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Maelor und Tame
Ich starrte aus dem Fenster auf ein Vogelnest in dem alten Baum in unserer Auffahrt. Minutenlang. Sah, wie sich die zwei kleinen Küken um die Aufmerksamkeit des Elternteils bemühten, der heranflog und ihnen Futter in den Schnabel stopfte. Ich fühlte nichts. Ich war schlecht. Eine Ausgebuhrt des Bösen, obwohl meine Mutter gut war und mich gelehrt hatte, dass alles in unserem Dasein mehrere Seiten hatte.
Dann drehte ich mich um und lief von Selbstzweifeln zerfressen aus meinem Zimmer.
Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Ich würde nie mit ihr zusammen sein können. Lasen Sterbliche überhaupt noch Liebesromane?
Die Antwort auf diese sinnlosen Fragen sparte ich mir, denn sonst hätte ich mir einreden müssen, dass Tame das Buch in der Buchhandlung ganz von selbst gefunden hatte. Vielleicht hatte sie ja einen natürlichen Instinkt, der den meisten anderen Menschen längst verlorengegangen war ... Allerdings war das nicht gerade glaubhaft, und Instinkt reichte hier nicht aus, berichtigte ich mich reumütig. Ich hatte etwas nachgeholfen und sie durch Gedankenkontrolle in die richtige Richtung geschubst. So etwas wollte ich ihr nie wieder antun. Darum musste ich meinen Fehler korrigieren.
Wenig später saß ich in meinem BMW und jagte die Straße entlang, die um den Wald herumführte, als mir ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Meine Sinne waren tatsächlich ausgeprägter als bei einem Menschen, zudem hatte ich eine vage Vorahnung, wer dafür verantwortlich war, und da ich den Wagen nicht zu Schrott fahren und der Polizei lästige Fragen beantworten wollte, hielt ich an der Seite an. Ich stieg aus und ging ein paar Schritte, um mich umzusehen. Keine Sekunde zu früh, wie sich nach der nächsten Kurve herausstellen sollte.
Mitten auf der Straße stand Aldon, mein Vater.
Er trug einen schwarzen Anzug, der exakt denselben Farbton wie seine Haare hatte, und hatte wieder dieses ausdruckslose Gesicht aufgesetzt. Trotzdem war er unglaublich gut ausehend, was den Sterblichen gegenüber einfach nur unfair war. Aber meine Mutter, deren Vertrauen er zerstört hatte, war nicht sterblich und deshalb wurde ich gleich doppelt so wütend.
Ich hielt die Nase in den Wind und atmete den Geruch des Waldes ein. Die Luft war immer noch recht warm, aber hier keinesfalls unangenehm. Zielstrebig ging ich auf meinen Vater zu und blieb ein paar Meter vor ihm auf der Straße stehen, wo im Sonnenlicht hoch über unseren Köpfen die Blätter der Bäume, die den Straßenrand säumten, ein grandioses Lichtspiel aus grün, gelb und kleinen braunen Tupfen zur Schau stellten. Den vor mir stehenden Dämon schien das nicht zu beeindrucken. Er hatte seine Arme vor sich verschränkt und den Blick fest auf mich gerichtet.
"Du schuldest mir eine Unterhaltung", sagte er fast flüsternd.
Meine Körperhaltung versteifte sich vor Anspannung. "Fahr zur Hölle. Da kommst du doch her, oder?", antwortete ich grimmig.
Mein Vater lachte. Es war ein kaltes, hohles Lachen, das ihm Spaß zu machen schien. "Wenn ich dorthin gehe, nehme ich dich mit. Es ist an der Zeit, dass du dich zu seiner Herkunft bekennst und meinesgleichen Respekt erweist."
"Niemals. Übrigens schulde ich dir gar nichts und Respekt muss man sich erwerben."
"Nun, wir haben keine Eile." Er wollte noch mehr sagen, aber er unterbrach sich.
Ich hörte das Auto im selben Moment wie mein Vater herannahen und beide drehten wir die Köpfe in seine Richtung. Noch war es zu weit weg, um uns ins Visier des Fahrers zu bringen ...
Ich wollte mich wieder meinem BMW zuwenden, wollte einfach dort weg, konnte es jedoch nicht. Meine Sinne warnten mich vor etwas und ich drehte mich meinem Vater zu. Das Nächste, was ich sah, war das kalte Funkeln in seinen grünen Augen, ein klarer Gebirgssee an einem kühlen Morgen, und ich wurde von einer Energieschockwelle getroffen, die mich wie einen Gummiball durch die Luft schleuderte.
Ich flog. Blätter, Baumstämme, die asphaltierte Straße und mein Vater wirbelten vor meinen Augen wie in einem Kaleidoskop durcheinander. Es kam mir vor wie in Zeitlupe. Ich war ziemlich benebelt, weil ich wusste, ich hätte tot sein müssen, als ich hart mit dem Kopf und auf allen Vieren auf dem Boden aufschlug, schließlich lebte ich unter Sterblichen und dieses Leben hatte Einfluss auf mich genommen. Aber ich war nicht tot, auch nicht in Gefahr. In mir wallte kein Schmerz, sondern Hass.
Und dann kam das Auto um die Biegung gerast.
Entschlossen rappelte ich mich hoch. Ich dachte, wenn ich von der Straße weg wäre, würde der Fahrer vielleicht einfach weiterfahren. Einige meiner Knochen waren stellenweise gebrochen und machten bei jeder Bewegung komische Geräusche, mein rechtes Auge war stark zugeschwollen, ich hatte Platzwunden und Schnitte durch die Wucht des Aufpralls erlitten, aber die Heilung setzte sofort ein. Ich war nicht wie die Sterblichen hilflos. Ich hatte das Blut von Dämonen und Engeln in mir.
Schneller als ein Sekundenbruchteil verging, stand ich wieder auf den Füßen.
Zu schnell für den Verstand der Sterblichen in dem Auto, und ich verfluchte mich für meine Nachlässigkeit.
"Du hast sie getötet", rief mein Vater, vollkommen ohne Emotionen. Er hatte meine Gedanken an meinem Gesicht abgelesen und lachte. Alles war ein Spiel für ihn.
Da wusste ich, was er vorhatte und wurde von meinem eigenen Zorn erfasst. "NEIN!"
Ich wirbelte herum, aber das Auto überschlug sich bereits und drehte sich in der Luft kunstvoll um die eigene Achse - das Werk meines Vaters. Dann, als es auf der gegenüberliegenden Straßenseite aufkam und auf dem Dach über den Boden schlitterte, schnippte mein Vater mit den Fingern und setzte es explosionsartig in Brand. Das Geräusch des über den Asphalt schabenden Metalls, auf den der Knall folgte, dröhnte in meinen Ohren nach. Die gesamte Luft um uns herum war erfüllt von Energie und statt nach Wald roch es plötzlich nach einer Mischung aus verbranntem Gummi und Ozon wie aus einem betriebenen Laserdrucker.
All diese Eindrücke nahmen mir den Atem. Ich war so fassungslos, so geblendet von meinem Zorn, dass ich eine Weile wie betäubt in die leckenden Flammen starrte, in denen ich das Antlitz meines Vaters lachen sah.
Noch einmal knallte es, wobei einzelne Teile des brennenden Wagens einfach nachgaben und der Schwerkraft folgend nach unten sackten. Da sah ich in der flirrenden Hitze hinter dem Wrack des flammenden Autos Emory auf uns zukommen. Er ging mit geschmeidigen Bewegungen. Sein nach hinten gekämmtes, schwarzes Haar glänzte im flackernden Licht des Feuerscheins und seine blauen Augen funkelten wild.
"Geh zur Seite", sagte er in einem knurrenden Ton zu mir und ich wich respektvoll vor meinem Onkel zurück. Ich merkte erst jetzt, dass meine Verletzungen alle geheilt waren und meine Knochen keine komischen Geräusche mehr machten, und sofort kehrte meine Wut auf meinen Vater zurück, sodass ich wie ein wilder Hund die Zähne fletschte.
"Wie schön. Nun ist die Familie endlich vereint und wir können reden." Mein Vater schien auch darüber belustigt und ich hasste ihn so sehr, dass ich es ihm heimzahlen wollte.
Emory funkelte mich an, um mich davon abzuhalten, eine Dummheit zu tun. Er wusste, was ich fühlte. Er hatte meine Mutter und mich aufgefangen, war immer für uns da gewesen. Dann richtete er einen durchdringenden Blick auf das Auto und die Flammen erloschen. Es war nicht mehr viel davon übrig, nur ein verkohlter, schwarzer Klumpen. "Bist du stolz auf dein Werk, Bruder?" Tiefe Verachtung erfüllte seine Stimme. Erneut sah er mich an und ich glaubte zu sehen, wie sich seine harten Gesichtszüge etwas entspannten. "Geh. Ich kläre das."
Ich hielt seinen Blick und ich weiß noch, dass ich etwas sagen wollte, aber sein Mienenspiel verhärtete sich kaum wahrnehmbar und so folgte ich seiner Aufforderung. Durcheinander stieg ich in meinen BMW. Ich umfasste das Lenkrad fest, ließ es wieder los und schlug mehrmals gewaltsam darauf ein. Was hinter der Kurve geschah, wusste ich nicht, aber was ich erlebt hatte, beschäftigte mich. Mein Onkel wollte nicht, dass ich mitbekam, wie er die Sache regelte. Ich kann mich eigenartigerweise auch nicht daran erinnern, dass ich den Motor angemacht hatte und losgefahren war. Ich weiß nur noch, dass ich auf dem Weg nach Hause am Waldrand gehalten hatte und ausgestiegen war. Ich hatte gezittert und mich gefragt, wer ich war. Ein Dämon wie mein Vater? Oder ein Engel wie meine Mutter - gut und anfällig für das Böse, mit einem Wort: schwach.
Ich kehrte erst in der Dunkelheit zum Foster Anwesen zurück und als ich auf mein Zimmer ging, hielt mich Emory auf der Treppe an. "Aldon ist weg", teilte er mir kurz angebunden mit.
Ich sah meinen Onkel verblüfft an. Mir lag auf der Zunge, zu fragen, was er zu ihm gesagt hatte, aber er wollte mir nicht mehr sagen.
"Wie lange?", gelang es mir schließlich zu äußern.
"Er ist ein Foster, also wird er wiederkommen. Aber ich werde dich beschützen, so gut ich kann."
Das würde er.
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