7. Als ich klein war, sah ich die Welt mit anderen Augen

In diesem Moment hörte er nur das Rascheln des gigantischen Baums, unter dessen Schatten er verweilte. Er spürte den leichten Wind, der sein Gesicht umschmeichelte. Das Gras fühlte sich angenehm an und weckte schöne Erinnerungen. Außerdem konnte man immer wieder mal das Zwitschern der Vögel hören, die sich in den Baumkronen versteckt hielten.

Die Tage waren sehr heiß, wodurch selbst er keine große Lust hatte, seine kleine Oase zu verlassen. Fühlend, wie etwas auf seiner Nasenspitze landete, öffnete er langsam die Augen. Er musste sich bemühen, keinen einzigen Laut von sich zu geben. Denn als er die Augen öffnete, erblickte er eine azurblaue Libelle, die ihn mit ihren großen Augen betrachtete.

Dieser Anblick war sehr interessant, vor allem, da er noch nie die Gelegenheit hatte, so eine Geschöpf aus der Nähe zu betrachten. Sie war wunderschön. Ihre halb durchsichtigen Flügel bewegten sich leicht im Wind, der in diesem Moment als einziger die heißen Temperaturen etwas abkühlte.

Der Junge lächelte, stemmte sich vorsichtig auf seine Arme, doch in genau dem Moment erhob sich die Libelle in die Luft und flog davon. Sie drehte ein paar Runden um seinen Kopf, ehe sie davon flog und den völlig begeisterten Blonden allein ließ. Es war so etwas banales, jedoch war daran auch etwas unglaublich schönes.

»Touya, hast du das gesehen?«, fragte er, ohne den Blick von der Libelle zu lassen, die für das normale, menschliche Auge schon längst nicht mehr sichtbar war. Der neben ihm liegende, rothaarige Junge öffnete leicht sein Augenlid. Dabei versuchte er sich an die Helligkeit zu gewöhnen, die nach einer Weile des Halbschlafes blendete und unerträglich war.

Wenig später öffnete er ebenfalls das zweite, um gleich darauf seinen Blick auf den Blonden richten zu können, der in die Ferne sah.
»Was denn?«, seufzte Touya, während er sich zum Sitzen erhob. Nachdem er dies getan hatte, rieb er sich mit den Händen die verschlafenen Augen. Immer noch fühlte er die Müdigkeit, die ihm mit Sicherheit die nächste Zeit keine Ruhe geben würde.

»Eine Libelle«, antwortete Keigo stolz. Seinen Kopf drehte er zu dem benommen Freund und lächelte leicht. »Sie war wunderschön. So ziemlich wie deine Flammen.«

Als der Rothaarige das hörte, schickte er seinem Freund einen verwunderten Blick, ehe er ihn eine Sekunden später beschämt wieder abwandte.

Jedes Mal reagierte er auf diese Weise, Keigo war von seiner Spezialität begeistert, was er immer wieder zum Ausdruck brachte. Der Nutzer der azurblauen Flammen selbst war jedoch kein bisschen stolz auf diese.

Sie erinnerten ihn an das Leiden, das er bei jedem Training mit seinem Vater immer wieder aufs Neue erleben musste. Manchmal kam es ihm so vor, dass nicht die Flammen seines Vaters, die ihn verbrannten, am meisten schmerzten. Nein, vielmehr waren es die fehlende Empathie und die fehlenden Emotionen.

Sein Vater war ein eiskalter Realist, mit dem Ziel der Perfektion. Selbst wenn es sich um seinen wenige Jahre alten Sohn handelte, der in der Zukunft seinen Platz einnehmen sollte.

Unwillkürlich fasste Touya sich an den bandagierten Arm, der unter dem Ärmel seines Oberteils versteckt war. Immer wieder kamen neue Narben dazu und seine Hoffnung, dass dieser Horror irgendwann ein Ende haben könnte, wurde von Tag zu Tag immer geringer.

Natürlich wusste Keigo von alledem nichts. Es war einfacher ihm zu erklären, wieso er trotz der Hitze langärmelige Kleidung trug. Schließlich wollte er den Jungen nicht beunruhigen und ihm seine bunte Welt zerstören. Keigo hatte es im Leben selbst nicht leicht, weshalb er ihm nicht auch noch das aufbürden wollte. Vor allem, da er genau wusste, wie wichtig sie sich waren.

»Du übertreibst. Es war nur eine Libelle«, seufzte er, die Arme hinter sich stützend und in den blauen Himmel blickend. Einzelne, weiße Wolken zogen in einem langsamen Tempo vorbei, der leichte Wind stahl sich immer wieder zwischen die Blätter und ließ sie tanzen. Der Blonde schaute in seine Richtung und lächelte beim Anblick des verwirrten Gesichts seines Freundes.

»Sie war wie wir.« Als er das sagte, traf wenig später wieder der verwunderte Blick des Rothaarigen auf ihn. Er konnte nicht ganz verstehen, was in dem blonden Kopf vor sich ging. Deshalb entschied Keigo, ihn nicht warten zu lassen und sprach weiter, doch vorher hob er den Kopf gen Himmel und musterte ihn mit seinen goldenen Augen.
»Sie war wunderschön, wie deine Flammen und sie hatte Flügel, wie ich. Wie eine Verbindung unserer zwei, Touya.«

Sein Lächeln strahlte, wodurch der sitzende Junge zugeben musste, dass er in seinem Leben noch kein schöneres Lächeln erblicken konnte. Es war so zärtlich, so unschuldig, er wollte es für sich behalten und das für immer. Wünschend, dass es nur ihm gehören möge.

Keinesfalls wollte er es mit jemand anderem teilen. Und erst nach einer Weile wurde Touya klar, dass es nicht nur das Lächeln war, nein vielmehr war es die Person, zu der es gehörte. Er war seine Oase, seine Zuflucht. Jemand, bei dem er sich keine Gedanken um seine Spezialität oder seinen Vater machen musste.

Er musste sich keinerlei Sorgen machen. In seiner Gegenwart fühlte er lediglich positive Emotionen. Es war kein Platz für Trauer, Wut oder Hass, sie hatten keine Daseinsberechtigung.

Doch hier ging es nicht um sein Wohlergehen, sondern um seinen geflügelten Freund, der sich auf keinen Fall um ihn sorgen durfte. Zwischen ihnen sollte es nur die schönen Momente geben und Touya kam wunderbar damit zurecht. Keigo war nicht so überschwänglich wie die restlichen Kinder, doch genau das zog ihn so zu dem Blonden.

Diese ruhige Natur, seine Unschuld und Reinheit, das fehlen jeglicher Verderbnis. Er durfte nicht zulassen, dass ihm irgendwas passierte. Niemals würde er erlauben, dass man ihm Leid zufügte, selbst wenn es sein eigenes Leben kosten sollte.

Keigo fühlte die warme Hand seines Freundes auf der Stirn, blickte aus dem Augenwinkel zu ihm und hob dabei die Augenbraue fragend. Aus der Sicht des lächelnden Todoroki Jungen sah diese Geste lustig aus.

»Du hast ja doch kein Fieber«, stellte er fest und kehrte dabei wieder auf seinen Platz zurück.
»Warum sollte ich …?«, fragte der Blonde unsicher, der sofort betrübt den Kopf zur Seite drehte. Manchmal verstand er Touyas Witze, die er von ihm erntete, nicht.

»Weil du angefangen hast, komische Dinge zu erzählen«, erklärte Touya energisch, dabei zog er ihn an sich. Mit seiner zur Faust geschlossenen Hand fing er an, seine Haare durcheinander zu bringen. Natürlich folgte darauf die Gegenwehr des Geflügelten, jedoch war seine Umarmung stark genug, um ihm praktisch keinerlei Chance auf Flucht zu gewähren.

Und als er sich entschied, Keigo wieder loszulassen, richtete sich dieser auf und bedachte den Rothaarigen mit einem mürrischen Blick. Dies brachte ihn mit einem lauten Schnauben zum Lachen. »Du siehst aus, wie ein aufgeblasenes Hühnchen.«

Der Blonde verzog die Augenbraue, blickte nach Oben und stellte dabei fest, dass seine Haare einem Afro glichen. Mit einer einfachen Handbewegung versuchte er, sie wieder in den Griff zu bekommen, mehr schlecht als recht.

Unzufrieden fixierte er einen unbestimmten Punkt vor sich, Touya rollte bei dem Anblick nur mit den Augen. Im Grunde wusste er genau, dass Keigo die Bezeichnung Hühnchen nicht leiden konnte, doch manchmal konnte er sich nicht bremsen. »Hey, reg dich nicht auf.«

Als Keigo die Hand seines Freundes auf seiner Schulter spürte, die ihn wieder an ihn zog, wollte er gleich wieder Abstand gewinnen. Doch als sein Kopf auf dem Torso des Rothaarigen landete, da resignierte er sein Vorhaben. Er fühlte die Wärme, die ihm nichts ausmachte, eher im Gegenteil. Sie ermutigte ihn da zu bleiben und das trotz der wirklich heißen Temperaturen.

Mit einem leichten Lächeln kuschelte er sich in das purpurfarbene Oberteil, fühlte, wie sich zwei Arme um ihn schlangen. Touya sah, dass Keigo nicht vorhatte zu protestieren, weshalb auch er anfing zu lächeln und gleich darauf sein Kinn auf die lockigen Haare anlehnte.

Keigo spürte seine Wärme, doch diese ging nicht von seinem Freund aus. Vielmehr ging diese Wärme von seinem Herzen aus, das wie wild in seiner Brust schlug. Noch nie hatte er diese Art von Nähe erfahren, nicht einmal von seinen Eltern. Weshalb er sich dazu entschloss, nichts weiter zu sagen, in der Hoffnung, er könnte noch etwas länger in dieser Position verweilen.

»Wir sollten zurückkehren«, stellte Touya nach einiger Zeit fest, während er die untergehende Sonne betrachtete. Als er keine Antwort von seinem Freund bekam, blickte er zu ihm herunter. Seine Augen waren geschlossen.

»Noch nicht«, schnurrte der Junge, sein Gesicht kuschelte er nur noch fester an die Brust des Rothaarigen. In dem Moment verstand Keigo, dass er gar nicht dazu fähig war, dies zu unterbrechen.

Während er so in den warmen Armen seines Freundes verweilte, durchfluteten ihn viele Gefühle. Solche, wie er sie noch nie erlebt hatte. Sicherheit und die Wärme eines anderen Menschen. Etwas, was er nie fühlen könnte, wenn sie sich beide nicht so nah gestanden hätten.

Er wollte es nicht beenden. Wollte es nicht verlieren. Und schon gar nicht wollte er nach Hause, denn dort erwartete ihn einzig und allein die Kälte. Dort konnte er keine Wärme erwarten, nicht wie die, die von Touya ausging.

Der Rothaarige wollte ebenfalls verweilen, wollte und konnte sich noch nicht trennen. Deshalb ignoriere er die Konsequenzen, die ihr Verhalten nach sich ziehen würden, und willigte der Bitte des Jüngeren ein.

»In Ordnung.«

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