Beziehungsprobleme ohne Beziehung

Der Bahnhof ist nicht besonders voll. Unter der Überdachung stehen zwei ältere Frauen und ein junger Mann mit Kopfhörern. Wir stellen uns so weit von den Menschen weg wie nur möglich. „Also Jungs",erklärt Charly. „Bevor unsere Bahn kommt, kommt noch eine andere. Tut einfach so, als wäre das normal! Und nochwas: die Türen öffnen sich automatisch, erschreckt euch also nicht." Die Mitties nicken brav und sehen sich (einigermaßen) unauffällig um. „Oh shit!",fluche ich plötzlich, als mein Blick auf den Fahrkartenautomaten fällt,„Wir können sie ja nicht schwarz fahren lassen! Die brauchen ja noch Fahrkarten!" „Weiß jemand wie man das macht?",fragt Nat und sieht Charly und mich fragend an. Ich schüttele den Kopf und hebe abwehrend die Hände. Charly zuckt nur mit den Schultern und geht dann zu dem Automaten. „Aria, ich brauch das Geld!" Ich gehe zu ihr und reiche ihr den Geldbeutel. 

„Schwarz fahren? Was ist das?",fragt Bilbo. „Weißt du Bilbo",erklärt Nat,„Wenn du mit der Bahn fahren willst, brauchst du eine Fahrkarte. Und wenn du keine Fahrkarte hast, nennt man das 'schwarz fahren'."

Charly hat es inzwischen (irgendwie) geschafft, sieben Fahrkarten aus dem Automaten zu kriegen. 

„Jungs, ihr müsst jetzt ganz stark sein",sage ich mit einem Blick auf die Anzeige. „Die Bahn kommt gleich. In die müssen wir aber nicht einsteigen, also keine Panik." Die Mitties nicken brav. 

Der gelbe Zug fährt in den Bahnhof ein, die Türen öffnen sich und ein paar Leute steigen aus. Tatsächlich reißen die Mitties sich zusammen. Thranduil und Thorin zucken nicht einmal mir der Wimper, sie nehmen das mit dem 'sich nichts anmerken lassen' sehr ernst. 

Eine blonde Frau, die um die Mitte dreißig ist, kommt aus dem Zug und sieht Thranduil fasziniert an. „Und der erste Mittie wird gecrusht",flüstere ich Nat und Charly zu. Die beiden fangen an zu kichern. Aber Thranduil hat ganz offensichtlich kein Interesse an der Frau, denn er sieht sie überhaupt nicht an, sondern betrachtet die Bahn ganz genau. 

Die blonde Frau sieht ein wenig traurig aus, aber geht dann weiter, vielleicht will sie den Bus noch kriegen. „Eure Männer tragen ja kurze Haare",stellt Legolas verblüfft fest. „Und keine Bärte",fügt Fili hinzu, der einen älteren Mann betrachtet, der eine Glatze und ein glattrasiertes Gesicht hat. 

„So lang wie ihr Elben tragen wenige ihre Haare",erklärt Nat,„Und auch die Bärte sind nicht so lang wie bei euch Zwergen, heißt, ihr werdet in der Stadt ziemlich auffallen." „Wir müssen aufpassen, dass Leggy und Thrandy nicht für Geschwister gehalten werden",kichert Charly. 

„Ist Ihr Stammbaum ein Kreis, ne",lache ich. 

Thranduil sieht uns nur verstört an. „Wie kommt man denn auf sowas?",will Bilbo wissen. „Das sagt man nur so, Bilbo. Es gibt keine Menschen, deren Stammbaum ein Kreis ist",sagt Charly und funkelt Nat an, die irgendetwas von den Targaryens murmelt. 

„Ey Leute",verkünde ich und zeige etwas weiter hinten auf die Gleise. „Der Zug kommt!" „Okay Jungs!", kommandiert Charly,„Keine Panik auf der Titanic. In die Bahn müsst ihr einsteigen. Einfach rein, okay?" Ich beginne leise zu kichern, aber Nat tritt mir auf den Fuß. „Denk nicht so falsch, Jarvis!" Charly beachtet uns nicht, sondern erteilt weiter fleißig Befehle. 

„Ihr sucht euch sofort einen Sitzplatz, geht mir einfach nach und setzt euch da hin, wo ich draufzeige. So viele wie wir sind, brauchen wir mindestens zwei vierer und zwei zweier." „Jetzt übertreib mal nicht so",murmele ich kopfschüttelnd. „Ich hab seit hundertneunzig Jahren nicht mehr übertrieben",zitiert Charly mit fast perfekter Davis-Schulz-Stimme. 

Und wieder einmal sind die Mitties komplett verwirrt. Sie kennen die Parodie ja schließlich nicht. Gedanklich mache ich mir eine Notiz, dass wir ihnen 'der Hobbylose' auf jeden Fall zeigen müssen. 

Der Zug ist in den Bahnhof eingefahren und Charly scheucht die Mitties fleißig hinein. Nat und ich folgen als die Letzten. 

Der Zug ist ziemlich leer, was aber auch kein Wunder ist, ich meine es ist mitten in den Ferien, um halb elf. Entweder sind die Leute zu Hause, schon bei der Arbeit oder im Urlaub, aber die wenigsten kommen auf die Idee, shoppen zu gehen. 

Charly hat es geschafft, zwei Vierer zu ergattern. Und ihre Rechnung stellt sich prompt als falsch heraus, denn wir brauchen keine zwei Zweier, sondern nur einen. 

Nat und Thranduil haben die Ehre, sich in den Zweier setzen zu dürfen. Ich quetsche mich neben Legolas auf den Sitz. Gegenüber von uns sitzen Kili und Fili, die fasziniert aus dem Fenster sehen, als der Zug losfährt. 

Legolas sieht sich aufmerksam im Zug um, was mich ziemlich nervös macht. „Kannst du damit bitte aufhören?",bitte ich ihn. „Dein ständiges Umgegucke macht mich wahnsinnig. Du kannst hier nicht angegriffen werden, hier gibt es keine Orks." Legolas seufzt, hält dann aber seinen Kopf einigermaßen still. 

Ein paar Augenblicke ist es still, aber dann wendet Legolas seinen Blick zu mir und sagt:„Ich habe gestern in deinem Zimmer Skizzen und Aufzeichnungen über andere Welten gesehen. Das war faszinierend." 

Ich hätte schwören können, dass ich aus dem Augenwinkel gesehen habe, wie Gandalf bei Legolas' Worten den Kopf zu uns gedreht hat, aber als ich zu ihm sehe, ist er in ein Gespräch mit Thorin vertieft. 

„Hast du sie gelesen? Also die Aufzeichnungen?" Legolas verzieht beschämt das Gesicht und nickt leicht. Innerlich stöhne ich auf. Die Skizzen und Aufzeichnungen sind für verschiedene Geschichten, die ich gerade plane und sie sind noch nicht dazu gedacht, von irgendjemand anderem als mir gelesen zu werden. 

„Und? Wie fandest du sie?",frage ich Leggy. Wenn er sie schon gelesen hat, dann kann ich mir auch gleich ein Feedback einholen. 

Legolas lächelt. Dieses Lächeln. Ich muss mich zusammenreißen, ihn nicht auf der Stelle abzuknutschen oder durchzuknuddeln. 

„Wie gesagt, ich fande die Aufzeichnungen faszinierend. Es hätten wirklich echte Welten sein können. Vor allem die Karten fand ich wunderschön." 

Ich merke, wie ich (mal wieder) erröte. 

„Danke",murmele ich und schaue leicht beschämt auf den Boden. Hinter mir kann ich Nats gekicher hören. Soll sie doch lachen. Wenn sie erstmal ihren Lieblingscharakter trifft, wird sie auch so auf Komplimente reagieren. 

Trotzdem rede ich mir gedanklich ein, dass ich Legolas nicht liebe, er ist nur ein fiktiver Charakter. Eine Beziehung wäre sowieso unmöglich. Denk nicht über Beziehungen nach! mahne ich mich gedanklich. Du liebst ihn nicht, deswegen wird es keine Probleme mit der Beziehung geben! „Wo gehen wir zuerst hin, wenn wir in der Stadt sind?",fragt Gandalf und ich bin froh, dass ich so meine Gedanken über Beziehungen verschieben muss. „Wie wär's mit Kik?", schlägt Charly vor. Nat und ich nicken zustimmend. 

Es wird wieder still, während die Mitties gespannt zusehen, wie die Landschaft an ihnen vorbeirast. Ich sehe mich ein wenig in der Bahn um und mir fällt ein junger Mann auf, der an der Tür steht. Er tanzt. Oder zumindest vibed er zur Musik, die er über Kopfhörer hört. 

Ich sehe zu Nat und Charly und die beiden grinsen mich an, sie haben den Typen auch gesehen. „Was ist los?",will Kili wissen und sieht von mir zu Nat und Charly und wieder zurück. „Nichts, alles gut",sage ich mit einem Kopfschütteln. Der Zwerg lacht. „Ihr Menschen seid wirklich komisch." „Sagt ein Zwerg, der eigentlich nicht existiert",kontere ich und Kili verzieht halb lachend, halb verblüfft das Gesicht. „Rückgrat hast du schon, Menschenmädchen." Jetzt bin ich die, die lachen muss. „Das Menschenmädchen kann dich jederzeit in Eppingen sitzen lassen." „Das würde ich nicht zulassen",schaltet sich Fili ein. „Jaja, du gehörst zu deinem Bruder und so, ich weiß." „Nein",meint Fili. „Mutter würde mich nur einen Kopf kürzer machen, wenn ich ohne Kili nach Hause käme." 

„Nein, zuerst würde sie Onkel einen Kopf kürzer machen und dann dich",korrigiert Kili seinen Bruder, woraufhin ich lachen muss. 

„Nächster Halt: Eppingen, Umsteigemöglichkeit in Richtung Sinsheim und Heidelberg. AVG fährt für Bewegt",kommt die Durchsage aus dem Lautsprecher und wie immer ist das Saxophon am Ende der Durchsage viel zu laut. Legolas verzieht das Gesicht. Für seine empfindlichen Elbenohren muss das noch schlimmer sein als für normale Menschen. 

„Müssen wir hier aussteigen?",fragt Gandalf, aber Charly schüttelt den Kopf. „Noch eine Station",sagt sie. „Das ist näher am Kik." „Kommt dann wieder diese schreckliche Musik?",fragt Legolas mit leidendem Gesichtsausdruck und ich schüttele den Kopf, woraufhin der Elb erleichtert aufseufzt. 

Ein paar Leute steigen ein und setzen sich oder bleiben stehen. Dann fährt die Bahn endlich weiter und die Durchsage kommt. „Hier müssen wir aussteigen",erklärt Charly und steht auf. Die Mitties folgen ihr bis zur Tür und bleiben dort stehen. „Ihr müsst euch festhalten",rate ich ihnen. „Sonst fallt ihr um, wenn der Zug hält." 

Ein paar Leute im Zug sehen mich ein wenig komisch an, besonders weil Thorin, Gandalf, Thranduil und Bilbo aussehen wie erwachsene Männer, die doch wissen müssten, wie man Bahn fährt und die trotzdem von einer Teenagerin gesagt bekommen, was sie zu tun haben. 

Zum Glück öffnen sich die Türen und wir können hinausgehen. Los geht's mit shoppen. 

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