1. Nicht alle Alpträume enden gleich nach dem Erwachen

Hawks setzte sich ruckartig auf. Sein Atem war ungleichmäßig und stockend. Es machte den Anschein, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. Dabei hatte er bis gerade eben noch geschlafen.

Hätte er in dem Moment ein Shirt getragen, würde dieses mit hoher Wahrscheinlichkeit an seinem mit Schweiß bedeckten Körper kleben. Seine Hände, die sich fest in die Bettdecke krallten, zitterten. Ähnlich wie der Rest von ihm.

Hawks ganzer Körper bebte und es machte nicht den Anschein, als würde sich dies ändern. Sein Herz schlug heftig - so heftig, dass er beinahe Angst hatte, es würde jeden Moment aus seiner Brust springen. Mit weit aufgerissenen Augen fixierte er einen nicht existenten Punkt vor sich.

In dem Raum, in dem er sich befand, war es dunkel. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, bis seine Augen anfingen, sich an die herrschende Dunkelheit zu gewöhnen. Erst dann schaffte er es endlich, sich ein wenig zu beruhigen.

Während Hawks seine immer noch bebende Hand an die Schläfe legte, begann er sich in dem Zimmer umzuschauen, das immer noch genauso aussah wie zu dem Zeitpunkt, als er eingeschlafen war. Das Fenster, das fast die ganze Wand einnahm und durch das das Licht des Mondes fiel, war immer noch wie vorher, es hatte sich nicht verändert.

Auch die Regale direkt gegenüber, auf denen sich allerlei Figuren, Bücher und Kerzen befanden, waren dieselben wie zuvor. Bücher, die er bis zu diesem Zeitpunkt nie gelesen hatte und wohl nie lesen würde. Die Tür, die in den Flur führte und sperrangelweit offen stand - auch diese hatte sich nicht verändert. Nichts hatte sich verändert. Obwohl, war er sich da wirklich sicher?

Während Hawks den unangenehmen Kloß in seinem Hals hinunter schluckte, den er bereits seit einigen Minuten spürte, wandte er seinen Blick zu der Person, die sich neben ihm im Doppelbett befand. Und erst dann realisierte er, dass das alles nur ein Traum gewesen war. Es war ein verflucht realer Alptraum, der zudem Schuld an seiner aktuellen Verfassung war.

Alles, was er erlebt hatte, jedes Wort, jede Bewegung und jeder Schmerz. All das hatte sich so real angefühlt, weshalb er einige Minuten brauchte, um sich an die Situation zu gewöhnen. Es kam äußerst selten vor, dass Hawks sich an seine Träume erinnern konnte, doch dieser war anders, denn in diesem Fall konnte er sich an alles erinnern. Jedes einzelne Wort und jede noch so kleine Geste. Einfach alles.

Schwer schluckend und mit noch immer zitternden Händen berührte er langsam seinen Rücken, wo immer noch die weichen Federn seiner Flügel waren. Sie waren dort, wo sie hingehörten. In seinem Traum, da waren sie nicht mehr da. Er wurde ihrer beraubt, auf eine brutale Art und Weise, bis aufs Blut. Dennoch war dies nicht das Schlimmste an der ganzen Sache.

Nach einem Moment des Zögerns entschied er sich dazu, seinen Blick auf den Mann neben ihm zu werfen, der mit dem Rücken zu ihm schlief. Seine pechschwarzen Haare glänzten im Licht des Mondes, was ihn fast dazu verleitet, mit seinen Händen durch sie zu fahren. Auch wenn sie nicht danach aussahen, in Wirklichkeit waren sie ganz weich und zart. Das wusste er ganz genau.

Und obwohl der Mann ihm den Rücken zudrehte, konnten seine Augen deutlich erkennen, wie sich seine nackte Brust stetig und rhythmisch hob und wieder senkte. Und da erkannte er, was für ein Glück er doch hatte. Auf keinen Fall sollte Dabi ihn in diesem Zustand sehen. Nicht jetzt. Nicht nach alledem, was er gesehen hatte, auch wenn all das nur ein Traum gewesen war.

Ein beschissener Traum. Denn woher sollte Dabi auch wissen, wer Hawks in Wirklichkeit war? Immerzu versuchte er so vorsichtig zu sein, wie nur möglich und bis zu diesem Zeitpunkt klappte es auch ausgezeichnet. Niemand ahnte auch nur ansatzweise etwas. Jeder von ihnen glaubte die Geschichte über den Helden, der sich dazu entschieden hatte, die Fronten zu wechseln.

Jeder sah das Potenzial in ihm und den Wunsch, ihn als wirklich mächtiges und würdiges Mitglied in seinen Reihen zu haben. Nun vielleicht nicht wirklich jeder. Es würden sich wohl immer noch Personen finden, die ihm nicht gänzlich vertrauen. Doch hier zählen diese Personen nicht, hier zählt einzig der Schwarzhaarige, der eine tragende Rolle in seinem Alptraum hatte.

Selbst jetzt, wo er ihn so betrachtet, stellte sich ihm die Frage, ob Dabi tatsächlich dazu fähig wäre ihn auf so eine brutale Art und Weise zu behandeln - sollte er hinter Hawks Geheimnis kommen. Er kannte die Antwort auf seine Frage nicht, doch wenn er sich das alles vorstellte, bekam er eine Gänsehaut. Mit Sicherheit wollte er das alles nicht noch einmal erleben, schon gar nicht im realen Leben.

Es vergingen einige Minuten, ehe er sich vollends beruhigt hatte und doch wieder hinlegte. Er rückte ein Stück näher an den Schwarzhaarigen, der sich in genau dem Moment auf den Rücken gedreht hatte, immer noch tief und fest schlafend. Dank dem konnte Hawks in Dabis friedliches Gesicht blicken.

Ein Gesicht, das ihn in dem Moment nicht an jenes aus seinem Traum erinnerte. Verzerrt vor Wut, Schmerz und Hass - gegen ihn gerichtet. Und vielleicht war es nicht die Angst vor dem Schmerz allein, sondern vielmehr der Blick, mit dem Dabi ihn betrachtet hatte.

Und er hatte ihn voller Ekel angesehen, wie auf einem erbärmlichen Haufen Müll, der es nicht wert war zu leben. Das Witzige daran, genauso hatte sich der Blonde in dem Moment auch gefühlt. Trotz allem, was Dabi ihm angetan hatte, war er nicht sauer auf ihn.

Seine Wut richtete sich an ihn selbst. Er war verdammt wütend, doch genauso verängstigt. Durch seine Taten, seine Spionage, hatte er ihn verloren. Die Person die ihm seltsamerweise so viel bedeutet hatte. In seinem Traum ...
Und hier und jetzt. Obwohl er es sich noch nicht laut eingestanden hatte.

Wie konnte es überhaupt möglich sein, dass Hawks sich so auf seinen natürlichen Feind einließ? Ein Schurke? Die ganze Zeit stellte er sich diese eine Frage. Gleichzeitig wusste er genau, wie unangemessen sein Tun war. Schließlich würde er nicht für immer ein Spion bleiben.

Irgendwann würde das alles ans Licht kommen. Er wollte gar nicht dran denken müssen, was passieren sollte, wenn es denn soweit sein sollte. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt hielt er sich zurück - natürlich. Doch es kam der Moment, an dem er sich den Emotionen und seinem Verlangen hingegeben hatte.

Hawks konnte sich nicht mehr zurückhalten, schon gar nicht, wo Dabi praktisch die ganze Zeit an seiner Seite war ... Ihn verführte. Vielleicht nicht bewusst, aber es war verlockend. Verflucht verlockend. Und wenn er so darüber nachdenkt, tat er es immer noch und Hawks konnte immer noch nicht aufhören.

Nach einer Weile der Überlegung entschied er sich, näher an Dabi zu rücken, während er seinen Kopf nah an das Gesicht des Schurken legte und ihn beinahe mit seiner Nase berührte. Nun konnte er den ruhigen und stetigen Atem des Schwarzhaarigen nicht nur hören, sondern auch sehen.

Ohne den Blick von ihm abzuwenden, legte er vorsichtig eine seiner Hände auf den nackten und heißen Oberkörper, stets darauf bedacht, den Schlafenden nicht aufzuwecken. Immer dann, wenn er sich bei Dabi befand, wurde er nicht nur von der Wärme überwältigt, die von ihm ausging, sondern auch von einem Gefühl der Sicherheit, dank dessen er sich schließlich entschloss, die Lider zu schließen und in das Land der Träume zurückzukehren, in der Hoffnung, dass er diesmal nicht das vorfinden würde, was er zuvor dort gefunden hatte.

Bei dem Gedanken, in welcher Situation er sich befand, stahl sich ein leichtes Lächeln auf sein Gesicht. Hawks, Held Nummer zwei, hatte sich verliebt. Und das in einen Schurken. Zumindest schien es ihm so. Dabi war ziemlich speziell, aber es war genau das, was Hawks so zu ihm zog. Und er liebte wirklich alles an ihm, seine Haare, die Narben, den Charakter und seine blauen Flammen. Einfach alles.

Jedoch konnte vermutlich nichts mit den türkisen Augen des Schurken mithalten, in welchen er sich mit nur einem Blick gänzlich verlieren konnte. Hawks wünschte sich, dass der Besitzer dieser Augen nur ihm alleine gehören könnte, dass er jeden Morgen neben genau dieser Person aufwachen würde, jeden einzelnen Tag mit ihm verbringen könnte. Hawks wollte, trotz ihrer Unterschiede, dass er ihm diese Chance gab.

Doch genau das war nicht so einfach.

Am Morgen erwartete ihn eine unerfreuliche Überraschung. Er wachte genauso auf, wie er zuletzt eingeschlafen war, in der gleichen Position, dem gleichen Zimmer, jedoch mit einem gravierenden Unterschied. Er erwachte allein. Dabi war nicht mehr da.

Auf dem Platz, wo jener geschlafen hatte, befand sich eine gähnende Leere. Der Blonde rollte sich zusammen, während er auch den Rest der Decke zu sich zog. Mit Dabi verschwand auch die Wärme, genauso wie die Lust, um irgendetwas zu tun, weshalb er sich kurz darauf wieder in sein Kissen kuschelte und seine Augen wieder schloss.

Er konnte natürlich aufstehen, in die Küche gehen und sich vergewissern, dass sein Partner vielleicht doch geblieben war und nun in der Küche stand, jedoch sah er darin keinen Sinn. Er kannte ihn schließlich nicht erst seit heute, um zu wissen, dass Dabi nicht mehr da war.

So war es immer, nach jeder ihrer gemeinsamen Nächte. Dabi verschwand jedes Mal ohne Vorwarnung aus Hawks Wohnung und er erwachte jeden Morgen, mit einem Funken Hoffnung, dass der Schwarzhaarige dieses Mal doch blieb. Hier an seiner Seite.

Er hätte sich nicht mehr irren können ...

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