3. - Fluchbrecher
Kiana hatte uns in das Lager geführt und noch einen Hocker für das Mädchen hingestellt. Das Chaos um uns herum hatte ihr lediglich ein Seufzen entlockt. Sie schenkte uns Tee ein, während ich immer wieder Ziel ihrer besorgten Blicke wurde. Aber sie konnte nicht verstehen, was hier geschah. Das konnte ich ja selbst nicht. Lore kaute an dem Herzen, das der Wurzel glich. Oder umgekehrt. Was immer es wahr, ich war froh, dass mein Freund beschäftigt war. Auch wenn die Leckerei mich einiges kosten würde.
Mit aller Macht versuchte ich mich zu beruhigen. Ich durfte sie nicht verschrecken. *Wie heißt du, Werwolfmädchen?*
Sie zuckte zusammen. Ihre Augen strahlten mich wieder in dem natürlichen Braunton an, drückten aber vor allem Unsicherheit aus. *Smilla, aus dem Clan der Sorestnatý. Und du?*
*Mein Name ist Falk.* Es war merkwürdig, mich in dieser Form vorzustellen. Meist nutzte ich den Anhänger, auf dem ein Falke abgebildet war und den mit Kiana nach meinem ersten Auftrag geschenkt hatte. Es kam meinem wirklichen Namen am nähesten und wurde von den meisten verstanden. Ich kam ihrer nächsten Frage zuvor. *Ich bin eine Sirene.*
*Oh.* Sie stutzte. Dann wanderte ihr Blick über meinen Körper. *Ich dachte, die sind alle weiblich?*
*Nicht alle*, murmelte ich und schlug meine Beine übereinander.
Ein kleines Lächeln erblühte in ihrem schmalen Gesicht. *Offensichtlich.*
Ein Klatschen ertönte. Ich riss mich von Smilla los und wandte mich Kiana zu, bevor diese erneut die Hände zusammen schlug. »Was immer ihr tut, hört auf damit. Ich möchte sofort wissen, was hier los ist!«
Natürlich war es an Smilla zu antworten. »Ich verstehe Falk.«
*Ich auch, aber das interessiert ja keinen*, brummte Lore zwischen zwei Bissen.
»Bei Arelis Sonnenscheibe, damit habe ich nicht gerechnet.« Kiana nahm eine ihrer schwarzen Haarsträhnen und begann die Enden zu zwirbeln. Der Vorfall hatte nicht nur meine Welt auf den Kopf gestellt.
Sie schwieg, zog sich in ihre eigene Welt zurück, wie sie es immer tat, wenn etwas sie verwirrte.
Es war aber Smilla, der meine Aufmerksamkeit galt. Was sollte ich nur sagen?
Lore hob den Kopf. *Sag ihr, dass sie gut riecht. Für einen Zweibeiner.*
Die Situation überforderte mich. *Gibt es etwas, dass du wissen möchtest?*
Smilla richtete sich in ihrem Stuhl auf. Vor dem Zelt ertönte Musik, fuhr wie ein frischer Wind zwischen uns hindurch und vertrieb die Anspannung. Eine Holzflöte, auf der ein wahrer Künstler den berühmten Schmetterlingstanz zum besten gab. *Darf ich denn alles fragen?*
Würde mir meine Antwort Probleme bereiten?
*Ganz sicher*, entschied Lore, bevor er den Kommunikationsfaden kappte und die Augen schloß.
Ich nickte. Die Melodie wechselte, wurde tragend, fast bedrohlich. Der Tenor eines Sängers schloß sich an. Auch wenn mir das Lied selbst unbekannt war, verriet die Struktur des Stückes seine Herkunft. Volkolak, das kalte Herz des Nordens, das die Heimat der Werwölfe darstellte.
Smillas Fuß nahm das Tempo der Flöte auf. *Ich muss dich warnen, ich habe nicht besonders viel Taktgefühl.*
Nun, damit wären wir schon zu zweit.
*Was ich mich wirklich frage ...* Ihr Blick huschte zu Kiana, die immer noch nachzudenken schien. *Sind nicht Sirenen geradezu berühmt für ihre Stimme?*
*Das sind sie.*
Meine Antwort schien sie zu berühren. In ihren Augen spiegelte sich ein Meer an Gefühlen. Wut, Verletzlichkeit, Angst und viel mehr, als ich erfassen konnte. Für einen Wimpernschlag wechselten sie die Farbe, zeigten wieder das schillernde Farbspektrum des Königseesterns.
Sie ließ sich zurück in den Stuhl sinken, hob ihre Tasse und trank daraus. *Also kennst du das Gefühl, nicht zu deinem Volk zu passen. Die Anfeindung. Die Ausgrenzung.*
Nur zu gut. *Ja, das tue ich. Wie du, Smilla.*
Sie blinzelte, sammelte sich und schenkte mir ein Lächeln. *Wie ich.* Dann schüttelte sie den Kopf. *Weißt du, was ich wirklich gerne machen würde?*
Ich hatte keine Ahnung, so dass ich nur den Kopf schütteln konnte. Der Gesang draußen wechselte, wurde langsamer. Zahmer. Ungeduldig harrte ich auf Smillas nächste Worte.
*Dein Haar anfassen.* Nun, damit hätte ich nicht rechnen können.
Ganz langsam beugte sie sich vor, kam mir immer näher und streckte die Hand aus. Ich senkte den Kopf.
*Das ist kein Haar*, stellte sie fest. *Es sieht fast so aus, aber hat eine andere Struktur. Glatter.« Ihre Finger fühlten sich gut an. Mehr als gut. Die Musik vor dem Zelt wurde immer leiser. Zuerst verstummte der Sänger und schließlich auch die Flöte.
*Wir nennen es Strahlen. Es ähnelt mehr den Vogelfedern.* Mein Kopf hob sich, war ihrem Gesicht so nahe, dass ich Einzelheiten bemerken konnte. Ein Flaum lag über ihrer Haut, winzige Haare, die sie wohl vor der Kälte schützen konnten. Ihre Nase war etwas breiter, als ich es kannte und ihre Lippen ... Ich schluckte.
»Ich verstehe«, erklärte Kiana und wie zwei Jungfische stoben wir auseinander.
Ich hatte meine Hexenfreundin völlig vergessen.
»Bleibt noch eine Sache zu klären.« Kiana drehte sich zu uns um, stellte ihre Teetasse auf das Tischen und bückte sich, um eine Flasche Blauwein unter dem Schrank hervorzuziehen. Dann schaute sie zu Smilla. »Was führt dich zu mir?«
Smilla strich sich eine helle Strähne aus dem Gesicht. Alles an ihr wirkte plötzlich zerbrechlich.
*Soll ich gehen?* Die Höflichkeit forderte diese Frage, auch wenn mir nichts ferner lag. Ihr entsetzter Blick war Antwort genug.
Ich griff nach ihrer Hand. Eigentlich wollte ich sie trösten, ihr ein Gefühl von Sicherheit geben. Aber es tat auch mir gut.
»Soso«, murmelte Kiana und lächelte, während sie uns jedem ein Schluck Blauwein in die Teetassen goß.
Smillas Daumen kreiste über meine Haut. »Ich kam in der Hoffnung zu dir, eine Heilung gegen den Werwolffluch zu finden.«
Überrascht sah ich auf. Ihr Körper war steif, wie gefrorenes Eis. Nur unsere Berührung verströmte Wärme.
Stockend begann sie zu erzählen. »Mein Rudel hat mich verjagt, weil ich anders bin. Ich töte nicht, esse kein Fleisch und habe alle ausgewählten Verpartnerungen abgelehnt.«
Es fiel ihr sichtlich schwer, uns das zu erzählen.
»Doch ein Wolf ist nichts ohne andere. Daher kam ich her. Nischo schickte mich zu dir und meinte, das sei dein Spezialgebiet.«
Kiana griff erneut nach einer Haarsträhne. Ihr Blick huschte von mir zu Smilla und zurück. »Da hat der alte Gnom recht. Ich könnte dir helfen, wenn es dein Wunsch ist, aber ich brauche Dinge. Wir brauchen einen Sammler.«
Da war es. Kiana bot mir die Möglichkeit mich einzubringen, oder zu schweigen. Jemandem zu helfen. Wie hätte ich nein sagen können? Langsam erhob ich mich. Smilla tat es mir gleich. Ihre Unsicherheit stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. *Sag ihr, sie soll eine Liste machen.*
Kiana schaute von mir zu Smilla und nickte. Auch wenn sie mich nicht hören konnte, verstand sie meine Gesten. »Er nimmt also an«, erklärte die Hexe. »Wenig überraschend.«
Smilla brauchte einen Moment länger. *Eine Liste?*
Aus dem Regal über ihrem Arbeitstisch zog Kiana zwei Bücher hervor. Ein dickes und ein schmales, die beide sehr alt wirkten. Dann ging sie nach vorne, um die Zutatenliste zusammenzustellen. Ich wusste nicht, ob ich Smilla wirklich helfen sollte. Immerhin war es das erste Mal, dass mich eine Frau verstehen konnte. Würde sie diese Gabe zusammen mit ihrem Wolfssein verlieren? Doch dann schaute ich in ihre klaren Bernsteinaugen. Natürlich würde ich ihr helfen. Wenn das denn ihr Wille blieb. *Und in der Zwischenzeit...*
*In der Zwischenzeit?*, fragte Smilla verwirrt.
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich einen Kommunikationsfaden geöffnet hatte. Mit der Hand zog ich sie näher. Lore hatte wirklich recht gehabt. Sie roch ziemlich gut. Nach Wald und Frühling. Sie war perfekt, genauso wie sie war.
In der Zwischenzeit würde ich mir alle Mühe geben, ihr genau das zu zeigen. Und ich würde am Besten gleich hier damit anfangen.
*In der Zwischenzeit, kleiner Seestern, kannst du dich gerne meinem Rudel anschließen.*
Und bevor mich der Mut verließ, senkte ich meinen Kopf, um ihre Lippen zu spüren.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top