Kapitel 23
Elena
»Wenn sie nicht gleich komm, hol ich sie von diesem Verräter weg!«
Damians Stimme dringt an meine Ohren und lässt mich schmunzeln.
»Sie ist unterwegs«, antwortet Azael ihm. »Wärst du noch verwandelt, würdest du sie hören.«
Ich nähere mich dem Haus, das unbeschadet scheint. Davor alle drei Männer, die mir entgegenblicken, als ich die letzten Meter fliege und direkt vor ihnen lande.
Im Gegensatz zu Azael und Camio hat Damian seine Flügel eingezogen. Er sieht mitgenommen aus. Ebenso die anderen beiden.
»Ist alles gut?«
Ich blicke Azael an, dessen Stimme immer noch brüchig und schwach klingt. Einer seiner Flügel wurde abgetrennt und der andere scheint gebrochen zu sein.
»Ja.« Ich trete näher.
»Wieso hast du das für uns getan?«, möchte er wissen.
Ich blicke in seine dunklen Augen, anschließend zu Camio, der nicht weniger mitgenommen scheint, wie seine Brüder.
»Ich weiß es nicht«, antworte ich. »Es fühlte sich richtig an.«
»Obwohl du dachtest, wir hätten Leliel getötet?«
»Lucifer hat mir erzählt, dass sie ein goldener Engel war. Ebenso wie ihr.« Ich bleibe direkt vor Azael stehen. »Und ich, zu einem Teil.«
Wer mein Vater war, weiß ich nicht und vielleicht gibt es nur einen, der mir die Frage beantworten kann. Doch ich bin nicht bereit, ihm gegenüberzutreten. Wegen seiner Angst, die goldenen Engel könnten die Macht über den Himmel erlangen, starb meine Mutter. Wegen ihm wurde ich zur Waise.
»Ich habe Fragen«, platzt es aus mir heraus. Mein Leben lang wurde ich belogen und ich möchte endlich alles wissen. Über meine Mutter. Über die goldenen Engel. Über mich.
»Wir werden dir jede davon beantworten«, raunt Azael und streicht einer meiner Strähnen hinter mein Ohr. Obwohl ich ihn geheilt habe, scheint er Schmerzen zu haben.
»Kannst du dich nicht heilen?«, frage ich vorsichtig, denn ich erinnere mich, wie Azael meinen Schnitt am Bauch geheilt hat. Gestern. Mir kommt es bereits vor, als wären Wochen vergangen. Jahre.
»Meine Energie ist aufgebraucht«, flüstert er. »Ich muss...mich erst erholen.«
Ich sehe, wie es ihn Kraft kostet, aufrecht zu stehen. Da ich mir meiner Kraft mittlerweile sicher bin, schließe ich die Augen und sammle die Energie, die mich wie ein reißender Strom durchfließt. Ich spüre, wie die Heilung durch meinen Körper gleitet, ehe sie ihn verlässt und sich ausbreitet. Ein Seufzen ertönt vor mir, daher öffne ich die Augen.
»Wie...?«
Die Schnitte sind verschwunden. Knochenbrüche geheilt. Selbst Azaels abgetrennter Flügel ist nachgewachsen.
»Elena«, keucht Azael. »Wie hast du das gemacht?«
Verwirrt blicke ich ihn an. »Du kannst das doch auch? Du hast mich doch auch geheilt.«
»Ja. Aber nur durch eine Berührung. Du hast gerade durch bloße Kraft unsere kompletten Wunden geheilt. Schwere Wunden.«
»Also ist das nicht normal?«, frage ich leise nach.
Azael lacht. »Was ist schon normal.« Sein Finger streicht über meine Wange. »Du bist...unglaublich. Danke.«
Er beugt sich zu mir hinab und küsst mich zärtlich auf die Wangen, die sofort erröten.
»Ich wusste doch, dass sie etwas besonderes ist.« Camio grinst über beide Ohren. Nichts erinnert mehr an den Engel, der soeben noch aufgegeben, am Boden gekniet und dem Tod entgegen gelächelt hat. Nur seine blonden Haare, die noch leicht rot gefärbt erinnern an das, was passiert ist.
Camio strahlt mit entgegen und mein Herz beginnt zu flattern. Erst gestern hat er mich gegen die Wand gedrängt. Mich geküsst und berührt. Ich spüre, wie sich mein Körper danach sehnt. Nach seinen Fingern, die meine Haut zum Kribbeln bringen.
»Wollen wir rein gehen und reden?« Ich nicke und folge Azael, der bereits das Haus betreten hat.
Einige Wochen später
Es ist seltsam aufzuwachen und zu wissen, dass alles anders ist. Dass ich nicht mehr der Engel bin, der ich vorher war. Ich bin aus dem Himmel geflohen, um den Tod meiner Mutter zu rächen. Obwohl das immer mein einziges Ziel war, haben mein Körper und mein Herz mir gezeigt, dass ich auf der Suche nach etwas anderem als Rache war. Eine Aufgabe, eine Bestimmung.
Die goldenen Engel waren einst die mächtigsten Wesen nach Gott. Doch dieser fürchtete, dass sie ihre Macht irgendwann missbrauchen und ihn zu Fall bringen würden. Bevor dies geschehen konnte, befahl er seinen Soldaten, die goldenen Engel zu vernichten. Diejenigen, die überlebten, wurden ins Fegefeuer verbannt. Gefangen für immer in der Hölle. Doch drei von ihnen gingen einen Deal ein, um dem Qualen zu entkommen. Doch sie haben nur ihr Leid verlängert. Ohne Seelen verwandelten sich ihre Flügel schwarz und ihre inneren Dämonen kämpften, die Macht zu erlangen. Als Abtrünnige würden sie die Welt niederbrennen und Gottes geliebte Erde zerstören.
Ich habe die letzten Tage viel nachgedacht. Vielleicht sollte ich hierher gelangen. Ohne Gedächtnis, um voreingenommen zu sein. Denn obwohl Azael es für nicht möglich gehalten hat, beruhigt meine Anwesenheit ihre inneren Monster. Als würde ich sie besänftigen und den Verfall ihrer Seelen entschleunigen. Ich habe zwar keine Macht, ihre Seelen aus der Hölle zu befreien, aber ich werde alles dafür tun, damit die drei keine Abtrünnigen werden.
Jeden Tag lerne ich mehr über meine Abstammung. Mehr über meine Mutter. Über die Kräfte, die jeder in sich trägt und die auch mich durchfluten. Ich spüre, wie viel mächtiger ich bin und frage mich, ob es daran liegt, dass ich nicht erschaffen, sondern geboren wurde. Während Damian die Gedanken von einzelnen hören kann, höre ich jeden Gedanken auf der Welt. Am Anfang war es pure Folter, denn die Stimmen dröhnten viel zu laut in meinem Kopf. Mittlerweile habe ich es im Griff. Ich habe gelernt, einzelne Stimmen herauszufiltern und andere Wegzusperren. Auch wenn ich viel zu neugierig bin, habe ich den dreien geschworen, nicht in ihren Köpfen umher zu wühlen. Manchmal überkommt es mich aber und ich lausche dem ein oder anderen Gedanken, der sie beschäftigt.
Auch meine Heilkräfte sind um ein Vielfaches stärker als die von Azael, wie ich bereits bemerkt habe. Durch bloße Vorstellung kann ich auf Entfernungen Wunden verschließen, wo er eine gezielte Berührung benötigt.
Auch die Wucht, die damals alle von den Füßen gehoben hat, kam von mir. Ob die Kraft von meinem Vater kommt? Wenn ja, wer er wohl war?
»Du zermürbt dir wieder deinen hübschen Kopf«, brummt Damian, der neben mir auf der Sonnenliege faulenzt.
Zu unser aller Erstaunen, erblühte der Wald schon wenige Tage später in seinem alten mystischen Glanz. Nichts erinnert mehr an den Kampf. Die Sonne strahlt und da meine Aufgabe alleine darin liegt, in der Nähe der drei zu bleiben, habe ich nicht viel zu tun, als die Schönheit der Welt zu genießen. Die und die der Männer.
»Hast du wieder meine Gedanken gelesen?«, frage ich ihn und drehe mich ihm zu.
Damian liegt nur in einer Badehose neben mir. Die Augen geschlossen und die Arme hinter seinem Kopf verschränkt. Seine Haut glänzt leicht durch den Schweißfilm, der sich beim Sonnenbaden darauf gebildet hat. Die Tattoos, die den Fall der goldenen Engel zeigen, schmiegen sich ansehnlich an seine Muskeln.
»Nein, im Gegensatz zu dir, kann ich mich beherrschen, in eure Köpfe einzudringen«, antwortet er.
»Das stimmt doch gar nicht«, protestiere ich und betrachte weiterhin seinen Körper.
»Du willst, dass ich dich ficke! Habe ich Recht?«
Erschrocken blicke ich zu ihm empor. »Was?«, keuche ich, da mir die derbe Wortwahl immer noch die Röte in die Wangen treibt.
Damian grinst frech. »Ich habe gar nichts gesagt, Elena.«
Langsam richtet er sich auf und beugt sich über mich. »Hast du etwas gehört?«
Sein Mundwinkel zuckt und offenbart das Grübchen, das mir ein Seufzen entlockt. Offenbar war ich wieder in seinen Gedanken, ohne es zu merken.
»Erwischt!« Ich grinse frech. »Und wie gehen wir jetzt mit der Situation um, dass ich weiß, was du denkst?«
Damians Gesicht kommt näher, dass ich seinen heißen Atem auf mir spüren kann. Ich fühle, wie sich mein Körper empor reckt, nur um seine Haut, die von der Sonne erwärmt ist, zu berühren.
»Wie wäre es, wenn ich dir einen Wunsch erfülle?«
Seine tiefe Stimme schickt Endorphine durch meinen Körper. Unruhig wie ein Kind bewege ich mich unter ihm. Ich möchte, dass er sich auf mich legt. Mich berührt. Mich küsst.
»Und?«
Seine moosgrünen Augen blicken mir direkt in die Seele und berühren mein Herz, das ungewöhnlich schnell flattert. Mein Bauch kribbelt, als würden unzählige Schmetterlinge gerade schlüpfen und ihren ersten Flug ausüben. Mein Mund ist trocken und meine Finger schweißnass. Ich will ihn. Ihn, Azael und Camio.
Ich bin nicht nur hier, um ihre Monster zu beruhigen. Ich bin hier, weil ich mich verliebt habe. In drei Engel, die mir die Wahrheit gelehrt haben. Die mich fühlen lassen und die mich so akzeptieren, wie ich bin. Denn das hat der Himmel nie. Warum haben sich meine Kräfte all die Jahre nie gezeigt? Warum erst, als ich auf die Erde bin?
Ich blicke Damian weiter an und weiß die Antwort. Wegen ihnen. Weil sie diejenigen sind, die nicht mich brauchen. Ich brauche sie.
Alle drei!
»Küss mich!«
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