Die Reichen und die Schönen
„Miss Lamb? Können sie mich hören?"
Ich öffne die Augen. Wo bin ich? Das Gesicht, das mich anschaut, kommt mir nicht bekannt vor, es ist keine der Schwestern aus der Anstalt.
„Der Butler wollte sie abholen und fand sie ohnmächtig vor. Er hat mir sofort Bescheid gesagt- Ich bin Dr. Helena Jameson. Bin eigentlich auch Gast hier...aber natürlich wollten wir nicht extra einen Krankenwagen rufen. Wie geht es ihnen?"
„Es geht. Naja, ich habe zu viel getrunken und das verträgt sich nicht mit den Psychopharmaka. Und ich..."
Mein Magen knurrt. Ja, ich hatte fast alles wieder erbrochen, bevor die Cops mich erwischt hatten! Die Ärztin nickt.
„Kommen sie, das Bankett ist bereits eröffnet und sie sollten sich stärken."
Ich zögere.
„Ich fühle mich eigentlich nicht so gut..."
„Ich passe auf sie auf, versprochen. Wissen sie, das Wyndham- Bankett ist das Highlight der New Yorker Society, das dürfen sie nicht verpassen!"
Ich nicke und stehe langsam auf.
„Wie ist ihr Name?", fragt Dr. Jameson.
„Elis...Betsy."
Mein Traum fällt mir wieder ein. Ich war im Buckingham Palace!
„Ist du okay, Betsy? Komm, hier entlang. Durch wen bist du an George heran gekommen?"
Ich nicke und schmunzele.
„Ist es. Wir... haben uns zufällig getroffen."
Helena guckt verwundert, sagt aber nichts und drückt auf einen Fahrstuhlknopf. Wow, wir fahren ins Penthouse!
„Die gesamten oberen zehn Stockwerke gehören George. Aber hier ist er nur zu offiziellen Anlässen, ansonsten wohnt er in seinem Anwesen auf Long Island", erklärt die Ärztin.
Ich nicke. Plötzlich komme ich mir doch fehl am Platze vor und habe den Impuls, wieder aus dem Fahrstuhl zu springen. Doch dann gehen die Türen auf und ich schaue in George' leuchtende Augen. Ich erstarre. Der Bart und die langen Haare sind fort und er sieht genauso aus, wie der Prinz aus meinem Traum! Nur in einem neumodischem Anzug, versteht sich. Immer noch gefangen zwischen Traum und Realität, verbeuge ich mich automatisch. George starrt mich an, zieht die Augenbrauen zusammen.
„Ich...habe dich bereits erwartet...", raunt er wie in Trance.
Ich lächle. Atme tief ein und versuche, meine Contenance zu finden. Dann sage ich: „Danke für die Einladung. Und entschuldige, wenn ich heute nicht die Fitteste bin."
George lächelt. „Oh, geht mir genauso. Ich hab gehört, dass du ohnmächtig geworden bist... du kannst jederzeit zurück auf dein Zimmer, wenn es dir nicht gut geht."
„Ich verstehe nicht...mein Zimmer?", frage ich leise, als George mich einhakt und mich in den nächsten Raum führt, der prall gefüllt mit Menschen ist.
Mein Herz rast.
„Ja, dein Zimmer. Bleib solange, wie du möchtest."
„Aber...", raune ich und George legt seine Finger auf meine Lippen.
„Shhhh...amüsier dich. Schau, hier ist ein alter Freund von dir."
„Old Joe!", begrüße ich meinen Zellkumpan lachend und umarme den alten Mann, der nun im Anzug steckt und mich verwirrt anguckt.
Dann leuchten seine Augen auf und er ruft: „Ach, du bist es, Betsykind! Hätt dich nicht wiedererkannt...sehr nett, dieser George, nicht?"
Ich setze mich zu Joe und George setzt sich neben mich. Die große, wunderschöne Blondine, die auf Joes rechter Seite sitzt, guckt wie sieben Tage Regenwetter.
George sagt amüsiert: „Betsy, Joe's Tischdame ist meine Frau Jennifer. Sie mag keinen Fisch, anscheinend hat sie meine Menüwahl etwas verstimmt..."
Oh, ich sterbe vor Hunger! Der Fisch wird aufgetragen und ich sehe, das Joe gemuste Beilagen bekommt. Trotzdem schmatzt er und ich muss mich arg zusammenreißen, nicht zu kichern. Doch als George mich angrinst, ist es aus. Ich pruste los. Jennifer schimpft: „George, ich empfinde das als eine Zumutung! Warum tust du das?"
Joe guckt sie ruhig an.
„Entschuldigen sie, M'am...Aber ihr Geschrei tut mir in den Ohren weh."
„Ja, Jennifer, reisse dich bitte zusammen! Es ist schließlich Heilig Abend!", tadelt George.
Doch auch die anderen Gäste haben uns, besonders Joe, im Visier. Sie mustern ihn angewidert. Nachdem der dritte Gang vorbei ist- es gab gebratene Gans, die Joe laut knabbernd und schmatzend verschlungen hat- halte ich es nicht mehr aus und bitte George um ein kurzes Gespräch. Er nickt und folgt mir in den Vorraum. Ich fackele nicht lange und sage scharf:„George, ich weiß, du tust das Ganze hier nicht nur aus Nächstenliebe, sondern weil es dir anscheinend Freude macht, deine arme Frau zu quälen und deine anderen Gäste zu provozieren. Aber nun ist genug! Du hast gesagt, ich kann gehen, wann ich will, und das tue ich jetzt und nehme Joe mit!"
George Augen weiten sich erschrocken.
„Betsy...", haucht er. „Das ist nicht...der Grund, warum ich dich wieder sehen wollte."
„Warum dann?"
„Weil ich dich fast zwei Jahrhunderte lang gesucht habe!"
Ich starre ihn an. Plötzlich betritt Jennifer die unwirkliche Szene und brüllt: „George, ich verlange, dass du sofort dieses Individuum von meinem Tisch entfernst! Er trinkt den Wein jetzt direkt aus der Flasche und rülpst ständig!"
Ich nicke. Laufe in den Saal zurück, schnappe mir Joe, der sich noch schnell eine Flasche Wein greift, und zerre ihn zum Fahrstuhl.
„Bitte bleib... Betsy!", höre ich George gegen Jennifers Gekreische rufen, doch sie hat ihn zum Glück am Wickel, sodass Joe und ich türmen können.
Joe ist schon wieder ziemlich breit, so parke ich ihn kurz in einem Sessel, während ich in meine alten, stinkenden Klamotten wechsele. Ich will das alles nicht mehr, will Georges Spielchen nicht mehr spielen! Was vor anderthalb Stunden wie ein Märchen begann, hat nun einen schalen Beigeschmack bekommen, weil ich Georges Absichten durchschaut habe. Dieser Mistkerl!
Joe schläft schon halb, als ich ihn wieder von seinem Sessel hochziehe und ihm erkläre, dass wir nun hier verschwinden würden. Für ihn tut es mir wirklich leid, aber vielleicht kann ich ihn ja zur Bahnhofsmission bringen. Immerhin hat er so gut gegessen, wie wahrscheinlich noch nie in seinem Leben! Niemand hält uns auf, als wir durch das riesige Foyer des Wolkenkratzers torkeln, anscheinend hat George begriffen, dass er zu weit gegangen ist. Ich könnte Donald anrufen, dass er uns abholt, doch will ich mir diese Blöße nicht geben. Und wie ich meinen Betreuer kenne, würde er Joe nicht mitnehmen wollen. Die Mission ist nur ein paar U- Bahn Stationen weiter, doch Joe wird immer schwerer und irgendwann stolpere ich und falle mit ihm hin. Ich versuche, ihn von mir runter zu kriegen und schon sind die Cops da.
„Was habt ihr in dieser Gegend zu suchen?", gibt der Größere der beiden Streifenpolizisten knurrend zu verstehen.
„Hey, das ist Old Joe! Bist doch gerade mal zwei Stunden wieder frei!", sagt der andere, lacht und zerrt Joe von mir runter.
„Ich...wollte ihn zur Mission bringen", erkläre ich gepresst.
„Das ist nett von dir, Kleines. Aber wir nehmen ihn schon mit. Hey, er hat ja noch Nachschub!" erwidert der große Cop und zaubert die halbleere Weinflasche aus Joes Manteltasche.
Plötzlich wird mir schlecht und ich übergebe mich.
„Oh, je, du hast wohl auch zu tief ins Glas geschaut, was?"
Ich nicke. Stimmt nicht, ist nur die ganze Aufregung, aber ich habe noch keine Lust, in der Anstalt aufzukreuzen und mich den Fragen des Pflegepersonals zu stellen. Also lasse ich mich auch einkassieren und verbringe den Rest des heiligen Abends in der Ausnüchterungszelle. Ich bin so müde, dass ich sofort einschlafe.
♚
Sophie flattert wie ein aufgeregtes Vögelchen herum und ich komme mir furchtbar schlecht vor. Diese Gefühle, die ich für meinen dreizehn Jahre jüngeren Neffen hege, sind mir völlig unwillkommen. Warum nicht zu einem anderen Zeitpunkt, zu einer anderen Gelegenheit? Warum jetzt? Karl war nie meine große Liebe gewesen, auch wenn er wirklich gut aussah für einen alten Mann. Nein, auch in unserem Hofstaat oder unter den Soldaten hatte ich nie jemanden getroffen, der bei mir diese Reaktion hervor gerufen hatte. Ich erwische mich dabei, wie ich ein Kleid wähle, das einen weiten Ausschnitt hat und mich jugendlicher wirken lässt. Sophie strahlt.
„Mama, ihr seht wunderschön aus! Die Herren werden euch zu Füßen liegen und eure Tanzkarte wird wohl den ganzen Abend gefüllt sein!"
Ich lächle.
„Du bist wunderschön, Kind! Schau dich nur an! Ich werde zuschauen, wie sich die jungen Männer um deine Gunst schlagen werden."
Sophie lächelt ihr Spiegelbild an. Ich kann mich jedoch nicht ansehen und wende mich ab.
„Nun komm, es ist Zeit. Den Kronprinzen darf man nicht warten lassen!"
Doch kaum haben wir den riesigen Saal betreten, fällt auf, dass der Prinzenplatz unbesetzt ist. Wir werden zu unseren Plätzen geleitet, die sich rechts und links von ihm befinden, und ein Cousin von mir verwickelt mich in ein Gespräch. Nun, alle Grafen und Gräfinnen sind irgendwie miteinander verwandt und so erscheint dieses Bankett wie ein riesiges Familienfest. Auch meine hübsche Tochter beherrscht die hohe Kunst der Konversation und erheitert ihre Tischnachbarin, die Gräfin von Sachsen Anhalt. Neben meinem Cousin sitzt ein älterer Herr, der sich mir als George Wyndham, Earl of Egremont, vorstellt.
„Ich habe schon viel von ihnen gehört, eure Durchlaucht", erklärt er lächelnd und ich frage mich, ob er wohl annimmt, dass ich ältere Männer bevorzuge?
„Nun, leider hatte ich noch nicht das Vergnügen, von Ihnen zu hören...oh, doch, nun fällt es mir wieder ein, sie haben mir dieses wunderbare Gemälde von Mr. Turner vor der Nase weg geschnappt, nicht wahr? Im letzten Jahr?"
Wyndham lacht.
„Ja, ich erinnere mich, sie waren die engagierte Dame, die sagte, ich könne doch wohl mal einen Turner entbehren!"
„Nun, leider haben sie mir diesen Gefallen nicht getan und mein lieber Bruder, der Großherzog von Baden, musste auf sein Geburtstagsgeschenk verzichten."
„Aber warum haben sie nicht nicht erkennbar gemacht, Herzogin?"
Ich beuge mich vor und flüstere: „Das hätte weniger Spaß gemacht."
Plötzlich läuft ein Raunen durch die Menge und alle stehen auf. Der Prinz eilt mit großen Schritten zu seinem Platz und mein Herz beginnt, schneller zu schlagen. Ich balle meine Fäuste und versuche, durch gezielteres Atmen meinen Puls zu verlangsamen, doch dann trifft mich Georges Blick und ich verbeuge mich schnell. Er nimmt meine Hand und küsst sie. Dies trägt nicht wirklich dazu bei, dass meine Atemnot verschwindet und erst, als er mich loslässt und sich Sophie zuwendet, kann ich aufatmen. George setzt sich und wir alle tun es ihm nach. Er ruft:
„Entschuldigt meine Verspätung, Alma hatte Koliken. Doch nun darf serviert werden!" Er schnippt nach dem Personal.
„Eure Hoheit, wenn ich fragen darf...wer ist Alma?", wende ich mich an George und er lächelt.
„Einer meiner Jagdhunde. Sie ist alt und ich befürchte, sie könnte bald sterben, deshalb mochte ich sie nicht alleine lassen."
„Was für eine Rasse ist es?", frage ich weiter und dann sind wir in eine rege Diskussion über Hundezucht verstrickt, womit ich mich in den letzten Jahren intensiv beschäftigt hatte.
Plötzlich stößt mich jemand mit dem Fuß an und ich blicke verwirrt um mich. Die Gräfin schaut mich verärgert an und deutet unmerklich auf Sophie, die still ihre Mahlzeit einnimmt. Ich schaue beschämt auf meinen Teller, der noch nahezu unberührt ist und beginne, zu essen. George versteht meinen abrupten Ausstieg aus der Diskussion anscheinend, er fragt nicht weiter nach, sondern wendet sich Sophie zu. Doch mein Kind scheint so angetan zu sein, dass sie nur einsilbig antwortet, und so kommt das Gespräch ins Stocken. Ich versuche, nach zu helfen, doch ernte wieder einen bösen Blick von der Gräfin, sodass ich mich zurücknehme. Je länger der Abend fortschreitet, desto mehr spüre ich, dass George wenig an Sophie interessiert ist. Als sie zusammen tanzen, ist es, als würde er eine Puppe halten.
Ich nehme mein Kind zur Seite und frage sie, ob sie sich nicht wohl fühle.
„Ach, Mutter...ich kann es nicht erklären. Der Prinz ist hübsch und witzig, ja, aber ich merke, dass er mir nicht zugetan ist. Und ich muss euch etwas beichten..."
Ich schaue Sophie überrascht an. Sie war bisher immer ehrlich zu mir gewesen!
„Ich war vorhin unpäßlich, weil ich an Maximilian denken musste. Er...hat mir auf dem Schiff immerzu Blicke zugeworfen, wißt ihr noch? Und kurz bevor wir anlegten, hatte er mir gebeichtet, dass er in mich verliebt sei. Aber ich bin ja dem Prinz versprochen!"
„Nun verstehe ich!", rufe ich überrascht aus. „Deshalb hat er unsere Reisegruppe so unerwartet verlassen! Aber warum...hast du mir nichts davon gesagt?"
„Was hätte das genützt?", entgegnet sie traurig und lässt sich in den Sessel sinken. „Und nun?", fragt sie und guckt zu mir hoch.
„Magst du diesen Maximilian?", frage ich zögerlich.
Nun, ich konnte mit meinen vorlauten, bayrischen Verwandten nie etwas anfangen! Sophie nickt jedoch. Ich seufze.
„Ich...habe keine Ahnung, was zu tun ist, mein Kind. Diese Ränke schmieden andere Leute als wir, ich wurde nicht gefragt."
„Aber ich will George nicht heiraten und ich glaube, er will mich auch nicht."
„Und das hat auch er nicht zu entscheiden...Vielleicht sollte ich einmal mit seinem Vater reden, aber mein Großneffe drückt sich ja anscheinend vor seiner Verantwortung!", überlege ich.
„Und ich will nicht so enden wie Tante Caroline! Sie war auch nicht erwünscht", wirft Sophie ein.
Ich nicke. Dann höre ich eine angenehme Stimme hinter mir fragen: „Darf ich die Brautmutter zu einem Tanz auffordern?"
Es ist George. Ich zucke zusammen und schaue ihn erschrocken an.
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