KAPITEL 6

Die Tage vergingen zäh wie Honig im Winter. Während Sanemi regelmäßig aufbrach, um Dämonen zu jagen, blieb ich im Haus zurück und kämpfte gegen die lähmende Langeweile. Es war, als würde die Zeit stehen bleiben, sobald er das Haus verließ. Ohne Erinnerungen und ohne einen klaren Zweck fühlte ich mich wie ein eingesperrtes Tier, das sehnsüchtig darauf wartete, dass sich die Türen öffnen. An einem dieser endlosen Tage konnte ich es nicht länger ertragen.

Als Sanemi nach einem langen Tag, blutverschmiert und erschöpft, nach Hause kam, sprach ich ihn schließlich an. „Sanemi, das muss aufhören. Ich kann nicht den ganzen Tag hier sitzen und nichts tun. Ich werde noch verrückt."

Er war gerade dabei, seine Waffen abzulegen und drehte sich mit einem finsteren Blick zu mir um. „Du gehst mir auf die Nerven, weißt du das? Es ist nicht mein Problem, dass du dich langweilst. Ich habe einen Job zu erledigen. Und dieser Job hat nichts mit deinem Zeitvertreib zu tun."

„Das verstehe ich ja", erwiderte ich und verschränkte die Arme. „Aber ich kann nicht einfach den ganzen Tag hier sitzen und darauf warten, dass du zurückkommst, nur um mich weiter zu ignorieren. Es muss doch etwas geben, das ich tun kann."

Sanemi rieb sich gereizt die Schläfen, als ob er versuchte, sich zu beruhigen. „Was genau erwartest du von mir? Soll ich dir vielleicht ein paar Dämonen hier im Haus lassen, damit du etwas zu tun hast?"

„Witzig", sagte ich trocken. „Aber nein, danke. Vielleicht könntest du mich in deine Arbeit einweihen? Zeig mir etwas. Bring mir etwas bei, damit ich nicht die ganze Zeit das Gefühl habe, nutzlos zu sein."

„Das ist kein Spiel", knurrte er. „Das hier ist kein Ort für jemanden, der nicht mal seinen eigenen Namen behalten kann. Du würdest nur im Weg stehen."

„Danke für dein Vertrauen", erwiderte ich sarkastisch. „Aber ich habe es satt, hier wie eine Gefangene zu leben."

Sanemi funkelte mich einen Moment lang wütend an, bevor er tief durchatmete und mit einem knappen „Mach, was du willst" aus dem Raum stürmte.

Am nächsten Morgen brach er wie üblich auf, ohne ein weiteres Wort zu mir zu sagen. Ich saß da, starrte auf die leere Küche und fühlte mich genauso leer wie der Raum um mich herum.

Doch plötzlich hörte ich Schritte vor der Tür. Es klopfte, und als ich öffnete, stand eine zierliche Frau mit einem sanften Lächeln vor mir. Sie trug die Uniform der Dämonenjäger, aber ihr Ausdruck war das genaue Gegenteil von Sanemis grimmiger Art. Ihr Haar war zu einem eleganten Knoten hochgesteckt, und ihre violetten Augen musterten mich freundlich.

„Du musst die sein, die bei Sanemi wohnt", sagte sie mit einem leichten Lächeln. „Ich bin Shinobu Kocho, die Insektensäule."

„Ja, das bin ich", antwortete ich, noch etwas überrascht. „Und, äh, ich habe gehört, dass du auch eine Säule bist. Sanemi hat dich aber nie erwähnt."

Shinobu lachte leise und trat ein, ohne eine Einladung abzuwarten. „Das überrascht mich nicht. Sanemi und ich sind nicht gerade die besten Freunde. Tatsächlich könnte man sagen, dass wir uns nicht sonderlich gut verstehen. Ich bin sicher, du kannst das nachvollziehen."

„Oh ja", sagte ich und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. „Wir beide sind auch nicht die besten Freunde."

„Das dachte ich mir", antwortete sie und sah sich um. „Dieses Haus ist so düster wie sein Besitzer. Es ist kaum zu glauben, dass jemand freiwillig hier bleibt."

„Nun, freiwillig ist nicht gerade das richtige Wort", gab ich zu. „Es gibt niemanden, der mich kennt, also hat Sanemi beschlossen, mich hier zu behalten. Eine Entscheidung, über die weder er noch ich glücklich sind."

„Klingt nach ihm", sagte Shinobu und setzte sich an den Tisch, während sie mich neugierig musterte. „Sag mir, wie geht es dir hier?"

„Langweilig", antwortete ich ehrlich. „Es gibt nichts zu tun, außer darauf zu warten, dass Sanemi zurückkommt. Und selbst dann ist er entweder wütend oder ignoriert mich. Es ist ein wundervolles Leben."

Shinobu kicherte. „Das klingt genau wie der Sanemi, den ich kenne. Ständig wütend, ungeduldig und dazu noch ein Kontrollfreak. Es muss schwierig für dich sein, mit ihm auszukommen."

„Das ist noch milde ausgedrückt", sagte ich und setzte mich ihr gegenüber. „Aber du scheinst ihn genauso zu hassen wie ich. Warum?"

„Hassen ist ein starkes Wort", antwortete sie, während sie ihre Hände auf den Tisch legte und mich mit einem fast unschuldigen Lächeln ansah. „Aber sagen wir mal, Sanemi und ich haben grundlegend unterschiedliche Ansichten darüber, wie man Dämonen behandelt. Und seine Art, mit Menschen umzugehen, lässt auch sehr zu wünschen übrig."

„Oh, das kann ich bestätigen", sagte ich. „Er hat kein Gespür dafür, mit Menschen zu reden. Es ist, als ob er jedes Gespräch in einen Streit verwandeln will."

„Genau", stimmte Shinobu zu. „Aber ich bin froh, dass ich nicht die Einzige bin, die das so sieht. Vielleicht sollten wir uns zusammentun."

„Zusammentun?" Ich hob neugierig eine Augenbraue.

„Nun, wir könnten uns gegenseitig unterstützen. Es wäre eine kleine... Allianz gegen Sanemis grimmige Art", sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln.

„Das klingt verlockend", sagte ich, jetzt ebenfalls lächelnd. „Was hast du im Sinn?"

„Nichts Schlimmes", erwiderte Shinobu, „nur ein wenig Erheiterung für uns beide. Und vielleicht ein paar Streiche, um Sanemis Nervenkostüm ein wenig zu testen. Was meinst du?"

Ich lachte bei dem Gedanken. „Das könnte tatsächlich Spaß machen. Und es wäre definitiv eine Abwechslung zu der Langeweile hier."

„Wunderbar", sagte Shinobu und erhob sich. „Ich werde dir hin und wieder einen Besuch abstatten, und wir werden sehen, was wir aus dieser... Situation machen können. Wer weiß, vielleicht können wir Sanemi ein bisschen Menschlichkeit beibringen."

„Das wäre ein Wunder", antwortete ich, während sie zur Tür ging. „Aber ich bin dabei."

„Ich freue mich darauf", sagte sie und zwinkerte mir zu. „Bis bald, Kazehiro. Oder wie auch immer du dich jetzt nennen willst."

„Bis bald, Shinobu", sagte ich, während ich die Tür hinter ihr schloss und leise lachte. Endlich hatte ich jemanden gefunden, der Sanemi genauso wenig ausstehen konnte wie ich. Und vielleicht, nur vielleicht, würde es uns gelingen, ihm ein wenig von seiner eigenen Medizin zu verpassen.

Der Gedanke an unsere zukünftigen Pläne brachte mir zum ersten Mal seit langem ein echtes Lächeln auf die Lippen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top