Ich träumte von dir
Donald holt mich eine halbe Stunde später aus dem „Loch", in dem zwischendurch schon wieder ein paar Neuzugänge angekommen waren. Joe ist vor mir raus gelassen worden, doch da er hier schon vorgeglüht hat, denke ich nicht, dass er weit kommen wird. Und ich kann mir partout nicht vorstellen, dass George ihn wirklich zu sich eingeladen hat!
„Hat dich ein Mr. Wyndham angerufen?", frage ich Donald neugierig, während wir auf dem Weg nach New Jersey sind.
Mein fülliger Betreuer schimpft: „Yup. So ein Penner! Meint, ihm gehöre ganz Manhattan und er kann über alle bestimmen...er wollte dich kaufen, ich hab gesagt, du wärst keine Hure!"
„Wieviel hat er geboten für so eine durchgeknallte, stabil gebaute Emotante wie mich?", erwidere ich und lache.
„Willst du es ehrlich wissen?", kontert Donald brummig und haut so heftig den Gang rein, dass der alte Wagen einen Satz macht.
„Ich nehme an, von dem Geld könntest du dir endlich ein Auto mit funktionierender Gangschaltung kaufen, oder nicht?"
„Das nächste Mal nur Automatik! Und ich könnte sogar meiner Stefania die teure Uhr kaufen, die sie so toll findet...hm..."
„Warum machst du es dann nicht? Es geht hier nicht um Sex, Donald, ganz bestimmt nicht, der Kerl ist verheiratet."
Donald schnaubt und erwidert: „Na und?"
„Nix: Na und! Warum sollte er sich eine wie mich für Sexspielchen holen, wenn...Vorsicht!", rufe ich entsetzt, denn eine riesige Limo, der uns gerade überholt hat und nun vor uns ist, geht voll in die Eisen.
Donald bremst scharf, dabei rutscht sein Toupet nach vorne und er flucht. Ich lache, greife danach und nehme es ab.
„Gib her...", schimpft er und ich halte es aus dem Fenster, dass ich vorher habe runter fahren lassen.
„Nur, wenn du ja sagst!", verlange ich und kichere.
Keine Ahnung, warum ich jetzt plötzlich doch in Betracht ziehe, mit George Weihnachten zu feiern. Vielleicht, weil ich wissen will, woher ich ihn kenne, oder vielleicht auch, weil ich den Heiligen Abend nicht in der Psychiatrie verbringen möchte.
„Hör sofort auf, Betsy! Gib mir...", erwidert Donald mürrisch und grabscht mit seinen dicken Armen unbeholfen nach mir.
Plötzlich nimmt jemand das Toupet aus meiner Hand. Ich erschrecke und drehe mich um. Ein großer, schlanker Typ im Chauffeursanzug grinst mich breit an.
„Hi, ich bin Johnson. Sorry, dass ich sie ausbremsen musste, aber ich habe hier eine schriftliche Anordnung von Amtsrichter Collins, die besagt, dass er ihre Funktion als Betreuer von Miss Lamb außer Kraft setzt, Mr. Forster. Und, Miss Lamb, ihnen möchte ich die Einladung von meinem Boss, Mr. Wyndham der Achte, zu seinem Weihnachtsdinner überbringen. Wenn sie möchten, steigen sie ein!"
Ich juchze, während Donald immer noch guckt, als wäre er in einem falschem Film. Nun, langsam habe ich auch das Gefühl, dass ich noch völlig betrunken bin und träume...
„Aber... ich habe nix anzuziehen für ein festliches Dinner!", überlege ich leise.
Donald aber erwidert: „Hören sie, das ist ein Missverständnis, ich betreue Miss Lamb nun schon seit drei Jahren und..."
Johnson schüttelt seinen Kopf.
„Dann wird's wohl Zeit, das die Frau endlich eigene Wege geht! Kommen sie, Miss, für ihre Garderobe werden wir sorgen."
Ich steige aus.
„Frohe Weihnachten noch, Donald. Ach, hier, deine Haare. Wir sehen uns!"
Dann folge ich Johnson und steige in die riesige Limo. Wow! Erst hier drinnen fällt mir auf, dass ich stinke. Meine Strumpfhose und der dicke Wollmantel stehen vor Dreck! So soll ich dort aufkreuzen? Doch Johnson hält plötzlich vor einer Boutique in der Fifth Avenue, die tatsächlich als einzige beleuchtet ist. Es ist ein exklusiver Laden für kurvige Frauen, ich bin schon oft davor stehen geblieben und habe die schönen Kleider bewundert. Denn dieser Laden trifft meinen Geschmack- nicht zu prunkvoll, doch besonders. Nur hätte ich mir hier nie etwas leisten können! Die Verkäuferin begrüßt mich freundlich.
„Warum haben sie heute auf?", frage ich vorsichtig.
„Haben wir nicht. Das ist nur für sie." Ist die Antwort.
Ich drehe mich zu Johnson, doch er ist schon wieder zum Wagen gegangen.
„Ich...möchte nicht, dass sie meinetwegen...", murmele ich verlegen.
Die Verkäuferin winkt ab.
„Das ist nicht schlimm! Von der Bezahlung heute kann ich mir endlich das Jahr unbezahlten Urlaub nehmen, um eine Asienreise zu machen! Also, schauen sie sich um, es gibt keine preislichen Grenzen und sie können auch mehrere Kleider auswählen, wenn sie sich nicht entscheiden können, Mr. Wyndham übernimmt alles. Sie stehen auf dunkle Sachen, stimmt's? Ein bisschen Emo? Kommen sie, ich hab da was..."
Doch ich weiß schon, was ich will, wie gesagt kenne ich die Auslagen dieses Geschäftes gut. Und mein Traumkleid steht mir sogar! Dazu noch Nylons und passende Schuhe, denn meine Stiefel sind völlig zerlatscht. Ich komme mir vor, wie in einem Märchen! Ich bedanke mich bei Veronique, der netten Verkäuferin, und sie ruft mir hinterher: „Kommen sie bald wieder! Frohe Weihnachten!", als ich vollbepackt aus der Tür trete.
Johnsson kommt angelaufen, packt alles ein und wir fahren weiter. Irgendwann stehen wir vor einem riesigen Wolkenkratzer inmitten von Manhattan und fahren in die Tiefgarage. Dann bringt mich Johnson in ein Appartement, wo ich mich frisch machen soll und meint, ich würde um Punkt neun abgeholt werden. Ich habe eine halbe Stunde! Was bei mir eigentlich ausreicht, doch hätte ich gerne noch etwas länger unter der heißen Dusche gestanden. Ich schminke mich mit Mascara, Kajal und Lippenstift, den ich in meinem Rucksack mitgebracht habe. Meine Haare glätte ich mit dem Glätteisen und mache Glanzspray darüber. Wow! Wie lange habe ich mich nicht mehr schick gemacht! Mein Herz klopft. Wieviele Menschen werden auf diesem Bankett sein? Eigentlich mag ich so etwas gar nicht, ich habe es früher immer gehasst, wenn...Früher? Und die Verkäuferin...es fühlte sich wie selbstverständlich an, als sie mich bedient hatte.
Ich schaue mein Spiegelbild an und plötzlich verschwimmt es vor meinen Augen. Natürlich, drei Flaschen Wein sind nicht ohne, auch wenn ich schon am Vormittag damit angefangen habe. Doch dann sehe ich, wie mein Spiegelbild sich verändert. Meine schwarz gefärbten Haare sind plötzlich dunkelblond, gewellt und hoch gesteckt, und ich trage ein barockes Ballkleid, das weit ausgestellt ist. Meine Taille wirkt schmaler, mein Decolleté üppig. Ich starre in meine eigenen Augen, dann reibe ich sie und schaue nochmal hin. Mein Atem wird schneller und ich spüre, wie mir langsam, aber sicher, die Sinne schwinden.
♚
„Mutter? Geht es Euch nicht gut? Mutter!"
Ich höre meine Tochter besorgt rufen und öffne meine Augen. Die Hofdamen schauen mich erschrocken an, eine der Drei wedelt mit einem Tuch vor meiner Nase herum.
„Sie wird doch nicht unpäßlich sein?", fragt die Jüngste.
„Unfug. Lasst mich, es geht schon wieder!", verlange ich energisch und erhebe mich langsam.
Die Zofen zupfen an meinem Rock herum.
„Nun lasst! Sophie, Kind. Mach dir keine Sorgen, ja?", sage ich und breite meine Arme aus.
Ich ziehe meine hochgewachsene Tochter an mich, sie seufzt und erklärt: „Ich will nicht auch noch euch verlieren! Vater..."
„Dein Vater war schon ein alter Mann, als wir geheiratet haben", beruhige ich sie. "Nun komm, du willst doch sicher deinen Prinzen sehen, nicht wahr?"
Sophie, die erst vor wenigen Tagen einundzwanzig geworden war, nickt.
„Ja, Mutter. Denkt ihr, dass er mich auch mögen wird?"
„Natürlich! Du hast das gute Aussehen deines Vaters geerbt", erwidere ich zuversichtlich.
Nun, ich war damals als Achtzehnjährige nicht angetan gewesen, einen siebenundsechzigjährigen Greis zu heiraten, auch, wenn er der Herrscher eines Landes war und ich mit der Verehelichung zur Herzogin zu Mecklenburg- Strelitz wurde. Wovon alle meine Schwestern immer geträumt hatten! Mein Ehemann Karl hatte sich als freundlicher, aber distanzierter Gatte erwiesen, der nach der Geburt von Sophie immer mehr Abstand von mir genommen hatte. Wir hatten mehr oder weniger nebeneinander her gelebt, Karl war im Aufbau unseres kleinen Herzogtums sehr eingebunden gewesen, während ich mit den feinen Damen des Kaiserreiches mitzuhalten versucht habe. Da meine Schwägerin, die wie meine Tochter Sophie Charlotte heißt, die Königin von England gewesen war, wurde ich natürlich überall mit offenen Armen empfangen. Und nun soll meine Tochter mit dem Prinzen von Wales, dem Sohn des etwas merkwürdigem, lotterhaften Prinzregenten Georg dem IV, vermählt werden! Es heißt, der junge Prinz wäre zwar nicht so ausschweifend wie sein Vater, dafür aber abenteuerlustig und würde eine Karriere beim Militär bevorzugen. Nun ist es aber abzusehen, dass der Koloss, wie mein Großneffe liebevoll in deutschen Kreisen genannt wird, wohl irgendwann sterben wird und sein Sohn die Krone übernehmen muss.
Die Kutsche hält vor dem Buckingham Palast und ein Diener hält uns die Tür auf. Ich steige aus und reiche Sophie meine Hand, spüre, dass sie zittert. Nun, ich habe ein wenig geflunkert, denn ich bin fast genauso aufgeregt wie meine hübsche Tochter. Zwar kenne ich den englischen Hof gut, doch habe ich ihn aufgrund der verwirrenden Regierungslage in den letzten zehn Jahren gemieden. Damals war der junge George siebzehn und auf der Militärschule gewesen, ich kenne ihn nur durch die Schilderungen seiner Mutter Caroline, die auch Deutsche war. Leider ist sie vor neun Jahren gestorben und es heißt, der König würde nun zahlreiche Geliebte haben. Wir werden zunächst auf unser Zimmer geführt und ich vermute, dass mein lieber Großneffe, der König, nicht anwesend sein wird. Sophie zieht sich noch einmal um, während ich mich ein wenig ausruhe, denn die Fahrt war anstrengend gewesen. Als es nach einiger Zeit klopft, macht meine Tochter einen Hüpfer und ich lächle.
„Nun beruhige dich. Es wird nur ein Graf oder eine Gräfin sein, die uns begrüßen möchten."
Ich deute der Zofe, zu öffnen. Sophie greift nach meiner Hand und drückt sie fest. Meine Hofdamen haben mir immer gesagt, dass unsere Verbindung zu eng wäre, aber ich habe nie auf andere gehört, wenn es um die Kindererziehung ging. Ich wollte eine liebevolle Mutter sein!
Der junge Herr, der unser Zimmer forsch betritt, trägt die Uniform eines Prinzen. Ich lag also falsch! Mein Herz bleibt fast stehen, als seine wunderschönen, leuchtend blauen Augen meine treffen. Dann wandern sie zu Sophie, die völlig erstarrt neben mir sitzt.
„Liebe Großgroßtante Elisabeth, Großkusine Sophie...ich möchte euch in unserem bescheidenen Häuschen Willkommen heißen!", begrüsst uns George und salutiert.
Sophie gibt ein fiependes Geräusch von sich und ich stehe trotz wackeliger Beine auf. Verbeuge mich tief.
„Eure Hoheit...die Freude ist ganz meinerseits."
„Nun steht vom Boden auf, Tante...wir sind hier doch unter uns!", erwidert der hübsche Prinz amüsiert und reicht mir die Hand.
Ich greife danach und spüre die Wärme seiner Hand durch unsere Handschuhe hindurch. Mir ist, als würde darauf ein Stromschlag folgen und ich ziehe erschrocken meine Hand aus seiner. Da dies aber mit dem Verlust meines Kopfes geahndet werden könnte, gehe ich sofort wieder in die Knie und entschuldige mich demütig.
„Wofür? Ihr habt keinerlei Unrecht getan?", entgegnet George und schmunzelt.
„Ich habe euch meine Hand entrissen...das ist... Frevel am Staatsoberhaupt. Die Hand eines Monarchen muss so lange gehalten werden, bis sie vom Monarchen selbst entzogen wird. Ich möchte, dass meiner Tochter dies bewußt wird, weil..."
„Sie bald Königin wird? Nun, liebste Kusine, ich hoffe doch sehr, dass ihr soviel Gnade walten lasst, wie ich es in diesem Augenblick tue!"
George geht auf Sophie zu, die immer noch sitzt. Ich mache hinter seinem Rücken Zeichen und sie guckt mich verständnislos an. Doch George setzt sich in den Sessel ihr gegenüber und hält ihr seine Hand hin. Sie gibt ihm ihre und ich schüttele den Kopf. Noch steht sie unter ihm, also wird er ihr nicht die Hand küssen! Doch er tut es! Ich atme auf. Sein Blick findet meinen und er klopft auf den Platz neben sich.
„Nun setzt euch, Tantchen. Wie war eure Reise?"
Ich setze mich neben George und stelle fest, dass ich nun zwischen den Beiden sitze. Ungünstig!
„Mutter...", haucht Sophie plötzlich, bevor ich antworten kann.
„Ja, Kind?"
„Wenn ihr erlaubt, würde ich mich gerne kurz zurück ziehen."
Die Zofe kommt sofort und guckt mich fragend an. Ich schaue George an. Er schüttelt lachend den Kopf.
„Warum soll ich dies entscheiden? Habt ihr nicht so etwas wie den freien Willen?"
„Nun geh", sage ich und winke Sophie.
Sie küsst mich sanft auf die Wange und folgt der Zofe. Ich seufze.
„Nun?", fragt George.
Ich schaue ihn an, und einen Augenblick verharren wir im Blick des Anderen. Ich kenne dieses Gefühl nicht, das sich in mir ausbreitet- doch, etwas Ähnliches habe ich bei der Geburt meiner Tochter gespürt, aber es war trotzdem anders. Dieses fühlt sich an, als wären tausend Schmetterlinge in meinem Leib gefangen.
„Ihr seid wunderschön, Tante", raunt der Prinz, als wären wir uns näher, als wir sind.
Ich schließe die Augen und atme tief ein und aus. Plötzlich springt George auf.
„Ich vergaß, es gibt noch einige Dinge zu regeln, da mein lieber Vater auf Windsor Castle verweilt. Entschuldigt mich."
Und weg ist er. Ich zittere am ganzen Körper. Ja, Karl hatte mir das gleiche Kompliment gemacht, doch hatte es einen völlig anderen Effekt gehabt. Atme, Elisabeth! George ist bald dein Schwiegersohn, für den du nichts anderes empfinden wirst, als mütterliche Zuneigung! Sophie kommt wieder und strahlt, doch als sie sieht, dass ich alleine bin, verschwindet ihr Lächeln.
„Er ist schon gegangen?", fragt sie verwundert.
Ich nicke.
„Der Prinz hat noch Verpflichtungen. Warum musstest du auch das Zimmer verlassen?", schimpfe ich sanft und stehe auf.
„Mutter...mir war plötzlich so, als würde ich ohnmächtig werden, ich wollte mir nur kaltes Wasser ins Gesicht laufen lassen. Es wäre mir sehr unangenehm gewesen, wenn ..."
„Ist gut. Entschuldige, ich bin...vielleicht wirklich kurz vor der Unpässlichkeit. Nun, wie findest du ihn?"
„Er ist tatsächlich hübsch anzusehen!", erwidert sie und lässt sich auf den Sessel fallen.
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