Nichts als die Wahrheit
Ich erwache schluchzend in einem gemütlichen, großen Himmelbett. Oh, je, habe ich schon wieder geschlafen? Nun ja, meine Psychopille hat ziemlich reingehauen. Und die Nachwirkungen der letzten Stunden auch. Es ist eben nicht so einfach weg zu stecken, wenn man erfährt, dass man doch nicht psychotisch, sondern tatsächlich zweihundert Jahre alt ist! Ich inspiziere meine Bleibe und nutze dann die Luxusdusche, in die Georges Vater zweimal hinein gepasst hätte. Im Kleidersschrank finde ich neben meinen wenigen Klamotten auch das Kleid von gestern Abend und weitere schöne Stücke aus der Boutique, die ich zwar anprobiert hatte, dann aber wieder weg gelegt hatte, weil ich nicht so ausverschämt sein wollte. Ich ziehe eines der Kleider an, darunter eine blickdichte Strumpfhose und schlüpfe in meine Häschenpantoffeln. Der ultimative Christmas- Look! Dann mache ich mich auf die Suche nach George, der sicherlich irgendwo in diesem riesigen Herrenhaus verschwunden ist. Ich finde ihn in einer Art Arbeitszimmer, grübelnd über einen Mac gebeugt.
Sein Anblick löst sofort etwas Vertrautes aus und ich umarme ihn von hinten.
„Hey...Kleines...", raunt er, dreht sich um und küsst mich zärtlich.
Er zieht mich auf seinen Schoß und ich sage beschämt: „Tut mir leid, dass ich so eine langweilige Gesellschaft bin. Ich habe ja fast den gesamten Weihnachtstag verschlafen!"
„Ist okay, du hast es gebraucht. Und wir haben ja noch Zeit..." Er macht eine nachdenkliche Pause, dann fährt er fort: „hm, als ich das das letzte Mal gesagt habe, haben sie uns ein paar Tage später getötet."
„Und es war alles meine Schuld", murmele ich.
„Nein, Mutter war schuld. Ihr Bedürfnis, endlich anerkannt zu werden, als das, was sie ist, dafür hat sie dich manipuliert!"
Ich nicke. Doch George weiß auch, dass ich diesen Brief hätte für mich behalten müssen.
„Und nun Kopf hoch, meine dunkle Prinzessin, das ist Vergangenheit. Steht dir übrigens viel besser, der Gothic- Look."
„Danke. Warum hast du dein Aussehen nicht verändert?"
„Oh, das hatte ich eine ganze Zeit lang. Aber seit ein paar Jahren bin ich mir sicher, dass man mich nicht mehr als Prince of Wales erkennen wird!"
„Den Titel überlassen wir getrost diesem Charles, hm? Ehrlich, du warst der bestaussehende Prinz, den dieses Königshaus je hervor gebracht hat!"
„Weil Mutter eine Schönheit war und mal frisches Blut in diese ganze Inzucht- Sippe gebracht hat!" erwidert George und grinst. „Aber schau mal, ich hab' was heraus gefunden."
Er zeigt auf den Bildschirm.
„Das bin ja ich!", rufe ich lachend aus. „14.03.1984. In einer Bank?"
„Ja, du hast dort die Zahlungen an die Langzeit- Einrichtung veranlasst. Es gibt kein Datum, wann es ausläuft, ich schätze, du hast damals einfach vorgesorgt, dass sie dich bis in alle Ewigkeit dort aufheben. Die Anstalt war in den Achtzigern noch ziemlich gruselig, keine Ahnung, was dich geritten hat. Naja, dadurch, dass die immer wieder den Besitzer gewechselt haben und radikal Personal getauscht haben, ist es wohl nie aufgefallen, dass du nicht älter wirst. Und solange das Geld floß, waren sie wohl zufrieden und haben nicht weiter nach gefragt. Ist meine Vermutung."
„Hm. Blöd, dass ich mich an nichts mehr erinnern kann. Ich weiß nur, dass ich immer traurig war..."
George zieht mich eng an sich und küsst sanft meine Stirn, meine Wangen, meine Lippen. Mein Magen knurrt laut und George kichert.
„Oh, je! Ich habe der Köchin über die Tage frei gegeben, weil nicht geplant war, hierher zu kommen. Also entweder wir bestellen was oder gehen in das kleine Fischrestaurant um die Ecke, wenn dir das nicht zu einfach ist."
„Einfach? Ich habe die letzten Jahre Krankenhausessen gegessen und hatte nie genug Geld. Konnte mich ja nicht an dieses Konto da erinnern. Wieviel ist da drauf?"
„Ne ganze Menge. Wie gut, das ich Hacker- Qualitäten besitze...naja, ehrlich gesagt, hast du unseren Hochzeitstag als Geheimzahl genommen."
Ich kichere.
„Naja, den kennst nur du! Hast du die Zahlungen storniert?"
„Ja, und ein neues Konto eingerichtet, du hattest noch Achtziger- Jahre Konditionen! Die haben bestimmt oft versucht, dich zu erreichen, aber unter "Daphne Pergami" haben sie dich nicht wohl nicht finden können. Warum ausgerechnet "Pergami"?"
„Deine Mutter hat ihn geliebt. Genau, wie sie dich geliebt hat."
George senkt den Kopf.
„Caroline war nicht meine leibliche Mutter, das wissen wir beide."
„Aber sie hat dich immer wie ihren Sohn behandelt, obwohl sie voller Hass auf dich hätte sein müssen."
„Ich weiß. Komm, lass uns essen gehen."
Ich stehe auf und drehe mich.
„Geht das denn so?"
„Es ist perfekt!", erwidert George und küsst mich zärtlich. „Und ich bin überglücklich, dich gefunden zu haben, es ist das beste Weihnachten, das ich je hatte! Ich hab übrigens meinem Kumpel gesagt, er möge seine blöde Karre behalten. Ich habe etwas viel Besseres bekommen!"
Ich lächle und drücke ihm einen Kuss auf die Nase.
„Geht mir genauso. Und gut, dass du doch nicht der Idiot bist, von dem ich annahm, der du bist!"
„Hey, Frechdachs!", kontert George schmunzelnd und wir jagen uns durch den verschneiten Vorgarten des Anwesens.
Seine Hunde kläffen und ich erschrecke mich.
„Züchtest du immer noch Bassetts?", frage ich dann.
„Nein, das sind Schäferhunde. Habe deinen Rat befolgt!", erwidert er. "Gleich da drüben ist das Restaurant, schau!"
Es liegt direkt an der Küste, der Ausblick ist wunderschön. Ich seufze.
„Ich werde diesen Ort wirklich vermissen..." erklärt George traurig.
Ich runzele die Stirn.
„Warum sagst du das? Wir sind doch gerade erst angekommen?"
Wir stehen vor der Tür des wenig besuchten Restaurants, wie man durch die Scheiben sehen kann, und George hält mich fest.
„Weil ich...oder wir...bald sterben müssen. Ich habe bereits alles dafür arrangiert. Ich habe das alle zehn bis fünfzehn Jahre tun müssen- irgendwann fällt es ja sonst auf, dass du nicht alterst."
Ich nicke.
„Ja, wahrscheinlich habe ich es ähnlich gemacht, aber ich habe auch nie feste Bindungen gehabt."
„Keinen Kerl?", will George grinsend wissen und hält mir die Tür auf. „Hey, Mitch. Bekommen wir noch einen Tisch?", begrüßt er den Besitzer des Restaurants, der hinter einer kleinen Bar steht.
„Wirklich witzig! Frohe Weihnachten, Mr. Wyndham. Mrs. Wyndham."
Ich kichere. Mein dunkles Haar ist unter einer Mütze versteckt, aber ich bin viel kleiner und molliger als Jennifer!
„Danke, ihnen auch!" erwidere ich freundlich lächelnd.
Wir setzen uns.
„Warum hast du dich eigentlich nach diesem Lüstling benannt?", frage ich George und grinse.
„Er war doch ein witziger Zeitgenosse. Komm, gib mir deinen Mantel..."
George hängt die Mäntel auf und ich erwidere: „Wyndham hat mir während unseres ersten Banketts dauernd in den Ausschnitt gestarrt!"
„Naja...das habe ich auch!" gibt George grinsend zurück und setzt sich mir gegenüber. „War schwer, da nicht hin zu gucken!"
Mir wird heiß und ich lese schnell die Speisekarte.
„Also?", fragt George.
„So schnell kann ich mich nicht entscheiden, sorry....", brumme ich und er lacht.
„Ich meine, ob es einen Kerl in deinem Leben gab? Oder vielleicht auch eine Frau, wer weiß das schon."
„Es gab nur einen Mann und eine Frau in meinem Leben, die mir etwas bedeutet haben. George und Sophie."
Er ist still. Ich habe Tränen in den Augen und die Worte verschwimmen.
„Weißt du, was aus Sophie wurde?", fragt er leise.
Ich nicke. Mitch kommt an den Tisch und wir geben die Bestellung auf. Nachdem er die Vorsuppe gebracht hat, antworte ich: „Ich war da. Habe aus der Ferne beobachtet, wie meine Enkel aufgewachsen sind. Ludwig und Otto. Eine Tragödie, die arme Sophie. Ich bin dann nach ihrem Tod 1884 durch ganz Europa gereist, bis der Krieg ausbrach. Ich konnte mir vorstellen, dass du als Soldat dienen wirst und habe mich zur Krankenschwester ausbilden lassen. Ich habe oft überlegt, ob wir auch überleben, wenn uns eine Bombe zerfetzen würde."
George nickt.
„Ich habe viele gesehen, die schwer verletzt waren oder getötet wurden, aber ich wurde nicht mal von einer Kugel getroffen. Hast du dich nie gefragt, warum wir so sind? Und ob wir die Einzigen sind?"
Ich starre George an. Mitch kommt und bringt das Hauptgericht, ich habe Hunger, wie ein Wolf! Doch während George Alkohol trinkt, bleibe ich bei Wasser. Ich nicke.
„Jeden Tag. Manchmal habe ich gedacht, ob es wohl mit dem Gift zu tun hat, es hat vielleicht unser Erbgut verändert. Oder uns irgendwie... konserviert. Ich habe nie herausgefunden, womit sie uns getötet haben, sie haben ja alles vertuscht."
♚
Mein Prinzgemahl ist die ganze Nacht fort geblieben und ich habe mich in den Schlaf geweint. Doch nun ist ein neuer Morgen angebrochen und ich bin voller Tatendrang. Ich lasse mich nicht so einfach einschüchtern, nein! Sage das gemeinsame Frühstück mit der italienischen Contessa ab, um Lady Frances zu besuchen. Sie ist erschrocken, als ich herein komme. Eine hagere, hell gepuderte Dame, die sicherlich mal wunderschön war. Sie hat leuchtend blaue Augen, wie George.
„Eure Hoheit!", ruft sie. „Als ich euch mitteilte, wo ich zu finden sei, hätte ich nie anzunehmen gewagt, dass ihr persönlich kommen würdet!"
„Nun bin ich hier, setzt euch wieder hin, gute Dame. Ich bin noch lange keine Königin. Doch meinen Verpflichtungen nach zu urteilen, werde ich schon wie eine behandelt und habe nicht viel Zeit. Schaut euch bitte diese Seite aus dem Geburtenverzeichnis an."
Die Lady setzt sich ihr Monokel auf und liest. Dann nickt sie.
„Ihr seid schlau, Madame. Ihr habt gewußt, worauf ich hinaus will, nicht wahr?"
„Ist George ihr Sohn Thomas?"
Frances schaut sich hektisch um, doch niemand anderes ist im Zimmer. Meine Leibgarde habe ich vor dem Haus positioniert und meinem Cousin Albert dieses Mal nichts erzählt. Frances zischt: „Eure Hoheit, ich darf darüber nicht sprechen. Niemand darf es je erfahren!"
„Also ja."
„Ich will nur zurück ins Schloß...es steht mir zu. Sie haben es mir versprochen, wenn ich ihnen mein Kind gebe, dann..."
Die ältere Frau greift sich an ihr Herz und atmet schwer.
„Ruhig. Also, ich kombiniere: Caroline hatte wieder eine Totgeburt, daraufhin habt ihr des Königs und euer leibliches Kind der Königin gegeben, damit das Königspaar einen Thronfolger vorweisen kann. Richtig?"
Doch die Lady kann nur noch japsen. Ich springe auf und rufe nach Hilfe, dann öffne ich ihr Korsett.
„Nehmt die Finger von mir! Hure! Ihr seid meinem Sohn keine gute Frau, ihr seid beschmutzt!", schreit sie plötzlich und ich weiche zurück.
„Ich...wollte nur...Einen guten Tag wünsche ich."
Ich laufe aus dem Haus, direkt William in die Arme.
„Was...?"
„Ihr sollt sofort zurück in den Palast kommen. Der Prinz ist außer sich vor Sorge. Was treibt ihr euch in so einem Stadtteil herum?", schimpft der Leibwächter meines Gemahls und schiebt mich in die Kutsche.
„Ich habe jemanden besucht."
„Dann solltet ihr, wie es Usus ist, eure aushäusigen Belange bei der Gräfin ankündigen und sie als Anstandsdame mitnehmen. Ich dachte, ihr wäret darüber aufgeklärt?"
„Entschuldigt, das muss ich überhört haben...", murmele ich, obwohl das nicht stimmt.
Im Audienzsaal des Königs herrscht eine angespannte Atmosphäre, als ich von William regelrecht hineingeführt werde. Alle schauen mich an, als hätte ich ein Staatsverbrechen begangen. Was vielleicht auch so ist. Georges Blick brennt auf mir und das trifft mich am meisten!
„Alle verlassen den Saal. Sofort!", bellt er und ich drehe mich um.
„Ihr nicht, Prinzessin von Wales! Setzt euch!"
Ich tue, wie mir geheißen und blicke beschämt auf meine Hände in den gelben Seidenhandschuhen. Sie sind ein wenig mit Blut beschmiert und ich frage mich, wo es wohl her kommt, als George plötzlich seine Hand auf meine Schulter legt. Ich zucke zusammen.
„Hast du mir nicht zugehört?", fragt er leise.
„Doch. Aber..."
„Nicht aber! Du weißt nicht, was..."
Er stöhnt. Lässt meine Schulter los, nimmt mein Kinn und zwingt mich, ihn anzusehen.
„Weißt du, was passiert, wenn heraus kommt, dass ich nicht der bin, für den mich alle halten?", flüstert er scharf.
„Du verlierst dein Anrecht auf den Thron", erwidere ich atemlos.
Mein Herz rast und ich schließe die Augen.
„Ja!" antwortet George und lässt mich los. „Gestern Nacht war ich müde und verärgert von den absurden Entscheidungen der Lords im Oberhaus. Ich versuche schon lange, etwas in dem System zu verändern und bin vielen Konservativen ein Dorn im Auge! Sie wollen nur zu gerne, dass ich verschwinde. Und dann die Opposition- die, die mich für ihre Zwecke nutzen, meine Macht. Sie werden alles dafür tun, damit ich König werde, um ihnen den Zugang zu wichtigen Positionen zu gewähren. Ich bin ein Spielball der Politik, Elisabeth! Und ich wollte dich aus dieser Geschichte raushalten, doch du bist schneller da hinein gerutscht, als erwartet. Warum....?"
Er rauft sich verzweifelt die Haare.
„Warum hast du das getan?", haucht er.
Ich blicke auf und antworte mit fester Stimme: „Weil ich nicht mit einer Lüge leben kann, George! Ich habe mich vor diesen Machtspielchen am englischen Hof immer gefürchtet, doch ich war überzeugt, dass du so etwas niemals unterstützen würdest! Aber wenn es euer Wunsch ist, unter diesen Umständen König zu sein, gehe ich eben wie die gute Caroline ins Exil!"
George starrt mich an.
„Das Exil wird nicht reichen bei Hochverrat!", droht er. „Ich werde dein Todesurteil unterschreiben müssen. Ist es das, was du von mir erwartest?"
„Wenn du diese Spielchen weiter mitspielen willst, dann bin ich lieber tot als an deiner Seite!", erkläre ich traurig.
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