich wieder im hier und jetzt, nicht nur in der Gegenwart und nicht in meinen Gedanken, wie ich es vorher auch schon gewesen war, sondern wieder auf dem Boden der Tatsachen.
Keine Sekunde länger konnte ich Linos Streit und seine Drohung Feder wirklich zu verkaufen weiter verdrängen, doch während ich das Koppeltor öffnete brannte sich noch etwas ganz anderes in meine Gedanken: sein enttäuschtes Gesicht, als ich ihm heute Morgen nicht sofort hatte alles erklären können.
Es hatte ihn wirklich verletzt, sowie er sich auch wirklich nur Sorgen um mich machte, wenn ich bei Feder war.
Ich wusste nicht, warum mir das erst jetzt so richtig bewusstwurde, aber er hatte ebenfalls seine Gründe gehabt, so zu reagieren, wie er es getan hatte, doch nur weil er Feder nicht vertraute, war es auch nicht sein recht, mich aus Angst von ihr zu trennen, wenn ich wusste, dass sie gar nicht gefährlich war.
Denn sie war hundertprozentig nicht gefährlich. Klar, er wusste nichts von dem Brief meiner Eltern genauso wenig wie von meinem Glauben, dass damals vielleicht etwas ganz anderes passiert war und Feder gar nichts damit zu tun hatte, aber konnte er mir in dieser Hinsicht nicht einfach einmal glauben?
Wenige Sekunden später hätte ich den Kopf über mich selber schütteln können. Nein, natürlich konnte er mir nicht einfach nur glauben, denn er hatte Angst vor ihr. Am liebsten wäre es mir zwar gewesen, dass er mir so sehr vertraut hätte, dass er meiner Einschätzung von Feder glauben geschenkt hätte, doch vielleicht konnte er schlichtweg nicht, aus der Angst mich auch noch verlieren zu können.
Auch wenn er es mir vor wenigen Stunden genauso gesagt hatte, war ich vollkommen überwältigt von diesem Gedanken. Mir war bewusst gewesen, dass er so handelte, weil er sich Sorgen um mich machte, doch erst jetzt hatte ich so wirklich verstanden was das bedeutete.
Feder riss mich aus meinen Gedanken, als sie mich ein paar Mal in die Seite knuffte. Erst jetzt nahm ich wirklich war, dass wir den Wald bereits hinter uns gelassen hatten und über die Wiese liefen.
Wie immer, fast schon so als wäre es eine Tradition – was es ja mittlerweile vielleicht auch wirklich war – ließen wir uns wenig später unter dem Apfelbaum auf dem Flecken Schatten nieder den er warf.
Während Feder sich neben mir Wälzte streckte ich mich einmal, bevor ich wie immer meine Arme um meine Beine schlang und Feder zusah, die sich gerade genüsslich von der einen Seite auf die andere drehte.
Sie war zweifelslos glücklich und auch wenn mich das freute war es ein Zeichen für mich, dass sie noch immer nicht wusste, was uns beiden bevorstehen könnte, aber wie auch?
Schnell verdrängte ich diesen Gedanken wieder. Soweit würde ich es definitiv nicht kommen lassen. Mir würde schon noch etwas einfallen. Doch schon während ich das dachte, fragte ich mich, wen ich damit eigentlich versuchte zu überzeugen. Feder, die weder meine Gedanken hören konnte, noch verstehen konnte, was sie bedeuteten, wenn ich sie laut ausgesprochen hätte oder doch mich selber.
Als Feder sich nach ihrem ausgiebigen Wälzen erhob und auf mich zukam, wurde mir jedoch mal wieder bewusst, dass sie meine Wörter gar nicht verstehen musste um zu wissen was in mir vorging. Wir beide hatten unsere eigene Sprache, ganz ohne Wörter, aber die vielleicht mehr zum Ausdruck brachte was wir voneinander wollten oder wie es uns ging als tausend Wörter es hätten beschreiben können.
Ich ließ mich nach hinten in das weiche Graß fallen und sah durch die Lücken des Blätterdaches des Apfelbaumes in den wolkenlosen Himmel.
Feder schnupperte an meinen Haaren und stupste mich ein paar Mal an, bevor sie verstand, dass ich ohne weiteres erst einmal nicht mehr aufstehen würde, sondern eine Pause brauchte und sich genüsslich neben mich legte.
Was für Möglichkeiten hatte ich? Ich überlegte welche Optionen ich hatte um zu verhindern, dass Lino Feder verkaufte. Mir viel zwar viel ein, doch drei viertel meiner Ideen konnte ich aufgrund ihrer Unbrauchbarkeit, wenn man einmal logisch über sie nachdachte gar nicht gebrauchen.
Sie reichten von zusammen mit Feder abhauen und gemeinsam im Wald leben, bis sich mit ihr an den Apfelbaum zu ketten, sodass man sie nicht würde auf einen Pferdeanhänger verladen können, doch so länger ich über jede einzelne Idee nachdachte, desto verwerflicher kam sie mir vor.
Wie sollte ich mit Feder im Wald alleine auch nur eine Woche überleben? Was war mit Essen und Trinken, wenn ich mich an einem Baum festkettete?
Seufzend sah ich zu Feder, die ihre Augen bereits geschlossen hatte und döste. Inzwischen war sie mir so unendlich wichtig und allein der Gedanke mich von ihr trennen zu müssen zerriss mir mein Herz.
Zeitgleich kam ich mir dabei jedoch auch unglaublich egoistisch vor. Wenn Lino so weit gehen würde, würde er bestimmt ein wunderschönes neues Zuhause finden und vielleicht würde es ihr dort sogar noch besser gehen als hier. Vielleicht war ihre neue Besitzerin oder ihr Besitzer viel netter und verantwortungsvoller zu ihr und ließ sie egal was passierte nicht einfach ein ganzes Jahr im Stich. Kurz um, vielleicht würde sie ein viel besseres Leben haben als bei mir und viel glücklicher sein und ich... ja was wollte ich? Ich wollte nichts sehnlicher als das sie bei mir blieb.
Wir kannten uns mittlerweile seit knapp zehn Jahren und sie war von Anfang an wie eine beste Freundin für mich gewesen, wie ein Teil meiner Familie und mittlerweile alles woraus meine Familie noch bestand.
Die letzten Wochen und Tage hatten mich wieder bewusstwerden lassen, wie wichtig sie mir war, dass sie mir so viel mehr bedeutete als alle anderen und das ich mittlerweile nicht einmal mehr im Geringsten wusste, was ich ohne sie machen würde.
Und zeigte, dass sie auch gerne so viel Zeit mit mir verbrachte nicht auch, dass ich ihr ebenfalls etwas bedeuten musste?
Egal wie viel ich auch nachdachte, meine Gedanken bewegten sich immer wieder in Kreisen und ich kam weder zu neuen Erkenntnissen, noch zu einer Lösung.
Langsam ließ ich mich wieder in das Graß zurücksinken und spürte wie es mich an meinen Ohren kitzelte. Wie lange war ich schon nicht mehr so zufrieden und fröhlich, ja einfach glücklich gewesen?
Durch eine Lücke in den Blättern viel ein Sonnenstrahl auf mein Gesicht und ich schloss meine Augen um nicht geblendet zu werden.
Es klang verrückt aber in den letzten Wochen hatte ich endlich wieder ein Zuhause gefunden. Klar, Marcellino und seine Eltern hatten mich liebevoll bei sich aufgenommen und auch versucht mir möglichst viel zu helfen, mir aber auch genügend Freiraum gelassen, doch es war für mich nie mein Zuhause gewesen. Sie hatten sich echt alle Mühe gegeben und getan was sie konnten, mir ein eigenes Zimmer bei ihnen eingerichtet und mir das Gefühl gegeben, Teil ihrer Familie zu sein und ich war ihnen echt dankbar, dass ich hatte bei ihnen wohnen können, doch das war es eben auch gewesen. Ich hatte bei ihnen gewohnt, doch etwas hatte mir immer gefehlt um zu sagen können, es wäre mein Zuhause.
Doch hier konnte ich es, hier war ich Zuhause. Nicht einfach wegen der schier unendlich großen Weide, auf der man sich alleine doch so einsam fühlen musste, oder wegen meinem neuen Lieblingsplatz im Schatten unter dem Apfelbaum, sondern weil hier Feder war. Weil ich bei ihr Zuhause war und sie bei mir, weil sie meine Familie war und hoffentlich auch immer sein würde.
Deshalb konnte und durfte ich es nicht zulassen, dass Lino uns trennen würde.
Bevor auch ich unter den Blättern des Apfelbaumes einschlief um das Schlafdefizit, das ich bekommen hatte, da ich meine Nächte immer bei Feder verbrachte auszugleichen nahm ich mir noch vor, dass egal was Marcellino auch vorhatte, ich im Notfall kämpfen und nicht wie so oft zuvor aufgeben würde. Denn Feder und ich gehörten zusammen und ich würde es nicht ertragen sie zu verlieren, da sie alles war was ich noch hatte und mir alles bedeutete.
Ein eigenartiges Geräusch neben mir riss mich aus meinem Schlaf und ich setzte mich auf um den hellen Sonnenstrahlen auszuweichen die mich blendeten. Noch immer müde sah ich mich um, doch als ich Feder sah, die ihren Kopf hoch erhoben hatte und laut und aufgeregt ihre Nüstern aufblähte, war ich sofort wach.
So aufgeregt und ängstlich hatte ich sie noch nie erlebt, auch nicht früher. Was war hier los?
Ebenfalls angespannt ließ ich meinen Blick über die weite Weide schweifen. Zuerst sah ich mich hinter mir um, auch wenn mir bewusst gewesen war, dass Feder sonst eigentlich in die andere Richtung hätte gucken müssen, doch ich wollte ausschließen, dass jemand oder etwas sich von hinten an uns heranschlich, sodass wir es nicht sehen konnten.
Aber wer sollte uns auf der Weide denn angreifen? Ja, es war bestätigt das Wölfe, sowie auch selten ein paar Bären in dem Wald wohnten, doch dieser war so groß, dass sie nicht an seinem Rand und eine der wenigen Straßen lebten, die durch ihn hindurchführten.
Lino und ich hatten früher total oft in ihm gespielt, sodass ich ihn im zumindest in meiner Umgebung an fast allen Stellen auswendig kannte und wir hatten ein paar Mal sogar mit einem Zelt in ihm übernachtet, doch noch nie hatten wir überhaupt einen Wolf, geschweige denn einen Bären gesehen.
Nur ein Fuchs hatten wir einmal am Morgen einer dieser Übernachtungen von unserem Frühstück vertreiben müssen, doch schon als wir den Reisverschluss des Zeltes geöffnet hatten, war er geflüchtet.
Weil er nämlich viel mehr Angst vor uns als wir vor ihm gehabt hatten, genauso wie es auch bei Wölfen und Bären der Fall war.
Wie schon erwartet war die Wiese hinter uns lehr, abgesehen von ein paar Blumen, von denen die meisten in der anhaltenden Hitze jedoch auch schon verdorrt waren.
Fast ein wenig erleichtert wandte ich meinen Blick nach vorne und verfluchte, dass ich früher so viel darüber gelesen hatten, das Wolfsrudel anderswo nicht nur Schafe, sondern teilweise auch Pferde töteten. Eine Zeitlang hatte ich mich darüber ziemlich viel informiert, aus Angst, dass unseren Pferden so etwas auch passieren könnte, doch Lino hatte es damals geschafft mich nach stundenlanger Recherche wieder zu beruhigen. Schließlich taten die Wölfe das nur, wenn sie nicht genug Essen in ihrem Waldstück fanden und die Weiden nicht gut gesichert waren. Denn ein Wolf würde viel lieber in seinem Wald in Ruhe jagen, wenn es dort Beute gab, als sein vertrautes Revier zu verlassen.
Doch da dieser Wald der größte in dieser Region war und unsere Weiden auch gut umzäunt waren, waren unsere Pferde sicher.
Feder schaute noch immer aufgeregt in schräg nach links und dieses Mal folgte ich ihrem Blick.
Auch wenn ich es schon erwartet hatte, war es ein Schock ihn hier zu sehen. Was wollte Lino von mir? Mit mir reden, oder mich von Feders Weide holen?
Unwillkürlich rutschte ich zurück bis ich den breiten Baumstamm in meinem Rücken spürte und nicht weiter zurückweichen konnte.
Was jetzt? Doch bevor ich weiter nachdenken konnte, stand Feder auf und stelle sich vor mich. Noch immer bebten ihre Nüstern, aber allein ihre Körpersprache verriet mir, dass ihr ganzer Körper nach Flucht schrie. Seit wann war sie so scheu? Aber auch wenn sie am liebsten auf der Stelle weggerannt wäre, blieb sie wie angewurzelt hier stehen und bildete so eine Mauer zwischen mir und Lino.
Sie musste gemerkt haben, wie viel Angst ich auf einmal bekommen hatte und versuchte mich nun vor ihm zu beschützen. Ich konnte gar nicht in Worte fassen, wie dankbar ich ihr dafür war.
Trotzdem erhob ich mich langsam und ging mit zitternden Beinen einen Schritt auf Feder zu.
Marcellino war nur noch wenige Meter von uns entfernt und blieb abwartend stehen.
Ich wollte zwar nicht, aber mir war bewusst, dass ich mit ihm sprechen musste. Innerlich wappnete ich mich gegen das Schlimmste und nahm mir fest vor Lino standzuhalten, egal mit was er mir drohen würde, bevor ich zögerlich noch ein paar Schritte nach vorne trat.
Feder, die noch immer die Mauer zwischen ihm und mir bildete stupste mich ein paar Mal an und es wirkte fast so, als wollte sie, dass ich hier in Sicherheit blieb.
Kurz streichelte ich ihr über die Stirn und wollte vorne an ihr vorbeigehen, doch sie streckte ihren Hals und versperrte mir so den Weg.
„Feder", insgeheim war ich ihr zutiefst dankbar, dass sie mich beschützen wollte, doch vor Lino brauchte sie das nicht. Wir hatten uns zwar gestritten und er wollte das ich mich von Feder fernhielt, aber deshalb brauchte sie mich doch nicht so vor ihm in Schutz nehmen oder? Zudem konnte sie gar nicht davon wissen, dass Lino sie vielleicht verkaufen wollte und hatte nur bemerkt das ich vorhin traurig gewesen war. Das sie das sofort mit ihm in Verbindung brachte, zeigte mir, wie gut sie mich kannte.
Trotzdem legte ich meine Hand auf ihren Nasenrücken und sah sie einmal an. Ihre himmelsblauen Augen zeigten mir, wie viel lieber sie es gehabt hätte, wäre ich bei ihr geblieben, doch ich wusste auch, dass sie mich zu Lino gehen lassen würde, da sie mir vertraute, und wusste, dass ich die Situation selber einschätzen konnte.
„Danke, meine Maus", flüsterte ich ihr so leise zu, dass nur sie es hören konnte und ging an ihr vorbei.
Einen Moment zögerte ich, als es auf einmal nichts mehr gab das mich von Lino trennte, doch dann ging ich vorsichtig noch ein paar Schritte auf ihn zu.
Er machte mir keine Angst, doch anders als sonst konnte ich ihn dieses Mal nicht einschätzen und ich wusste nicht, was er mir gleich sagen wollte. Konnte er mir wirklich verbieten hier zu sein? Um eine Antwort zu finden musste ich nicht lange überlegen. Natürlich konnte er das, da er sie sonst einfach verkaufen würde, damit hatte er ja schließlich schon heute Morgen gedroht.
Feder ging mit mir mit, hielt sich aber immer etwa einen halben Meter hinter meinem Rücken versteckt. Sie hatte sich inzwischen wieder beruhigt, doch ich merkte, dass ihr die ganze Situation immer noch ganz und gar nicht gefiel.
Ein paar Mal berührte sie mich wie zufällig an meiner zurückschwingenden Hand, doch ich wusste, dass sie mir damit signalisieren wollte, dass ich zurückkommen sollte.
Aber wieso? Bevor ich mir darüber weiter Gedanken machen konnte, bemerkte ich Linos Blick, der erst auf mir und dann auf Feder ruhte, die mehrmals beunruhigt schnaubte.
„Es tut mir leid.", Marcellino sah mir fest in die Augen und ich verstand nicht, worauf er hinauswollte: „Ich war nur so geschockt heute Morgen, doch ich glaube ich habe einen Fehler gemacht..."
Noch immer konnte ich nicht so recht zuordnen, was er mir gerade sagen wollte, oder traute mich nicht daran zu denken. Spielte er vielleicht darauf an, wie heftig er reagiert hatte, als ich ihm erzählte, dass ich Feder vertraute?
„...es war nur so viel auf einmal und ich konnte gar nicht glauben was du mir da erzählt hast. Ich meine, im Endeffekt war es das was ich insgeheim immer gewollt hatte, dass Feder und du wie früher wieder zueinander findet. Doch dann ist mir bewusst geworden was sie deinen Eltern angetan hat und auf einmal hatte ich schreckliche Angst um dich. Wenn sie dich verletzt hätte, oder es noch tun würde, dann wäre es allein meine Schuld, weil ich sie wieder auf den Hof zurückgeholt habe und vor allen Dingen hätte ich es so einfach verhindern können... also was ich eigentlich sagen möchte ist, dass ich überreagiert habe, ja wahrscheinlich sogar sehr, aber nur weil ich Angst hatte dich zu verlieren. Feder hat in der Vergangenheit und auch jetzt gerade jedoch bewiesen, dass es sowohl gerechtfertigt ist, ihr zu vertrauen. Auch wenn sie Angst vor mir hatte...", er stockte kurz doch ich war viel zu sehr damit beschäftigt mich darauf zu konzentrieren worauf er hinauswollte, als es wirklich zu bemerken.
„... hat sie versucht dich vor mir zu beschützen, weil sie gemerkt hat, dass du mich gerade nicht sehen wolltest. Sie hat dein Wohl über ihres gestellt und das zeigt, dass sie dich wirklich mag und dir vertraut, so wie du ihr. Ich hätte es niemals übers Herz gebracht sie wieder wegzugeben, schon allein wegen dir nicht Lotte, aber mir ist heute Morgen auf die schnelle nichts Besseres eingefallen um dir klarzumachen, wie wichtig es ist, dass du dich von ihr fernhältst. Aber ich glaube ich habe mich geirrt. Vielleicht kann ich Feder nicht vertrauen, aber dir vertraue ich und wenn du mir sagst, dass sie total lieb ist und dir nie etwas tun wird, dann sollte ich dir einfach glauben, auch wenn es nicht so einfach ist. Zudem kann ich dir sowieso nichts verbieten, man sieht ja wohin das führt..."
Sagte er all das gerade wirklich? Erst Sekunden später verstand ich die Bedeutung seiner Wörter, auch wenn ich mich noch nicht traute ihnen ganz glauben zu schenken. Doch ich wusste das er mit seinem letzten Satz auf die Nächte anspielte, die ich heimlich hier verbracht hatte.
„...also, ich vertraue dir und wenn du mir sagen kannst, dass sie zu hundert Prozent ungefährlich ist, dann...", er suchte nach den richtigen Worten und ich sah ihm an wie erleichtert er war mit mir reden zu können. An seinen Gesichtszügen konnte ich erkennen, dass er es ehrlich meinte und dass es ihm aufrichtig Leid tat, dass er heute Morgen so übertrieben reagiert hatte. Doch warum hatte er all das gemacht? Lino musste sich wirklich Sorgen um mich gemacht haben und das bedeutete, dass ich ihm trotz allem wirklich wichtig war.
„Ja, ja ich kann es dir versprechen!", bevor Marcellino seinen Satz vollenden konnte fiel ich ihm stürmisch um den Hals, denn ich wusste worauf er hinauswollte. Nie hätte ich das als Ausgang für unser Gespräch gehalten und mich mit Feder schon alleine durch den finsteren Wald laufen sehen, doch er schien es ernst zu meinen.
Ich durfte weiterhin auf dieser Weide sein, bei dem Pferd das mir alles bedeutete, bei Feder. Noch immer konnte ich gar nicht so wirklich verstehen was das alles bedeutete, doch das musste ich für diesen Moment auch gar nicht. Nur das ich hier bleiben durfte musste ich wissen.
Während ich den noch immer etwas überraschten Marcellino vor Freude umarmte, konnte ich vor Glück gar nicht mehr aufhören zu lachen.
Doch ganz langsam kamen auch die Zweifel, die nach einer Antwort suchten, warum Feder Angst vor Lino gehabt hatte, mich vor ihm beschützen wollte und sich noch immer misstrauisch im Hintergrund hielt.
Aber in diesem Moment war ich viel zu Glücklich, um diese Fragen überhaupt wahrzunehmen.
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