KAPITEL 3
Der Tag, an dem Sanemi mich ins nahegelegene Dorf brachte, hätte genauso gut aus einem schlechten Witz stammen können. Es war, als hätte das Schicksal beschlossen, uns beide durch eine noch absurdere Situation zu führen. Sanemi stapfte vor mir her, seine Miene gewohnt grimmig, während ich ihm folgte und versuchte, nicht über meine eigenen Füße zu stolpern. Ich spürte seinen Frust förmlich in der Luft hängen, und ehrlich gesagt, fühlte ich mich nicht viel besser.
Als wir im Dorf ankamen, musterten uns die Bewohner mit neugierigen Blicken. Sanemi war hier offenbar bekannt, denn die Menschen machten ihm bereitwillig Platz, als hätte er eine unsichtbare Aura, die Abstand einforderte. Das sollte mich wohl nicht überraschen, nachdem ich seine Persönlichkeit ein paar Tage lang ertragen hatte.
„Glaubst du wirklich, jemand hier könnte mich kennen?", fragte ich skeptisch, während ich versuchte, den Hauch von Hoffnung in meiner Stimme zu verbergen.
„Das werden wir gleich sehen", murmelte Sanemi, ohne mich direkt anzusehen. Er marschierte weiter, als sei das Ganze nur eine lästige Pflicht.
Wir sprachen mit dem Dorfältesten, einer schrulligen alten Frau mit einem zu breiten Grinsen, das fast unheimlich wirkte. Sie betrachtete mich eingehend und schüttelte schließlich den Kopf. „Ich habe dich noch nie hier gesehen, mein Kind. Vielleicht bist du aus einem der Nachbardörfer?"
Sanemi ließ ein unterdrücktes Stöhnen hören, als wollte er damit ausdrücken, wie unglaublich er diese Idee fand. „Das wäre zu einfach", murmelte er. „Natürlich kennt sie keiner."
Wir gingen von Tür zu Tür, klopften bei jedem Haushalt an, aber es war überall dasselbe: Niemand erkannte mich, niemand konnte sich an ein Gesicht wie meines erinnern. Mit jedem „Nein" wurde Sanemis Gesichtsausdruck finsterer, während meine Hoffnung auf ein bekanntes Gesicht immer weiter schrumpfte.
Als wir schließlich das letzte Haus im Dorf erreicht hatten, lehnte Sanemi sich genervt an den Zaun und rieb sich die Schläfen. „Das war's. Niemand kennt dich, und wir haben den halben Tag verschwendet. Ich hätte es mir denken können."
„Oh, tut mir leid, dass ich nicht in dein ach so perfekt organisiertes Leben passe", erwiderte ich sarkastisch, obwohl mir selbst nicht nach Spott zumute war. „Ich hätte wirklich gern irgendwohin gehört."
„Ich auch", murrte er, aber dann seufzte er schwer und warf mir einen scharfen Blick zu. „Tja, da niemand hier dich kennt, musst du wohl bei mir bleiben."
Ich spürte, wie mir die Gesichtszüge entglitten. „Wie bitte? Das war ein Scherz, oder?"
„Sieht es aus, als ob ich Scherze mache?", erwiderte er trocken und stemmte die Hände in die Hüften. „Es gibt keine andere Möglichkeit. Du hast keinen Ort, wohin du gehen könntest, und ich werde dich nicht allein durch die Gegend wandern lassen. Du bist nicht gerade dafür bekannt, nützlich zu sein."
„Was? Nützlich?", wiederholte ich fassungslos. „Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe!"
Sanemi schnaubte und zog eine Augenbraue hoch. „Findest du? Glaub mir, ich finde das Ganze genauso bescheuert wie du. Aber wenn du eine bessere Idee hast, dann nur zu. Ich höre."
Ich öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, weil mir wirklich nichts einfiel. Natürlich war das bescheuert, aber er hatte recht. Ohne Erinnerungen konnte ich nicht einfach weglaufen, wohin auch? Da ich keine bessere Option hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass ich jetzt... nun ja, irgendwie bei ihm wohnte.
Auf dem Rückweg zu seinem Haus herrschte eine angespannte Stille zwischen uns. Mir war bewusst, dass weder er noch ich mit dieser Situation glücklich waren, aber was sollten wir tun? Schließlich, als wir kurz vor seinem Haus standen, konnte ich mich nicht zurückhalten.
„Also, was genau hast du vor, wenn wir da ankommen?", fragte ich und versuchte, die Nervosität in meiner Stimme zu unterdrücken. „Willst du mich irgendwo anketten, damit ich dir nicht aus Versehen auf die Nerven gehe?"
Sanemi warf mir einen Seitenblick zu, der irgendwo zwischen amüsiert und genervt lag. „Keine schlechte Idee. Vielleicht lasse ich dich den Boden schrubben oder Holz hacken. Wäre das nützlich genug für dich?"
„Ha, sehr witzig", erwiderte ich sarkastisch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich sehe es schon vor mir: Du, der böse Hausherr, und ich, das unschuldige Hausmädchen. Wir könnten eine tolle kleine Tragödie inszenieren."
„Tragödie? Eher eine Farce", murmelte er, bevor er die Tür zu seinem Haus aufstieß. „Aber solange du keinen Unsinn anstellst, werde ich schon irgendwie mit dir klarkommen."
„Wie beruhigend", sagte ich und folgte ihm ins Haus, wo ich mich langsam an die Umgebung gewöhnt hatte. „Ich werde mich also bemühen, so wenig wie möglich aufzufallen."
„Das wäre tatsächlich eine Erleichterung", erwiderte er trocken, während er die Tür hinter uns schloss. „Vielleicht könnte ich dich ja tatsächlich für etwas nützliches einspannen. Wie gut bist du im Kochen?"
Ich zog eine Augenbraue hoch. „Weiß ich nicht. Vielleicht bin ich ja eine grandiose Köchin, die für ihre unglaublichen Mahlzeiten berühmt ist. Oder ich brenne Wasser an."
Sanemi verdrehte die Augen. „Natürlich. Das wäre zu einfach gewesen. Gut, dann finde ich eben etwas anderes für dich."
„Etwas anderes? Du willst mich wirklich zu deiner persönlichen Dienerin machen, oder?", fragte ich halb ernst, halb scherzhaft.
„Was soll ich sonst mit dir anfangen?", erwiderte er trocken und warf mir einen finsteren Blick zu. „Das hier ist kein Hotel, und ich bin nicht dein Butler. Wenn du hierbleibst, dann trägst du deinen Teil bei."
„Verstanden, Chef", murmelte ich und konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. „Ich werde mir Mühe geben, den Boden ordentlich zu schrubben."
„Tu das", sagte er und schüttelte den Kopf, während er mir den Weg ins Wohnzimmer wies. „Und vielleicht findest du ja irgendwann heraus, was du noch kannst, außer frech zu sein."
„Du wärst überrascht, wie talentiert ich darin bin", erwiderte ich und grinste, als ich auf dem Sofa Platz nahm. „Aber bis dahin... tja, da stecken wir wohl in diesem bescheuerten Arrangement fest."
„Scheint so", stimmte er zu und ließ sich auf einem Stuhl nieder, den Blick finster, aber irgendwo in seinen Augen blitzte ein Hauch von Akzeptanz auf. „Aber mach dir keine Illusionen. Das hier ist keine Freundschaft, sondern reine Notwendigkeit."
„Keine Sorge", sagte ich leichthin und lehnte mich zurück. „Ich würde das nicht mal im Traum als Freundschaft bezeichnen. Wir sind eher... unfreiwillige Verbündete."
Sanemi brummte etwas, das wie ein zustimmendes Grummeln klang, und ließ das Gespräch dann in eine angenehme Stille übergehen. Auch wenn die Situation alles andere als ideal war, fand ich mich langsam damit ab, dass ich für eine Weile in diesem seltsamen Arrangement feststeckte – und vielleicht war es nicht das Schlechteste, jemanden wie Sanemi an meiner Seite zu haben, auch wenn er definitiv kein Gentleman war.
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