9. Kapitel

Erschrocken starrte ich auf meinen Schatten, bevor ich langsam meinen Kopf hob und die Umgebung nach Jaro absuchte.
Tatsächlich fand ich ihn.

Was ich sah, überraschte mich.
Jaro hatte eine Gestalt.
Durch das Licht der Mondspflanze – so hatte ich diese Blume getauft – war ganz klar sein Körperbau erkennbar. Und tatsächlich sah Jaro aus wie ein kleiner Junge. Nur eben...als Schatten?
Außer von seinen äußerst menschlichen Umrissen, konnte ich nichts Menschliches an ihn entdecken.
Sein Körper war durchgehend schwarz. Nur die Augen hoben sich von dieser Masse ab, leuchteten hellblau, wie immer.
Langsam glitt mein Blick zu Boden. Kein Schatten.
Als wäre er selbst einer.

„Was ist?", fragte mich Jaro neugierig, trat einen Schritt auf mich zu. Es war irgendwie beruhigend, ihn zu einer Gestalt zuordnen zu können. Andererseits schien es auch äußerst beunruhigend, zu wissen, dass Jaro ein Schatten war, wenn ich mit meiner Theorie richtig lag.
Ein Schatten ohne Schatten.

„N-Nichts", flüsterte ich kaum hörbar, blickte zu meinem kleinen Bruder, der mich immer noch angsterfüllt anstarrte, als wäre ich ein Monster.
Blutrünstig, voller Hass.
Ohne ein Funken Empathie.
Einfach...ein Monster, lebensgefährlich für alle, die mir etwas bedeuteten.

Jaro zuckte etwas mit seinen Schultern, seufzte leise auf.
„Jedenfalls...im Wald verläuft man sich sehr schnell. Es gibt keinen Weg, nur Wald. Nicht mehr und nicht weniger. Und sehr viele andere, die keine Lust auf mich haben, weil ich der Einzige Hirocu bin"

Ich runzelte verwirrt meine Stirn. Zu viel Information.
„Äh...Hirocu? Was bedeutet das?", fragte ich leise nach.
„Je nach Augenfarbe gibt es verschiedene Namen: Hirocu, Inua, Rithaca und Raiges. Hirocu sind hellblau, Inua weiß, Rithaca gelb und Raiges rot"
Es gab noch mehr von diesen...Wesen?
Oh verdammt...
Zwei waren schon erschreckend genug, wobei Jaro ja eigentlich gar nicht dazuzählte. Er war...anders. Nicht furchteinflößend, sondern eher...nett und kindlich.

Ich seufzte leise, atmete kurz darauf tief die kühle Nachtluft ein.
Sie fühlte sich jedoch nicht so beruhigend wie sonst an; Nein.
Eher bedrückend. Sie machte mir Angst, auch wenn ich nicht wusste, woran dies lag.
Es schien alles normal hier zu sein – bis auf die Mondpflanze und die sehr merkwürdige Sache mit dem Schatten – und doch war es so...erschreckend gespenstisch und unheimlich.
Waren das überhaupt die richtigen Worte? Ich wusste es nicht, konnte es nicht sagen. Es war unmöglich, all meine Gedanken und all meine Gefühle richtig widergeben zu können.
Sie waren einfach da.
Ohne Vorwarnung und ohne Beschreibung, was genau sie ausgelöst hat.
Einfach nur da.

Minuten vergingen, in denen sich nichts regte. Hin und wieder blitzen im nahgelegenen Wald einzelne Lichter auf. Weiß und Gelb waren sie gefärbt, nie hellblau oder rot.
Sie waren einfach für einige Momente da, verschwanden dann jedoch sofort wieder, als hätte sie sie nie gegeben. Am Anfang dachte ich, ich hätte es mir nur eingebildet.
Doch dem war nicht so.
Zu oft tauchte ein neues Licht zwischen dem Buschwerk auf, bevor es weiter huschte.

Alles wirkte so...angespannt. Nichts war ruhig, es war so, als würde jemand einen Gummi weitziehen und erst kurz vor dem Reißen loslassen.
Gerade wollte ich mich wieder an Jaro wenden, als ein Schrei ertönte.
Sofort lief mir eine Gänsehaut über den Rücken.
Ich wusste, wem dieser furchteinflößender Laut entsprungen war.
Finn.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top