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Tame und Maelor
"Du wirst mir haargenau berichten, wie es gewesen ist."
Ich konnte dem Drang, meine Augen zu verdrehen, nur mit größter Mühe widerstehen. Andererseits war ich aber auch belustigt. Niemand außer mir wusste in dieser Stadt etwas von den beiden Dämonen, die auf dem Foster Anwesen wohnten, deshalb konnte ich ihr unmöglich alles erzählen.
"Du grinst ja", bemerkte Holly mit einer Spur zu viel Selbstgefallen in ihrem Ton und ließ sich neben mir auf's Bett plumpsen, um mich näher unter die Lupe zu nehmen.
"Gar nicht wahr", blökte ich ausweichend. Die Gefahr, ihre Neugier damit nur anzustacheln, nahm ich in Kauf.
"Oh doch!"
Sie schlang die Arme um mich und während ich ihr auszuweichen versuchte, fielen wir beide nach hinten auf das weiche Bettzeug, wo wir ausgelassen kicherten. Wir benahmen uns wie kleine Kinder und balgten noch eine Weile herum, bis wir völlig außer Atem waren.
"Auszeit!" Ich hob die Hände und deutete mit Tränen in den Augen ein Timeout an, das wir dazu nutzten, das alberne Gekicher einzustellen und wieder zu ganz normalen Teenagern zu werden.
"Willst du mir jetzt endlich sagen, was diesen Ausdruck auf dein Gesicht gezaubert hat?"
Ich wusste, Holly würde nicht locker lassen, und seufzte zögerlich, wobei ich mir ein Taschentuch von ihrem Nachttisch schnappte, um mir die Tränen abzuwischen. Mein Sichtfeld war immer noch leicht verschwommen, als ich Hollys hübsch eingerichtetes Zimmer betrachtete, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen. Wir hatten schon so viel Zeit hier verbracht und über Jungs geredet, trotzdem wurden wir dieses Thema offenbar nicht müde.
"Na ja", entgegnete ich um Worte verlegen, "er ist der erste Junge, der mich wirklich interessiert."
Holly fiel die Kinnlade nach unten. "Du bist verknallt", schloss sie aus meiner nicht besonders gelungenen Erklärung. "Du - Du ..."
"Vielleicht. Ich fange gerade an, ihn richtig zu mögen."
"Das ist so ... Wow!"
Wieder stammelte sie etwas ziemlich Unverständliches zusammen. Mich störte ihre Sprachlosigkeit jedoch nicht im Geringsten. Jetzt, wo es draußen war, konnte ich endlich wieder frei atmen und ich fühlte mich sehr gut dabei.
"Erzähl mir auf jeden Fall das Wichtigste. Die schmutzigen Details kannst du meinetwegen weglassen", verlangte sie augenzwinkernd.
"Holls!", kreischte ich entrüstet auf, doch der Gedanke trieb mir erneut ein Lächeln aufs Gesicht.
Ich hatte die ganze Woche fast ausschließlich an unseren Kuss gedacht und beschlossen, Holly vorerst nichts davon zu verraten, dass Kenneth mich geküsst hatte. Am Ende würde sie noch zu viel in meine getürkte Berichterstattung hineininterpretieren und ich wäre nur in Erklärungsnot. Mir reichte schon, dass ich selbst damit klarkommen musste. So wie Kenneth den Kuss kurz bevor er stattgefunden hatte, angedeutet hatte, war er ein Geschenk gewesen. Das musste ja dann heißen, dass der nächste Kuss anders und bestimmt nicht so beängstigend werden würde.
Vorausgesetzt, wir würden uns ein weiteres Mal küssen.
Auch darüber hatte ich nachgedacht. Über die Möglichkeit, dass er mich nicht noch einmal würde küssen wollen. Vielleicht nahm er ja sein Versprechen ernst oder hatte gar keine Lust mehr darauf. Ich war ziemlich ruppig gewesen und womöglich hatte ich ihn vergrault. Oder ich machte mir unnötig zu viele Gedanken, weil ich ihn wirklich gern hatte und ihn nur einfach nicht enttäuschen wollte.
Genau das hatte ich vermeiden wollen: Dass ein Junge kam und mir den Kopf verdrehte. Aber spätestens jetzt gab es keine Zweifel mehr: Ich mochte ihn.
Meine Sorge, dass er mich nicht mehr mögen würde, wischte Holly mit einer undamenhaften Bewegung aus dem Handgelenk beiseite. Ihr hatte ich nur erzählt, dass wir neulich eine Meinungsverschiedenheit ausgetragen hatten.
"Papperlapapp. Wieso wäre er denn sonst auf deinen Spruch eingegangen?"
Sie ahnte nichts von dem Kuss, wusste jedoch sehr wohl, wie es mir gelungen war, mich selbst bei Kenneth zum Essen einzuladen. Ihr erfahrener Rat war mir extrem wichtig, da konnte ich schlecht alles für mich behalten.
"Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob die Idee so gut war, aber als wir auf dem Weg zum Kurs waren, überkam es mich einfach", sagte ich hilflos. Mir drehte sich vor Nervosität fast der Magen um.
Holly klopfte mir beipflichtend auf den Rücken. "Du musst dich wirklich etwas beruhigen, Süße. Du siehst ganz blass im Gesicht aus."
Irgendwo im Treppenhaus schlug eine Standuhr. Hollys Eltern hatten in ihrem Heim wunderschöne Antiquitäten von gut erhaltener Qualität angesammelt. Doch mir stellten sich beim Klang des Geräuschs die Nackenhaare auf. "Wie spät ist es?", fragte ich elektrisiert.
"Halb sieben. Du hast noch genug Zeit, dich umzuziehen und kurz zu meditieren."
"Nicht witzig."
"Wenn du so aufgedreht bist, wird der Abend ein Desaster", warnte mich Holly mit einem extra strengen Gesichtsausdruck.
Schnaubend ließ ich zu, dass sie meinen Pferdeschwanz lockerte und mir die Haare zurechtmachte. Binnen fünfzehn Minuten erkannte ich mein eigenes Spiegelbild kaum wieder. Sie hatte mir links und rechts zwei breite Strähnen eingedreht und sie auf dem Hinterkopf mit einer schönen silbernen Haarspange befestigt. Einfach, aber effektiv. Außerdem hatte sie mein Make-up und die Wimperntusche aufgefrischt und mir einen dezenten Lippenstift aufgetragen. Da ich, was das Aufstylen anbelangte, vollkommen auf sie angewiesen war, überließ ich mich ihrem naturgegebenen Instinkt und schaute ein paar weitere Minuten später von Angesicht zu Angesicht in mein Spiegelbild. Was ich sah, war verblüffend. Diese fremde Person, vom feinen Stoff eines schwarzen Cocktailkleids mit cremefarbenen Einsätzen umschmeichelt - konnte das tatsächlich ich sein?
"Dezent aufgebrezelt", meinte Holly schwärmerisch, was, wie ich fand, höllisch untertrieben war. Ich war eine sprichwörtliche Augenweide und wenn ich schon bereit war, das zuzugeben, musste das echt was heißen. Trotzdem war noch etwas an mir, das nicht so recht zum Gesamtbild passen wollte. Ich hatte jedoch keine Ahnung, was es war und während ich darüber nachdachte, machten sich Zweifel in mir breit.
Hoffentlich ist das Kleid nicht zu viel des Guten ...
"Willst du mir wirklich dein Lieblingskleid leihen? Was ist, wenn ich Soße drauf kleckere?"
In Wahrheit hatte ich eher Angst davor, dass einer der Dämonen im Haus es in Brand stecken könnte - rein zufällig natürlich -, aber das konnte ich Holly ja schlecht sagen.
Obwohl der Unterricht mit Emory zuletzt ziemlich gut gelaufen war und ich nun endlich Feuer und Flamme für Mystische Geschichte war, traute ich dem Mann nicht so richtig über den Weg. Leider hatte ich das nicht bedacht, als ich mit Kenneth geschäkert und mich bei ihm zum Essen eingeladen hatte. Schuld daran war wie fast immer seine wahnsinns Ausstrahlung, die ihn einfach nur unwiderstehlich machte. Besonders, da Kenneth mir gegenüber so zugänglich und offen war. Hätte er sich auch nur ein einziges Mal zurückweisend geäußert, würde es mir vielleicht nicht so leicht fallen, ihn zu mögen.
"Allein dich für fünf Minuten darin zu sehen, ist das Risiko wert", ermunterte mich Holly. "Du siehst total bezaubernd aus."
Alles in allem musste ich ihr zustimmen. "Danke, Holls. Du bist die Beste!"
Ich umarmte meine Freundin lange. Ohne sie fühlte ich mich verloren in Situationen wie diesen.
"Fehlen nur noch die Schuhe", sagte Holly, als wir uns voneinander lösten.
Ups.
Ich schaute bedröppelt zu Boden. Ich hatte ja gewusst, dass ich was vergessen hatte.
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