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Tame und Maelor
In meiner Vorstellung von Engeln und Dämonen waren Katzen nie relevant gewesen. Jedoch hatte ich das Gefühl, dass mit Mr. Osmond eindeutig etwas nicht stimmte.
Oder mit mir.
Da ich mit Holly nicht darüber reden konnte, musste ich bis zum Morgen auf dem Parkplatz warten, um die Sache ansprechen zu können. Das war nicht leicht ohne voreilige Schlüsse zu ziehen, doch während ich auf ihn wartete, bemühte ich mich aufrichtig, ein Lächeln heraufzubeschwören.
"Hier." Kenneth reichte mir grinsend mein Käsesandwich und fragte, ob ich nicht schon gelangweilt davon war, jeden Tag dasselbe zum Frühstück zu essen.
Dankend schüttelte ich den Kopf und versicherte ihm, dass er die besten Käsesandwiches machte, die ich je gegessen hatte. Darüber schien er sich zu freuen, was ich daran erkannte, dass seine Mundwinkel leicht nach oben zuckten.
"Aber wenn du willst", zeigte ich mich offen, "ich probiere auch jedes andere Sandwich, das du für mich machst."
Er lachte kehlig auf. "Werd ich mir merken."
Während wir aßen, taxierte ich vorsichtig sein Gesicht. Kenneth lehnte lässig an der Tür seines Wagens, den er direkt neben meinem geparkt hatte. Er war zugegebenermaßen der schönste Junge, den ich je gesehen hatte. Sogar seine Haare gefielen mir besser als die von Scott. Obwohl das freilich kein Kriterium war, an dem ich die beiden messen konnte, denn inzwischen war ich ein paar Jahre älter geworden und hatte erfahren, dass nicht alles Gerede von Übernatürlichem nur Humbug war.
Ich fragte mich unausweichlich, wie es möglich war, so unverschämt gut und trotzdem menschlich auszusehen und dabei so viel böses Potential in sich zu haben, das beliebig zerstören und Unruhe stiften konnte wie bei seinem Vater.
"Du machst dir Sorgen wegen dem Kuss, oder?", fragte Kenneth und unterbrach unvermittelt meine Gedankengänge.
Wenn er wüsste! Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan nach diesem Kuss. Aber wer hätte das schon? Von einem Dämonen geküsst zu werden, war ja nicht gerade alltäglich. Für mich war es mit Abstand das Aufregendste, was mir in meinem Leben passiert war. Nichts anderes war so verstörend schön und bedrohlich zugleich gewesen.
Abwesend wie ich war, die Müdigkeit forderte eben ihren Tribut, fühlte ich mich ertappt. "Entschuldige. Ich wollte dich nicht anstarren."
Ich senkte den Blick beschämt auf seine Brust und kaute meinen Bissen zu Ende. Das schlichte graue T-Shirt, das er trug, spannte sich über seinen Oberkörper und betonte die darunter liegenden Muskeln. Nicht zu viel jedoch, einfach perfekt.
Verdammt! Egal wo ich hinsah, er war überall attraktiv.
"Dieser Kuss", setzte ich bedeutungsvoll an, "hat der noch andere Folgen? Ich meine, außer mich vor Manipulation zu schützen. Unser Kater, Mr. Osmond, hat mir nämlich ..."
"Verstehe. Das Pflaster an deiner Hand." Er deutete mit seinem Blick an, dass er es bereits gesehen hatte.
"Ja", bestätigte ich nüchtern.
Seine Züge verzogen sich zu einem leicht spöttischen Lächeln. "Netter Name für einen Schmusetiger."
"Willst du mir etwa ausweichen?", knurrte ich streng. Ein Gefühl der Unzufriedenheit konnte ich nicht unterdrücken. Woher sollte ich auch wissen, ob nicht etwas Mysteriöses auf dem Spiel stand?
"Würde mir doch nie in den Sinn kommen."
Da war was dran, wie ich mir eingestehen musste. In seiner Stimme lag auch nicht der Hauch einer Ironie. Es schien ihm wichtig zu sein, das klarzustellen. Nur deshalb antworte er mit dem nötigen Ernst auf mein Knurren. Vermutlich hatte es noch nie einen Halbdämon gegeben, der so ehrlich zu einem Menschen gewesen war. Ob das den anderen Dämonen gefiel und ob er dafür mit Folgen zu rechnen hätte, darüber wollte ich im Augenblick aber lieber nicht nachdenken. Immer schön eins nach dem anderen.
Kenneth biss die Zähne zusammen und rieb sich mit der Hand gedankenverloren wirkend den Nacken. "Das ist so", sagte er, wobei seine Kiefermuskulatur den Eindruck großer Anspannung erweckte, "Katzen wurden während des Mittelalters oft gejagt, da sie als Begleiter des Bösen galten. Sie wurden bezichtigt, Gefährten von Hexen und Zauberern zu sein. Besonders ernst wurden derlei Behauptungen zur Zeit der Hexenverbrennung genommen. Natürlich waren diese Beschuldigungen absoluter Unfug, denn Hexerei wie die, für die die Betroffenen bezichtigt wurden, gab es nicht. Meist steckten unerklärliche Ereignisse dahinter, bis dato noch nicht erforschte wissenschaftliche Phänomene, aber auch Dämonen, die mit ihren Kräften spielten und sich einen Spaß daraus machten, Unschuldige zu Opfern werden zu lassen. Du kannst dir sicher vorstellen, dass Katzen oder andere Tierarten sehr sensibel auf Übernatürliches reagieren. Das gilt auch für Geschehnisse dämonischen Ursprungs. Sie besitzen ein feines Gespür und einen ausgesprochen guten Geruchssinn, mit dem sie uns wahrnehmen können. Wahrscheinlich hat sich die Vorsicht vor Dämonen bei Hauskatzen weitervererbt und Mr. Osmond hat dir aus Angst eine gewischt."
Also war Mr. Osmond nicht mehr verrückt als ich. Er war einfach nur hochsensibel.
"Logisch", antwortete ich automatisch, als hätte ich auch von selbst drauf kommen können. Er hatte mich schon überzeugt: Osmond hatte einfach nur Angst. Damit konnte ich was anfangen.
Schemenhaft nahm ich die Silhouetten der anderen Kursteilnehmer wahr. Zwei Mädchen und ein Junge, die eigentlich alle ganz in Ordnung waren, kamen auf uns zugeschlendert. Kenneth warf mir ein aufmunterndes, äußerst atemberaubendes Lächeln zu und drückte sich geschmeidig von seinem Wagen ab, bevor er sich zu ihnen drehte, um sie zu begrüßen. Ich war ihm dankbar dafür, dass er sie in Beschlag nahm, denn so blieb mir noch eine Minute, mich zu sammeln. Immerhin war heute unser letzter Unterrichtstag - schade eigentlich, denn jetzt, wo ich langsam Gefallen an dem Kurs gefunden hatte, ging er aufs Ende zu - und da wollte ich nicht mit Emory aneinandergeraten.
Ich war nicht schlecht darin, die Dinge, die Kenneth mir anvertraute, zu verarbeiten, aber jedes Mal, wenn wir uns über etwas Übernatürliches unterhielten, taten sich neue Fragen in mir auf, die ich ebenfalls beantwortet haben wollte. Diesmal gelang es mir erstaunlich schnell, meinen Kopf freizubekommen, was vermutlich daran lag, dass er vorhin von selbst auf den Kuss zu sprechen gekommen war und ich nun nicht mehr das Gefühl haben musste, mit etwas umgehen zu müssen, das zwischen uns stand. Ehrlich gesagt hatte ich schon etwas Angst gehabt, ihn heute wiederzusehen. Vor allem, weil ich ihn nach dem Kuss gestern aus lauter Überraschung heraus angefahren hatte, sodass ich schon befürchtete, ihn vergrault zu haben.
Ich schulterte beschwingt meinen Rucksack und hakte mich bei Kenneth unter.
"Danke", flüsterte er mir kaum hörbar ins Ohr.
Mein Herz machte einen freudigen Hüpfer und ich strahlte ihn ahnungslos an. "Wofür?"
"Dafür, dass du so eine gute Zuhörerin bist. Und dafür, dass du meine Sandwiches magst."
"Ich wette, du machst auch einen prima Hackbraten oder Gemüseauflauf", entgegnete ich ebenfalls flüsternd.
Der Satz sprudelte einfach aus mir heraus, ohne dass es mir richtig bewusst war. Kenneth aber blieb stehen und ich wie eine mechanische Puppe mit ihm. Erst jetzt kam mir in den Sinn, wie sich das anhören musste und ich überlegte, ob ich es irgendwie zurücknehmen konnte.
"Hast du dich gerade zum Essen eingeladen?"
Mit deutlichem Amüsement sahen mich seine leuchtend grünen Augen an. Sie machten mir Mut. Dabei konnte ich mir nicht einmal erklären, weshalb ich so viel Vertrauen in ihn hatte, dass ich bereit war, wieder das Foster Anwesen zu betreten, das mir früher so unerbittlich Angst gemacht hatte.
Es muss das faszinierende Haus sein, sagte eine zynische Stimme in meinem Hinterkopf.
Ganz bestimmt.
"Wenn du am Freitagabend nichts besseres vorhast, dann eindeutig ja", untermauerte ich meine Behauptung fest.
Er wartete, bis die anderen ein Stück vorausgegangen waren. Erst dann willigte er zu meiner Verblüffung ein.
"Ich muss dich aber warnen", sagte er und klang etwas verlegen dabei, "mein Onkel wird darauf bestehen, mit uns zu essen. Er legt leider großen Wert auf einen festlich gedeckten Tisch und darauf, dass ich ordentlich gekleidet bin. So ist das bei uns."
Ich überlegte nicht lange. Er schien zu bedauern, was Emory erwartete. Ich nicht. "Das lässt sich machen", versicherte ich ihm rasch. Ich wusste, meine Freude war mir anzusehen. Sie war von einer unglaublichen Euphorie, die mich ganz hibbelig machte. Bestimmt würde es ein interessanter und abwechslungsreicher Abend werden. Und wenn ich dafür Emory in Kauf nehmen musste, würde ich das tun.
"Bist du dir wirklich sicher?"
Ich nickte deutlich.
"Also gut", erklärte er sich schließlich einverstanden, "auf ins Abenteuer."
Sein Gang auf dem Weg zum Klassenzimmer war diesmal noch federnder als sonst.
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