2. - Zusammenstoß

Von all den verschiedenen Kreaturen, die auf den Höfen um meine Dienste buhlten, arbeitete ich am liebsten mit Mutter Kiana zusammen. Daher führte mich mein Weg geradewegs zu ihrem Zelt. Die Gründe waren einfach: Sie redete nicht viel und zahlte pünktlich. Auch versuchte sie nie, mich mit einer potentiellen Heilung zu ködern. Wenn mir noch ein Scharlatan meine Stimme als Gegenleistung anböte, würde ich schreien. Wenn ich es denn könnte.

Während wir an den bunten Wägen der Wunderheiler vorbeigingen, hüpfte Lore neben mir herum. Es war kaum zu übersehen, dass er die Ansammlung mit ihren unterschiedlichen Geräuschen und Düften liebte. Außerdem gab es jede Menge Essen.

Wir gingen um ein Gehege herum, indem ein paar Wolpertinger gerade auf einigen Wurzeln herumkauten. Die buschigen Schwänze zuckten, während ihre Schlappohren entspannt herab hingen. Lore knurrte einmal, ein bedrohlicher Laut der dafür sorgte, dass die Wolpertinger aufsprangen, davon stoben und sich mit ihren Hörnern verkeilten. Sein Lachen bellte über die Wiese und er blieb stehen, um das angerichtete Unheil zu genießen.

*Komm schon, Lore. Bau kein Mist.*

Ein Schäfer lief in das Gehege hinein, um die Tiere zu trennen. Ich beschleunigte meine Schritte und ließ das Chaos hinter mir. Es war nicht einfach, mit einem Wolfshund befreundet zu sein.

Lores Schwanz peitschte hin und her. *Du warst auch schon mal lustiger. Hast du nicht gesehen, wie die umgefallen sind?* Seine Lefzen zuckten, als er kicherte. *Hey, da ist Nischos Zelt. Darf ich heute dran pinkeln?*

Vielleicht hätte ich mich darauf eingelassen, wenn dort nicht ein paar Besucher herum gelungert hätten. So aber war die Gefahr einer Entdeckung viel zu groß. Nischo war ein aasfressendes Aalauge, einer der wenigen Gnome, die einem das Fest echt vermiesen konnten. Außerdem wollte ich keine Zeit verschwenden und endlich den schweren Sack loswerden, mit dem ich die Zutaten der letzten Wochen verstaut hatte. *Nein*, antwortete ich daher, wenn auch zögerlich. *Wenn du mal musst, dann außerhalb des Festivals. Du kannst gerne nachkommen und mich bei Mutter Kiana abholen.*

Lore legte seinen Kopf schief, dann rempelte er mich zum Abschied an und sprang davon. Hoffentlich stellte er keinen allzu großen Blödsinn an.

Kianas Wagen stand etwas außerhalb, näher an den Zelten der Besucher des Frühlingshofs als zwischen den andern. Seine Seiten leuchteten in den Farben des Waldes. Ein Meer aus Tönen, die ineinander flossen. Rostrot, Karmesin, Sonnengelb und Tannengrün. Plötzlich tauchte eine Gestalt vor mir auf. Der Anstrich hatte mich abgelenkt, so dass ich einen Zusammenstoß nicht mehr vermeiden konnte. Bernsteinfarbene Augen starrten mich an. Instinktiv drehte ich mich, um die Frau mit meinem Körper vor dem Aufprall zu schützen. Sie schnappte nach mir. Kurz vor meinem Gesicht hielt sie inne. Ihr Körper lag auf meinem, während mich ihre hellen Haare im Gesicht streichelten. Es war ein unwirklicher Moment. Unwirklich, aber schön.

Nischo stürmte aus seinem Zelt, seine kleinen Füße trappelten über die Wiese. »Kannst du nicht aufpassen? Bei Waòs roten Backen, du bist eine Gefahr für andere«, fauchte er mich an. Seine Nase zuckte vor Aufregung und er kostete es weidlich aus, mich in dieser Misere zu ertappen. Selbst für einen Gnom war sein Gespür für vorteilhafte Situationen bemerkenswert. Während er sich vorbeugte und der Fremden aufhalf, gab er mir die Gelegenheit, sie zu mustern. Die Frau wirkte wild, roch frisch und trug ein Leinenkleid, das ihr nicht ganz zu passen schien. Ich stand ebenfalls auf. Ihr Körper war sehnig und muskulös. Obwohl ich selbst recht groß war, reichte mir ihr Scheitel bis zum Kinn. Irgendetwas an ihr war anders, aber ich konnte keinen Finger darauf legen.

»Was guckst du so?«, knurrte sie.

Der Gnom, den ich schon völlig vergessen hatte, lachte. Es war ein hässliches Geräusch. »Wundert euch nicht, Falke hier ist stumm. Daher lassen seine Manieren oft zu wünschen übrig.«

Ich warf Nischo einen kalten Blick zu und er verstummte selbst, als ob ich ihm den Wortfluss abgedreht hätte. Mieser kleiner Wicht.

Ihr Blick wurde nachdenklich, aber nicht mitleidig. Irgendwie gefiel mir das. »Verstehe«, sagte sie nur und ich hatte das Gefühl, das sie es wirklich tat. Wir teilten ein höfliches Nicken, dann zog der kleine Händler sie in sein Zelt, um ihr irgendetwas aufzuschwatzen.

Ich hob meinen Packen auf und wandte mich wieder meinem eigentlichen Ziel zu. Kiana lehnte an ihrem Wagen, die Arme entspannt verschränkt. »Holla, Falke.« Sie grinste, als ich auf sie zu ging. »Geht es dir gut?«

Ihre Stimme klang nicht wirklich besorgt, daher nickte ich nur. Obwohl sie schon deutlich älter als ich sein müsste, sah man es ihr nicht an. Ihre Haare glänzten wie das Gefieder eines Rabens. Es war bestimmt praktisch, sich jederzeit selbst mit entsprechenden Tränken versorgen zu können, die das Alter verbargen und Makel verschleierten. Auf der anderen Seite genoß ich die Freiheit, die mein Leben mir bot. Ich hätte nicht tauschen wollen. Mit ihrem Kopf deutete sie in Richtung meines Rucksacks, dann stieß sie sich von der Wagenwand ab. Ihr weinblaues Kleid hätte eher zu einer Meerjungfrau als einer Hexe gepasst, aber es stand ihr tatsächlich sehr gut und schwang bei jedem ihrer Schritte. Es erinnerte mich an das Meer, das ich im Herzen trug. Ich folgte ihr zu dem Zelt, dass auf der anderen Seite des Wagens angebaut war. Seit jeher diente es ihr als Verkaufs- und Lagerhaus und ich kannte mich dort besser aus, als irgendwo sonst.

Im Inneren war es angenehm kühl. Der Verkaufsbereich war gut strukturiert. Es gab alles, von Liebestränken bis Amulette gegen böse Blicke, dazwischen kleine Figuren, die Fruchtbarkeit versprachen bis hin zu einfachen Körperpflegemittel. Laut Kiana funktionierte etwa die Hälfte von allem auch ganz gut. Sie schob einen Vorhang zur Seite, der ihr Lager abtrennte und eine Nische für die Herstellung versteckte. Dort fanden sich Töpfe in jeder Größe, Schneidebretter und eine Messeransammlung, die mir Albträume bescheren könnte. Wir setzten uns an ein kleines Tischchen und ich leerte meine Taschen. Glücklicherweise waren die Zutaten durch den Zwischenfall unbeschädigt geblieben. Kiana fing an, die Federn zu begutachten, als von draußen eine Stimme erschallte.

»Ist jemand da?«

Kiana zuckte nur entschuldigend mit den Schultern, dann legte sie die roten Daunen zurück auf den Tisch, die ich einem Wüstenfalken nahe der Grenze zu Kantaa abgeschwatzt hatte. Natürlich ging das Geschäft vor. Während meine Lieblingshexe ihren Besucher in den Verkaufsraum bat, nahm ich eine Tasse aus einem Regal und folgte meiner Nase. In einer Nische stand ein Kochtopf, der das Aroma von Tee verbreitete. Schwarzbeeren und Süßholz. Ich goß mir eine Tasse ein, inhalierte den Duft, bevor ich mich wieder dem Tisch zuwandte.

Die Stimme des Neuankömmlings klang seltsam vertraut. »Liegt da ein vertrocknetes Herz auf Ihrem Tresen?«

»Nein, Mädchen, das ist nur eine Wurzel.« Ich verkniff mir ein Grinsen. Natürlich konnte es eine Pflanze sein. Oder auch ein vampirisches Herz. Bei Kiana wusste man das nie so genau.

Die Besucherin schwieg einen Moment, während ich einen Schluck Tee trank. »Verstehe.« Beinahe verschluckte ich mich, als ich die Stimme der Frau von eben erkannte. »Der Gnom sagte mir, dass Ihr mir vielleicht helfen könntet.« Ich setzte mich und streckte die Beine aus. Das konnte dauern. Nischo schanzte Kiana meist schwierige Fälle zu, während sie ihm die Kriminellen überließ.

»Vielleicht kann ich das.« Die Stimme der Hexe verriet weder Neugier noch Interesse. »Es kommt darauf an, um was es sich handelt.«

Das Mädchen antwortete schnell. »Eine Umwandlung. Oder Heilung. Das kommt wohl auf die Perspektive an.« Das Mädchen zögerte und ich nippte ein weiteres Mal an meiner Tasse..

*Ich hoffe die Hexe ist hilfreicher, als der Gnom.* Es dauerte einen Moment, bis mir bewusst wurde, dass mich ein Kommunikationsfaden erreicht hatte. Beim Aufspringen warf ich den Tisch um, so dass die Federn um mich herum segelten. Mit einem Satz hatte ich den Vorhang herunter gerissen und stand mit klopfendem Herzen vor den beiden Frauen. Das Mädchen bleckte ihre Zähne und knurrte, während Kiana sich an den Tresen krallte. Ich konnte nur starren.

*Der hübsche Kerl mit dem Vogelnamen!* Ihre Gedanken wehten um mich herum.

Ich schickte einen direkten Kommunikationsfaden zu ihr. *Was bist du?*

Sie taumelte, sah mich mit großen Augen an, aber sie hatte mich verstanden. Sie hatte mich verstanden!

Ihre hellbraunen Augen verfärbten sich, schimmerten grün und violett, wie ein Königsseestern im Meer.

Dann hüpfte Lore ins Zelt hinein. *Hey, Falk. Bist du fertig? Moment, was riecht hier so gut?*

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